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Erster Jahrestag der „Gelbwesten“-Protestbewegung: Ein Geburtstag, jedoch keine Wiedergeburt. Eher eine Beerdigung? Das kommt nun darauf an…

Atombunker unter'm Elyséepalast (Foto: Bernard Schmid)

Atombunker unter’m Elyséepalast (Foto: Bernard Schmid)

Ein Erfolg war es keiner, jedenfalls keine Neu- oder Wiedergeburt. Am zurückliegenden Wochenende begingen die französischen „Gelbwesten“, die ihre ersten Verkehrsblockaden und Protestversammlungen vor nunmehr einem Jahr am 17. November 2018 abhielten, ihren Jahrestag oder „Akt 53“ (das Jahr zählt bekanntlich 52 Wochen und folglich 52 Samstage). Vielfach war aus diesem Anlass mit einem Wiederanstieg der Mobilisierung gerechnet, jedenfalls auf möglicherweise wachsende Teilnehmerzahlen spekuliert worden. Überdies waren die „Gelbwesten“ seit Anfang November dieses Jahres in fast allen Medien (vor diesem Hintergrund) ein Thema, verstärkt noch in der zweiten Hälfte Vorwoche. Aus diesem Anlass kam zum Teil Überraschendes zum Vorschein, aus dem sich ablesen lässt, welche erkenntliche Schockwelle die Wucht der – überraschend hochkochenden – Protestwelle vor einem Jahr in der politischen Elite auslöste. An jedem zweiten Abend seit Anfang des Monats etwa strahlte der bürgerliche Rund-um-die-Uhr-Fernsehsender BFM TV seine Sondersendung „Macron und die Gelbwesten. Die geheime Geschichte“ aus. Darin sind unter anderem Bilder vom Atomschutzbunker unter dem Elyséepalast zu sehen, verknüpft mit der Information, dass Präsidentengattin Brigitte Macron und mehrere Berater Emmanuel Macrons diese Anlage Anfang Dezember 19 besichtigt hätten – und sich anscheinend ernsthaft darauf vorbereiteten, sich im Falle eines Eindringens wütender Protestierer dorthinein zu flüchten. (…) Ansonsten wird die Zukunft der „Gelbwesten“ nun entscheidend davon abhängen, was aus dem – auf einer Delegiertenversammlung in Montpellier zu Anfang November d.J. beschlossenen, durch manche Protagonisten der heterogenen Bewegung (wie Faouzi Melloui) jedoch auch explizit abgelehnten – Anschluss an die voraussichtlich bedeutenden Gewerkschafts- und Sozialprotestdemonstrationen am bzw. ab dem 05. Dezember d.J. wird.“ Artikel (und Einschätzung) von Bernard Schmid vom 18.11.2019 – wir danken!

Erster Jahrestag der „Gelbwesten“-Protestbewegung:
Ein Geburtstag, jedoch keine Wiedergeburt. Eher eine Beerdigung? Das kommt nun darauf an…

Ein Erfolg war es keiner, jedenfalls keine Neu- oder Wiedergeburt. Am zurückliegenden Wochenende begingen die französischen „Gelbwesten“, die ihre ersten Verkehrsblockaden und Protestversammlungen vor nunmehr einem Jahr am 17. November 2018 abhielten, ihren Jahrestag oder „Akt 53“ (das Jahr zählt bekanntlich 52 Wochen und folglich 52 Samstage). Vielfach war aus diesem Anlass mit einem Wiederanstieg der Mobilisierung gerechnet, jedenfalls auf möglicherweise wachsende Teilnehmerzahlen spekuliert worden.

Überdies waren die „Gelbwesten“ seit Anfang November dieses Jahres in fast allen Medien (vor diesem Hintergrund) ein Thema, verstärkt noch in der zweiten Hälfte Vorwoche. Aus diesem Anlass kam zum Teil Überraschendes zum Vorschein, aus dem sich ablesen lässt, welche erkenntliche Schockwelle die Wucht der – überraschend hochkochenden – Protestwelle vor einem Jahr in der politischen Elite auslöste. An jedem zweiten Abend seit Anfang des Monats etwa strahlte der bürgerliche Rund-um-die-Uhr-Fernsehsender BFM TV seine Sondersendung „Macron und die Gelbwesten. Die geheime Geschichte“ aus (vgl. https://www.bfmtv.com/emission/macron-gilets-jaunes-l-histoire-secrete-une-grande-enquete-bfmtv-1789723.html externer Link). Darin sind unter anderem Bilder vom Atomschutzbunker unter dem Elyséepalast zu sehen, verknüpft mit der Information, dass Präsidentengattin Brigitte Macron und mehrere Berater Emmanuel Macrons diese Anlage Anfang Dezember 19 besichtigt hätten – und sich anscheinend ernsthaft darauf vorbereiteten, sich im Falle eines Eindringens wütender Protestierer dorthinein zu flüchten. Eine AFP-Meldung vom 16.11.19 wiederum gab bekannt, in den Tagen zwischen dem „Akt 3“ (dem dritten Protestsamstag am 1. Dezember 18) und dem „Akt 4“ am 08. Dezember 19 habe man im Elyséepalast eruiert, falls es am darauffolgenden Samstag Tote gebe, werde man eine „Regierung der nationalen Einheit“ zwischen dem wirtschaftsliberalen Regierungslager und der stärksten parlamentarischen Opposition – also der konservativen Oppositionspartei LR (Les Républicains) als eine Art „Großer Koalition“ bilden. (Vgl. dazu https://www.lefigaro.fr/politique/gilets-jaunes-macron-a-pense-nommer-larcher-premier-ministre-20191116 externer Link)

Nun erklärte sich die damalige Schockwelle allerdings vor allem auch aus dem Überraschungseffekt, und nicht so sehr aus der Anzahl der Protestierenden – Letztere war bei Streikbewegungen und diese begleitenden Sozialprotestdemonstrationen, wie etwa im Herbst 1995 (Anlass: „Plan Juppé“ zur Sozialversicherung), im Frühjahr 2003 (Renten„reform“ in den öffentlichen Diensten), im Frühjahr 2006 (Angriff auf den Kündigungsschutz mittels „Ersteinstellungsvertrag“ CPE), im Herbst 2010 (Renten„reform“) oder im Frühjahr 2016 (Arbeitsrechts„reform“) ungleich größer. Die Masse der Protestierenden war damals jeweils erheblich größer, aber, hm, auch friedlicher.

Nun hält sich ein Überraschungseffekt allerdings nicht auf die Dauer. Derzeit ist zu beobachten, dass sich die Dynamik allem Anschein nach abgenutzt hat, was die – vor einem Jahr noch vollkommen neuartige – „Gelbwesten“proteste betrifft.

Zunächst nur kurz zu den aktuellen Zahlen, und zwar jenen von beiden Seiten: Laut Angaben des französischen Innenministeriums gingen am Samstag, den 16. November 19 frankreichweit insgesamt 28.000 Menschen auf die Straße, und eine geringere Zahl am Sonntag, den 17. November. Bezogen auf die Hauptstadt Paris spricht das Innenministerium von 4.700 Teilnehmer/inne/n. (Vgl. bspw. https://www.bfmtv.com/societe/en-direct-1er-anniversaire-des-gilets-jaunes/ externer Link) Ihrerseits sprechen die Organisator/inn/en des jüngsten „Gelbwesten“protests vom vorigen Wochenende von knapp 40.000 respektive, wo sie es präzisieren, von 39.300 Teilnehmenden, an allen Orten in ganz Frankreich. (Vgl.: AFP-Meldung: https://www.lefigaro.fr/flash-actu/2019/03/02/97001-20190302FILWWW00125-acte-xvi-des-gilets-jaunes-39300-manifestants-ce-samedi-en-france.php externer Link; und Artikel im konservativen Presseorgan Le Figaro: https://www.lefigaro.fr/actualite-france/gilets-jaunes-le-mouvement-revendique-40-000-manifestants-samedi-20191117 externer Link)

Eine Massenbewegung sieht tatsächlich anders aus. Eine solche waren die „Gelbwesten“, was die aktive Beteiligung betrifft, allerdings auch nie (jedoch mit zeitweiliger massiver, passiver Unterstützung durch die öffentliche Meinung) – stets bildeten sie eine Art aktivistischer und z.T. militanter „Avantgarde“, allerdings ohne jegliche vereinheitlichte Ideologie. In den Anfängen fanden sich bei den Protesten Linksradikale aber auch wütende & reaktionäre Kleinbürger aber auch Kurden aber auch militante Faschisten aber auch soziale Fragen aufwerfende Krankenschwestern aber auch… Die „Gelbweste“ wurde alsbald zum Protestlabel, das sich auf unterschiedliche Anliegen aufheften ließ. Die rechten Kräfte, jedenfalls die organisierten, haben sich mittlerweile jedoch (außer auf örtlicher Ebene, jedenfalls in der überregionalen Sicht) eindeutig zurückzogen. Aus ihrer Sicht wurde es unübersichtlich, zu unordentlich, zu gewalttätig, zu viel mit Linken durchmischt, usw. Überdies haben es die organisierten Rechten nicht geschafft, die „Gelbwesten“ als solch zu einer Anti-Einwanderungs-Bewegung umzuformen, wie sie vor allem im Kontext der Debatten um den „Pakt für Migrantenrechte“ – unterzeichnet in Marrakesch am 10. Dezember 2018 unter der Ägide der Vereinten Nationen, mit Unterschrift der meisten europäischen Regierungen und weitgehend nur symbolischem, rechtsunverbindlichem Gehalt – angestrebt hatten.

Was die organisierten Rechten (wie der Rassemblement National/RN) nun tun, ist, sich außerhalb der verbliebenen „Gelbwesten“bewegung als solcher – und stattdessen im wahlpolitischen Raum – aufzustellen, sich dabei jedoch das Etikett ihrer (vormaligen, angeblichen oder tatsächlichen) Teilnahme an dem heterogenen Protest anzupappen, um sich zu den „wahren Erben der Anliegen der ursprünglichen Protestierer“ aufzuschwingen. Ohne die jetzigen Protestierenden aktiv zu unterstützen.

Eine echte Massenbewegung (jenseits einer aktivistischen Avantgarde), auf der Ebene der aktiven Teilnahme, waren die „Gelbwesten“ auch zu früheren Zeitpunkten nicht. Dennoch ist festzustellen, dass die Teilnehmerzahlen derzeit auf rund ein Zehntel dessen gesunken sind, was sie – von den jeweiligen Angaben beider Seiten ausgehend – Ende November 2018 einmal waren. Darüber täuscht auch der Hinweis nicht hinweg, dass die jetzige Teilnehmer/innen/zahl jedoch die höchste ist, die seit März/April 2019 an den regelmäßig stattfindenden Protestsamstagen erreicht wurde; dies belegt nur die quantitative Schwächeperiode der zurückliegenden Monate…

Das politische Hauptproblem liegt darin, dass in der öffentlichen Wahrnehmung tatsächlich weitgehend die „Gewaltfrage“ und/oder Militanzfrage die Erscheinung der verbliebenen Protestbewegung dominiert, vermittelt natürlich über die bürgerlichen Medien, die noch immer durch die Mehrheit der Gesellschaft konsumiert werden. Die ganze Sache wird dadurch vornehmlich zum polizeilichen/„sicherheitspolitischen“ Problem, sowohl in den Augen der politischen Eliten als auch in jenen der Medienkonsument/inn/en. Umgekehrt ist der proportionale Anteil jener aktionsformfetischistischen Fraktionen, in deren Augen sich der Erfolg oder Misserfolg einer Demo an der Anzahl der Glasscherben bemisst, mit dem Absinken der Teilnehmer/innen/zahlen gewachsen.

Letztere Fraktion kam am Samstag voll auf ihre Kosten, allerdings auch mit wirklich strohdummen Aktionen (deren Urheber etwa bei gewerkschaftlichen Demonstrationen hoffentlich vom Ordnerdienst vom Platz geprügelt worden wären…):

  • Ein geworfener Autoreifen (?) zerstörte auf der Pariser place d’Italie die Glasscheiben einer Bushaltestelle;

Selbstverständlich, und zu Recht, hat es auch heftige öffentliche Kritik an dem Polizeieinsatz gegeben. Unter anderem deswegen, weil eine (überschaubare aber reale)Menge von nicht vermummten und nicht marodierenden Protestierenden, unter ihnen auch Gewerkschafter/innen oder Linkspolitiker wie Olivier Besancenot, zwei Stunden lang gemeinsam mit 300 Angehörigen eines unkontrollierbaren vermummten Pulks auf der place d’Italie eingeschlossen blieben. Den Tränengasnebel im Kessel atmeten dabei eher die „normalen“ Protestierenden als die Schwarzkittel ein, denn Letztere waren in aller Regel mit Atemmasken ausgestattet. Den Kessel öffnete die Polizei erst nach zwei Stunden, nachdem die Einsatzleitung die angemeldete Demonstration untersagt hatte, „infolge der Ausschreitungen“.

Und es gibt, einmal mehr, die obligatorische Diskussion darüber, ob nicht die Randalierer überwiegend eingeschleuste polizeiliche Provokateure gewesen seien. Es werden wohl auch tatsächlich ein paar drunter gewesen sein, was jedoch das Agieren der Menge nicht erklärt, da kommt eine gewisse Anzahl nicht verbeamteter asozialer Idioten durchaus hinzu… Nahrung erhielt die Provokateurs-These auch dadurch, dass seit dem Sonntag ein Video die Runde macht, auf dem drei bis fünf Maskierte zu sehen sind, die sich hinter eine Polizeilinie zurückziehen. (Vgl. https://www.liberation.fr/checknews/2019/11/17/acte-53-des-gilets-jaunes-des-policiers-se-sont-ils-fait-passer-pour-des-membres-du-black-bloc_1763871 externer Link) Seitdem wird eifrig darüber spekuliert, ob unter den Masken der „Kaputtmacher“ (casseurs) nicht Polizisten steckten. Die – relativ banale – Wirklichkeit ist allerdings wohl eher die, dass Greiftrupps eingesetzt wurden, um am Rande der Vermummtenpulks einzelne (identifizierte oder auch vermeintliche Gewalttäter) herauszuholen.

Das Übelste zuletzt: Bereits am Samstag früh um 07 Uhr, also noch vor Beginn jeglicher Ausschreitungen, wurde der CGT-Kollege George Louis im Zusammenhang mit den Vorbereitungen zu den Protesten festgenommen. Eine tatsächlich skandalöse Verhaftung. Am heutigen Montag soll er bereits einem/r Richter/in fortgeführt werden. Hier ist Solidarität nötig! Es wird auch eine Mobilisierung hin zum Justizpalast geben. (Vgl. dazu: https://www.facebook.com/events/461482491393295/?active_tab=about externer Link)

Ansonsten wird die Zukunft der „Gelbwesten“ nun entscheidend davon abhängen, was aus dem – auf einer Delegiertenversammlung in Montpellier zu Anfang November d.J. beschlossenen, durch manche Protagonisten der heterogenen Bewegung (wie Faouzi Melloui) jedoch auch explizit abgelehnten – Anschluss an die voraussichtlich bedeutenden Gewerkschafts- und Sozialprotestdemonstrationen am bzw. ab dem 05. Dezember d.J. wird.

Artikel (und Einschätzung) von Bernard Schmid vom 18.11.2019 – wir danken!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=157458
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