[Schadensersatzklage] BAG urteilt zugunsten von Fraport: GdF-Gewerkschaft muss Streikkosten zahlen

Dossier

Streikrechtplakat Shopstewardnetzwerk England im Juli 2015„… Am dem am Mittwoch entschiedenen Streit ging es um Streikmaßnahmen im Jahr 2012 am Frankfurter Flughafen, durch die die GdF zur einen besseren Tarifvertrag durchsetzen wollte. Insgesamt verlangen die Kläger von der Gewerkschaft mehr als neun Millionen Schadenersatz. Zu ihnen gehörte dieses Mal neben Lufthansa und Air Berlin auch der Flughafenbetreiber Fraport  und damit ein Unternehmen, das direkter Adressat des Streiks war. Die Unternehmen sahen sich durch die Streiks in ihrem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbetrieb unmittelbar verletzt. Zudem sei die Teilkündigung des alten Tarifvertrages durch die GdF unwirksam gewesen, die Gewerkschaft habe damit die Friedenspflicht verletzt. (…) Das Arbeitsgericht hatte die Klagen und das Landesarbeitsgericht hatte die Berufungen zurückgewiesen. Nun gab das BAG der Klage des Flughafenbetreibers Fraport recht. Die genaue Höhe der Schadenersatzzahlungen muss das Hessische Landesarbeitsgericht festlegen. Die Existenz der Gewerkschaft sei dadurch nicht gefährdet, sagte GdF-Chef Matthias Maas. Einen Schadensatzanspruch der Fluggesellschaften Lufthansa und Air Berlin verneinten die Bundesarbeitsrichter. Gewerkschaften können nach einem BAG-Urteil von 2015 nicht für Folgekosten haftbar gemacht werden, die bei nicht direkt bestreikten Unternehmen entstehen.“ Beitrag von Stephan Kaufmann vom 26. Juli 2016 bei der Frankfurter Rundschau online externer Link, siehe dazu Urteil und Hintergründe/Kommentare:

  • Warum das Streikurteil des BAG unzumutbar ist: Ein Interview mit dem Arbeitsrechtler Prof. Dr. Wolfgang Däubler
    Warum das Urteil unzumutbar ist, dazu weist Prof. Dr. Wolfgang Däubler im Interview auf Folgendes hin: „… Wenn man – wie z. B. im öffentlichen Dienst – komplizierte Tarifwerke hat, muss man erst einige Spezialisten finden, die die ganzen ungekündigten Tarifwerke „durchkämmen“, ob ja nichts drin ist, was mit den Forderungen zusammenhängt oder gar mit ihnen identisch ist. Das ist nicht zumutbar. Die Entscheidung ist auch deshalb zu kritisieren, weil die beiden Punkte gar nicht kontrovers waren. Früher hatte das BAG mal ausgeführt, dass bei „untergeordneten“ Fragen die Rührei-Theorie nicht gelte – warum sollte man dies nicht auch auf unstrittige Fragen beziehen, die wie hier im Grunde zufällig in das Forderungspaket gekommen waren?…“ Interview mit Wolfgang Däubler vom 9. August 2016 aus Nachrichten für Betriebsräte beim Bund-Verlag online externer Link

  • Solidaritätserklärung mit der GDF
    Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit Entsetzen haben wir erfahren, dass das Bundesarbeitsgericht Euch dazu verurteilt hat, für einen Streik im Jahr 2012 Schadenersatz in Millionenhöhe an den Flughafenbetreiber Fraport zu zahlen. Angeblich hättet ihr die Friedenspflicht verletzt. Mit dem Gang vor das Gericht wollen Euch Fraport und die Fluggesellschaften einschüchtern und Eurem legitimen Streik die Berechtigung absprechen. Flankiert vom Bundesarbeitsgericht ist die gegnerische Seite mit dieser miesen Strategie nun durchgekommen. Das Urteil stellt einen frontalen Angriff auf das in Deutschland sowieso bereits nicht sehr umfassende Streikrecht dar. Wir finden es klasse, dass ihr euch davon nicht einschüchtern lasst und die Auseinandersetzung nun auch auf anderen Ebenen fortsetzen wollt. Wir wünschen Euch viel Durchhaltevermögen und Erfolg bei Eurem Kampf gegen diesen Angriff auf die fundamentalen Rechte der Arbeiterinnen und Arbeiter. Eure Initiative Arbeitskampf Frankfurt„.  Die Solierklärung der neu gegründeten Frankfurter Intiative Arbeitskampf mit der GDF, per e-mail am 2.8.2016
  • Wie und warum das Bundesarbeitgericht die Macht neoliberaler Wirtschaftspolitik stärkt – Eine Analyse des vom BAG tolerierten Angriffs von Fraport auf die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF)
    „Wer bestimmt, wie es wirtschaftlich abläuft? Keine Frage – eine auf Neoliberalismus orientierte Wirtschaftspolitik, die sich nichts anders mehr vorstellen kann, als den Interessen von Industrie, privaten Dienstleistern und Banken möglichst brav zu folgen. Da dürfen sich Gewerkschaften zwar mal mit einem Streik einmischen, aber nur solange dadurch nicht der kapitalistische Ablauf zu sehr gestört wird, was auch heißt, Bahn- und Flugverkehr sollten immer zuverlässig funktionieren. Beim Vorfeldlotsenstreik der GdF in Frankfurt im Februar 2012, war der kapitalistische Alltagstrott erheblich gestört. Flüge fielen aus, den Fluggesellschaften drohten hohe Verluste und (nicht nur) die Fluggäste begriffen oft nicht, dass es gar keinen Streik hätte geben müssen, hätte Fraport die Forderungen der GdF – bzw. in dem Fall den Schlichtervorschlag – einfach akzeptiert. An dieser Stelle griff nun rigoros das Bundesarbeitsgericht ein und bezeichnete den Streik der GdF – anders als die Vorinstanzen – als „rechtwidrig“ und machte die GdF „schadensersatzpflichtig“. Die einzige Einschränkung: Die konkrete Höhe soll das Hessische LAG festlegen und die Forderungen der Fluggesellschaften Lufthansa und Air Berlin wurden als sog. „Drittbetroffene“ nicht anerkannt. Erleichtert titelte das Handelsblatt nach der BAG-Entscheidung „Zügel für Streikwütige“, entsprechend der Haltung von Tobias Brors, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner der Kanzlei Arqis, der meinte, „dass ein Streik nicht zum haftungsrechtlichen Nulltarif zu bekommen ist und daher nicht leichtfertig durchgeführt werden sollte“. Der von Brors gewünschten Verpflichtung der Gewerkschaften zur „stärkere(n) Rücksichtnahme“ auf die Interessen der kapitalistischen Gegenseite, hat das BAG also mit seiner Entscheidung entsprochen und damit die Möglichkeiten der gewerkschaftlichen Durchsetzung einer Rücksichtnahme auf die Interessen der abhängig Beschäftigten erheblich geschwächt…“ Beitrag von Armin Kammrad vom 2. August 2016 . Uns darin wichtig: „… Deshalb sollten die großen Gewerkschaften aufpassen und nicht das BAG-Urteil nur als einen Nebenschauplatz einer außerhalb ihrer Interessen liegenden Berufsgewerkschaft betrachten. So reicht es beispielsweise nicht, zum Thema „Gute Arbeit 4.0 – Sozialpartner denken Flexibilität neu“ sich mit Arbeitgebern und Politik zu einem unverbindlichen Gedankenaustausch zusammenzusetzen, wie es der DGB und ver.di für den September planen. Flexibilität setzt auch die Möglichkeit einer flexiblen Handhabung von organisierter, kollektiver Arbeitsverweigerung voraus, um die Interessen der abhängig Beschäftigten zu sichern und durchzusetzen. Dem BAG ging es um eine Grundsatzentscheidung, die jede Streikaktivität betreffen können, was auch darin zum Ausdruck kommt, dass die Festsetzung des konkreten Schadensanspruchs der Vorinstanz überlassen wird und man auf Schadensbegrenzung bei den Forderungen der Fluggesellschaften achtete, um sich nicht dem Vorwurf einer existenziellen Zerstörung der GdF aussetzen zu müssen, was auch für eingefleischte Dogmatiker als unverhältnismäßig erscheinen könnte. Wichtig war für das BAG die Drohkulisse „Schadensersatz“ überhaupt gegen streikende Gewerkschaften im deutschen Arbeitsrecht wiederzubeleben…“
  • Zumutbar oder nicht: Arbeitsrechtler bewerten Entscheidung zu Schadenersatzansprüchen bei Streik unterschiedlich. Urteil wird in jedem Fall Folgen haben
    „Einig sind sich die Juristen: Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in Erfurt von vergangener Woche, wonach die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) nach einem Streik schadenersatzpflichtig sein soll, ist wegweisend. Es erhöht das finanzielle Risiko eines Ausstands gewaltig. Bei der Einordnung allerdings gibt es Differenzen: »Das Streikrisiko ist aus meiner Sicht in unzumutbarer Weise gestiegen«, zitierte die Nachrichtenagentur dpa am Montag den Bremer Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler. Sein Bonner Kollege Gregor Thüsing allerdings kann nur »zumutbare Erschwernisse« in der Entscheidung erkennen, wie ebenfalls dpa berichtete. (…) Nun gelte bei Arbeitskämpfen im übertragenen Sinne: »Ein faules Ei verdirbt das Omelett«, so Thüsing. Der Jurist wertet die Entscheidung als Überraschung: »Es ist bemerkenswert, dass das Bundesarbeitsgericht erstmals ernst gemacht hat mit Schadenersatz bei einem Streik.« Für ihn handelt es sich aber um keine Benachteiligung der kleinen Gewerkschaften, bei denen die Funktionäre lediglich ehrenamtlich arbeiten, da das Urteil ja für alle gelte. Däubler sieht das Geschehen deutlich kritischer: »Nun müssen die Gewerkschaften noch vorsichtiger sein.« Dabei würden Konzerne bereits jetzt vermehrt versuchen, mit juristischen Mitteln gegen Streiks vorzugehen. Er habe sich eine Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenforderung vom Bundesarbeitsgericht gewünscht. »Dass jede auch unbedeutende Forderung bei Verletzung der Friedenspflicht zu einem rechtswidrigen Streik führen kann, halte ich nicht für richtig«, sagte er…“ Bericht von Claudia Wrobel bei der jungen Welt vom 2. August 2016 externer Link
  • Die Gewerkschaft der Flugsicherung (GDF) zum Urteil:
    • „… „Diese Betrachtungsweise des BAG führt zu einer massiven Risikoverschiebung des Streikgeschehens zu Lasten der Gewerkschaften und gefährdet die grundgesetzliche Arbeitskampffreiheit“, analysiert GdF Bundesvorsitzender Matthias Maas. „Jede noch so kleine und nebensächliche Tarifforderung kann den Arbeitskampf an sich in Frage stellen. Gewerkschaften, die sich wegen jeder Kleinigkeit potenziellen Millionenschäden gegenübersehen, sind nicht mehr frei in der Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen.“…“  In der Pressemitteilung zum Urteil BAG vom 27.07.2016 externer Link
    • „… Einige Aspekte des laufenden Verfahrens sind mit der BAG-Entscheidung nun abschließend geklärt, andere noch nicht. Dies betrifft insbesondere Schadenshöhe und Mitverschulden der Fraport durch ihr Verhalten in der damaligen Tarifauseinandersetzung. Beides wird die GdF im weiteren Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht aufgreifen und sich gegen den Anspruch mit allen Mitteln zur Wehr setzen. Weitere rechtliche Möglichkeiten, wie z. B. den Gang zu internationalen Gerichten, prüfen wir. Sie kommen aber erst in Frage, wenn das Verfahren vor den deutschen Gerichten endgültig abgeschlossen ist…“ Aus der Mitgliederinfo 27.07.2016 auf der Startseite der Gewerkschafts-Homepage externer Link
  • Die Keule Schadensersatz: Das neue Fluglotsenurteil des BAG
    „… Während die Rechtsprechung einerseits ihre Linie zur Zulässigkeit gewerkschaftlicher Streiks im Laufe der Jahre nicht zuletzt als Reaktion auf die zunehmende Nutzung dieses Kampfmittels etwa bei Warnstreiks, Solidaritätsstreiks und Flash-Mob-Aktionen gelockert hatte, nutzt sie nun als „Reservekeule“ das in anderen westeuropäischen Ländern völlig unbekannte Mittel des Schadensersatzes, um die Handlungsfreiheit der Gewerkschaften gegenüber den Unternehmen erneut massiv zu beschneiden. Bemerkenswert ist daran, vor welchem konkreten Hintergrund dieses geschieht: Die GdF hatte nicht etwa eigene Forderungen zum Gegenstand des Streiks gemacht sondern die Empfehlungen eines unabhängigen Schlichters. Dieser hatte dabei auch Nebenforderungen mit einbezogen, für die wegen einer Teilkündigung des Tarifvertrages noch formal die Friedenspflicht galt. Was hätte die GdF tun sollen ? Nicht mehr das Gesamtpaket der Verhandlungen zum Verhandlungsgegenstand machen ? Auch wenn es sich bei den Nebenforderungen nicht um zentrale Punkte handelte, so waren sie Teil des Gesamtpakets,. Ihre willkürliche Abtrennung wäre lebensfremd gewesen und hätte zudem einen massiven Eingriff in die Koalitionsfreiheit einer Gewerkschaft bedeutet. Doch das war noch nicht alles: Der völlig zu Recht erhobene Einwand der GdF, auch bei Verzicht auf diese Forderung wäre es zum Streik gekommen und zwar mit denselben Folgen, wurde zurückgewiesen. Das – so das BAG – wäre dann ein „anderer Streik“ gewesen… (…) Streiks, die nicht „weh“ tun, sind keine Streiks ! Es wird Zeit, die Verteidigung des Streikrechts wieder zu einem zentralen Thema zu machen. Praktisch aber auch auf dem Wege der fachlichen Kritik an dieser Art Rechtsprechung.“ Kommentar vom 28.7.2016 von und bei Rolf Geffken externer Link. Siehe dazu:

  • Das Handelsblatt zum BAG-Urteil gegen die GdF: Zügel für Streikwütige [!]
    „Das Bundesarbeitsgericht spricht Fraport nach einem Streik der Fluglotsen Schadensersatz zu. Nach Ansicht von Arbeitsrechtlern ein Urteil mit Signalwirkung. Gewerkschaften werden künftig zwei Mal überlegen müssen. (…) Heftige Kritik kam von Nicoley Baublies, dem Chef der neuen Luftfahrt-Dachgewerkschaft IGL. „Es ist ein politisches Urteil, das dem gegen schlagkräftige Berufsgewerkschaften stehenden Zeitgeist entspricht.“ Baublies spielt damit auf höchst umstrittene Arbeitskämpfe kleiner Gewerkschaften wie der GdF, der Pilotenvereinigung Cockpit oder der Lokführergewerkschaft GDL an. Treten ihre Mitglieder in den Ausstand, stehen schnell weite Teile des Luft- oder Zugverkehrs still. Leidtragende sind dann regelmäßig die Reisenden als unbeteiligte Dritte. Die Bundesregierung hatte deshalb bereits das Tarifeinheitsgesetz beschlossen, um die Macht kleiner Spartengewerkschaften zu beschneiden. (…) Aus Unternehmersicht sei die Entscheidung voll zu begrüßen, sagte Tobias Brors, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner der Kanzlei Arqis. Dass die Richter Fraport nun Schadensersatz zugesprochen hätten, verpflichte die Gewerkschaft künftig zu stärkerer Rücksichtnahme. (…) Das Urteil dürfte im Ergebnis dazu führen, dass Gewerkschaften sich bei Streikaufrufen künftig umsichtiger und zurückhaltender verhalten, erwartet Arbeitsrechtler Brors. „Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts stellt insoweit klar, dass ein Streik nicht zum haftungsrechtlichen Nulltarif zu bekommen ist und daher nicht leichtfertig durchgeführt werden sollte.“ Kommentar von Frank Specht vom 26. Juli 2016 beim Handelsblatt online externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=101860
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