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Was so alles als Fortschritt gegen Überstunden und gar Vorbild verkauft werden soll: Das spanische Dekret zur Arbeitszeiterfassung

StechuhrSeit dem 12. Mai 2019 ist in Spanien das Dekret zur Arbeitszeiterfassung externer Link in Kraft – verschiedentlich als Vorbild angepriesen in Folge des EuGH-Urteils zum Thema. Bei genauerer Betrachtung allerdings ist dieses Vorbild nicht sehr viel wert, wie aus Gesprächen selbst mit regierungsnahen GewerkschafterInnen in Spanien hervor geht. In seinem Beitrag „Arbeitszeiterfassung: Lücken bei Umsetzung und Ausgestaltung“  zieht Ralf Streck am 21. Mai 2019 bei telepolis externer Link einleitend eine kurze Bilanz über den Grund für die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes: „… Die Unternehmen im Land bekamen einen Zeitraum von zwei Monaten eingeräumt und müssen nun offiziell seit dem 12. Mai die geleisteten Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten dokumentieren. (…) Nach Angaben der Statistikbehörde bewegte sich die Zahl der wöchentlich unbezahlten Überstunden in den letzten Jahren zwischen 2,4 und 3,9 Millionen jede Woche. Das entspricht bis zu 100.000 Vollzeitstellen und ein Lohnausfall von etwa zwei Milliarden Euro pro Jahr mit den entsprechenden Ausfällen für die Steuer- und Sozialkassen. (…) Das Fatale an dem Dekret der Arbeitszeiterfassung ist auch, dass nun geleisteten Überstunden nicht automatisch bezahlt werden, wenn sie festgestellt werden…“ Siehe mehr zum Zusammenhang mit dem EuGH-Urteil:

  • [Spanien] Recht auf Information: Unternehmen müssen Beschäftigte über Verwendung von Algorithmen in Kenntnis setzen. Regierung setzt sie im Kampf gegen Überstunden ein New
    „Die schöne neue digitale Arbeitswelt birgt viele Geheimnisse, vor allem für die Beschäftigten. Meist sind die Regeln, die die Arbeitsweise von digitalen Plattformen regeln, den Angestellten weitgehend unbekannt. Das ist in Spanien nun verboten. Außerdem will Madrid auch als Vorbild für andere Staaten dienen. Arbeitsministerin und Vizepräsidentin Yolanda Díaz von der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE) stellte Anfang Juni in Madrid den ersten Leitfaden für »algorithmengute« Praxis in Unternehmen vor, die nun national Anwendung finden soll. Am Mittwoch vergangener Woche präsentierte die Ministerin auch die englische Version. (…) Das wichtigste in diesem Dokument ist die Verpflichtung der Firmen, ihre Belegschaften über die Algorithmen, die sie nutzen, zu informieren. Diese sollten nicht nur erklärt, sondern auch mit dem Betriebsrat verhandelt und in den Tarifverträgen festgehalten werden. Eine verpflichtende Verhandlung über die Algorithmen soll es zunächst aber nur im Fall von Unternehmen geben, die von Kurzarbeit Gebrauch machen oder aktuell Massenentlassungen vornehmen. Der Beschäftigte muss beispielsweise darüber unterrichtet werden, dass es ein automatisiertes System in seiner Firma gibt, das anhand von Daten bestimmte Bewertungen abgibt. Es müssen außerdem auch die technischen Angaben erfolgen, etwa die Software, die verwendet wird, und ihre Arbeitsweise. Die Lohnabhängigen müssen über die Konsequenzen informiert werden, die die Anwendung dieses digitalen Werkzeuges für sie hat. (…) Das Arbeitsministerium hat selbst auch einen Algorithmus entwickelt, um die Überstunden, die bei Firmen geleistet werden, zu kontrollieren und Betrug zu verhindern. Die Unternehmen sind verpflichtet, die Arbeitsstunden einzutragen. Das Programm »Max« soll diese dann mit den Lohnabrechnungen vergleichen. Bei möglichen Verstößen sendet das Programm automatisch eine Meldung an die Behörde. Ministerin Díaz hatte bei der Vorstellung versichert: »Wenn wir von algorithmischer Regulierung sprechen, tun wir es im Kampf gegen Ungleichheit und Prekarisierung.« Im vergangenen Jahr hatte das Ministerium das sogenannte Ridergesetz beschlossen, das die Arbeitsbedingungen von Arbeitern der digitalen Plattformen reguliert, vor allem von Essenskurieren. Dort war bereits festgehalten worden, dass diese »von der Firma über die Parameter, die Regeln und die Anweisungen informiert werden müssen, auf denen die Algorithmen basieren«. Denn diese betreffen die Entscheidungen, und diese beeinflussen letztlich die Arbeitsbedingungen. Das Gesetz wurde zum Vorbild für eine EU-Direktive, die zur Zeit bearbeitet wird.“ Artikel von Carmela Negrete in der jungen Welt vom 5. Juli 2022 externer Link
  • Weiter im Artikel von Ralf Streck am 21. Mai 2019 bei telepolis externer Link: „… Geklagt hatte die spanische Gewerkschaft CCOO gegen die Deutsche Bank. Doch ausgerechnet diese Gewerkschaft ist mit dem Dekret, das im Wahlkampf mit der heißen Nadel von den Sozialdemokraten (PSOE) gestrickt wurde, nicht zufrieden. „Verworren“ nennt die Sekretärin für Gewerkschaftsaktion Mari Cruz Vicente den Text. Der Spiegel behauptet allerdings, unter Bezug auf nicht genannte „Experten“, es handele um eines der „strengsten“ Gesetze der Welt. Tatsächlich werden praktisch keine Ausnahmen gemacht und es werden massiv Daten erhoben, die vier Jahre gespeichert werden müssen. Doch Umsetzung und Ausgestaltung sind weitgehend offen. Ob es sich wirklich um eines der strengsten Gesetze handelt, muss sich also noch herausstellen. Bisher besteht mehr Unklarheit als Klarheit. Nicht nur die CCOO sondern auch Arbeitsrechtler argumentieren, dass sogar unklar ist, ob das Dekret nun tatsächlich zwingend seit dem 12. Mai umgesetzt werden muss. Man wisse nicht, ob mit den Betriebsräten und Gewerkschaften „die Maßnahmen ausgehandelt oder sie schlicht informiert werden müssen“, sagt auch die CCOO-Sprecherin Cruz Vincente, deren Gewerkschaft der sozialdemokratischen Regierung nahesteht. Tatsächlich hat die Arbeitsministerin weitere Zweifel nach dem Stichtag genährt. Magdalena Valerio erklärte, man werde „Spielraum“ einräumen, wenn in der Firma verhandelt wird…“
  • und, nach ausführlichen Zitaten aus Gesprächen mit VertreterInnen der beiden größeren Gewerkschaftsverbände UGT und CCOO, die einige Kritik äußern, zum Abschluss der Fakt: „… Das Fatale an dem Dekret der Arbeitszeiterfassung ist auch, dass nun geleisteten Überstunden nicht automatisch bezahlt werden, wenn sie festgestellt werden. Das System führt nur im besten Fall dazu, dass der Beschäftigte eine Chance hat, sie einklagen zu können. Und nur dann hat auch der Staat höhere Einnahmen. Dieses Risiko werden auch in Zukunft viele Menschen bei der hohen Arbeitslosigkeit und dem praktisch inexistenten Kündigungsschutz nicht eingehen…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=149165
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