[23. bis 25. Juni 2017 in Berlin] Tagung „Ostwind – Soziale Kämpfe gegen Massenentlassungen und Betriebsschließungen in Ostdeutschland 1990 bis 1994“

Dossier

AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-WestVor 25 Jahren, am 20. Juni 1992, fand in der Berliner Kongresshalle am Alexanderplatz die 1.  Konferenz Ostdeutscher und Berliner Betriebsräte und Personalräte statt. Sie wurde zum Ausgangspunkt des selbstorganisierten Versuchs eines Branchen und Regionen übergreifenden Widerstandes von Belegschaften in ganz Ostdeutschland gegen die von der Treuhandanstalt im Auftrag der Regierung Kohl durchgesetzte Politik der Privatisierung der ostdeutschen Wirtschaft. Dieser Versuch entsprang der – bei den Spitzen der Gewerkschaften vermissten – Einsicht von Betriebsräten, dass nur ein flächendeckender Widerstand die Kahlschlagpolitik der Treuhandanstalt stoppen kann, die innerhalb von nur wenigen Jahren zur millionenfachen Zerstörung von Arbeitsplätzen und zur weitgehenden Deindustrialisierung Ostdeutschlands geführt hat. Doch bildete die auf ihrer ersten Konferenz gegründete Initiative Ostdeutscher und Berliner Betriebsräte, Personalräte und Vertrauensleute nur die Spitze einer viel breiteren, politisch agierenden sozialen Protestbewegung von Belegschaften, Betriebsräten, Vertrauensleuten, lokalen wie regionalen Gewerkschaften in Ostdeutschland, an der auch Teile der Erwerbslosenbewegung beteiligt waren. (…) In Vorträgen, Analysen sowie Berichten von Zeitzeug/innen sollen die Ereignisse, die damals wie heute durchaus unterschiedlich bewertet wurden, vorgestellt und diskutiert werden. Wir wenden uns vor allem an eine junge Generation heutiger Aktivist/innen aus Gewerkschaften und sozialen Bewegungen sowie an Wissenschaftler/innen und Publizist/innen, die sich für die Geschichte sozialer Bewegungen interessieren und mit denen wir gemeinsam den Bogen von der Geschichte in die Gegenwart schlagen wollen…“ Siehe das Programm und nun Dokumente/Kommentare:

  • Wenn zwei sich streiten, haben beide Recht? Diskussion um die Rolle von Betriebsräten 
    Eine spannende Diskussion hat sich zur Frage ergeben, ob Betriebsräte eine „Bewegung“ sein können. Wie so oft bei harten Debatten stellt sich die Frage, welcher Kontrahent hat denn nun Recht. Meine Antwort: beide. Es hängt davon ab. (…) Rechtlich scheint die Sache klar zu sein. Denn das Betriebsverfassungsgesetz betont einleitend die „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ der Betriebsräte mit den Unternehmen und verbietet Streikmaßnahmen durch Betriebsräte:„Maßnahmen des Arbeitskampfes zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat sind unzulässig“. Dabei verkennt die Vorschrift nicht, dass Betriebsrat und Arbeitgeber unterschiedliche Interessen verfolgen. Im Gegenteil setzt das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit unterschiedliche Interessen von Arbeitgeber und Betriebsrat geradezu voraus. (…) Der selbst vom höchsten deutschen Verfassungsgericht benannte „Interessengegensatz“ zwischen abhängig Beschäftigten und Kapitaleignern ermöglicht somit Betriebsräten, ihr Amt als Möglichkeit zur Gegenwehr im Sinne der Belegschaft zu nutzen. Unerwähnt lassen die Richter, dass das Engagement für die Beschäftigten stark vom Selbstverständnis der Betriebsratsmitglieder abhängt. (…) Diese Beispiele zeigen, wie Betriebsräte Gegenwehr entwickeln können – gleichzeitig stellen Betriebsräte fest, dass ein Agieren auf betrieblicher Ebene allein nicht ausreicht. (…) Eine Vernetzung über Gewerkschaften ermöglicht Gegenwehr auf tariflicher Ebene. (…) Die Einbeziehung der Beschäftigten ist der entscheidende Faktor. Eine starke Position gegenüber den Unternehmen werden Gewerkschaften und Betriebsräte aber nur haben, wenn sie die Belegschaften beteiligen.“ Beitrag von Marcus Schwarzbach vom 2.11.2017
  • Tagung »Ostwind« jagte einem Phantom nach? Zu Rolle und »Spielräumen« betrieblicher Praxis 
    express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und GewerkschaftsarbeitIm express 7/2017 berichtete Renate Hürtgen über die vom AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West organisierte Tagung mit dem Titel: »Ostwind – Soziale Kämpfe gegen Massenentlassungen und Betriebsschließungen in Ostdeutschland 1990 bis 1994«, die am 23./24. Juni in Berlin stattfand. Eingeladen war auch Rolf Geffken, der dann als Reaktion auf das Gehörte das Thema seines Vortrags änderte. Der Vortrag wie seine nun im Internet nachlesbare Begründung dafür stießen auf heftige Kritik nicht nur bei den Veranstaltern. Wir dokumentieren hier sowohl einen Ausschnitt aus Geffkens Text, eine Replik von Bernd Gehrke, Willi Hajek und Renate Hürtgen als auch einen kurzen Stimmungsbericht von der Tagung von Willi Hajek…“ Artikel von Bernd Gehrke, Willi Hajek und Renate Hürtgen, erschienen in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit: Ausgabe 9-10/2017
  • „Betriebsrätekampf“? Rolf Geffken zum „Gewerkschaftlichen Kampf“ in Ostdeutschland in 1992-1993 – Zugleich Kritik der Tagung „Ostwind“ vom Juni 2017 in Berlin 
    „In einem Land mit stark verrechtlichten Arbeitsbeziehungen und einer starken Rechtsgläubigkeit in der arbeitenden Bevölkerung steht der gewerkschaftliche Kampf, vor allem der Streik, in einem widersprüchlichen und ständigen Veränderungen unterworfenen Verhältnis zum Recht, vor allem zum Arbeitsrecht. Beide Phänomene beeinflussen sich. Aber es geschieht auf sehr unterschiedliche Weise, je nach den verschiedenen historischen Phasen. Um dem Thema vor allem auch in Bezug auf die Entwicklung in Ostdeutschland gerecht werden zu können, muss man zunächst auf die (bislang kaum untersuchten) dialektischen Beziehungen zwischen Streik, Recht und Gewerkschaften im Westdeutschland der 1950er bis 1990er Jahre eingehen. Und diese sodann mit der ostdeutschen Entwicklung am Anfang der 1990er Jahre vergleichen. (…) Eine Dialektik von Streik, Recht und Gewerkschaften kann sich nur dann entfalten, wenn es überhaupt eine relevante Gewerkschaft in der Praxis gibt, also eine über eine längere Zeit anhaltende Bewegung in Richtung auf gewerkschaftliche Gegenmacht. Im Falle Ostdeutschlands wurden vorhandene Ansätze dazu durch die Politik der Deindustrialisierung und des gigantischen Arbeitsplatzabbaus konterkariert. Auf diese Weise wurde nicht kollektive Solidarität zu individuellen Erfahrung, sondern die staatlich organisierte Einübung in Arbeitsplatzangst wurde zur wichtigsten Erfahrung der einzelnen Beschäftigten…“ Beitrage von Rolf Geffken auf seiner Homepage Rat & Tat externer Link vom August 2017. Besonders interessant ist der am Ende enthaltene Nachtrag zur Genese des Textes vor dem Hintergrund der Debatte um die Institution „Betriebsrat“ (bzw. Illusionen darüber) während der Tagung: „… Betriebsräte waren nie – auch nicht in Ostdeutschland 1992/1993 – Organisationen. Sie waren nie – und selbst wenn sie selbst noch so aktiv waren – eine wie immer geartete „Bewegung“. Betriebsräte waren und sind Organe außerhalb jeder Bewegung, vor allem der Gewerkschaftsbewegung. Sie standen und stehen auch außerhalb von Streiks, Demonstrationen oder Betriebsbesetzungen. Selbst w e n n sie sich zum Fürsprecher der Agierenden machen. Als Stellvertreter können sie auch keinen „Kampf“ für die Vertretenen führen…“
  • Programmänderung 
    Für die Tagung vom 23.-24. Juni 2017 des Arbeitskreises Geschichte sozialer Bewegungen Ost West liegt ein etwas verändertes Tagungsprogramm vor, siehe das ausführliche Tagungsprogramm externer Link auf der Homepage des Veranstalters
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=114460
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