Resignation und spontane Kämpfe von Berufskraftfahrern

stop inhuman working conditions in road transportBericht von Karsten Weber vom Juni 2016, darin u.a. Bericht von Streik und Blockaden in Belgien sowie ein Brief der Streikaktivisten in Rußland

Der Transport auf der Straße wächst kontinuierlich, während der Preisdruck im Transport erhöht wird. Die Frachtkosten wurden gedrückt und die Arbeitsbedingungen in der Branche kontinuierlich verschlechtert. Das Warenlager wurde auf die Straße verlagert und die Just-in-time-Produktion macht nicht nur die Branche selbst, sondern die gesamte Wirtschaft immer angreifbarer und anfälliger für Störungen mit unabsehbaren Folgen.

In Frankreich gehören die LKW Fahrer zu der militanten Spitze der Streikenden, ihre Blockaden lassen sich nicht so leicht räumen. In Deutschland fand der letzte große LKW Streik 1983 statt. Die gewerkschaftliche Organisierung sank mit dem sinkenden Einsatz der Gewerkschaft für Belange der Fahrer. Der einst beachtliche Organisierungsgrad der Berufskraftfahrer bei der ÖTV ist heute bei Verdi kaum mehr nennenswert. Unter Fahrern heißt es: „Nichtvertreten können wir uns selber und billiger“. Vor einigen Jahren gab es Versuche selbstorganisiert das zu tun, worauf man so lange bei der Gewerkschaft vergeblich gehofft hat: Den Protest auf die Straße tragen. Nach der anfänglichen Euphorie setzte eine Ernüchterung ein, als sich herausstellte, daß zu den selbstorganisierten Aktionen nie mehr als 200 Kollegen zu mobilisieren waren. Als Gründer der größten Selbstorganisation die Möglichkeit erhielt, im Bundestag eine Rede zu halten, ließ er sich von der SPD um den Finger wickeln und so hofft die Fahrerorganisation nun auf die Möglichkeiten eines parlamentarischen Weges.

Der Druck ist in dieser Branche in den letzten Jahren grenzüberschreitend so gestiegen, daß Fahrern die Hutschnur platzt und sie die Arbeit verweigern, ohne daß es von einer Organisation vorbereitet worden ist. Einem Streik in Belgien ging eine ähnliche Entwickung voraus, wie in Deutschland. Die Selbstorganisation, die mehrere Protestaktionen organisiert hat, verschwand auch dort wieder in der Versenkung. Doch die Einführung einer LKW Maut führte Anfang April zu einem spontanen Streik auch ohne Organisation.

Streik und Blockaden in Belgien

Es war keine vorbereitete Aktion. Die Maut, die technischen Probleme ihrer Umsetzung und die zusätzlichen Kosten, waren der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. Die Proteste unterschieden sich im Süden Belgiens stark von denen im Norden. Während an den Grenzübergängen zu den Niederlanden und Deutschland vor allem nicht vorhandene oder defekte On-Board Units (Obu) für LKW-Staus und Unmut unter Fahrern und Transportunternehmen sorgten, wollten die militanten Demonstranten im Süden die Höhe der Maut auf Autobahnen reduzieren und sie auf National- und Regionalstraßen wieder abschaffen. Auf die Barrikaden gingen dort vor allem kleine, nicht verbandsgebundene Unternehmen. Sie sehen die Maut als Kostenfaktor. Ein Keinunternehmer erkärte, er habe mit der Eurovignette 1250 EUR pro Lastwagen im Jahr bezahlt. Durch das kilometerabhängige neue Mautsystem sei es nun der gleiche Betrag monatlich.

Nicht einmal eine Woche nach dem Start der LKW-Maut, zeigten die Proteste und Blockaden Wirkung. Einigen Tankstellen in den Provinzen Lüttich im Südosten und Hennegau im Südwesten des Landes ging der Sprit aus, weil wütende LKW-Fahrer den Zugang zu einer Raffinerie versperrten. „Die Blockaden verursachen immense wirtschaftliche Probleme“, erklärte die Sprecherin der Supermarktkette Colruyt. Aktionen vor den Logistikzentren des Unternehmens in Ghislenghien und Ollignies, beide in der Provinz Hennegau, behinderten die Belieferung der Colruyt-Supermärkte. Lidl, die deutsche Handelskette, war von der Blockade des Logistikzentrums in Courcelles (Hennegau) betroffen. Der belgische Unternehmerverband lehnte die Blockaden ab, ihr deutsches Pendant BGL bat das Bundesverkehrsministerium um „wirksame Unterstützung, um die für Fahrer unerträglich werdende Situation schnellstmöglich zu bereinigen“. Die Europäische Kommission fordert die Lobby auf, „für die Aufrechterhaltung des freien Warenverkehrs in der EU“ zu sorgen.

Der Belgische Staat kam dieser Aufforderung nach und ließ die Polizei mit Großeinsätzen gegen die Blockaden in der Wallonie vorgehen. Widerspenstigen drohte man mit dem Entzug des Führerscheins für 15 Tage und dem Verlust ihrer Lastwagen.
Recht ähnlich entwickelte sich in Rußland bereits im vergangenen November spontan ein Arbeitskampf der LKW Fahrer gegen die Einführung eines neuen Mautsystems. Doch hier gelang es dem Staat nicht, den Arbeitskampf mit Drohungen und polizeistaatlichen Mitteln zu beenden. Nach einer fünfmonatigen Auseinandersetzung konnten die LKW Fahrer mit großen Teilerfolgen und der Gründung einer Organisation, den Arbeitskampf erhobenen Hauptes beenden.

Brief der Streikaktivisten in Rußland:

Es tut uns sehr leid, dass wir uns so lange nicht gemeldet haben.
Tatsächlich war die Genossin, die für uns übersetzt hat, nicht mehr durchgehend in Russland, doch das Problem lag aber vor allem darin, dass wir mit so vielen neuen Aufgaben beschäftigt waren, dass wir nicht mehr den Informationskanal mit unseren Freunden und Freundinnen aus Deutschland gepflegt haben. Die Gründung der neuen Organisation, die Arbeit an unserer Homepage und jetzt auch die Lohnarbeit, das alles hat dazu geführt, dass wir es nicht geschafft haben, früher zu antworten.

Jetzt ein kurzer Bericht für Dich über das, was in den letzten Wochen bei uns so passierte:Am 30. April hatten wir eine russlandweite Gründungstagung für unsere neue Organisation veranstaltet. Es kamen ca. 300 Delegierte (LKW Fahrer, Selbstfahrende Unternehmer, Kleinspediteure und Transportarbeiter) aus unterschiedlichsten Regionen Russlands. Am Ende des anstrengenden Tages mit vielen Vorträgen, Diskussionen und langen Besprechungen der Satzung, wurde unsere neue Organisation gegründet. Sie wird weiterhin parteiunabhängig sein und „von unten“ organisiert sein. Wir stellen uns die schwierige Aufgabe für eine Gewerkschaftsarbeit mit der die Schutz der Selbstständigen Fahrer und den kleinen Fahrzeugbesitzer zu vereinen. Wir denken, dass wir nur so mit Problemen in unserer Branche (wie die Einführung des Platon Maut Systems) umgehen können. Außer der Forderung nach der Abschaffung der Platon Maut, haben wir auch andere Forderungen aufgenommen, die unseren Bereich, die Infrastruktur und die Tarife betreffen. Unsere neue Organisation heißt «ОПР» („OPR“: Vereinigung der Transportarbeiter Russlands“).

  • Kurz davor haben wir unsere eigene Homepage online gebracht. Wir versuchen sie mit eigenen Kräften zu führen und zu verwalten. Sie ist leider nur auf Russisch: http://www.opr.com.ru/ externer Link
  • Am 1. Mai, am nächsten Tag nach der offiziellen Gründung der Organisation, haben wir unser Protestcamp in Chimki aufgelöst und damit auch unseren Streik beendet. Wir haben in diesen fünf Monaten (von 3. Dezember bis 1. Mai) viele Sachen erreicht. Vor allem ist es der Zusammenschluss der kritischen LKW Fahrer; die Reduzierung der Tarife für das Platon System dreifach; die Reduzierung der Strafen für die die keine Platonsystem benutzten fast 100fach. Das Hauptziel unseres Streikes ist leider noch nicht erreicht. Trotzdem denken wir, dass es besser ist, jetzt andere Protest- und Kampfstrategien zu wählen. Mit der Gründung von OPR hoffen wir neuen Mitglieder zu gewinnen und gemeinsam weiter zu kämpfen.
  • Jetzt sind viele von uns am Arbeiten (natürlich niemand von uns benutzt in unseren Fahrten System Platon), manche gerade nur Aktivismus und arbeiten bei dem Protest bzw. bei dem Aufbau der neuen Organisation. Wie es weiter geht, und vor allem wie es sich finanziell zu organisieren lässt, eine neue Organisation aufzubauen, ist uns selbst noch nicht klar. Der aktuelle Schwerpunkt liegt vor allem in der Planung der nächsten Schritte des Protests, der Koordinierung der Aktionen in unterschiedlichen Regionen und der Fahrten durch Regionen, um unseren Ansatz der horizontalen Selbstorganisation der Fahrer für die anderen Trucker deutlich zu machen.
  • Ende Mai bis Ende Juni planen wir eine Protesttour durch einen großen Teil Russlands. Die Idee ist, die LKW Fahrer in den neuen Regionen zu erreichen und auch einen neuen Kraft für den Kampf gegen System Platon und andere Probleme unserer Branche, zu bekommen. Leider haben wir schon jetzt Probleme mit der Polizei (so wurde vor drei Tagen der Vorsitzende unserer neuen Organisation festgenommen und wegen der Aktionen verhört.

Danke vielmals für die durchgehende Solidarität mit uns und auch für die Verbreitung der Information!!
Das ist für uns sehr sehr wichtig.

Solidarische Grüße aus unterschiedlichen Teilen Russland
Protestierende LKW Fahrer
Solidaritätserklärungen bitte an: solidarity_trucker@yahoo.com

  • Es gab eine Infoveranstaltung in Hamburg über den Arbeitskampf der Fahrer in Rußland. Erwähnenswert ist dabei eine Anekdote von dem Streikcamp in Chimki nördlich von Moskau. Die Streikaktivisten hatten dort „Schimpf-Schichten“ eingerichtet, in denen jeweils zu Fahrer über Funk ihren fahrenden, streikbrechenden Kollegen die Meinung geigten. Nach zwei Stunden wurden sie von den nächsten wütenden Fahrern abgelöst.
  • Man überlegt, falls es hier Interesse gibt, mit Aktivisten des Streiks eine Infotour durch Deutschland zu unternehmen. Interessenten wenden sich bitte an: kilometerfresser@chefduzen.com
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=99969
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