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Nach vier Monaten: Eine Zwischenbilanz von SUD Solidaires über den Widerstand gegen das neue Arbeitsgesetz in Frankreich, die französische Gewerkschaftsbewegung und soziale Bewegung

Plakat für die Pariser Demonstration gegen das neue Arbeitsgesetz am 14.6.2016Der Kampf gegen das neue Arbeitsgesetz in Frankreich dauert nun schon Monate an – und verändert die politische Landschaft des Landes – auch die Gewerkschaftspolitische. Wenn Premierminister Valls, in der Mainstreampresse meist als klug dargestellt, eine so wenig kluge Frage stellt wie, ob jemand ernsthaft glaube, dass in Frankreich Gewerkschaftsrechte beschnitten würden, antworten Zehntausende schlicht mit „Ja, ich“. Pole bilden sich in der Gewerkschaftsbewegung heraus – anders als (selbstverständlich) in der BRD bei Hartz IV, anders aber auch als in Italien, wo der Widerstand gegen den Loi travail ähnlichen „Jobs Act“ weitgehend auf die Basisgewerkschaften beschränkt blieb. „Some considerations about the social movement in France“ von Nara Cladera, Stéphane Enjalran und Christian Mahieux vom 22. Juni 2016 ist ein Positionspapier des alternativen Gewerkschaftsbundes SUD Solidaires mit Überlegungen zur Bedeutung dieser Entwicklungen. LabourNet Germany dokumentiert hier die englische Fassung (es gibt, selbstverständlich, eine französische, aber auch eine spanische Fassung). Eine etwas ausführlichere deutsche Zusammenfassung haben wir gemacht, weil wir es für ein interessantes und wichtiges Dokument halten:

„Einige Überlegungen zur sozialen Bewegung in Frankreich“

Einleitend werden in dem Text nochmals die Grundzüge des neuen Arbeitsgesetzes angeführt und kritisiert – von solchen fundamentalen Dingen ausgehend, wie dass es künftig erstmals möglich sein soll, dass es Tarifverträge unterhalb gesetzlicher Bestimmungen geben kann. Die AutorInnen weisen darauf hin, dass es in den letzten Jahrzehnten mehrfach von unterschiedlichen Regierungen sowohl Versuche, als auch reale Schritte gegeben habe, die „Rahmenbedingungen“ für die Unternehmen zu verbessern – das es aber noch nie eine solch prinzipielle Abkehr von den Traditionen, die Errungenschaften sind, gegeben habe. Das konkrete Beispiel, an dem dies aufgezeigt wird ist die vom Unternehmerverband gewünschte Festlegung von Überstunden, ihrer Berechnung und Bezahlung durch die Unternehmensleitung – was das bedeutet, weiß jede/r.

Die Gesetzgebung wird dann verglichen mit ähnlichen Veränderungen in der BRD, Italien, Spanien und Großbritannien, seien es Job Act, Hartz IV oder Nullstundenverträge – und dabei hervorgehoben, dass immer, wenn die Bewegung stark war, Forderungen, die zunächst als utopisch abgetan worden waren, zu Gesetzen wurden, und wenn die Bewegung schwach war oder ist, hat eben die andere Seite ihre Vorstellungen durchgesetzt, wie es heute der Fall ist, nicht nur in Europa.

Die Regierung habe, nach den ersten großen Protesten, eine Überarbeitung vorgenommen, die sie versucht, als Verbesserung darzustellen: Was vielleicht sogar stimmen kann, aber unwesentlich bleibt. Wichtig sei nicht, so der Solidaires Text, der vergleich zwischen dem ersten und dem zweiten Entwurf des neuen Gesetzes, sondern nur der Vergleich seiner Bestimmungen mit den bestehenden Rechten, und da sei die Bilanz mehr als eindeutig. Kollektive Regelungen werden ausgehebelt, Entlassungen vereinfacht – und noch einmal speziell für junge Menschen – selbst arbeitsmedizinische Vorschriften und Strukturen angegriffen und Bezahlung, direkt bei den Überstunden, gekürzt. Das ganze wird als Spaltungsmanöver bewertet, das nur bei der gewerkschaftlichen Rechten, also bei den Verbänden CFDT, UNSA und CFTC auf Unterstützung stieß. Es wird darauf verwiesen, dass es noch wie vor eine ganze Reihe CFDT Gruppierungen gibt, die in Opposition zum Jubelkurs ihrer Führung stehen, und dass gerade eben sogar der Kongress der CGC – nach Drohungen des Unternehmerverbandes MEDEF gegen seine Vorsitzende – eine Kurskorrektur hin zur Ablehnung des neuen Gesetzes beschlossen hat.

Die AutorInnen unterstreichen, dass die CGT, bei aller Kritik, die sie an ihr haben, bisher keine reaktionären Gesetze „mitgestaltet“ habe, im Unterschied zu DGB in der BRD, CCOO in Spanien oder GSEE in Griechenland und auch CGIL in Italien. Die Kritiken an der CGT, die sich nicht zuletzt um Demokratie in der Gewerkschaft und um Selbstorganisation drehen, bestehen – tun aber in diesem Kampf nichts zur Sache. Die CGT habe weiter gekämpft, wie das ganze Bündnis der vier Gewerkschaftsverbände CGT, FO, Solidaires und FSU sowie der Studierenden – und SchülerInnenverbände, wie auch andere alternative Gewerkschaften, wie CNT und CNT-SO etwa.

Plakat gegen Polizeiterror in frankreich - Herr Valls, aus dem Juni 2016Der übergewerkschaftliche Zusammenschluss „On bloque tout“, dem neben anarchosyndikalistischen Organisationen und Strömungen auch Solidaires und mehrere Branchenföderationen der CGT angehören, wird in diesem Zusammenhang als ein Motor des Kampfes und gleichzeitig auch Bündnisorganisation hin zu Jugendbewegungen gewürdigt. Und es wird unterstrichen, dass es über 1.500 lokale und regionale gewerkschaftliche Gruppierungen sind, die diesen faktischen Aufruf zum Generalstreik mit tragen – aus sehr unterschiedlichen, nahe liegender Weise meist linken Gewerkschaftszusammenhängen. Einen Aufruf zum Generalstreik könne man sinnvoller Weise nicht einfach machen – aber hier werde daran und dafür gearbeitet und gekämpft, gemeinsam mit sehr verschiedenen Gruppierungen und Bewegungen.

Im Unterschied zu früheren Auseinandersetzungen, sei es eine Schwäche der gegenwärtigen Bewegung, dass ihr ein Kern in Form der Beschäftigten einer spezifischen Branche fehle – und wie vielfältig die Probleme dabei sind, wird anhand der EisenbahnerInnen nachskizziert und der nicht eben positiven Rolle, die die CGT Cheminots dabei spielt.

Aber, wird in dem Text unterstrichen, dass die Streikaktionen und Blockaden nicht in einen großen Streik münden, sei keineswegs gewerkschaftlichen Fehlern oder Ähnlichem vor allem zuzuschreiben: Nach vielen Niederlagen in den vergangenen Jahren sei schlicht die Stimmung (noch) nicht dafür da, und dies spiegele sich auch in der zweiten wichtigen Kristallisation des Protestes, der „nuit débout“ wieder, die sehr positiv zu bewerten sei, auch wenn sich jeder Vergleich etwa mit den Indignados in Spanien verbiete, weil die Mobilisierungskraft viel geringer sei. Jene Strömung darin, die sich nicht „instrumentalisieren“ lassen wolle, sei auch diejenige, der ein Generalstreik eher fern stehe.

Was auf der anderen Seite die Reaktion betreffe, so bewarheite sich einmal mehr die Erfahrung, dass immer dann, wenn massive soziale Proteste mit einigermaßen klarem Inhalt sich entwickelten, die faschistischen und faschistoiden Strömungen erst einmal „von der Bildfläche verschwinden“ – aber, so wird nachdrücklich gewarnt – erst einmal. Die bedeutendere Reaktion im aktuellen und konkreten Falle sei die Regierung mit ihrer Notstandspolitik, der nur 6 Abgeordnete nicht zugestimmt haben: Der Notstand sei auch die politische Grundlage für das Wüten der Polizei gegen die Proteste, das noch einmal skizziert wird.

Abschließend werden in dem Text noch zwei Fragen behandelt: Zum einen die längerfristigen Auswirkungen, vor allem auf eine Jugend, der eine Zukunft als verfügbare Masse angeboten werde. Zum anderen zur konkreten Weiterentwicklung – denn beim gegenwärtigen Stand könne dieser Kampf so nicht gewonnen werden – die im Wesentlichen von der Entwicklung der Streikbewegung abhänge.

(Zusammenfassend übersetzt von Helmut Weiss am 24. Juni 2016)

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=100230
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