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Frankreichs umkämpfte Arbeitsrechts-„Reform“, Teil 40

Artikel von Bernard Schmid vom 30. Juni 2016

Alter Summit: Carton rouge au projet „Loi Travail“ en FranceGrößere Gewerkschaftsverbände wurden durch die Regierung empfangen * CFDT (wie erwartet) „zufrieden“ * FO: Das Glas ist halb voll & halb leer, doch die Protestbewegung ist nicht zu Ende * CGT: Der Dissens mit der Regierung wurde bekräftigt * Drohung eines erneuten Rückgriffs auf Verfassungsartikel 49-3 – zur Aushebelung der Parlamentsdebatte – schwebt im RaumZusatz: Hintergrundinformation –  Die französischen Gewerkschafts(dach)verbände: Wer ist wer & was?

Am gestrigen Mittwoch, den 29. Juni empfing Premierminister Manuel Valls, wie angekündigt, die wichtigsten Gewerkschaftsdachverbände Frankreichs. An dem Treffen nahm auch Arbeitsministerin Myriam El Khomri teil. Zentrales Thema der Zusammenkunft war das geplante „Arbeitsgesetz“, gegen das seit dem 09. März dieses Jahres quasi ununterbrochene Proteste stattfinden, die bis heute anhalten. Am heutigen Donnerstag, den 30. Juni werden die Treffen fortgesetzt, hauptsächlich mit Vertretern der Kapitalverbände.

Im Vorfeld hatte die CFDT versucht, einen „Kompromiss“ mit den beiden anderen stärksten Gewerkschaftsdachverbänden (also mit der CGT und mit FO) einzufädeln.

Die Leitung des rechtssozialdemokratisch geführten Dachverbands (also der CFDT) kündigte in diesem Sinne an, falls die CGT und/oder FO so genannt konstruktive Änderungsvorschläge zum Text auf den Tisch legen würden, dann werde man (die CFDT) dieselben unterstützen. Was natürlich voraussetzt, dass CGT und FO von ihrer Forderung nach einer Rücknahme des gesamten Gesetzentwurfs abrücken.

Als „Kompromiss“versuch der Regierung deutete sich bereits im Vorfeld an, dass diese „anbieten“ werde zwar keine zentralen Bestimmungen an dem Gesetz zu ändern – aber den Branchenverbänden eine Rolle bei der kritischen Begleitung der künftigen Vereinbarungen auf Unternehmensebene einzuräumen. Letztere sollen insbesondere einer Ausweitung und „Flexibilisierung“ der wöchentlichen Arbeitszeiten Tür & Tor öffnen. (Vgl. unseren Teil Nummer 39; vgl. Näheres auch unter http://www.lemonde.fr/politique/article/2016/06/29/projet-de-loi-travail-les-propositions-du-gouvernement-pour-sortir-de-la-crise_4960489_823448.html externer Link)

Und wie ging es aus?

  • Von Seiten der Regierung wiederum schwebt weiterhin die Drohung im Raum, erneut (wie bereits in erster Lesung in der Nationalversammlung am 10. Mai 16) die Waffe des Verfassungsartikels 49-3 einzusetzen.

Diese Bestimmung der Verfassung der französischen Fünften Republik aus dem Jahr 1958 erlaubt es der Regierung, die Beratungsrechte des Parlaments auszuhebeln. Der Rückgriff auf diese Verfahrensregel erlaubt er der Exekutive, die Aussprache im Parlament zu einem Gesetzentwurf zu beenden, indem sie die Vertrauensfrage stellt. Der Gesetzestext gilt dadurch (ohne Sachdebatte) automatisch als angenommen -es sei denn, es wird ein Misstrauensantrag gestellt und eine Mehrheit im Parlament stimmt ihm zu. Am 12.05.16 scheiterte ein solcher Misstrauensantrag, den die konservative Opposition eingebracht hatte; kein/e einzige/r sozialdemokratische/r Abgeordnete/r stimmte ihm letztendlich zu, obwohl es in der Sacher erhebliche Widersprüche unter den sozialdemokratischen Abgeordneten zum „Arbeitsgesetz“entwurf gegeben hatte.

Nunmehr beginnt am Dienstag, den 05. Juli d.J. die entscheidende dritte Lesung zu dem Entwurf in der Nationalversammlung (also dem parlamentarischen „Unterhaus“). Zuvor hatte der Senat am Dienstag, dem 28. Juni über ihn abgestimmt. Die konservative Senatsmehrheit stimmte ihm, nahm jedoch an einigen ausgewählten Punkten erhebliche Verschärfungen an dem Text vor – welche die sozialdemokratische Regierung nun wieder herausnehmen wird, um sich als „kleineres Übel“ aufzuspielen. (Es handelt sich um ein abgekartetes Spiel mit verteilten Rollen!) Im Falle der Nicht-Einigkeit zwischen beiden Parlamentskammern behält allein die Nationalversammlung das letzte Wort, es muss dann jedoch nach der dritten Lesung noch ein Vermittlungsausschuss eingesetzt werden. Diese Prozedur dürfte sich wohl noch bis Ende Juli d.J. hinziehen.

Die dritte Lesung beginnt also am 05. Juli. Eine Abstimmung wird rund um den 13. Juli d.h. erwartet. Doch könnte das Verfahren abgekürzt werden, falls die Regierung erneut auf den Artikel 49-3 zurückgreift.

Dies deutet sich zumindest an, denn in einem längeren Interview mit der Pariser Abendzeitung Le Monde (Papierausgabe vom Abend des Mittwoch, 29. Juni) erklärte Arbeitsministerin Myriam El Khomri, der Einsatz des Artikels 49-3 sei keine antidemokratische Maßnahme, „weil die Verfassung ihn vorsieht“ (sic). Allerdings sei ihr ein Konsens mit den Opponenten dennoch lieber; ja, ja… (Vgl. dazu http://www.lemonde.fr/politique/article/2016/06/29/myriam-el-khomri-le-49-3-n-est-pas-un-passage-en-force_4960484_823448.html externer Link) Es mag sein, dass diese Passage zum Artikel 49-3 mal wieder nachträglich durch das Amt des Premierministers eingefügt wurden. Anlässlich des ersten Interviews mit Arbeitsministerin El-Khomri zu dem damals soeben publizierten Vorentwurf des „Arbeitsgesetzes“, in der Wirtschaftstageszeitung Les Echos am 18. Februar 16, war bereits eine Androhung einer Verabschiedung mit Hilfe des Artikels 49-3 enthalten. Diese Passage war damals jedoch von den Beratern des, aus Prinzip autoritär vorgehenden, Premierministers Valls eingefügt worden. Diese hatten das Interviewmanuskript gegengelesen und „korrigiert“.

Brandstiftung an CFDT-Sitz in Bordeaux

LETZTE MELDUNG: Am Vormittag des heutigen 30. Juni wird bekannt, dass am Sitz der CFDT im südwestfranzösischen Bordeaux in der Nacht Brandstiftung verübt worden sei. Niemand sei verletzt worden, doch der Sachschaden sei erheblich. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-eco/2016/06/30/97002-20160630FILWWW00082-le-siege-de-la-cfdt-a-bordeaux-incendie.php externer Link )

Um Feuer zu legen, waren vor dem Gebäude herumstehende Mülltonen in Brand gesteckt worden. Die Müllabfuhr streikt derzeit noch in Bordeaux, wie zuvor auch in anderen Städten. (In Paris wurde der Streik bei der größten Müllverbrennungsanlage in Europa, im Vorort Ivry-sur-Seine, Ende vergangener Woche offiziell beendet. Der Betrieb der Anlage war schon seit circa einem Monat eingestellt worden. Er wurde jedoch vor dem gewerkschaftlichen „Aktionstag“ vom Dienstag dieser Woche – 28. Juni – noch nicht wieder aufgenommen.)

Die Brandstiftung bei der CFDT in Bordeaux – deren Urheberschaft bislang nicht geklärt ist – folgt auf einen Glasbruch am frankreichweiten Hauptsitz der CFDT in Paris-Belleville (am Abend des 23. Juni) sowie am Sitz der CGT in Montreuil (in der Nacht vom 24. zum 25. Juni d.J.). Die Scheibenschäden am Sitz der CFDT in Paris erfolgten aus einer kleineren „Spontandemonstration“ heraus. Doch im Falle der nächtlichen Attacke bei der CGT, die begrenzten Sachschaden anrichtete, sowie der Brandstiftung in Bordeaux sind die Urheber/innen und damit auch die genaueren Hintergrund bislang ungeklärt. Jedenfalls die beiden letztgenannten Aktionen muss man auch als kritikwürdig bezeichnen.


ZUSATZ:

Hintergrundinformation – Die französischen Gewerkschafts(dach)verbände: Wer ist wer & was?

In Frankreich herrscht seit fast einem Jahrhundert „Gewerkschaftspluralismus“. Auf nationaler Ebene besteht er spätestens, seitdem 1919 neben der bereits 1895 gegründeten CGT zusätzlich der christliche Gewerkschaftsbund – die CFTC – entstand. Heute existieren fünf, auf nationaler Ebene als représentatifs (ungefähr „tariffähig“) anerkannte Dachverbände. Neben ihnen bestehen weitere Zusammenschlüsse von Gewerkschaften. Nicht alle dieser Verbände unterstützten die Sozialproteste in diesem Frühjahr & Frühsommer 2016.

Der Organisationsgrad der französischen Gewerkschaften beträgt im landesweiten Durchschnitt nur rund acht Prozent (im Staatsdienst zwischen 20 und 25 Prozent). Vor einem direkten Vergleich dieser Zahlen mit deutschen Verhältnissen sei jedoch ausdrücklich gewarnt, da er dazu führen würde, „Äpfel mit Birnen zu vergleichen“. Französische Gewerkschaftsangehörige sind häufig Aktivmitglieder, die sich in einer Gewerkschaft betätigen, weil sie sich für soziale Veränderungen engagieren wollen. Passivmitglieder, wie sie die Mehrheit des Mitgliederbestands etwa der deutschen Gewerkschaften ausmachen, sind wesentlich seltener als östlich des Rheins. Zumal mit der Gewerkschaftsmitgliedschaft im Alltag wenig materielle Vorteile, sondern meist nur Nachteile verbunden sind.

Anders als es im deutschen Arbeitsrecht zumindest theoretisch vorgesehen ist (auch wenn es in der Praxis anders gehandhabt wird, um Lohnabhängige nicht zum Eintritt in die Gewerkschaften zu motivieren), können die Vorteile aus dem Kollektiv-/Tarifvertrag in Frankreich grundsätzlich nicht auf Gewerkschaftsmitglieder beschränkt werden. Sie gelten grundsätzlich für alle abhängig Beschäftigten, die im Anwendungsbereich einer rechtsgültigen Kollektivvereinbarung angestellt sind. Anders als in Deutschland kann das Streikrecht in Frankreich auch unabhängig von jeglicher gewerkschaftlichen Entscheidung ausgeübt werden, es gilt nicht das Verbot des (nicht durch eine Gewerkschaft unterstützten) „wilden Streiks“ wie östlich des Rheins.

Gleichzeitig bezahlen französische Gewerkschaften grundsätzlich keine Streikgelder, weder an ihre Mitglieder noch an ihre Nichtmitglieder. Lohnabhängige tragen die Kosten eines Streiks, in Gestalt von Einkommensverlust, im Prinzip selbst. In der Vergangenheit wurde dies als Zeichen der Selbstlosigkeit im Rahmen eines kollektiv geführten Arbeitskampfs gewertet; gleichzeitig war es jedoch auch üblich, infolge eines Arbeitskampfs einen „Nachstreik“ durchzuführen, um die Bezahlung zumindest eines Teils der Streiktage zu erreichen. Aufgrund von verschlechterten Kräfteverhältnissen zwischen Kapitel und Arbeit ist dies heute in aller Regel kaum noch möglich. Wegen sinkender Massenkaufkraft ist deswegen die Streikfähigkeit französischer Lohnabhängiger in den letzten Jahren faktisch zurückgegangen. Im Zuge der sozialen Konflikte im Frühjahr 2016 wurde deswegen erstmals auf breiterer Ebene über die Einrichtung von Streikkassen nachgedacht, die mitunter durch Gewerkschaften (besonders die CGT), oft aber auch unabhängig von ihnen organisiert wurde. Neben mehreren örtlichen Solidaritätskassen und Spendensammlungen gab es im Frühjahr 2016 auch eine zentralere Spendenkampagne, die durch die CGT initiiert wurde; für sie wurden auch im Internet über die Webseite Pot commun rund 450.000 Euro gesammelt. Bislang steckt die finanzielle Solidarität mit Streikenden jedoch organisatorisch noch eher in den Kinderschuhen.

Die CGT

Die CGT oder Confédération générale du travail (ungefähr „Allgemeiner Arbeiterverband“) entstand als Dachverband im Jahr 1895, nachdem Arbeitergewerkschaften in Frankreich 1884 legal zugelassen waren.

In ihrer Anfangsphase dominierte eine anarcho-syndikalistische Ausrichtung. In der Zeit zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg war der Dachverband zunächst seit 1921 in zwei konkurrierende Verbände aufgespaltet, die CGT und die CGT-U (CGT-Unitaire, ungefähr „der Kampfeseinheit verbundene CGT“). Die Erstere stand der französischen Sozialdemokratie, die Letztgenannte der 1920 gegründeten Französischen Kommunistischen Partei nahe. 1936 erfolgte ihr Zusammenschluss zur „wiedervereinigten“ CGT, während im politischen Raum die Linksparteien zu einem Bündnis unter dem Namen Front populaire – äußerst grobschlächtig mit „Volksfront“ übersetzt – vereinigt waren. Nach ihrer Beteiligung an der Résistance und nach dem Zweiten Weltkrieg übte die Französische kommunistische Partei zeitweilig einen erheblichen Einfluss auf die CGT, ihre Führungsebene und ihren Apparat aus. Daraufhin entstand 1947/48 eine Abspaltung unter dem Namen CGT-Force Ouvrière, abgekürzt FO (vgl. unten).

Parallel zur Abnahme des gesamtgesellschaftlichen Einflusses der Französischen kommunistischen Partei entfernte sich die CGT später schrittweise von ihr. Ein erster Markstein dabei war 1975 der Austritt aus der Leitung des damals sowjetisch dominierten „Weltgewerkschaftbunds“ (französisch FSM), dem aber mehrere Untergliederungen der CGT bis heute angehören. Bis zum Parteitag der Französischen kommunistischen Partei im Dezember 1996 in La Défense gehörte der Generalsekretär der CGT automatisch ihrem Parteivorstand an. Seitdem diese „Tradition“ unterbrochen wurde, bemühte sich die CGT mitunter, ihre „Emanzipation“ von der Politik der Partei in der Öffentlichkeit zu unterstreichen. Bei einer Demonstration am 16. Oktober 1999 gegen Massenentlassungen in der französischen Metallindustrie, zu der als Erste die (damals mitregierende) Französische kommunistische Partei unter Robert Hue aufgerufen hatte, verweigerte die CGT-Führung aus diesem Grund ihre Mitwirkung. Der damalige CGT-Generalsekretär – selbst Mitglied der betreffenden Partei – erklärte, dies sei ein Signal für die Verweigerung einer Unterordnung unter die Politik.

In der Vergangenheit sorgte die Orientierung auf ein politisches Leitideal in Gestalt einer sozialistischen Ökonomie (mit mehr oder minder hohem Staatsanteil) dafür, dass eventuelle Widersprüche zwischen den Interessen einzelner Beschäftigtengruppen im Zaum gehalten wurden. Eventuelle divergierende Interessen, etwa zwischen ProduktionsarbeiterInnen und leitenden Angestellten, würden durch den Übergang zu einer höher entwickelten Ökonomie in mehr oder weniger naher Zukunft aufgehoben worden.

Aufgrund ihrer Entfernung von der Bindung an ein solches politisches Leitideal treten heute Divergenzen zwischen widerstreitenden Strategien, aber auch Interessengruppen innerhalb der CGT sehr viel deutlicher zu Tage als in der Vergangenheit. Dies machte sich auch bei den Sozialprotesten im Frühjahr 2016 bemerkbar. Während manche Untergliederungen tendenziell für eine Beschränkung von Arbeitskämpfen auf Interessenkonflikte im Unternehmen oder der jeweiligen Wirtschaftsbranche plädierten (dies tat auf dem Gewerkschaftstag vom 18. bis 22. April 2016 etwa die Leitung der Branchengewerkschaft CGT-Cheminots bei der Eisenbahn), traten andere wesentlich stärker für eine branchenübergreifende Bündelung der Kräfte im Abwehrkampf gegen das „Arbeitsgesetz“ ein. Auch die Divergenz zwischen einer Orientierung auf Verhandlung und Kompromiss einerseits, und einer Forderung nach Generalstreik andererseits stand beim Gewerkschaftstag vom April 2016 in Marseille spürbar im Raum.

Während der gesamten Auseinandersetzung um das „Arbeitsgesetz“ verhielten sich verschiedene Untergliederungen der CGT deswegen, in der Praxis, auf recht unterschiedliche Weise. Zu den „radikaleren“ Kräften, die dafür plädierten, einen „Zentralkonflikt“ mit Regierung und Kapital rund um das geplante „Arbeitsgesetz“ anzustreben und zuzuspitzen – um allgemein die Kräfteverhältnisse zwischen Arbeit und Kapital zu verändern -, zählten dabei insbesondere die CGT-Gliederungen Chimie (Chemische Industrie) und InfoCom’ (Mediensektor) sowie Services publics (öffentliche Dienste).

Force Ouvrière

Der Dachverband Force Ouvrière (FO, ungefähr „Arbeiterkraft“; die Namensbezeichnung ist weiblich und/doch wird prinzipiell ohne Artikel benutzt) ist eine Abspaltung der CGT aus den Jahren 1947/48. Auf dem ersten Höhepunkt des Kalten Krieges traten damals mehrere unterschiedlich orientierte Kräfte aus der CGT aus, die miteinander gemeinsam hatten, einen als „dominierend“ beschriebenen Einfluss der Französischen kommunistischen Partei abzulehnen.

Zu den beteiligten Kräften zählten unter anderem gaullistische, sozialdemokratische und am Rande auch rechtsnationale Kräfte sowie eine – sektiererische – Unterströmung des französischen Trotzkismus, die als „Lambertismus“ (nach ihrem Gründer Pierre Lambert) bezeichnet wird. In den folgenden Jahrzehnten hielt diese Mischung deswegen zusammen, weil das offizielle Bekenntnis dazu, „Politik und Gewerkschaftsarbeit auseinanderzuhalten“ und sich nicht politisch zu positionieren, einen Kitt bildete. Hinter den Kulissen wirkten die einzelnen politischen Kräfte jedoch weiter, auf in aller Regel untransparente Art & Weise.

Bis in die 1980er Jahre war die Hauptorientierung des Dachverbands vorwiegend auf Verhandlung und Kompromiss ausgelegt. Seit den frühen 1990er Jahren ging die Leitung unter dem damaligen Generalsekretär Marc Blondel jedoch dazu über, lautere und radikaler klingende Töne anzuschlagen. Den Hintergrund dafür bildete die Erwartung, der Fall der Berliner Mauer (1989) und das Verschwinden der UdSSR (1991) würden in naher Zukunft auch zum dauerhaften Niedergang sowohl der Französischen kommunistischen Partei als auch der CGT führen. Deswegen müsse man das frei werdende Feld besetzen und als eher oppositionelle Gewerkschaft auftreten. Daraus entwickelten sich jedoch Auseinandersetzungen, die zur Abspaltung von eher „moderaten“ Fraktionen führten. Diese schlossen sich einem bereits zuvor existierenden lockeren Gewerkschaftszusammenschluss unter dem Namen UNSA („Nationale Union unabhängiger Gewerkschaften“) an. Die UNSA hat seitdem in einigen Bereichen – in der Lehrerschaft oder im Verwaltungspersonal der Bahngesellschaft SNCF – an Einfluss gewonnen. Sie tritt offiziell „unpolitisch“ auf, steht aber der französischen Sozialdemokratie nahe und spielt bei Straßenprotesten oder Streiks allenfalls eine untergeordnete Rolle.

Seit den Herbststreiks in den öffentlichen Diensten im November und Dezember 1995 hat Force Ouvrière (FO) ihrerseits an mehreren größeren Streikbewegungen teilgenommen. Ihre konkrete Orientierung in einzelnen Auseinandersetzungen in den Unternehmen und Branchen schwankt jedoch und kann von betontem Verbalradikalismus bis zu betonter Kompromissbereitschaft gegenüber den Kapitalvertretern reichen.

Sowohl der mittlerweile verstorbene frühere FO-Generalsekretär Marc Blondel als auch sein Nachfolger (seit 2004), Jean-Claude Mailly, gehör(t)en zugleich der französischen Sozialdemokratie als Parteimitglieder an.

An den sozialen Auseinandersetzungen um das geplante „Arbeitsgesetz“ im Frühjahr 2016 war Force Ouvrière von Anfang an beteiligt. Ihre Präsenz war vor allem auf Höhepunkten der Protestmobilisierung – wie bei der Pariser Zentraldemonstration am 14. Juni des Jahres – deutlich sichtbar, zwischen diesen Höhepunkten fiel sie zahlenmäßig schwächer aus.

Die CFDT

Dieser zweitstärkste Dachverband, dessen Kürzel „Französischer demokratischer Arbeiterverband“ bedeutet, entstand im November 1964 durch die Spaltung des vormaligen christlichen Gewerkschaftsdachverband CFTC („Französischer Verband der christlichen Arbeiter“).

Dessen Gewerkschaftstag in jenem Monat in Issy-les-Moulineaux (bei Paris) wurde allgemein als „Kongress der Aufhebung der konfessionellen Bindung“ oder congrès de la déconfessionnalisation bezeichnet. Er bildete zugleich den Gründungskongress der CFDT, da eine Mehrheit der Delegierten sich sowohl für den Bruch mit der Soziallehre der katholischen Kirche als auch für die Umbenennung entschied.

Eine Minderheit hielt jedoch die bisherigen Strukturen der CFTC aufrecht. Letztere existiert auch heute noch, als wohl kleinster der etablierten gewerkschaftlichen Dachverbände. Als einzige französische Gewerkschaftsorganisation hat sich dieser christliche Gewerkschaftsbund von Anfang an nicht an den Protesten gegen das geplante „Arbeitsgesetz“ beteiligt.

Nach der Spaltung entwickelte sich die CFDT zunächst deutlich nach links. Rund um den Mai 1968 zeigte die neue Gewerkschaftsorganisation sich offener für die Anliegen besonders der jungen Generation als etwa die damalige (zu jener Zeit noch relativ straff organisierte) CGT, und viele Anhänger/innen der „Neuen Linken“ strömten deswegen in erster Linie in die CFDT. In den 1970er Jahren wurden in ihren Reihen, als erster Gewerkschaftsorganisation, heftige Debatten über Ökologie, Atomkraft-Ausstieg oder die Forderungen „neuer sozialer Bewegungen“ geführt.

Doch ab 1978 entschied die Leitung unter dem damaligen Generalsekretär Edmond Maire für den Bruch jedenfalls mit der radikaleren Linke. Der Gewerkschaftstag in Rennes leitete damals eine Politik des recentrage, sinngemäß: der Rückbesinnung auf gewerkschaftliche Kernaufgaben, ein. In den folgenden Jahren resultierte daraus zunächst jedoch eine starke Annäherung an die Sozialdemokratie, die ab 1981 die Regierung übernahm, und viele CFDT-Funktionsträger/innen übernahmen daraufhin Regierungsämter und Stellen im gehobenen öffentlichen Dienst. Die Enttäuschung über die Regierungsbilanz der französischen Sozialdemokratie, von der man sich ursprünglich stärkere progressive Veränderungen erhofft hatte, führte wenige Jahre später jedoch erneut zu einem weiteren Rechtsruck der CFDT-Spitze.

Es ist jedoch falsch, wenn die CFDT in verschiedenen deutschen Medien – wie im Mali/Juni 2016 sowohl in der tageszeitung (taz) als auch in der jungen Welt geschehen – als angeblich „christlich-sozial“ eingestuft wird. Dies ist sie zu keinem Zeitpunkt gewesen;, vielmehr entstand die jetzige CFDT gerade, wie oben aufgezeigt, aus dem Bruch mit der vormaligen konfessionellen Bindung.

Ihr heutiger Kurs wird vielmehr durch eine Richtung bestimmt, die man als rechtssozialdemokratisch, pro-neoliberal und von technokratischem Geist bestimmt bezeichnen kann. In ihren Augen müssen Gebote des „wirtschaftlich Vernünftigen“ und „Machbaren“ grundsätzlich beachtet werden. „Reformen“ werden als notwendig erachtet, jedoch nicht im früher bei allen Strömungen der Arbeiterbewegung üblichen Sinne – dem einer schrittweisen Überwindung kapitalistischer Verhältnisse, oder jedenfalls der sie kennzeichnenden sozialen Unterschiede -, sondern in dem Sinne, den der Neoliberalismus diesem Begriff zu geben versucht. Solche Veränderungen im Geiste neoliberaler Politik werden dann als positiv betrachtet, wenn sie mit Gewerkschaften (und besonders der CFDT) ausgehandelt wurden. Bei mehreren größeren sozialen Konflikten der jüngeren Geschichte stellte sich die CFDT-Spitze deswegen auf die Seite der jeweiligen Regierung. Dies war 1995 unter dem konservativen Kabinett von Alain Juppé (Streit u.a. um die Krankenversicherung und die Renten in den öffentlichen Diensten) der Fall, 2003 unter der konservativen Regierung von Jean-Pierre Raffarin (allgemeine „Rentenreform“), und ebenfalls im Frühjahr 2016 im Streit um das geplante „Arbeitsgesetz“.
Der Vorentwurf des zuletzt genannten Gesetzes, publiziert am 17. Februar 2016, wurde durch die CFDT-Spitze zunächst offiziell abgelehnt. Letztere war zuvor nicht in alle Einzelheiten der Regierungspläne eingeweiht worden. Infolge von Verhandlungen am Wochenende des 12./13. März 2016, und einer punktuellen Abschwächung des Gesetzentwurfs, übernahm die CFDT-Führung unter Generalsekretär Laurent Berger jedoch am 14. März des Jahres eine neue Position. Von da ab unterstützte sie den Regierungsentwurf und bezeichnete ihn als möglichen Träger sozialen Fortschritts. Tatsächlich dürfte die CFDT im gewerkschaftlichen Bereich zu den Hauptnutznießern des geplanten Gesetzes zählen. Da der Gesetzentwurf die Verhandlung von Arbeit„gebern“ mit Minderheitsgewerkschaften stark zu erleichtern versucht, beabsichtigt die CFDT_Führung, mehr oder minder systematisch diese Rolle zu übernehmen.

Die Positionierung der CFDT bei sozialen Konflikten in der Vergangenheit, besonders bei denen von 1995 und 2003 (siehe oben), führte zu erheblichen Verwerfungen innerhalb der Organisation und zu Abspaltungen. Aus mehreren dieser Abspaltungen und aus der früheren CFDT-Linken entstanden, zum ersten Mal 1990 bei der französischen Post und im Gesundheitswesen und ab 1995 in größerem Ausmaß, neue Gewerkschaften. Viele von ihnen traten und treten als linke Basisgewerkschaften – mit gering ausgeprägtem Hauptamtlichenstamm – auf und gaben sich den Namen SUD (für „Solidarisch, der Kampfeseinheit verbunden, demokratisch“). Heute sind diese alternativen Gewerkschaften im Dachverband Union syndicale Solidaires zusammengeschlossen. Er ist nicht auf nationaler Ebene als représentatif (ungefähr: „tariffähig“) anerkannt, einige seiner Mitgliedsgewerkschaften sind es jedoch in ihren jeweiligen Branchen.

Die Union syndicale Solidaires

Die Union syndicale Solidaires zählt laut Eigenangaben rund 100.000 Mitglieder und ist damit zahlenmäßig schwächer als die zentralen Dachverbände (CGT: 700.000; CFDT: offiziell 600.000, was jedoch bestritten wird); aber auch oft inhaltlich interessanter.

Bei den Sozialprotesten im Frühjahr 2016 gehörte die Union syndicale Solidaires, neben der CGT sowie FO, von Anfang an zu den Unterstützerinnen der Protestmobilisierung und rief zu Demonstrationen und Streiks mit auf. Die CFDT-Leitung trat in einer kurzen Anfangsphase (Ende Februar und Anfang März 2016) ebenfalls als Aufruferin in Erscheinung, war jedoch bereits bei den ersten Straßenprotesten am 09. März des Jahres zahlenmäßig kaum vertreten. Seit dem 14. März zog sie jegliche Unterstützung zurück und riet ihren Mitgliedern offiziell von einer Teilnahme an. Mehrfach war jedoch auch später noch (bei Redaktionsschluss: zuletzt am 23. und am 28. Juni 2016 in Paris) eine Minderheit kritisch-oppositioneller Mitglieder der CFDT bei Demonstrationen mit dabei. Am 28. Juni in Paris erhielten ihre Mitglieder beim Eintreffen auf der place d’Italie, also am Abschlussort der Demonstration, Applaus von den Umstehenden.

Sonstige Gewerkschaften und Verbände

Von den übrigen Gewerkschaften, neben den bisher aufgezählten größeren Dachverbänden, beteiligen sich vor allem die Mitgliedsgewerkschaften der FSU (Fédération syndicale unitaire, „Der Kampfeseinheit verbundene Branchengewerkschaft“) an den sozialen Protesten. Es handelt sich um den Zusammenschluss von Gewerkschaften im Lehrer/innen- und Berufsbildungsbereich. Allerdings erscheinen die Positionierungen ihres Apparats in dem Konflikt eher lau.

Der christliche Gewerkschaftsbund (CFTC) hat sich von Anfang nicht an den Protesten im Frühjahr 2016 beteiligt. Sporadisch an ihnen teilgenommen hat hingegen der fünfte anerkannte Dachverband – neben CGT, CFDT, FO, CFTC -, der „Gewerkschaftsverband der höheren und leitenden Angestellten“ (CGC; auch: CFE-CGC) mit gut 100.000 Mitgliedern.

Aufgrund ihrer Klientel nimmt die 1944 gegründete CGC eine Sonderstellung unter den französischen Gewerkschaften ein. Zwar mischte sie sich in der Regel nicht unter die allgemeinen Proteste, doch am 12. Mai d.J. – dem Tag der Verabschiedung des Gesetzentwurfs in erster Lesung (durch Rückgriff auf den Artikel 49-3, am 10. Mai, sowie Ablehnung eines Misstrauensvotums an diesem Tag) – führte die CGC eine eigene Kundgebung in Sichtweite der französischen Nationalversammlung durch. Anlässlich eines Gewerkschaftstags am 01. und 02. Juni 2016 in Lyon, der mit einem Führungswechsel verbunden war, schlug der neue Vorsitzende François Hommeril erheblich schärfere kritische Töne als die bisherige Leitung gegen das geplante „Arbeitsgesetz“ an.

Neben den Gewerkschaften von abhängig Beschäftigten treten die Jugendverbände UNL (Nationale Union der Oberschüler/innen) und FIDL (Unabhängiger demokratischer Oberschüler/innen-Verband) sowie die Studierendengewerkschaft UNEF als Unterzeichner der Aufrufe zum Protest hervor.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=100488
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