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Die andere Antwort der chilenischen Regierung auf die andauernde demokratische Massenbewegung: Neben durchsichtigen Manövern wird vor allem auf enthemmte Repression gesetzt

Millionendemonstration Santiago de Chile am 25.10.2019„… In vielen Städten und Gemeinden des Landes hatten sich Chilen*innen versammelt, um einen Monat seit Beginn des Aufstands zu gedenken. Es war ein Monat immer größeren Aufbegehrens. Ein Monat, der in Chile, diesem lateinamerikanischen Paradebeispiel für Kapitalismus und Neoliberalismus, nun einen historischen Wendepunkt markiert. Vom Norden mit den Nachbarländern Bolivien und Peru, über die Anden mit dem solidarischen Argentinien bis hin zur Antarktis im Süden – überall haben sich die Proteste ausgebreitet wie Voraussagen für eine Zukunft. „Bis es sich zu leben lohnt“. Diese Parole findet man in dichtgedrängten Lettern überall auf den Wänden und Mauern des Landes. Sie fordern Präsident Piñera auf, sofort mit seinen Leuten zu verschwinden. Platz zu machen für die Jugend, die sie schon viel zu lange behindern und die endlich ihre gemeinsame Stimme gefunden hat. Die Stimme der Rebellion, die lange wie ein eingeschlafenes Versprechen und Wille war, alles zu verändern. In der Hauptstadtregion von Santiago begann der 18. November mit Straßensperrungen. Die Demonstrant*innen besetzten die Hauptschlagadern der Stadt. Als Beispiel des Widerstands taten sich besonders die bevölkerungsreichen Gemeinden von Puente Alto und Maipú hervor. Bei der Besetzung von Rathäusern, Marktplätzen und öffentlichen Plätzen leisteten die Schüler*innen der secundarias (16-18 Jahre) einen großen Beitrag. Sie führten zähe Dispute mit der militarisierten Polizeigewalt…“ – aus dem Beitrag „Proteste seit einem Monat“ von Andrés Figueroa Cornejo am 20. November 2019 beim NPLA externer Link über die weiter andauernden Proteste trotz fortgesetzten Polizeiterrors. Siehe dazu zwei weitere Beiträge über das „Wirken“ der Carabineros und eine der linken Erklärungen zur Verfassungs-Farce der Regierung – sowie den Hinweis auf unseren bisher letzten Beitrag zu den Massenprotesten in Chile:

  • „Chile: Die 230 Augen des Sebastián Piñera“ von Frederico Füllgraf am 21. November 2019 bei den Nachdenkseiten externer Link stellt, neben Erwägungen über seiner Ansicht nach mangelnde politische Führung und den Fakten der Repression (eben die von Gummigeschossen schwer Verletzten) vor allem zum Charakter und zur Rolle der Carabineros heraus: „… Chiles Carabineros gelten zurzeit als die brutalste Polizei Lateinamerikas. Das 1927 vom Armeegeneral und Diktator Carlos Ibáñez del Campo gegründete Polizeikorps hat in den 81 Jahren seines Bestehens mit dem Niederschlagen von Streiks, Kundgebungen und als Hilfstruppe des Heeres zigtausende Menschen auf dem Gewissen. In verschiedenen chilenischen Landkreisen ermittelt die Justiz 30 Jahre nach Ende der Pinochet-Diktatur immer noch gegen bisher protegierte, alternde Carabinero-Beamte, die abscheuliche Folterungen und Mordtaten gegen Anhänger der Regierung Salvador Allende zu verantworten haben. Doch der seit erst zwei Wochen amtierende, deutschstämmige und der ultrakonservativen Regierungspartei der Unabhängigen Demokraten (UDI) zugehörige neue Justizminister Gonzalo Blümel nimmt seine Polizei in Schutz. Genauer: Er stellt sie umgekehrt als „Opfer“ dar und stichelt zu unbarmherziger und nicht endender Gewalt auf. Unter den vielfältigen Fragen, die Blümel bisher unbeantwortet ließ, steht jene im Raum, wieso die Regierung die für den Kriegsfall aufgebauten Spezialeinheiten (Fuerzas Especiales) gegen unbewaffnete, friedliche Demonstranten einsetzt. Das chilenische Investigativ-Portal CIPER kommentierte in einer umfassenden Reportage vom 12. November, „im Regierungspalast La Moneda ist man sich selbstverständlich darüber bewusst, dass die Spezialeinheiten ohne Befehl, ohne Zusammenhalt, ohne Geheimdienstrichtlinien und außer Kontrolle sind. Und zersetzt von Wut. Dieser Zerfall ist unter anderem auf die explosionsartige Ausweitung von Korruption und Gewalt zurückzuführen, die ihre Geheimdienststruktur und ihr oberstes Kommando erfasste und in den letzten zwei Jahren die vorzeitige Entlassung von mehr als 35 Generälen bewirkte“. Sieben Jahre bevor ein über 29 Milliarden Pesos (umgerechnet ca. 35 Millionen Euro) schwerer Mega-Betrug mit jahrelangen Gehaltszahlungen an nicht existierende „Phantombeamte“ aufgedeckt wurde, gelang CIPER mit Computer-Überprüfungen und intensiven Hintergrund-Recherchen der Beweis, dass Carabineros seit 2010 in mindestens 40 Fällen schwerwiegende Unregelmäßigkeiten und Verstöße gegen die Finanzverwaltung begangen haben; darunter abgekartete Aufträge, betrügerische Aufpreise beim Bau von Kasernen, beim Kauf von Fahrzeugen sowie Computerausrüstungen, Kommunikationssystemen, Kraftstoffen, Drogenbekämpfungsmitteln, Kleidung, Nahrungsmitteln und vor allem mit illegal zugeteilten Löhnen und Darlehen an das Oberkommando...“
  • „Polizei wird gummifrei“ von Jürgen Vogt am 20. November 2019 in der taz online externer Link mag von der Überschrift her etwas arg optimistisch klingen, berichtet aber: „… Chiles Polizei hat den Einsatz von Gummigeschossen gestoppt. „Als Vorsichtsmaßnahme wurde angeordnet, die Verwendung dieser nichttödlichen Munition als Anti-Aufruhr-Mittel auszusetzen“, verkündete Mario Rozas, oberster Chef der Carabineros, am Dienstag. Lediglich in einer Extremsituation zur Selbstverteidigung sei der Einsatz noch erlaubt, so der Leiter der militärähnlichen Polizei. Bei den seit über einem Monat anhaltenden Unruhen wurden bisher über 200 Menschen Opfer von Augen- und Gesichtsverletzungen durch Gummigeschosse. Viele von ihnen haben ein Augenlicht für immer verloren. Rozas reagierte mit dem Verbot aber nicht auf die hohe Opferzahl, sondern auf die Ergebnisse einer Materialuntersuchung der Fakultät für Physik und Mathematik der Universität von Chile. Diese hatte festgestellt, dass eingesetzte Gummigeschosse lediglich zu 20 Prozent aus Kautschuk bestanden, aber zu 80 Prozent aus Verbindungen aus Kieselsäure, Bariumsulfat und Blei. Die Polizeibehörde hatte stets beteuert, es handle sich um reine Kautschukgeschosse. Die Materialprüfung war von der Augenabteilung des Hospitals del Salvador in Auftrag gegeben worden. In dem Hospital in Santiago wird die Mehrzahl der Augenverletzungen behandelt. Menschenrechts- und soziale Organisationen prangern seit Beginn der Proteste Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Ordnungskräfte an. Protestierende berichteten mehrfach, dass die Carabineros gezielt in die Gesichter von Demonstrant*innen schießen. Zahlreiche Videoaufnahmen belegen das brutale Vorgehen sowie Misshandlungen durch die Carabineros. Die Carabineros sind eine militaristische Polizei, die 1927 aus der Armee hervorging. Sie ist straff organisiert und verfügt über eine militärische Bewaffnung...“
  • „Keinen parlamentarischen Betrug! Weg mit dem mörderischen Regime Piñera!“ am 21. November 2019 bei den Maulwürfen externer Link ist eine redaktionelle Übersetzung der Erklärung des Movimiento Socialista de los Trabajadores (MST-Chile) zur Regierungsfarce mit einer von ihr kontrollierten neuen Verfassung, worin es unter anderem heißt: „… Es ist eine Vereinbarung hinter vier Mauern, um ihn an der Macht zu halten. Dies weil sie damit diese Regierung als legitimen Gesprächspartner anerkennt und daher jede Möglichkeit leugnet, ihn auszuschalten, wie es Millionen auf den Straßen verlangen. Sie haben nicht einmal die Unterstützung von 12% der Gesellschaft. Im Gegenteil, die absolute Mehrheit lehnt diese korrupten Parlamentarier und Regierungen ab, wen also vertreten sie mit ihrem Vorgehen? Niemanden, weil damit keine einzige Forderung angesprochen wird, die die Leute auf der Straße verlangen. Wir haben nichts erreicht (…) Die vorgeschlagene Volksabstimmung ist für das nächste Jahr geplant, in der Hoffnung, dass bis dann die massive nationale Mobilisierung zum Erliegen kommt. Darüber hinaus hoffen sie, dass dies ihnen Zeit geben wird, diejenigen von uns, die gegen sie demonstrieren, ungestraft zu unterdrücken, die linke Opposition zum Schweigen zu bringen und die Gebiets- und Nachbarschaftsversammlungen zu entwaffnen, die das Abkommen in Frage stellen. Schließlich sind die beiden Optionen des Abkommens ein Manöver zur Verteidigung des Erbes von Pinochet. Im Falle eines Bürgerkonvents (der einer verfassungsgebenden Versammlung am nächsten kommt) beträgt das Quorum für die Änderung der derzeitigen Verfassung 2/3Dies verhindert jede Änderung, weil es Piñera und der UDI ein Vetorecht erteilt, oder, was dasselbe ist, es kann nur dann eine Änderung geben, wenn die Unternehmergruppen sie akzeptieren. Die andere Möglichkeit ist, dass die Hälfte der Delegierten dem korrupten Parlament angehört. Weder die eine noch die andere Option werden die Verfassung wirklich im Dienste des Volkes, der Arbeiterklasse, der indigenen Völker, der Jugend, der Dissidenten und der Frauen umgestalten. Die wahre, souveräne verfassungsgebende Versammlung wird von dem mobilisierten Volk einberufen, das zuvor die Regierung von Piñera gestürzt hat. Die Mesa de Unidad Socia hat die Vereinbarung abgelehnt. Wir begrüßen diese Ablehnung. Diese aber ist auf halbem Wege stehen geblieben, da sie immer noch nicht die Forderung nach dem Rücktritt von Piñera erhebt, wie es die allgemeine Forderung der Bewegung ist; sie legt ferner kein Datum für den von ihr erwähnten nationalen Streik fest. Wir fordern, dass sie die Forderung «Weg mit Piñera» übernehmen und den Generalstreik durch die Durchführung von Basisversammlungen vorbereiten…
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=157670
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