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Die Monster des Imperiums. ISIS: Modernste Waffen. Woher?

Eine kommentierte Materialsammlung  von Helmut Weiss vom 15. August 2014

Demonstrators raise a banner demanding that ISIS (DAESH in Arabic) leaves Syria1991 gab es bereits einmal Tausende von Menschen ohne Nahrung und Wasser in den nordirakischen Bergen. Damals waren KurdInnen vor Saddam Husseins Schergen geflüchtet. Und Präsident George Bush senior versorgte die Eingeschlossenen – eine verzweifelte Bevölkerung, die er selber zum Aufstand gegen die regierende Baath-Partei aufgerufen hatte – aus der Luft. Zehn Jahre später dienten die Kosten für die Aufrechterhaltung der Flugverbotszone über Kurdistan den Neokonservativen in den USA als Argument für die Invasion in den Irak – eine Billionen-Dollar-Intervention, die ziemlich direkt zum heutigen Desaster führte: einem sektiererisch zerstrittenen Land“ – aus dem Artikel Keine Bombenlösung externer Link von Lotta Suter am 14. August 2014 in der WoZ.

Womit auch bereits einer der zentralen Punkte der komplizierten aktuellen Situation genannt wäre – woher nämlich die Kraft, die militärische – und politische – Stärke der ISIS kommt. Sind die Taliban in Afghanistan heute schwach? Die Milizen in Somalia oder Libyen? Stärker als je zuvor.

Vorgeschichten. Mehrzahl

Einer der verblüffendsten Charakterzüge der aktuellen Berichterstattung ist es, dass oft so getan wird, als wäre die Ausbreitung von Isis eine Neuigkeit. Wie weit muss zurückgeblickt werden, um die Aktualität verstehen zu können?

Zumindestens so weit, wie es der Artikel Syrian activists, between the struggle against the regime and the struggle against the Islamic State of Iraq and Syria externer Link bereits am 10. Oktober 2013 bei Syria Untold macht – darin wird vom Widerstand der säkularen Strömungen in der Opposition gegen Assad berichtet, die sich gegen die Attacken der  Isisbanden zur Wehr setzten und setzen.  Oder aber: ISIS takes on Kafranbel, the voice of the uprising externer Link – ein Bericht am 30. Dezember 2013 im libanesischen Daily Star, worin die Attacken von Isisleuten auf alternative Medien berichtet werden – weil diese an jenem Tag eine Serie von Interviews mit Frauen publizierten, die sich über Themen aussprachen wie Scheidung und ähnliches… Die Erfolge von Isis im Irak haben die Bewaffnung dieser Bande auch in Syrien wiederum verbessert – und damit ihre Position insgesamt: Dennoch stösst sie nach wie vor auch aktuell auf Widerstand wie in dem Artikel  SYRIA: The Deir Al Zour Intifada against Daesh externer Link von Leila Shrooms am 05. August 2014 bei Tahrir – ICN berichtet wird.

Einen Überblick über die syrische Vorgeschichte liefert etwa der Beitrag SYRIA: The Rise of Al Qaeda in Syria: Separating Fact from Mythology externer Link ebenfalls von Leila Shrooms am 12. September 2013 bei Tahrir – ICN. Worin zu Waffenlieferungen in die Region deutlich wird, dass es diese schon lange gibt: An Isis etwa durch Saudi Arabien und Katar, womit auch ein zweiter Strang Vorgeschichte, nämlich die regionalen Machtkämpfe verschiedener Regimes angesprochen wäre.

Wozu auch dies gehört: „In Syrien agiert ISIS vor allem von den Städten ar-Raqqa und Deir ez-Zor aus, beides Städte, die unter ihrer Kontrolle stehen. Im Norden von ar-Raqqah kontrolliert ISIS mindestens zwei Grenzübergänge zur Türkei. Und von der gegenüberliegenden Seite der Grenze haben die Islamisten in der Vergangenheit auch großzügige Unterstützung erhalten. Während die Golfstaaten durch ISIS den Einfluss der „schiitischen Achse“ in Syrien zurückdrängen wollen, war die Organisation für die Türkei ein nützlicher Partner, wenn es darum geht die Errungenschaften der kurdischen Bevölkerung in Rojava (Nordsyrien) zu bekämpfen.2 Denn neben den oben genannten Kämpfen der ISIS führen die Islamisten seit knapp einem Jahr auch einen brutalen Krieg gegen die demokratischen Selbstverwaltungsstrukturen in Rojava, zunächst ganz offen, nach internationaler Kritik mit verdeckter logistischer Unterstützung auch von der Regierung in Ankara“ – aus dem Beitrag Wer steht hinter ISIS? externer Link bei Civaka Azad am 19. Juni 2014.

Und dann gibt es die irakische Komponente dieser Vorgeschichten. Die geprägt ist von den Zuständen und Kräfteverhältnissen, wie sie geschaffen wurden durch den Einmarsch in den Irak. Ein damals und noch heute aktuelles Schlaglicht auf diese Verhältnisse wird beispielsweise in dem dpa Bericht Proteste gegen Iraks Regierungschef Al-Maliki weiten sich aus externer Link (hier am 03. Januar 2013 bei der Hannoverschen Allgemeinen) geworfen, der sich sunnitischen Protesten widmet.

The Islamic State’s (IS) fascist agenda regarding Iraq’sYezidi population was not a secret to anyone“  – so beginnt der Artikel YPG and PKK Forces: The Unsung Heroes of the War Against the „Islamic State“ externer Link von Dr. Saladdin Ahmed am 11. August 2014 bei New Middle East, also jeder konnte die faschistischen Isis-Absichten gegenüber den Jesiden kennen. In diesem Artikel wird mit Nachdruck auf die Rolle der revolutionären Guerillaverbände verwiesen (auch bei der Befreiung vieler verfolgter jesidischer Menschen), die naheliegenderweise in der gutbürgerlichen aktuellen Debatte um „Unterstützung gegen und für wen“ geflissentlich übersehen werden. Dazu gehören auch die Frauenbataillone, wie es in dem Bericht Kurdistan irakien : les femmes prennent les armes externer Link von Sophie Boiszeau am 06. August 2014 bei sans compromis feminisme deutlich wird.

Kräfteverhältnisse, soziale Strömungen, Alternativen

Rojava revolution: building autonomy in the Middle East externer Link von Sardar Saadi am 25. Juli 2014 bei roarmag ist ein weiterer Beitrag, der andere als die im Mainstream verhandelten Tendenzen in den Blick nimmt, die nicht zufällig oft – aber nicht nur – in den kurdischen Regionen dieser Länder stattfinden, wobei die dezidiert bürgerlichen kurdischen Kräfte heftig in der Kritik stehen.

Ausgeblendet aus diesen Debatten werden aber auch andere Gruppen von Menschen, wie etwa die MigrantInnen im Irak. Deren Verfolgung wurde durch die Stellungnahme der internationalen Föderation der Bauarbeitergewerkschaften Iraq Conflict: Hundreds of Migrant Workers Stranded and Many Abducted externer Link am 20. Juni 2014 einer größereren Öffentlichkeit bekannt.

In dem Beitrag Solidarity with Iraq’s trade unions externer Link von Owen Tudor am 29. Juni 2014 bei Stronger Unions wird nicht nur deutlich, dass im heutigen Irak die Gewerkschaften – eine der wenigen Organisationen, in der sich die verschiedenen Gruppierungen der Gesellschaft vereinen – nach wie vor verfolgt werden, eben auch und gerade von Herrn Maliki und Co, sondern auch, dass natürlich eine Bande wie Isis in Arbeiterorganisationen einen Feind sehen. Als Beispiel für die Verfolgung durch die Regierung kann etwa die Erklärung Iraq: EI protests against the continued harassment of union leaders externer Link der Erziehungsinternationale vom 26. Februar 2010 gelten…Und die Aktivitäten schiitischer Milizen selbst in der Hauptstadt sind ebenfalls kein irgendwie demokratisches Element. „In ihren Hochburgen im Irak haben Schiiten am Samstag martialische Paraden abgehalten. Sie wollten damit ihre Entschlossenheit im Kampf gegen die vorrückenden sunnitischen Aufständischen demonstrieren. Wie Bewohner von Bagdad berichteten, marschierten allein in der Hauptstadt mehrere Tausend Anhänger des radikalen Schiitenpredigers Muktada al-Sadr auf. Sie waren ausgerüstet mit Sturmgewehren und automatischen Waffen“ – aus dem redaktionellen Bericht Bürgerkrieg im Irak: Sadr-Milizen beschwören ihre Macht externer Link am 21. Juni 2014 bei Spiegel Online.

Eine nachhaltige Friedens- und Entwicklungspolitik heißt eine konsequente Absage an den seit Jahren von den US-Regierungen geführten so genannten »Krieg gegen den Terror« und die damit verbundene Aufrüstung verschiedenster ethnischer und religiöser Minderheiten im arabischen Raum, je nach geostrategischem Interesse“ – dieser Passage aus Dilemma im Irak: Demilitarisierung oder Waffenlieferung externer Link – Erklärung der entwicklungspolitischen Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag, Heike Hänsel hier am 13. August 2014 dokumentiert in der jungen welt ist durchaus zuzustimmen (inklusive der Anmerkung, dass es natürlich nicht nur die US Regierung ist, die eine solche Politik betreibt), das ist und bleibt ein Eckpfeiler jeder Alternative.

Während die Rolle Deutschlands in der Krise deutlich ist, ist es in der aktuellen Kriegssituation schwerer. Denn vordergründig scheint die Bundesrepublik Deutschland nichts mit dem IS zu tun zu haben. Doch wer genauer hinschaut sieht die Verbindungen: Reaktionäre Folterstaaten wie Katar oder Saudi-Arabien waren es, die gemeinsam mit der Türkei den IS erst stark gemacht haben, um fortschrittliche Kräfte in der gesamten Region zu bekämpfen. Diese Staaten sind eng mit dem deutschen Kapital verbunden. So gehören z.B. Teile von VW, Siemens, Hochtief und der Deutschen Bank katarischen Staatsfonds. „Wer bei uns investiert, soll auch Waffen kaufen können.“ heißt es dazu aus Wehr- und Sicherheitskreisen und der deutsche Staat liefert seit Jahren“ – dies ist eben auch ein Eckpfeiler, nämlich der Politik der Bundesregierungen wie dies der Auszug aus der Erklärung Es ist Zeit zu handeln! Solidarität mit Rojava und den kurdischen Befreiungskampf! externer Link Der Interventionistischen Linken vom 14. August 2014 deutlich macht.

Was noch eine Alternative zur kriegerischen Einmischung ist, lässt sich so skizzieren: „Die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) ist in Deutschland nicht verboten“. Und auf der anderen Seite der Medaille:„Umso unverständlicher ist es, dass die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), deren Kämpfer in den letzten Tagen Zehntausenden der vom IS verfolgten Jesiden, Christen und Turkmenen im Nordirak das Leben gerettet haben, weiterhin verboten ist und als Terrororganisation geführt wird“ – beides aus der Presseerklärung Terrororganisation Islamischer Staat in Deutschland nicht verboten externer Link von Ulla Jelpke vom 14. August 2014.

Abschliessend als Kommentar dazu: „Laut Verfassungsschutz haben sich mittlerweile rund 400 Dschihadisten aus Deutschland dem IS und anderen Dschihadistischen Verbänden in Syrien und dem Irak angeschlossen. Solange sie dort gegen syrische Regierungstruppen und die kurdische Selbstverwaltung kämpfen, hat die Bundesregierung offensichtlich kein Problem damit“ – aus Deutsches Terrorkalifat externer Link von Nick Brauns am 15. August 2014 in der jungen welt.

Zusammengestellt und kommentiert von Helmut Weiss, 15. August 2014

Siehe auch die Meldung vom 18.8.2014: Wenn man gegen ISIS kämpfen will…

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=63591
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