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Die Offensive gegen die Anwälte der Hungerstreikenden in der Türkei – ein Regime, das jede oppositionelle Regung verhindern will

Die Hungerstreikenden von Istanbul am 50. Tag„… Darauf wurden 16 Anwälte festgenommen und 14 kamen nach neun Tagen im Polizeigewahrsam am Donnerstag selbst in Untersuchungshaft. Das Verfahren mag den Anwälten, wenn man davon absieht, dass sie diesmal selbst betroffen sind, nur zu bekannt vorkommen. Die Akten sind geheim und ebenso gibt es Zeugen, deren Identität geheim gehalten wird, wenn es sie überhaupt gibt, was ja nur die Staatsanwaltschaft weiß. Aus den Fragen der Staatsanwälte lässt sich jedoch ersehen, dass ihnen die Vertretung in bestimmten Verfahren vorgeworfen wird. Ein Anwalt wurde zum Beispiel gefragt, warum er die Eltern von Berkin Elvan vertreten habe. Berkin Elvan war ein 14-jähriger Junge. In der Zeit der Gezi-Proteste 2013 sollte er für die Familie morgens Brot holen. Die Wohnung der Elvans lag etwa zwei Kilometer vom umkämpften Gezi-Park entfernt, aber die Scharmützel hatten sich bis in die Nähe ausgedehnt. Auf der Straße schoss ein Polizist eine Gasgranate gezielt auf den Jungen, den er am Kopf trat. Nach vielen Monaten im Koma starb Berkin Elvan. Nun ist selbst die Vertretung seiner Eltern ein mögliches Verbrechen“ – aus dem Beitrag „Im Zweifel gegen die Anwälte“ von Jan Keetman am 23. September 2017 in neues deutschland externer Link, worin auch über Proteste von Anwälten in der Türkei und der BRD kurz informiert wird. Siehe dazu einen weiteren aktuellen Beitrag und eine Erklärung des RAV mit anderen Anwaltvereinigungen:

  • „Die Insolvenz der türkischen Justiz“ von Kamil Taylan am 21. September 2017 im Blog Türkei unzensiert externer Link, worin noch weiter über Angriffe auf die Anwälte berichtet wird: „Die Anwälte wurden nicht nur wegen der beiden Akademikern verhaftet. Nein, Nein! Ihnen wird auch vorgeworfen, sie hätten Nebenkläger vertreten, z.B. in Verfahren gegen die türkischen Sicherheitskräfte wegen fahrlässiger Tötung, oder sie hätten sich an Untersuchungen im „Südosten der Türkei“ (Kurdistan) beteiligt, nachdem dort die türkischen Sicherheitskräfte ganze Städte ausradiert hatten. Außerdem hätten sie noch die beiden Akademiker verteidigt. Und noch ein absurder Tatvorwurf: Die Anwälte hätten gegen die türkische Justiz „Folterverdächtigungen“ erhoben und somit die türkische Justiz diskriminiert“.

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Protest des Republikanischen Anwalt Vereins und entsprechender Organisationen aus anderen Ländern

Der RAV rief gemeinsam mit der Vereinigung Europäischer Anwält*innen (EDA/AED), European Association of Lawyers for Democracy and World Human Rights (EDLH), Stiftung „Day Of The Endangered Lawyer“, Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V. (VDJ), Vereinigung Berliner Strafverteidiger e.V. und der Rechtsanwaltskammer Berlin auf zur Teilnahme an Protestkundgebungen am 21. September 2017 auf – die Erklärung dazu ist auch nach der Aktion ein wichtiges Dokument.

Lasst unsere Kolleg*innen frei!!!

Weitere 16 Mitglieder der ÇHD (Progressive Lawyers Association) wurden in der Türkei verhaftet:
Barkın Timtik, Ebru Timtik, Süleyman Gökten, Ezgi Çakır, Ahmet Mandacı, Yağmur Ereren, Aytaç Ünsal, Didem Baydar, Ünsal, Ayşegül Çağatay, Engin Gökoğlu, Behiç Aşçı, Aycan Çiçek, Şükriye Erden, Özgür Yılmaz, Zehra Özdemir, Naciye Demir. Diese 16 Kolleg*innen sind derzeit in Ankara, Istanbul und Diyarbakır inhaftiert.  Wir sind insbesondere sehr besorgt über die Situation der Anwält*innen Barkın Timtik, Engin Gökoglu und Özgür Yılmaz. Wir befürchten, dass sie (erneut) Folter ausgesetzt sind. Der Präsident von ÇHD, Selçuk, und Betül Kozağaçlı wurden nicht verhaftet, aber wir wurden darüber informiert, dass ihre anwaltlichen Tätigkeiten eingeschränkt sowie ihre Telefone und Computer beschlagnahmt wurden.

Am frühen Morgen des 12. September fand eine neue Polizeioperation statt, die in der Festnahme von 16 Anwälten gipfelte. Diese Anwälte sind Mitglieder der „Volksrechtskanzlei“ (People’s Law Office) und haben die Aktivist*innen Nuriye Gülmen und Semih Özakça vertreten, die sich derzeit im Hungerstreik befinden, nachdem sie aus ihrer Lehrtätigkeit entlassen wurden. Ihr Prozess findet/fand am 14. September statt.

Wie uns mitgeteilt wurde, beträgt die Zahl der Anwält*innen, die in der Türkei strafrechtlich verfolgt werden, nach dieser letzten Welle von Razzien gegen Anwält*innen 1343. 524 von ihnen wurden seit dem Putschversuch im Juli 2016 verhaftet. Wir fordern die türkische Regierung nachdrücklich auf, dafür Sorge zu tragen, dass die 16 oben genannten Anwält*innen unverzüglich freigelassen werden, weil wir davon überzeugt sind, dass sie ausschließlich aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit als Anwält*innen in Gewahrsam genommen wurden. Wir fordern alle erforderlichen Maßnahmen, um die physische und psychische Integrität der Rechtsanwält*innen in der Türkei sowie ihre Möglichkeit zur Ausübung ihrer beruflichen Pflichten ohne Angst vor Repressalien, Behinderung, Einschüchterung oder Belästigung zu gewährleisten. Wir bringen unsere Besorgnis über die Lage in der Türkei zum Ausdruck, wo das Regime von Präsident Erdogan die Anwält*innen schikaniert und sie von den Tribunalen verfolgt, die als Waffe der Repression eingesetzt werden. Die Anwälte scheinen wegen der Ausübung ihrer Pflichten als Verteidiger der Anwälte bereinigt zu sein. Die AED* und alle beteiligten Organisationen möchten abschließend ihre Besorgnis über die Lage der Menschenrechtsverteidiger*innen in der Türkei zum Ausdruck bringen und betont die gebührende Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit. Wir sind sehr besorgt über die Situation der verfolgten Anwält*innen.
Berlin, Madrid, Paris, Amsterdam, Barcelona, 13./21. September 2017

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=121901
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