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Die selbstständigen Streiks der französischen Eisenbahner: Ursachen, Hintergründe und Vorgeschichte – und sie gehen weiter…

Kampf gegen die Privatisierung der französischen BahnEs begann damit, dass am 18. Oktober viele Züge still standen. In Folge eines Unglücks in den Ardennen, machten viele Zugführer von dem Recht Gebrauch, von einer „gefährlichen“ Arbeit zurückzutreten. Obwohl Direktion und Regierung mit juristischen Sanktionen drohten, verbreiterte sich die Bewegung wie ein Lauffeuer. Die Leitung der SNCF verdächtigte erst die CGT, sich mit dieser Aktion für den Generalstreik ab 5. Dezember (Ende offen) in Szene setzen zu wollen. Doch was anschließend im Technikzentrum von Chatillon (Hauts-de-Seine) passierte, zeigte, dass die Situation offensichtlich komplizierter ist. Ab dem 21. Oktober legten Beschäftigte dieses Technikzentrum, zuständig für die Wartung des TGV am Atlantik (Bretagne, West und Südwest) die Arbeit nieder. Zweihundert der siebenhundert Beschäftigten beteiligten sich, ohne ihre Gewerkschaften zu fragen...“ –  dies ist eine Passage aus „Die SNCF am Rande einer Explosion“ eine zusammenfassende Übersetzung (von G.B. vom November 2019 im Vorabdruck aus Arpo – wir danken!) des Artikels „La SNCF au bord de l’explosion“ am 30. Oktober 2019 bei médiapart über die selbstständigen Streiks bei der französischen Eisenbahn – und ihre Ursachen, Hintergründe und Vorgeschichte, die wir hiermit dokumentieren – zusammen mit zwei weiteren aktuellen Streikmeldungen aus Eisenbahn-Werkstätten in Lyon und Umgebung:

Die SNCF am Rande einer Explosion

Mit dieser Überschrift macht das Nachrichtenportal Mediapart (ehemalige Journalisten von Le Monde) vom 30. 10. 2019 auf Entwicklungen innerhalb der französischen Eisenbahn aufmerksam. Schon zum zweiten Mal innerhalb eines Monats haben sich innerhalb der SNCF Arbeitsniederlegungen ereignet, die nicht von den zuständigen Gewerkschaften gestützt wurden. „Schon der kleinste Funke kann ein Feuer entfachen“, bemerkt ein leitender Angestellter.

Es begann damit, dass am 18. Oktober viele Züge still standen. In Folge eines Unglücks in den Ardennen, machten viele Zugführer von dem Recht Gebrauch, von einer „gefährlichen“ Arbeit zurückzutreten. Obwohl Direktion und Regierung mit juristischen Sanktionen drohten, verbreiterte sich die Bewegung wie ein Lauffeuer.

Die Leitung der SNCF verdächtigte erst die CGT, sich mit dieser Aktion für den Generalstreik ab 5. Dezember (Ende offen) in Szene setzen zu wollen. Doch was anschließend im Technikzentrum von Chatillon (Hauts-de-Seine) passierte, zeigte, dass die Situation offensichtlich komplizierter ist.

Ab dem 21. Oktober legten Beschäftigte dieses Technikzentrum, zuständig für die Wartung des TGV am Atlantik (Bretagne, West und Südwest) die Arbeit nieder. Zweihundert der siebenhundert Beschäftigten beteiligten sich, ohne ihre Gewerkschaften zu fragen.

Alles begann damit, dass die Direktion von einer lokalen Sozialvereinbarung abrücken wollte. „Wir haben schon 250 lokale Vereinbarungen einer Revision unterzogen“, erklärte die SNCF. Zwölf Erholungstage für Nacht- und Wochenendarbeit im Jahr sollten der Revision zum Opfer fallen.

Einen Tag später nach Beginn der Arbeitsniederlegung nahm die Direktion diese „Anpassung der Arbeitsbedingungen“ zurück. Doch die Streikenden wollten so schnell nicht aufgeben. So wurde ihr Streik als „illegal“ denunziert, der dazu führe, dass 70 Prozent des Verkehrs auf der Atlantikstrecke seit Sonntag leide. Nicht vor dem nächsten Wochenende könne sich der Verkehr normalisieren.

Gewerkschaftsfunktionäre wie Bruno Poncet (Sud Rail) und Didier Aubert (CFDT Cheminots) verurteilen das Vorgehen der Direktion ohne die Gewerkschaften zu konsultieren. Sie machen darauf aufmerksam, dass die Beschäftigen knapp 1200 bis 1300 Euro im Monat verdienen, ihr Lohn seit fünf Jahren eingefroren sei und sich die Arbeitsbedingungen ständig verschlechterten.Die Arbeit sei so wenig attraktiv, dass sogar die RATP (Pariser Nahverkehr) Arbeitskräfte hier abwerbe.

Sud Rail hat das Unternehmen in drei Technikzentren (zuständig für die Instandhaltung der TGVs in Nord-, Ost-, Südfrankreich und für Eurostar und Thalys) zu Verhandlungen aufgefordert, die in Streiks enden könnten. Alle Beschäftigten fordern eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, das Ende der Unterbesetzungen, das Ende der ständigen Veränderungen der Arbeits- und Bereitschaftszeiten, um Ausfälle und Mängel auszugleichen. „Wir schämen uns, wenn wir sehen, wie die SNCF mit der Sicherheit oder dem Komfort der Reisenden spielt aus Gründen der Flexibilität oder Rentabilität“, schreiben die Streikenden von Chatillon.

Darüber hinaus fordern sie die Bezahlung der Streiktage, keine Sanktionen und eine Prämie von 3000 Euro. „Man könne über alles verhandeln, die Arbeitsbedingungen, die Arbeit. Aber die Forderung, die Streiktage zu bezahlen, die sei nicht zu erfüllen“, antwortete der Präsident der SNCF, Guillaume Pepy, der in drei Tagen seinen Hut nimmt.

Mit diesen alten Tricks riskiert das Management, die Warnungen der Basis zu übersehen. Es handelt sich um einen tiefgreifenden Bruch. Nie zuvor hatte ein Streik ohne Vorankündigung begonnen, nie zuvor waren die Streikenden so entschlossen, sich von den Gewerkschaften abzuheben, als ob sich die Gewerkschaften disqualifiziert hätten.

Der große Streik in 2018, der längste in der Geschichte der SNCF, hat Spuren im gesamten Unternehmen hinterlassen. „Er hat ihnen nichts gebracht“, sagt ein Seniormanager der SNCF. Und dieses Scheitern zeigt verzögert Wirkung. Ohne es offen zu sagen, stellen viele Beschäftigte die Strategie der Gewerkschaften vom Frühjahr 2018 in Frage.

„Bisher waren die Verpflichtungen zur Streikankündigung nur dem fahrenden Personal und den Kontrolleuren auferlegt, um den Service aufrecht zu erhalten. Diese Verpflichtungen wurden jedoch auf fast das ganze Personal ausgedehnt. Dies ermöglicht es dem Management, sich besser zu organisieren, Streiks nicht sichtbar werden zu lassen, indem man die Wirkungen begrenzt. Deshalb gingen die Beschäftigten in einen wilden Streik, zogen es vor, Sanktionen in Kauf zu nehmen, statt einen nutzlosen Streik zu führen“, räumt Berenger Cernon, CGT-Generalsekretär in Paris, Gare de Lyon, ein. „Und ähnlich wie bei der Bewegung der Gelbwesten haben wir Schwierigkeiten, unseren Platz zu finden“, fügt er hinzu.

Viele Eisenbahner fühlen sich der Bewegung der Gelbwesten sehr nah. Zumal die gewerkschaftlichen Organisationen nur noch in der Lage zu sein scheinen, auf die Punkte und Kommas in Verhandlungsprotokollen Einfluss zu nehmen. Das Management der SNCF hat ebenfalls erhebliche Anstrengungen unternommen, gewerkschaftlichen Einfluss zu reduzieren. Eine der ersten Entscheidungen nach der Reform war es, die Zahl der lokalen Gewerkschaftsdelegationen zu reduzieren, „was die Beschäftigten noch mehr isoliert und ihnen Organisationsmöglichkeiten raubt“, so Bruno Poncet.

Laurent Brun, Generalsekretär der CGT-Cheminots klagt, dass die Gewerkschaft vom Management nicht mehr ernst genommen wird und der Ex-UNSA-Chef Roger Dillenseger meint, dass die Beschäftigten nicht mehr zu sehr auf die Gewerkschaft zählen können. So musste man wilde Streiks schon befürchten.

Der Artikel beschreibt dann noch, in welch rasanten Tempo die SNCF seit mehreren Jahren reorganisiert wird. Im Folgenden nur wenige Stichworte: 2015 wird SNCF Netz gegründet, 2016 Reform des Arbeitsgesetzes, zum 1. Januar wird SNCF zur Aktiengesellschaft, was Veränderungen im Beruf, der Organisation und den Aufgaben der Beschäftigten nach sich zieht.

Bahnhöfe und Dienste werden geschlossen, Züge über Nacht gewechselt oder gecancelt, das Bahnpersonal auf den Bahnsteigen verschwindet, die Zugführer müssen allein abfahren, alle Schalter auf der Ile-de-France wurden abgeschafft, die Kunden werden aufs Internet verwiesen.

In zwei Jahrzehnten ist das Personal von 220 000 Beschäftigten auf 155 000 abgebaut, dabei werden heute mehr Reisende in weniger Zügen transportiert. Die Steigerung der Produktivität soll dazu führen, dass die SNCF in 2024 wieder einen positiven cash flow aufweist. Alle werden zu Einsparungen aufgefordert. In den letzten zehn Jahren wurden mehr als 2000 Arbeitsplätze pro Jahr abgebaut.

Jüngere Arbeitskräfte, die ihre Karrierechancen schwinden sehen, verlassen das Unternehmen. Schon wird die französische Eisenbahn mit dem Schicksal von France Telecom nach 2004 verglichen, dessen Management gerade vor Gericht steht. Die alte Welt des Eisenbahners geht unter und das Management verkündet den Beschäftigten, die nicht mehr wissen, wo sie hingehören, die neue Welt der vernetzten Mobilität.

Zusammenfassende Übersetzung von G.B. vom November 2019 im Vorabdruck aus Arpo – wir danken!

(URL source: „La SNCF au bord de l’explosion“ am 30. Oktober 2019 bei médiapart: https://www.mediapart.fr/journal/france/301019/la-sncf-au-bord-de-l-explosion externer Link)

Siehe dazu auch zwei aktuelle Meldungen über einen weiteren Streik aus Lyon:

Siehe zuletzt am 1. November 2019: Das empört Frankreichs Regierung – und ihre Medien-Bataillone: Eisenbahnstreiks. Ganz ohne Ankündigung…

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=157664
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