Lobbyismus: Banker im Klassenraum

„Fast alle großen Unternehmen und Wirtschaftsverbände stellen kostenloses Lehrmaterial zur Verfügung. Viele veranstalten Schulwettbewerbe oder übernehmen den Unterricht gleich ganz. Zwar gilt in Schulen Werbeverbot, doch die Schuletats sind knapp – und die Angebote verlockend. (…) Etwa 300 Schulklassen aus der Umgebung der deutschen Amazon-Standorte haben in den vergangenen Jahren beim Wettbewerb „Kindle Storyteller Kids“ mitgemacht. Nun ist damit erst einmal Schluss. Im Frühjahr untersagte das hessische Kultusministerium die Teilnahme an der Veranstaltung, nachdem es durch eine Bürgeranfrage davon erfahren hatte. Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Bayern folgten dem Verbot. (…) Amazon ist kein Einzelfall. Auf vielfältige Weise versuchen Unternehmen und Verbände, Unterrichtsinhalte zu beeinflussen. 16 der 20 umsatzstärksten Firmen in Deutschland produzieren Lehrmaterialien. Auch Expertenbesuche, Planspiele oder Gratis-Exkursionen gehören zum Angebot. „Wir haben es mit einem Massenphänomen zu tun“, sagt Tim Engartner, Didaktikprofessor an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. (…) Die chronische Unterfinanzierung der Schulen macht Lobbyisten die Arbeit leicht. In der Regel können von Broschüren ganze Klassensätze kostenlos bestellt werden – ein großer Vorteil in Zeiten unzureichender Kopieretats. (…) Ein Expertenteam hat 453 Unterrichtsmaterialien unter die Lupe genommen. Während die meisten Produkte der staatlichen Stellen und Nichtregierungsorganisationen gute Noten erhielten, wurden zwei Drittel der Publikationen von Wirtschaftsverbänden und -unternehmen mit befriedigend, ausreichend oder gar nur mit mangelhaft bewertet. Eine glatte Fünf bekam die Deutsche Bank für eine Finanzbroschüre…“ Bericht von Annette Jensen bei ver.di publik Ausgabe 05/2016 externer Link

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