Amazon-Belegschaften ändern ihre Streiktaktik: «Es fängt immer mit einem selber an»

Postkartenaktion „Solidarität mit den Streikenden bei Amazon!“Seit 2013 streiken Ver.di-Mitglieder bei Amazon für einen Tarifvertrag. Die Auseinandersetzung ist ein Beispiel für Widerstand gegen prekäre Arbeitsbedingungen in Großbetrieben. Doch der Kampf, der fast alle Standorte in Deutschland ergriffen hat, kommt nicht von ungefähr. Er ist Ergebnis eines langen Prozesses, in dem Beschäftigte begannen, sich zusammenzuschließen und Strategien zu erproben. Eine aktuelle Broschüre von «Organisieren – Kämpfen – Gewinnen» (OKG) beleuchtet das Ver.di-Organizing-Projekt bei Amazon und zeichnet den Aufbau einer gewerkschaftlichen Aktivengruppe im Betrieb und in der Gewerkschaft nach…“ Violetta Bock im Gespräch mit Christian Krähling, Vertrauensmann der ersten Stunde bei Amazon Bad Hersfeld, in der Soz 11/2016 externer Link. Siehe dazu:

  • Wichtiges zur Änderung der Streiktaktik aus dem Interview: „… Am Anfang dachten sie wahrscheinlich mehr oder weniger, nach ein paar Monaten ist der Spuk vorbei, dann haben sie sich ausgetobt und es ist Ruhe. Dem war aber nicht so. Dann fuhr man die Schiene, wir kriegen es trotzdem hin, die Produktion aufrecht zu erhalten und der Streik kratzt uns nicht so. Dann merkten sie aber, dass vor allem das Image durch die Streiks ziemlich angekratzt war. Also haben sie eine ganz starke öffentliche Kampagne gefahren, mit viel Geld und viel Aufwand. Bis heute. Das zeigt Wirkung. Intern wird Propaganda betrieben, Leute bearbeitet, sog. Mitarbeiterzeitungen rausgebracht. Man bildete so eine Art Öffentlichkeitsausschuss, dem normale Kolleginnen und Kollegen angehören. Sie sind dafür zuständig, mit der Presse zu reden. Mehr Geld kriegen sie dafür nicht. Amazon hat Leute dafür gewonnen, öffentlich in der Zeitung aufzutreten und dafür zu sprechen, dass Amazon keinen Tarifvertrag braucht. Und dann habe ich festgestellt, dass die Geschäftsleitung jetzt langsam aggressiver auf uns reagiert. Im persönlichen Umgang wird man härter. Nicht durch Kündigung, aber man macht zum Beispiel Druck auf den Betriebsrat nach dem Motto: «Überlegt euch mal, wem man da vertrauen kann.» Früher waren die Manager eher freundlich, haben bei Streiks Nummern ausgetauscht und gesagt, wir sollen anrufen, wenn was ist. Jetzt versucht man stärker, Sachen zu unterbinden – das war früher nicht so. Das liegt meiner Meinung nach daran, dass wir, auch wenn wir nicht mehr das große Wachstum haben, Stück für Stück immer mehr werden und langsam an die Schwelle kommen, an der es drinnen stressiger wird. Gerade durch den Wechsel unserer Strategie zeigen unsere Aktionen an Tagen, an denen es für die im Betrieb stressig wird, immer Wirkung. Unser Streik am Prime Day hat richtig gesessen. Und da war die Stimmung extrem aufgeladen…“
  • Siehe dazu: Amazon: „Die Streiks sind ein Witz“. Seit vier Jahren ruft Verdi ständig zu Streiks bei Amazon auf – doch die Kunden spüren nichts. Denn Amazon schafft es, die Streiks immer wieder zu unterlaufen.
    „„Die Streiks sind ein Witz.“ Gerrit Heinemann lässt kein gutes Haar an den Plänen der Gewerkschaft Verdi, den Onlineriesen Amazon mit Arbeitsniederlegungen in die Knie zu zwingen – oder zumindest an den Verhandlungstisch. Heinemann gehört zu den führenden Experten für Internethandel in Deutschland, ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Niederrhein in Krefeld und weiß, wovon er spricht. Eine durchschlagende Wirkung des Arbeitskampfes vermag er nicht zu erkennen. Amazon habe das alles längst einkalkuliert, betont der Wissenschaftler. (…) Während der Versandriese selber von einer „überschaubaren“ Beteiligung spricht, gibt sich Thomas Voß kämpferisch: „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Arbeitsabläufe erheblich betroffen waren und Amazon sein Kundenversprechen nicht immer einlösen konnte“, resümiert der Verdi-Experte für Versand- und Onlinehandel. Pro Schicht sollen sich im Schnitt nach seinen Angaben 20 bis 30 Prozent der Mitarbeiter am Austand beteiligt haben. Und er kündigte für die kommenden Wochen weitere Streikmaßnahmen an. Flexibel wolle Verdi reagieren und dort streiken, wo die Auftragsvolumen hoch seien. (…) Amazon [hat] weitere Versandzentren aufgebaut, unter anderem in Dortmund (NRW) und Frankenthal (Rheinland-Pfalz). Bei Auftragsspitzen, wie jetzt um die Weihnachtszeit, helfen sich die Standorte gegenseitig aus. Das macht die Streiks für Verdi besonders schwierig, denn Amazon hat auch im nahen Ausland gebaut, zum Beispiel in Polen. (…) Mittelfristig sieht Hudetz einen weiteren Hebel, um streikbedingte Auswirkungen zu vermeiden, aber auch um Kosten im margenschwachen Online-Geschäft zu reduzieren. Nämlich: die weitere Automatisierung und der verstärkte Einsatz von Robotern in den Logistikzentren…“ Artikel vom 06.11.2016 bei der FAZ online externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=106666
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