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In Brüssel, in Athen – und in Syriza: Showdown zwischen Hoffnung und Erpressung?

Solidemo mit Griechenland in Brüssel am 21. Juni 2015Hat die Regierung Tsipras jetzt endlich Vorschläge gemacht, die die EU und Co erfreuen? Natürlich: Nicht genug davon im Sinne Brüssels und Berlins, aber die richtige Richtung? Wie die aussieht hatte ein Herr Schäuble kurz vor dem Montagstreffen noch einmal treffend zusammengefasst: Länder wie Irland, Portugal oder Spanien würden zeigen, dass die Austeritätspolitik funktioniere. In der Tat: In Spanien werden Zehntausende aus ihren Wohnungen vertrieben, in Portugal ist jeder Kellner ein Selbständiger für eine Handvoll Euro und die Zahl der Erwerbslosen ohne jede Unterstützung wächst überall. Das nennt man funktionieren – damit kann Kapital Profit bringen. Auch in Griechenland gibt es natürlich soziale Gruppen (und ganze Klassen), die diese Art gut finden – die meisten GriechInnen allerdings haben etwas anderes gewählt und die sehen jetzt die Linien, die Syriza einst selbst als Grenze gesetzt hatte für Kompromisse, dahinschwinden. Unsere aktuelle Materialsammlung „Unterwerfung? Neuwahlkampagne und Kritik“ vom 24. Juni 2015, zusammengestellt und kommentiert von Helmut Weiss, widmet sich der wenig segensreichen Wirkung bundesdeutscher Medien, dem Inhalt der aktuellen Verhandlungen für das Leben der Menschen in Griechenland und den politischen Auseinandersetzungen, die daraus entstehen.

„Unterwerfung? Neuwahlkampagne und Kritik“

Die bundesdeutschen Medien haben plötzlich und massiv entdeckt, dass es eine Syriza-Linke gibt – und wollen dies offensichtlich für eine Neuwahlkampagne nutzen.

Der sich abzeichnende Kompromiss gerät im Parlament schon vor seiner Verabschiedung unter Beschuss. Vize-Parlamentspräsident Alexis Mitropoulos sah die Zustimmung der Abgeordneten in Athen am Dienstag nicht gesichert: „Ich glaube, dieses Programm (…) wird Schwierigkeiten haben, bei uns durchzukommen.“ Die von der linksradikalen Syriza-Partei und den rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen gebildete Koalition stellt 162 der 300 Abgeordneten – mehr als elf Abweichler kann sich Tsipras also nicht leisten. Würde er eine Mehrheit nur mithilfe der Opposition erreichen, wäre eine Regierungskrise die Folge. Der Syriza-Abgeordnete Michelogiannakis kündigte bereits an, dass er nicht zustimmen werde. Aus Koalitionskreisen verlautete, dass bis zu 35 Abgeordnete von Syriza und dem Bündnispartner Anel mit Nein stimmen könnten“ – aus dem Artikel „Tsipras‘ Reformpläne: Widerstand aus den eigenen Reihen“ von Giorgos Christides am 23. Juni 2015 in Spiegel-Online, externer Link worin bereits deutlich wird, dass der Grund warum nun auch (als allerletzte) bundesdeutsche Medien die linke Opposition in (und neben) Syriza entdeckt haben – die Hoffnung auf Neuwahlen wird gepflegt, davon ausgehend, die GriechInnen würden nun akzeptieren, dass sie die Zeche des Kapitals bezahlen müssen.

Manche der Hardliner sind, trotz ihrer – aus deutscher Sicht – zum Teil absurden Positionen, bei Syriza sehr mächtig und bei den Anhängern der Partei beliebt. Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou zum Beispiel. Auf ihr Betreiben hin entstand zum Beispiel jener Parlamentsausschuss, der überprüfen soll, welcher Teil der griechischen Schulden „illegal“ ist und damit nicht zurückgezahlt werden muss“ aus „Nun erst trifft Tsipras auf seine mächtigsten Gegner“ von Jan Dams am 23. Juni 2015 in der Welt externer Link, worin der Autor (dem hier unterstellt sei, er verdiene mehr als ein Rentner in Griechenland erhält) nicht nur den Standpunkt des deutschen (Kapitals) zum Maßstab der Rationalität zu machen versucht, sondern sozusagen von Tsipras fordert endlich Führungsstärke zu zeigen (wie an vielen anderen Orten auch: Was kümmert mich mein Geschwätz von Gestern).

Im Wahlkampf hat Alexis Tsipras gegen den Sparkurs der Gläubiger getönt – als Regierungschef muss er nun schmerzhafte Zugeständnisse machen. In Brüssel sind die Geldgeber von Internationalem Währungsfonds, Europäischer Zentralbank und der EU erleichtert, dass Tsipras seine Blockadehaltung lockert. Eine Einigung scheint erreichbar. Doch in Athen bringt Tsipras mit dieser Politik die eigenen Leute gegen sich auf“ – so beginnt der Artikel „„Ein Grabstein für Griechenland“ von Georgios Kokologiannis am 23. Juni 2015 im Handelsblatt externer Link, in dem darauf verwiesen wird, dass es nicht nur „die Kommunisten in Syriza“ seien, die gegen die Zugeständnisse an Brüssels Erpressungspolitik Stellung beziehen, sondern auch sozialdemokratisch orientierte Abgeordnete der Regierungspartei.

„Notfalls Neuwahlen“ von Peter Dalheimer am 23. Juni 2015 bei tagesschau.de externer Link, worin kurz zusammengefasst wird „Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras ist mit der neuen Reformliste auf die Gläubiger zugegangen, Zugeständnisse wurden gemacht. Das brachte ihm zwar in Brüssel verhaltenes Lob ein, zu Hause in Athen aber droht Ärger. Vor allem der linke Flügel seiner Syriza-Partei läuft Sturm gegen das neue Sparpaket

Worum es bei den Brüsseler Erpressungen geht

Die Berichte über die Verhandlungen sprechen zumeist von Zahlen und politischen Prinzipien. Hier soll versucht werden, zu den ganz aktuellen Themen dieser Verhandlungen zu verdeutlichen, was diese im wirklichen Leben bedeuten, für arbeitende und erwerbslose oder auch verrentete Menschen in Griechenland.

„Reichensteuer, Privatisierungen, Primärüberschuss“, redaktioneller Artikel am 23. Juni 2015 in neues deutschland externer Link, worin es zum Kapitel Mehrwertsteuer – aufgrund ihres besonders unsozialen Charakters eine Lieblingssteuer der Austeritätsfanatiker – wenig kritisch heißt „Die Frage der Mehrwertsteuern war in den vergangenen Wochen eine der umstrittensten zwischen den Gläubigern und Athen. Die griechische Regierung hat nach den nun bekannten Informationen am Montag ein dreistufiges System vorgeschlagen, wobei der niedrigste Mehrwertsteuersatz von sechs Prozent nur noch für Bücher und Medikamente gelten soll. Das hatte die SYRIZA-Regierung unter anderem bereits in einem Papier von Mai vorgeschlagen- die Gläubiger wollten die reduzierten Sätze von derzeit 6,5 Prozent völlig abschaffen. Für Strom, Grundnahrungsmittel (basic and fresh food stuff), Wasser, Zeitungen soll der mittlere Satz von 13 Prozent gelten – dessen Höhe wollte SYRIZA ursprünglich auf 11 Prozent absenken. Die Gläubiger hatten laut ihrem, Anfang Juni bei einem Minigipfel in Berlin getroffenen Kompromiss, einen Satz von 11 Prozent für Medikamente, Nahrungsmittel und Hotels angestrebt. Strom solle nach ihrem Willen mit dem hohen Satz von 23 Prozent belastet werden, was ihn enorm verteuert hätte„.

„Ergibt das Sinn, Herr Tsipras?“ von Marlies Uken am 23. Juni 2015 in Zeit-Online externer Link, worin es unter anderem zu Renten heißt „Von Januar 2016 an will Griechenland außerdem einer Dauerforderung des Internationalen Währungsfonds (IWF) nachgeben und die Pensionen reformieren. Athen will großzügige Frühverrentungsregeln abschaffen und rechnet mit Einnahmen von fast einer halben Milliarden Euro – schließlich zahlt der reguläre Arbeitnehmer Steuern und Sozialabgaben. Im Jahr 2025 soll das Renteneintrittsalter bei 67 Jahren liegen. Einschnitte bei Rentenauszahlungen oder Beamtengehältern plant Tsipras indes nicht – das war eine rote Linie für seine Syriza-Fraktion

Polizeiaufgebot gegen griechische raffineriearbeiter im Juni 2015„Protests over workers‘ deaths met by police and fascist repression“ – ein Bericht bei libcom am 14. Juni 2015 externer Link über den Tod von 4 Raffinerie-Arbeitern im Mai bei ElPe, einem Unternehmen das zu einem Teil einer der reichsten Familien des Landes gehört – und zum anderen Teil dem Privatisierungsfonds, der unter Aufsicht der Troika steht: Die folgenden massiven Proteste wurden von der Polizei niedergeschlagen, zeigen aber mehr als nachdrücklich, dass die Privatisierungsforderungen nicht um Prinzipien gehen, sondern um Menschenleben.

„Athen: Die nächsten 48 Stunden werden entscheidend sein“, redaktioneller Beitrag am 23. Juni 2015 in neues deutschland externer Link wo zur politischen Lage hervorgehoben wird „Griechenlands Medien sehen nach dem EU-Sondergipfel in Brüssel Regierungschef Alexis Tsipras in Erklärungsnöten. »Auf dem Weg zur Einigung mit Sparmaßnahmen in Höhe von 7,9 Milliarden Euro«, titelt die konservative Zeitung »Kathimerini« am Dienstag. Tsipras müsse jetzt seinem Parlament und seiner Partei erklären, warum er von seinen Wahlversprechen so sehr abweiche

„Syriza unter Druck“ von Martin Konecny in PROKLA am 19. Juni 2015 dokumentiert im LinksNet externer Link, ist ein, auch bei unterschiedlicher Meinung, lesenswerter und ausführlicher Versuch, die aktuelle und grundsätzliche Situation zu analysieren und die Entwicklung von Syriza dadurch zu verstehen und Perspektiven zu skizzieren.

Zur innenpolitischen und innerparteilichen Situation

Zu – wachsenden? – Umtrieben der Rechten in Griechenland und den wirklichen Debatten innerhalb Syrizas ebenfalls einige aktuelle Beiträge in Zusammenhang mit dem „Endspurt der Verhandlungen“.

„In Griechenland regiert der Trotz“ von Mike Szymanski am 22. Juni 2015 in der Süddeutschen Zeitung externer Link – mit Angaben aus einer Umfrage „Das inoffizielle Parteiorgan Avgi hatte in der Wochenendausgabe ein paar Zahlen zur Hand, erhoben vom als seriös geltenden Meinungsforschungsinstitut Public Issue. Sie zeigen eindrucksvoll, wie die Stimmung in den eigenen Reihen ist. Den Geldgebern im Schuldenstreit nachgeben: 84 Prozent der Syriza-Anhänger wollen das nicht„.

Aber auch das Bürgertum macht mobil: „Juncker-Fans zur Demo-Probe“ von Heike Schrader am 24. Juni 2015 in der jungen welt externer Link, worin eingangs unterstrichen wird „Sie hätten sich auch »Gregida« nennen können: Bereits zum dritten Mal innerhalb weniger Tage füllten am Montag abend Tausende Angehörige und Steigbügelhalter der griechischen Oberschicht den Syntagma-Platz in Athen. Unter dem Motto »Wir bleiben in Europa« demonstrierten sie dort für die unbedingte Unterordnung des Landes unter die Forderungen der Gläubiger„.

„Quand la pression des créanciers augmente la Grèce se divise aussi dans la rue“ von Niκος Smyrnaios am 21. Juni 2015 in Ephemeron externer Link, worin über die gegensätzlichen Demonstrationen für und gegen die Syriza-Regierung vom Wochenende berichtet wird und faktisch festgestellt, dass die Rechte in Griechenland durch die ‚Epressungsmaßnahmen aus Brüssel sich gestärkt fühlt.

Gewerkschaftsdemo Athen gegen Kompromisse mit der EUGrèce : Syriza se déchire sur l’accord en négociation à Bruxelles“ von Amélie Poinssot am 23. Juni 2015 dokumentiert bei Europe Solidaire externer Link worin die Kritiken der linkeren Strömungen in Syriza in Verbidnung gebracht werden mit den – faktischen – Angeboten von Oppositionsparteien, für einen ausgehandelten „Kompromiß“ mit der früher als Troika bekannten Institutionendreifaltigkeit.

„Syriza Members Warn Alexis Tsipras Against Betrayal With Greek Bailout Compromise“ von Charles Forelle hier dokumentiert am 23. Juni 2015 bei marxmail externer Link, worin zahlreiche Aussagen von Syriza-VertreterInnen des linken Parteiflügels dokumentiert werden, die allesamt massiv davor warnen, den Erpressungen so weit nachzugeben, dass die Menschen die Hoffnung auf Veränderung verlieren – auch weil dies bedeuten könne, dass Syriza ihre Zukunft verliere.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=82399
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