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Katalonien nach dem Referendum: Wovon die Verteidiger Spaniens reden (und wovon sie schweigen)

Beim Generalstreik am 3.10.2017 war es nicht eben das Großkapital, das durch Barcelona demonstrierte...Die Demonstrationen am Wochenende – am Samstag für den Dialog, am Sonntag „für Spanien“ – zeigen, dass alle Strömungen im Land voll mobilisieren und dazu auch fähig sind, die Situation ist extrem angespannt.  Angesichts dieser Entwicklungen in Katalonien und in Spanien häufen sich jetzt dort, in Europa und auch in der BRD die Stimmen, die sich im Chor mit der Regierung  Rajoy gegen Separatismus wenden. Ganz schräge Auffassungen sehen in der langjährigen katalanischen Unabhängigkeitsbewegung sogar einen „Separatismus der Reichen“. In diesen Chor mischen sich an prominenter Stelle auch Stimmen, die eine ähnliche Haltung etwa in Bezug auf den Separatismus in Exjugoslawien vermissen ließen, oder tibetanische Mönchsdiktaturen als Ersatz für Parteidiktaturen verteidigen. Dass das Konstrukt der parlamentarischen spanischen Monarchie, des „Regimes von 78“, aus Diktator Francos Erbe stammt, übersehen sie gekonnt. Wie auch die reale Geschichte der spanischen Regierungspartei in diesem Zusammenhang, die von Francos Exministern gegründet wurde. Und viele, die versuchen, qua moralischer Erpressung die Menschen zur Beteiligung an der Wahl zwischen zwei neoliberalen Parteien in der BRD zu bewegen, gehen bruchlos zur Verteidigung des Polizeiknüppels gegen Wahlrecht über. Die ausführliche aktuelle, kommentierte Materialsammlung „Dialog in Spanien: Wie und worüber?“ vom 09. Oktober 2017 soll dazu beitragen, den (ideologischen) Nebel zu lichten…

„Dialog in Spanien: Wie und worüber?“

Diese Sammlung von Materialien „bedient“ drei Fragen: Zuerst nach dem – besonderen oder nicht? – Charakter des katalonischen Separatismus, der auch immer mit dem besonderen Charakter des spanischen Staates zusammenhängt. Wie soziale Klassen und soziale Bewegungen konkret dazu stehen und sich verhalten ist zweiter Schwerpunkt. Und schließlich geht es um aktuelle politische Perspektiven, konkret um den von vielen Seiten geforderten Dialog und seine Bedingungen, sowie um die Mobilisierung durch reaktionäre und progressive Kräfte und Strömungen.

Zur Darstellung und Wirklichkeit der katalonischen Unabhängigkeitsbewegung, oder: Wie hältst Du es mit der Republik?

Im besten Fall ist man, im Rahmen dieser Propaganda für die regierende PP bereit, irgendwo zu erwähnen, dass diese mit dem brutalen Einsatz der Paramilitärs – vielleicht, ein bisschen – übertrieben habe. Wobei die uniformierte Bande in der Regel als eher „normale“ Polizei dargestellt wird und etwa ihr extrem blutiges „Wirken“ zugunsten des Vormarschs des Putschisten Franco – nicht zuletzt auch damals in Katalonien– großzügig übersehen wird. Die ganze besondere Geschichte des republikanischen katalonischen Separatismus wird durch Vermengung mit völkischen Separatismen versucht, vergessen zu machen.

„Five things to know about the independence movement in Catalonia“ von James O’Nions am 06. Oktober 2017 bei Global Justice Now externer Link ist ein Beitrag, der sich mit der Charakterisierung der katalonischen Bewegung etwa im Vergleich mit der entsprechenden Bewegung in Schottland befasst, wo die politische Dominanz der Nationalen Partei Schottlands eindeutig sei, während eben in Katalonien die politische Linke in den letzten Jahrzehnten wesentlichen Einfluss gewonnen habe.

„Katalonien: Abspaltung ist keine Lösung“ am 06. Oktober 2017 beim DGB-Klartext externer Link (Ausgabe 36/2017), worin die Position – nachdem die gesamte Geschichte Kataloniens und der republikanischen Bewegung strikt ausgeblendet – anders gesagt: verschwiegen – wird, abschließend folgendermaßen zusammengefasst wird: „Dennoch ist die Abspaltung keine Lösung. Sie würde Unternehmen und Investoren aus Katalonien vertreiben, das sich plötzlich außerhalb der EU und ohne Euro neu aufstellen müsste. Wirtschaftliche Risiken einer Abspaltung gefährden Katalonien, aber auch den Boom in ganz Spanien. Negative Auswirkungen auf den ohnehin schon volatilen Arbeitsmarkt sind heute schon absehbar, soziale Risiken vorprogrammiert. Eine unmittelbare Ursache für die Unzufriedenheit in Katalonien liegt in der verfehlten Anti-Krisen-Politik begründet. Die europäischen Finanzhilfen zur Stützung seiner Banken konnte Spanien nur um den Preis eines rigiden Sozialabbaus bekommen. Über diese und andere Probleme sollte am Verhandlungstisch gesprochen werden. Abspaltung ist keine Lösung“. Da der Begriff Generalstreik traditionell für den DGB dasselbe ist, wie dem Teufel Weihwasser, überrascht es nicht, dass drei Tage nach demselben in Katalonien kein Wort darüber fällt. Was schon eher überrascht – vielleicht Ergebnis eiligen Zusammenzimmerns? – ist die Aussage beider Absätze zusammen genommen: Abspaltung gefährdet den Boom an prekären Arbeitsplätzen…

„Reiche wollen unter sich bleiben“ von Sabine Riedel am 06. Oktober 2017 in der taz externer Link ist ein Kommentar, in dem geschrieben steht: „Blickt man auf Katalonien, scheint es auf eine Konfrontation hinauszulaufen: Wie schon beim ersten Abstimmungsversuch im Herbst 2014 will sich Barcelona über die verfassungsmäßige Ordnung Spa­niens hinwegsetzen. Seine Ankündigung einer Unabhängigkeitserklärung für den kommenden Montag provozierte ein erneutes Einschreiten des spanischen Verfassungsgerichts. Auf Antrag der katalanischen Sozialisten, die zusammen mit Konservativen und Ciudadanos in der Opposition sind, hat es die Sitzung des Regionalparlaments verboten. Äußerst relevant ist das Phänomen, dass sich gerade wirtschaftlich potente Regionen von ihrem Natio­nalstaat lösen wollen. Ob Katalonien, Schottland, Flandern oder Südtirol, die Argumente für einen unabhängigen Staat ähneln sich: Im Vordergrund steht die Behauptung, der Zentralstaat sorge für eine Umverteilung der materiellen Ressourcen auf na­tio­naler Ebene, die ungerecht sei“. Natürlich wird hier über das Zustandekommen der „verfassungsmäßigen Ordnung“ des monarchischen Spanien ebenso geschwiegen, wie über die politischen Unterschiede, die etwa zu mehrheitlich völkisch definierten Separatistenbewegungen wie etwa die der Flamen in Belgien bestehen…

„Pro-unity Catalans take to the streets to condemn ‘selfish revolution’“ von Stephen Burgen am 07. Oktober 2017 im Guardian externer Link ist ein Vorbericht zur Demonstration für die spanische Einheit in Barcelona am Folgetag. Darin wird deutlich, dass die Societat Civil Catalana (SCC) – die zu der Demonstration aufgerufen hat – eben diese Argumente, die Bewegung sei eine nationalistische, egoistische „der Reichen“ zentral vertritt. Und weil diese Strömung so besonders sozial ist, wirbt der Artikel auch mit der Teilnahme von Josep Borrell, früherer Präsident des Europäischen Parlaments an der sonntäglichen Demo… (Siehe dazu auch einen Beitrag aus dem letzten Abschnitt dieser Materialsammlung, nach der Sonntagsdemonstration verfasst).

„Wir können nicht mehr. Deswegen können wir jetzt Alles“ am 03. Oktober 2017 bei der CUP externer Link (eine der linken Organisationen in Katalonien, die für die Unabhängigkeit sind) ist eine Stellungnahme zum Tage des Generalstreiks, die weder nach einer Abspaltung „der Reichen“ klingt, noch begeistert von irgendwelchen „Booms“, die bisher nur die spanische Regierung gesehen hatte (und die EU, versteht sich): „In Anbetracht einer Repression, die uns in schreckliche Zeiten zurückversetzt, die wir für überwunden gehalten haben, haben wir, Tausende und Abertausende Menschen, unsere Körper eingesetzt, um die Urnen und die Menschen zu schützen. Die aufwühlenden Tage – der Würde, der Bekräftigung und des Widerstands – werden Jahre anhalten. Wir haben Hafenarbeiter gesehen, die sich weigerten, mit der Repression zu kollaborieren, Feuerwehrleute, die die Zivilbevölkerung vor Polizeiangriffen schützten, GewerkschafterInnen, die sich der Belagerung entgegen stellten, SchülerInnen und Studierende, die die Hörsäle verließen, um die Straßen zu füllen, die Traktoren unserer Bauern, die Avenidas blockierten, Eltern, die entschlossen jede Schule verteidigten – jede Stimme, jede Urne, jedes Wahllokal – und v.a. haben wir Großeltern gesehen, die uns Lektionen unbeugbarer Würde erteilt haben“.

„Verzweifelter Appell der Bürgermeisterin von Barcelona“  am 06. Oktober 2017 bei der Rosa Luxemburg Stiftung externer Link ist die Übersetzung eines Appells von Ada Colau zur aktuellen Situation:Ich bin keine Anhängerin der Unabhängigkeit, ich teile nicht den einseitigen Weg. Ich habe es oft gesagt und wiederhole es. Ich stehe der Regierung von Puigdemont sehr kritisch gegenüber und es gefällt mir nicht, wie man die Dinge angefasst hat. Es gibt aber etwas, das über unseren unterschiedlichen Meinungen steht und das uns alle einen sollte die Rechte, Freiheiten und die Demokratie zu verteidigen: Die Anwendung von Staatsgewalt gegen eine friedliche Bevölkerung ist unzulässig. Heute hat der Regierungssprecher die Katalanen, die gegen die Polizeigewalt demonstriert haben, als «Nazis» bezeichnet. Erneut die Worte … «Nazi»? Ist Herr Hernando sich bewusst, was die Nazis taten? Haben sie etwa jahrelang friedlich für ihr Recht zu wählen demonstriert? Haben die Nazifamilien die Schulen verteidigt während Hunderte Polizisten auf sie einschlugen? Im Ernst, sind die Tausende Alten, Frauen, Männer und Kinder, die die Straßen füllen und singen: «Wir sind Leute des Friedens.» Nazis? Das Wort Nazi mit dieser Frivolität zu benutzen ist eine Beleidigung der Opfer des Nazismus, und er müsste sich schämen“.

„Nach dem Generalstreik in Katalonien: CNT ruft dazu auf, die sozialen Kämpfe auszuweiten“ am 04. Oktober 2017 bei der FAU externer Link ist die Übersetzung eines Aufrufs der CNT, in dem hervor gehoben wird: „Angesichts des Generalstreiks an diesem Dienstag in Katalonien, möchte die CNT ihre Zufriedenheit zum Ausdruck bringen, über die Antwort, die im Laufe des heutigen Tages tausende von Arbeiterinnen und Arbeitern in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen gegeben haben. Diese Mobilisierung von Unten ist die Antwort auf die heftige Repression, welche die katalanische Gesellschaft erlebt. Die Arbeitersolidarität zeigt wieder einmal, was möglich ist. Es handelt sich nicht einfach um irgendeine weitere Mobilisierung. Wir stehen einer Situation der Einschränkung von Rechten und Freiheiten gegenüber, die den Riss zwischen der herrschenden Klasse und uns, der Arbeiterklasse, weiter vertiefen wird. Staat und Kapital zeigen die Zähne und sie tun dies mit einem klaren Ziel – sie wollen ihr korruptes und totalitäres Regime stützen. Ein System, von dem wir heute, dank der großen kämpferischen Mobilisierung wissen, wie wir es zum Schwanken bringen können. Der Generalstreik, der an diesem Dienstag in Katalonien stattfand, ist ein Riesenschritt im sozialen Kampf zum Sturz dieses politischen und ökonomischen Modells. Für den Anarcho-Syndikalismus ist dies ein bedeutender Konflikt. Wir kämpfen nicht dafür, eine Nationalflagge gegen eine andere auszutauschen, sondern für eine grundlegenden sozialen Wandel, der es uns gestattet, unser Schicksal wieder in die eigenen Hände zu nehmen“.

„CSC EN APOYO A LA CLASE TRABAJADORA CATALANA ANTE LA JORNADA DE HUELGA DEL 3-0“ am 04. Oktober 2017 bei der Coordinadora Sindical de Clase externer Link ist die Stellungnahme der Regionalgewerkschaft zum Generalstreik am Tag zuvor, der bedingungslos unterstützt wird. Keine Spaltung durch Nationalismus zulassen und alle Kraft gegen die neofranquistische Regierung – das ist der knappe und deutliche Tenor dieser Erklärung, die durchaus stellvertretend stehen kann für viele ähnliche der alternativen Gewerkschaftsbewegung in Spanien mit all ihren Facetten.

 „Brutal represión del Gobierno del PP y firme resistencia del pueblo de Catalunya“ am 02. Oktober 2017 bei GanemosCCOO externer Link ist die Stellungnahme der Opposition im Gewerkschaftsbund CCOO, die den Generalstreik (wie Teile der katalanischen Organisation, im Gegensatz zum Vorstand – dessen Haltung „wir rundweg ablehnen“) unterstützt und dazu aufruft, sich zu beteiligen. Was insofern auch in diesem Zusammenhang von Bedeutung ist, als sich diese Gewerkschaftsopposition auf die Grundlagen der CCOO zur Zeit des Endes der Diktatur (und des – für die Faschisten – gesicherten „Übergangs“ zur parlamentarischen Monarchie) berufen. Die Drohung der Zentralregierung, mit Anwendung des § 155 der monarchistischen Verfassung die katalonische Autonomie aufzuheben, wird als der zentrale Schritt der Reaktion bewertet, der nur durch Kampf zurückgeschlagen werden kann.

Was „die Reichen“ wirklich machen: Banken torpedieren Bewegung

Weder dem Bild des Kapitals, das die Abspaltung will, noch dem verängstigter (ach Gottchen, wäre es doch so, davon würde zuerst das von ihnen ruinierte Gesundheitswesen profitieren) Investoren entspricht das wirkliche Treiben des Kapitals in Katalonien. Sie kennen die Besonderheit des bürgerlichen katalonischen Nationalismus: Dass er über die republikanische, antifaschistische Tradition immer auch eine (minderheitliche, aber starke) soziale Komponente enthält, die sie gar nicht mögen…

„Gobierno español aprueba decreto que facilita salida de empresas de Cataluña“ am 06. Oktober 2017 bei ClajaDep-LaHaine externer Link ist die Dokumentation eines Artikels in der (ausgesprochen regierungsnahen) Zeitung El País, in dem von einem Sondergesetz der Madrider Regierung berichtet wird, das es Unternehmen erleichtern soll, ihren Sitz aus Katalonien in irgendeinen anderen Teil Spaniens zu verlegen, woran laut dem rechten Blatt viele Unternehmen interessiert seien (die ja dann wohl eher keine so großen Fans des katalanischen Nationalismus sind – aber auch keine armen, abgeschreckten Investoren…)

„Banco Sabadell, guerra económica y un programa obrero para combatirla“ von Arsen Sabate und Santiago Lupe am 05. Oktober 2017 in La Izquierda Diario externer Link ist ein Beitrag zur Tagung des Vorstandes der Sabadell-Bank am selben Tag, auf der über die vorgeschlagene Verlagerung des Sitzes von Barcelona nach Alicante (sprich: außerhalb Kataloniens) befunden werden sollte. Die Autoren interpretieren dies als den ersten Schritt im Wirtschaftskrieg gegen eine mögliche unabhängige Republik Katalonien. Und schließen sich jenen Kreisen der Bankengewerkschaften an, die als Reaktion darauf die Verstaatlichung der Bank durch die Republik fordern: Ohne Angst, Investoren zu erschrecken, im Gegenteil…

„»Agieren Spaniens hat die Unterstützung verstärkt«“ von André Scheer am 09. Oktober 2017 in der jungen welt externer Link ist ein Gespräch mit dem Sekretär der CSC Sergi Perello, der zur Frage der Reaktion auf den „Bankenabzug“ sagt: „Die Intersindical-CSC spricht sich für die Schaffung einer öffentlichen Bank aus, deren Entscheidungs- und Führungsstruktur so demokratisch wie möglich ist. Das bedeutet, dass es Mechanismen geben sollte, die die demokratische und gleichberechtigte Beteiligung der wichtigsten gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen und kulturellen Akteure sowie der Institutionen des Landes sicherstellen“.

„Abandono de Catalunya de algunas entidades bancarias: el Dioni a cargo de la mudanza“  von Insurgente am 06. Oktober 2017 bei kaosenlared externer Link ist ein kurzer Beitrag darüber, dass die „Verlagerungstendenz“ der Unternehmen – natürlich auch etwa die nationale Sparkasse – eine Herausforderung sei, diese „keineswegs wichtige, sondern überflüssige Klasse“ endlich los zu werden.

„Ein unsicherer Standort?“ am 07. Oktober 2017 bei Lost in Europe externer Link, worin zu bundesdeutscher Haltung unterstrichen wird: „Woher also die Eile? Ganz einfach. Zum einen nutzt die Zentralregierung in Madrid die Unsicherheit, um Unternehmen anzulocken. Abwanderung ist ein Druckmittel im Wirtschaftskrieg. Zum anderen wirkt jetzt schon die so genannte Prodi-Doktrin. Sie besagt, dass Katalonien nach einer – rechtsgültigen – Abspaltung kein EU-Mitglied mehr wäre und wieder bei Null anfangen müsste. Das ist reichlich absurd, wenn man bedenkt, dass Katalonien bisher 100 Prozent des EU-Acquis erfüllt – was man von der Ex-DDR nicht behaupten konnte. Doch die wurde über Nacht zum EU-Mitglied. Aber ausgerechnet deutsche Politiker und Medien nutzen nun die alte italienische Doktrin (Prodi ist Italiener), um Druck auf die Katalanen zu machen. Das hat ein Geschmäckle – oder nicht?“.

„Spanische Spielchen“ von Reiner Wandler am 06. Oktober 2017 in der taz externer Link vermeldet zur Haltung des Kapitals: „„Wenn es zu einem Zusammenprall wie diesem kommt, ist es das Vernünftigste, anzuhalten, nachzudenken und sich zu fragen, ob es tatsächlich keine andere Möglichkeit gibt“, mahnt der katalanische Minister für Unternehmenspolitik, Santi Vila, angesichts der Nachricht, dass bekannte Firmen Katalonien den Rücken kehren wollen. Die Banco Sabadell beschloss nach Alicante zu gehen. CaixaBank, Energieversorger Gas Natural und die Sektkellerei Freixenet stehen ebenfalls auf der langen Liste von Unternehmen, die den Weggang aus Katalonien erwägen. Am Freitag verabschiedete die Regierung in Madrid ein Dekret, das die Verlegung von Firmensitzen erleichtert“.

„Catalonia: From Referendum to Republic?“ am 03. Oktober 2017 im Jacobin Magazine externer Link ist ein Interview von Ronan Burtenshaw mit Luc Salellas von der CUP über die Inhalte der Sezessionsbewegung. Darin in diesem Zusammenhang hervorzuheben, was der linke Aktivist über jene Gesetze sagt, die von dem Regionalparlament verabschiedet worden waren – und von der Madrider Zentralregierung „kassiert“: Etwa ein Gesetz, das es Energieunternehmen untersagte, Menschen in Verzug den Strom abzudrehen, eines zur Erhöhung des Mindestlohns, eines zu Schutzräumen für Menschen, die vor Verfolgung fliehen – alles nicht unbedingt im Programm des Kapitals zu finden…

„El cooperativismo social catalán y las oportunidades que genera el proceso constituyente“ von Ahotsa am 05. Oktober 2017 bei You Tube externer Link ist ein kurzer Videobeitrag über ein Zentrum von Kooperativen in Barcelona, die sich von der Unabhängigkeit einer sozialen Republik größere Möglichkeiten versprechen, eine andere Wirtschaft zu verwirklichen, als „in der kapitalistischen Monarchie“ der Banken und der Austerität… Diese „Investoren“ sind nicht verschreckt – aber sie sind natürlich auch nicht so wirklich reich…

„Periphere Rebellion“ von Thorsten Mense am 28. September 2017 in der jungle world externer Link war ein Kommentar vor dem Referendum, in dem unterstrichen wurde: „Puigdemont hat sich in der Vergangenheit kaum fremdenfeindlich geäußert und auch die Referendumskampagne hat eine antirassistische Ausrichtung. Doch das ist keine Garantie, dass das auch in Zukunft so bleibt, erst recht nicht in einem eigenen Staat. Nationale Souveränität ist nunmal nicht zu haben ohne die Mechanismen der Ausgrenzung und Diskriminierung, die jeder Nationalstaat mit sich bringt. Dass die Mehrheitsverhältnisse in dem Streifen am Mittelmeer anders gelagert sind als im iberischen Zentrum, steht außer Frage. In einem katalanischen Staat würde sicher eine progressivere Gesetzgebung und ein anderes Verhältnis von Staat und Gesellschaft vorherrschen. Auch der Wunsch, sich vom autoritären Zentralstaat und seiner postfranquistischen Ordnung zu lösen, ist nachvollziehbar. Die meisten Befürworter eines unabhängigen Kataloniens haben allerdings andere Argumente. Sie berufen sich auf die Existenz einer katalanischen Nation und deren »Recht zu entscheiden«. Daraus spricht ein ethnisiertes Demokratieverständnis, in dem Freiheit und Selbstbestimmung nicht den Einzelnen, sondern der Nation zustehen“.

„Entsolidarisierung im Zentrum“ von Alp Kayserilioğlu und Jan Schwab am 05. Oktober 2017 im revolt mag externer Link ist faktisch eine Antwort darauf, in der unterstrichen wird: „Na klar gibt es ein an Demokratisierung kaum interessiertes katalanisches Bürgertum, das aus egoistischen Gründen Spanien verlassen und einen eigenen Nationalstaat gründen möchte: Katalonien gehört zu den reichsten Regionen Spaniens und seine Herrschenden möchten nicht mehr Geld an die ärmeren Gegenden abdrücken, noch von der Krise Spaniens betroffen sein. Das verhüllen sie, ganz klassisch, mit einem katalanischen Nationalismus, der eine vermeintliche Trennung zwischen Katalanen und anderen Völkern herstellen soll. Aber in Katalonien gibt es allein schon historisch betrachtet eine ebenso starke, teilweise auch vom katalanischen Bürgertum getragene demokratisch-republikanische Bewegung. Gerade diese ist es, die sich gerade im Aufschwung befindet. Gegen wen wendet sich die demokratisch-republikanische Bewegung in Spanien? Gegen den post-franquistischen Zentralstaat, der trotz (oder wegen) der Transicion parlamentarische Monarchie ist, und sein Selbstverständnis. Dieses Selbstverständnis lautet: Spanien ist ein Imperium und es ist unteilbar. Die demokratisch-republikanische katalanische Bewegung hatte genau dieses Selbstverständnis infrage gestellt und zwischen 1936 und 1939 auch auf der Seite der Spanischen Republik gekämpft – gemeinsam mit den KommunistInnen und AnarchistInnen. Franco hat ihnen das nie verziehen: Die Sprache und das Praktizieren kultureller Eigenheiten wurde im Faschismus verboten, das Autonomiestatut abgeschafft. Die Krise einerseits aber auch Madrids Ablehnung jeglicher Verhandlungslösungen nach mehr Autonomie andererseits führten zu einem Aufschwung gerade dieser demokratisch-republikanischen Bewegung, trotz der Tatsache, dass die katalanische herrschende Klasse selbst mittlerweile eher eine nationalistische Perspektive besitzt. Unterstützte noch vor wenigen Jahre nur eine Minderheit der katalanischen Bevölkerung die Autonomiebewegung, so ist es jetzt vermutlich eine Mehrheit geworden“.

Grundbedingung für einen Dialog kann nicht der vorherige Verzicht auf eine eigene Position sein

Während also ein König von Francos Gnaden Hasstiraden verbreitet, Faschisten ihrer Polizeitruppe zujubeln, wenn sie alte Leute blutig schlägt, die Regierung mit Militär droht, fordern immer mehr Menschen: Den Dialog. Was zunächst gut klingen mag. Es wird aber wird angesichts einer Zentralregierung, die alleine und ausschließlich Gewalt einsetzt, reichlich schnell zur Farce, dazu müssten Mindestbedingungen erfüllt sein. An den Demonstrationen, die am Samstag, 7. Oktober in ganz Spanien „in Weiß“ stattfanden unter dem Motto „reden wir“ nahmen sehr viele Menschen teil, auch viele jener, die die Position vertreten, wenn Rajoy behaupte, es habe nie ein wirkliches Referendum gegeben, solle er – als Bedingung für einen Dialog – die Durchführung eines Referendums ohne Anwesenheit der Guardia Civil ermöglichen. Wofür etwa die Bürgermeisterin von Barcelona steht, die sich ebenfalls an diesen weißen Demonstrationen beteiligte. Ganz andere politische Kräfte demonstrierten am Sonntag „für Spanien“.

„Manifestación en Madrid #Parlem / Hablemos“ am 07. Oktober 2017 bei kaosenlared externer Link ist ein kurzer Bericht – mit Videos – von der Demonstration für einen Dialog in Madrid am selben Tag, die als eine Alternative zur gleichzeitig stattfindenden Demonstration spanischer Rechter organisiert wurde: Für Gespräche, für Dialog.

„El fascismo anda envalentonado: Dirigente falangista habla a miles de personas en Zaragoza“ von Miguel Ángel Conejos Montalar am 08. Oktober 2017 bei kaosenlared externer Link ist ein Bericht über die Demonstration für die Einheit Spaniens in Zaragoza: Vor Tausenden von TeilnehmerInnen war der Hauptredner ein landesweit bekannter Nazi – Vertreter der Falange Espanola. An diesem 8. Oktober, dem Tag der Demonstrationen für die Einheit Spaniens waren an vielen Orten Falangisten, also politische Kräfte, die sich selbst als die Nachfolger Francos verstehen, plötzlich vom Rand in die Mitte geraten…

„Spanien demonstriert in Katalonien gegen Unabhängigkeit“ von Ralf Streck am 08. Oktober 2017 bei telepolis externer Link zu den Sonntagsdemonstrationen: „Zehntausende Menschen haben an diesem warmen Herbstsonntag in der katalanischen Metropole, bewaffnet mit spanischen Fahnen, gegen eine Unabhängigkeit Kataloniens demonstriert. „Es reicht, die Vernunft zurückgewinnen“, war das Motto der Demonstration in Barcelona. Aufgerufen hatten die spanischen Rechtsparteien und die „Katalanische Zivilgesellschaft“ (SCC). Hinter der stehen vor allem die rechtsliberalen Ciudadanos (Bürger) und die rechtskonservative Volkspartei (PP), die die Beteiligung auf übertriebene 950.000 schätzt. Spanische Medien wie Publico sprechen von „zehntausenden“ und Eldiario untertrieben von „tausenden“ Menschen. Die Lokalpolizei Barcelonas, die sich mit riesigen Demos auskennt, beziffert die Teilnehmerzahl auf 350.000. „Ich bin Spanier, Spanier, Spanier“ oder „Es lebe Spanien“ wurde vor allem skandiert. Mit Bezug auf den katalanischen Regierungschef Carles Puigdemont wurde gerufen: „Puigdemont in den Knast“, der auch vom Chef der rechtsliberalen Ciudadanos (Bürger) Albert Rivera auf dem Marsch als „Putschist“ bezeichnet wurde. „Lassen wir uns nicht veräppeln, Katalonien ist Spanien“, war auch einer der Slogans. Mit großer Sorgfalt wurde darauf geachtet, dass nicht wieder Fahnen aus der Diktatur gezeigt wurden, auf denen, wie bei der Verabschiedung der Truppen vor dem Referendum nach Katalonien, sogar Hakenkreuze zu sehen waren. Obwohl auch die katalanische Sektion (PSC) der spanischen Sozialdemokraten (PSOE) gegen die Unabhängigkeit nach dem Referendum am 1. Oktober sind, rief sie nicht auf. So blieben die „Unionisten“ gespalten. Die spanische Linkspartei Podemos (Wir können es) verteidigt ohnehin das Selbstbestimmungsrecht, auch wenn sie dafür wirbt, in Spanien zu bleiben. So standen hinter dem Protest zwei spanische Parteien, deren Führungsriegen anwesend waren, die bei den Wahlen 2015 nur rund ein Viertel der Stimmen erhielten“.

„Katalonien – Vor der Republik?“ von Raul Zelik am 07. Oktober 2017 auf seinem Blog externer Link, der zur aktuellen Lage zusammenfasst: „In der Unabhängigkeitsbewegung diskutiert man die weiteren Schritte. Der Abzug von Großbanken und anderer Konzerne aus Katalonien scheint die Leute viel weniger zu erschrecken, als man vielleicht vermuten würde. Gemeinden kündigen ihre Bankkonten bei Caixa und Banco de Sabadell, der britische Autor Paul Mason interpretiert die Situation als Chance für den Aufbau eines öffentlichen Bankenwesens.  Allerdings fragen sich viele Leute – sowohl bürgerliche Politiker wie der Ex-Ministerpräsident Artur Mas als auch Linksradikale aus der CUP –, wozu man jetzt die Unabhängigkeit erklären soll, wenn man sie danach nicht umsetzen kann und sich politisch damit nur isoliert. Das ist das Eine. Das Andere ist allerdings, dass ein großer Teil der Bevölkerung nicht mehr zurück will. Katalonien sucht seit 2004 Kompromisse mit dem spanischen Staat; Madrid hat darauf nur mit Drohungen und Repression reagiert. Und der Antikatalanismus in den spanischen Medien wird immer unverhohlener. Diskutiert wird daher ein Zwischenschritt, nämlich die Ausrufung der katalanischen Republik und die Einberufung eines verfassunggebenden Prozesses (mit Bürgerversammlungen in den Stadtteilen) ohne sofortige Ausrufung eines unabhängigen Staates. Das würde Raum für Verhandlungen lassen und wäre ein Angebot zur demokratischen Beteiligung an alle. Vor allem aber würde es eine These der Linken aufgreifen: Die Republik darf nicht von oben proklamiert, sondern muss von unten aufgebaut werden“.

„España libre y republicana“ von Joxe Iriarte am 06. Oktober 2017 bei Viento Sur externer Link steht hier als Beispiel für die Reaktionen, die in Madrid besonders gefürchtet werden: Das Mitglied der baskischen EH Bildu meint, es werde Katalonien, Euskal Herria (Baskenland) und Galizien gelingen, sich von Spanien zu lösen und statt einer reaktionären Monarchie demokratische und soziale Rechtsstaaten zu organisieren.

„»Katalonien ist die Schlacht von ganz Europa«“ von Martin Ling am 09. Oktober 2017 in neues deutschland externer Link ist die deutsche Zusammenfassung eines Interviews von Spaniens Ministerpräsident Rajoy mit seinem Hausblatt El País, worin er seine Ablehnung jeden Dialogs mit seinen gesetzlichen Möglichkeiten begründet: „Rajoy will auf alle Mittel zurückgreifen, die ihm Recht und Gesetz einräumen. Er verwies explizit auf den Artikel 155 der Verfassung. Damit könnte die spanische Regierung die Autonomie der Region aussetzen und eine Abspaltung verhindern. Katalonien würde dann unter Zwangsverwaltung von Madrid gestellt werden – die Regionalregierung verlöre damit jegliche Handlungsspielräume. Idealerweise sollten drastische Lösungen nicht nötig sein, dafür müsse sich die Lage aber ändern, winkte Rajoy mit dem Artikel 155“ – und natürlich auch die weitere Unterstützung der EU für seine Position einfordert…

„Spain prepares military crackdown in Catalonia“ von Alex Lantier am 06. Oktober 2017 bei wsws externer Link ist einer der vielen Beiträge, die sich mit den Vorbereitungen eines Einsatzes der Armee durch das Verteidigungsministerium in Madrid befassen – ein Hinweis darauf, dass es selbst bei einem auf Druck zustande gekommenen Dialog immer noch kein gleicher wäre – von einer Mobilisierung der katalonischen Armee berichtet niemand, wäre ja auch schwierig…

„#Catalonia: Waiting For The Storm?“ am 06. Oktober bei Enough is Enough externer Link ist ein Reisebericht aus Katalonien. Darin werden vor allem Gespräche eben aus anarchistischen Kreisen wieder gegeben, in denen es zum einen darum geht, in wie weit was von der spanischen Regierung zu erwarten ist (kann man sich vorstellen) und aber vor allem darum, dass überall, von allen Seiten tagein, taguas organisiert wird, dass sich unter der sichtbaren Oberfläche von Demonstrationen und Kundgebungen sehr viel tut – weil das ganze eben eine Volksbewegung ist, die ihre demokratischen rechte einfordert.

„Catalogne et Etat espagnol – Cette maison est en ruine, ce roi est un danger, ce président un obstacle“ von Manuel Gari am 04. Oktober 2017 bei Europe Solidaire externer Link dokumentiert, unterstreicht, dass an der geltenden Verfassung vieles fragwürdig ist. Und weist damit bereits auf einen weiteren Gefahrendherd für die spanische kapitalistische Monarchie hin. Vor 40 Jahren hatten beim damaligen Referendum etwas mehr als 58% aller SpanierInnen für diese Verfassung gestimmt – unter mindestens ebensovielen irregulären Bedingungen, wie jetzt in Katalonien – und Generationen sind dazu nicht mehr befragt worden. Der Schluss des Autors: „Diese Verfassung ist nicht die Unsere“. Zumal bei einem solchen König und einer solchen Regierung eine Position, die Möglichkeiten hat, sich auszubreiten…

Zusammengestellt und kommentiert von Helmut Weiss am 09. Oktober 2017

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=122466
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