Einige Rückblicke auf das Jahr 2015 – und Ausblicke

Dossier

SilvesterIn Ermangelung einer allgemeinen gesellschaftspolitischen Rubrik (weil wir unsere Kernkompetenz der unsererseits ohnehin breit gefassten Gewerkschaftsthematik nicht noch weiter verlassen wollen) dokumentieren wir in einem Beitrag in den allgemeinsten unserer Rubriken eine kleine Auswahl von Rückblicken auf das besonders ereignisreiche Jahr 2015, natürlich kaum möglich ohne daraus folgende Ausblicke auf die kommenden Herausforderungen. Darin – neben dem vollständigen Artikel von Ernst Wolff: “ Apokalypse oder Reset – was erwartet uns 2016?“ sowie „Konfetti? Bitte in Grau. Deutschland in der Weltwirtschaft vor einem (fast) berechenbaren Jahr 2016.“ Artikel von Sebastian Gerhardt aus der aktuellen Lunapark Nummer 32 – unser Zitat zum neuen Jahr aus Deutscher Einheit(z)-Textdienst 1/2016 von Werner Lutz: Was sich im Neuen Jahr alles nicht ändert

  • Rückblick auf das Jahr 2015: Freihandel, Mindestlohn, Griechenland, Flucht
    Ein Jahr geht zuende – ein guter Zeitpunkt für einen Rückblick. Wir dokumentieren nachstehend interessante Artikel aus 2015 zu den Themen Freihandel, Mindestlohn, Griechenland sowie Flucht, die im Laufe des Jahres auf annotazioni.de sowie auf weiteren Blogs und Webseiten erschienen sind…“ Rückblick von und bei Patrick Schreiner vom 23. Dezember 2015 externer Link
  • Ohne Zukunft
    Wieder ist ein Jahr vorbei. Privat war es für mich ein schwieriges Jahr – mit ausgesprochen gutem Ende. »You’re riding high in April / Shot down in May / But I know I’m gonna change that tune / When I’m back on top, back on top in June.« So ist das Leben. Doch mir schwant Böses, wenn ich auf 2016 blicke. Ob wir da »back on top in June« sein werden? Schon dieses Jahr hat eine Dynamik angenommen, die uns Sorgen bereitet hat. Wir befinden uns in einer Eskalationsspirale. Die Positionen und Fronten verhärten sich. Es gleitet ab. Gibt Rückfälle in die Archaik vergangener Generationen, Anti-Aufklärung, Verschwörung als Leitansatz neuer politischer Bewegungen und Hate Speech als Einstieg in politisches Interesse. Kurzum, die Zukunft ist ungewisser denn je…“ Beitrag von Roberto J. De Lapuente vom 22. Dezember 2015 in seinem Blog ad sinistram externer Link
  • Ein extremes Jahr
    geht zu Ende und flassbeck-economics macht Pause. Vieles ist passiert und wir hoffen, dass es bald wieder einmal Normalität im besten Sinne geben wird. Wir haben sehr viele neue Freunde in diesem Jahr gewonnen. Wir sind aber auch nicht davor zurückgeschreckt, die Dinge auf den Punkt zu bringen und damit Widerspruch zu provozieren. Aufklärung ist mehr denn je gefordert. Die Widersprüche in unserer Welt werden von Tag zu Tag größer und viele Menschen finden sich nicht mehr zurecht…“ Beitrag vom 22. Dezember 2015 von und bei Heiner Flassbeck externer Link
  • Was sich im Neuen Jahr alles nicht ändert
    Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
    wie Sie wissen, beginnt das Neue Jahr mit vielen Änderungen. Das verursacht bei den meisten Menschen Unsicherheiten und Ängste. Aus diesem Grund möchten wir Ihnen nachfolgend eine Übersicht geben, was sich alles nicht ändert:
    1. Auch wenn niemand mehr von Banken abgewiesen werden darf, wenn er ein Konto eröffnet, heißt das noch nicht, dass etwas draufkommt. Im Gegenteil: wie bei Spielcasinos gilt weiterhin der Grundsatz: die Bank gewinnt.
    2. Mit der Erweiterung der Pflegestufen bleibt auch die traditionelle Vollpflegevon politischen Mandatsträgern weiter erhalten. Der deutsche Bundestagsabgeordnete genießt auch in Zukunft hohe Diäten und Zusatzzahlungen durch den Steuerzahler.
    3. Bei der FIFA oder dem DFB gilt die feste Regel, dass es offiziell nie eine Bestechung gibt, auch wenn es immer danach aussieht.
    4. Beim Briefversand bleibt die unumstößliche Sicherheit, dass es zu weiteren Portoerhöhungen kommt –sogar noch öfter.
    5. Zwar müssen Unternehmen künftig dreißig Prozent an Frauen in Führungspositionen einsetzen, aber keine Angst: für die Tätigkeit der Frauen bleibt natürlich alles beim Alten. Sie sollen Kaffee kochen für Sitzungen und das kleine Büffelt bei längeren Beratungen organisieren. Die Berufskleidung für Frauen in Führungspositionen umfasst sogar ein nettes Servierschürzchen.
    6. Auch wenn Sie Ihren Elektroschrott künftig bei den Firmen abliefern können, bei dem Sie ihn gekauft haben, erhalten Sie ihn als Neugerät verpackt beim Kauf umgehend zurück.
    Und zu Guter Letzt: Bundesregierung und Bundeskanzlerin bleiben, und wie immer geht der Verbraucher stabil und gut gelaunt ins Neue Jahr!
    Ihre Bundesanwaltschaft für positive Meinungsbildung

    Aus Deutscher Einheit(z)-Textdienst externer Link 1/2016 von Werner Lutz
  • Apokalypse oder Reset – was erwartet uns 2016?
    Die meisten Menschen werden in diesen Tagen des Jahreswechsels von einem Gefühl unbestimmter Zukunftsangst beherrscht. Sie spüren, dass unsere Gesellschaft an einem Punkt angekommen ist, an dem es so wie es bisher nicht weitergehen kann. Höchste Zeit also, einmal Bilanz zu ziehen und eine Standortbestimmung vorzunehmen…“ Artikel von Ernst Wolff vom 30.12.2015

Apokalypse oder Reset – was erwartet uns 2016?

von Ernst Wolff, 30.12.2015

Die meisten Menschen werden in diesen Tagen des Jahreswechsels von einem Gefühl unbestimmter Zukunftsangst beherrscht. Sie spüren, dass unsere Gesellschaft an einem Punkt angekommen ist, an dem es so wie es bisher nicht weitergehen kann. Höchste Zeit also, einmal Bilanz zu ziehen und eine Standortbestimmung vorzunehmen.

Wie sind wir in die gegenwärtige Lage geraten?

Die Welt, in der wir leben, hat sich in den vergangenen Jahren von Grund auf verändert. Der alles entscheidende Wendepunkt war die Krise von 2007 / 2008. Nach über drei Jahrzehnten der Deregulierung des Finanzsektors hatte ausufernde Spekulation zu riesigen Schuldenblasen geführt. Der Zusammenbruch des kreditgetriebenen US-amerikanischen Häusermarktes ließ eine davon zerplatzen und trieb internationale Großbanken, Versicherungen und Konzerne rund um den Globus in den Ruin.

Anschließend zwangen die hinter diesen Institutionen stehenden Investoren die Politik, die bankrotten Unternehmen nicht abzuwickeln, sondern im Zuge der größten Vermögensumverteilung in der Geschichte der Menschheit mit Hilfe von Steuergeldern am Leben zu erhalten. Den arbeitenden Menschen, die die für diesen „Bail-out“ notwendigen Summen erwirtschaftet hatten, wurde erklärt, das Ganze geschehe zu ihren Gunsten, denn die geretteten Unternehmen seien „too big to fail“ („zu groß, um sie zusammenbrechen zu lassen“)

Obwohl die Politik damals hoch und heilig versprach, die Finanzmärkte zu bändigen oder zumindest in die Schranken zu weisen, geschah – nichts. Im Gegenteil: Unter dem Vorwand, die Wirtschaft wieder ankurbeln zu wollen, begannen die wichtigsten Zentralbanken der Welt nach der Krise, Unsummen an Geld zu drucken und sie genau denen, die den Zusammenbruch zu verantworten hatten, zu immer niedrigeren Zinssätzen zur Verfügung zu stellen. Diese wiederum stecken das billige Geld seitdem nicht in die lahmende Wirtschaft, sondern in den viel lukrativeren, aber auch riskanteren Finanzsektor und blähen ihn auf diese Weise sogar noch weiter auf. Da sie seit 2008 sicher sein können, dass Großinvestoren im Notfall wieder als „too big to fail“ gelten und erneut gerettet werden, ist ihre Risikobereitschaft heute größer als vor 2008.

Die Langzeitfolgen der letzten Krise tragen die arbeitenden Menschen

Auch die Langzeitfolgen der Rettung von 2007 / 2008 wurden nicht etwa den dafür Verantwortlichen in Rechnung gestellt, sondern auf die arbeitenden Menschen abgewälzt: Um die durch die Bankenrettung entstandenen Löcher in den Staatskassen zu stopfen, müssen sie seit der Krise im Rahmen der „Austeritätspolitik“ Massenarbeitslosigkeit, niedrigere Löhne und Renten, höhere Steuern und geringere Sozialleistungen in Kauf nehmen. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist ein unaufhaltsamer Anstieg der sozialen Ungleichheit, die inzwischen ein historisches Ausmaß angenommen hat: 2015 verfügten weniger als einhundert Menschen über ein größeres Vermögen als die Hälfte der Menschheit.

Das von den Zentralbanken praktizierte Gelddrucken bei kontinuierlicher Zinssenkung hat zu immer größeren Blasen an den Aktien-, Anleihe- und Immobilienmärkten und zu einer vollständigen Verzerrung der ökonomischen Realität geführt. Waren diese Märkte früher ein Gradmesser für den Zustand der Realwirtschaft, so spiegeln sie heute in erster Linie das Ausmaß der Manipulation durch die Zentralbanken wider.

Noch dramatischer ist die Entwicklung im Bereich der Derivate (reine Finanzprodukte, die mit der Realwirtschaft nichts zu tun haben). Obwohl sie das globale Finanzsystem bereits zweimal (1998 und 2007 / 2008) existenziell bedroht haben, haben ihr Umfang (der wegen mangelnder Regulierung nur annähernd geschätzt werden kann) und damit auch ihr Gefahrenpotential seit der letzten Krise weiter zugenommen.

Das globale Finanzsystem gleicht einem Drogenabhängigen

Durch die nach 2007 / 2008 zur Stützung des Weltfinanzsystems ergriffenen Maßnahmen ist eine Abhängigkeit entstanden, die es so noch nie gegeben hat: Damit die Aktien-, Anleihen- und Immobilienmärkte nicht in sich zusammenbrechen und das gesamte System mit in den Abgrund reißen, müssen Investoren unablässig mit neuem Geld zu immer günstigeren Zinssätzen versorgt werden. Dabei ist klar, dass die kontinuierliche Erhöhung der Geldmenge irgendwann zur vollständigen Geldentwertung und damit in eine Hyperinflation führen muss. Die Europäische Zentralbank zum Beispiel hält nicht nur an dieser Strategie fest, sondern weitet sie derzeit sogar noch aus. Der Grund dafür, dass sie tagtäglich 2 Mrd. Euro ins System pumpt, wirft ein bezeichnendes Licht auf den Zustand des Systems: Ohne diese Manipulation könnte es in der gegenwärtigen Form nicht aufrecht erhalten werden.

Da die Senkung der Zinsen bereits die Nullgrenze erreicht hat und nun immer weiter in den Minusbereich vordringt, werden bereits Maßnahmen getroffen, um den arbeitenden Menschen den Rückzug aus dem bestehenden Geldsystem abzuschneiden: Die drastische Einschränkung des Bargeldverkehrs und ein geplantes Bargeldverbot sind nichts anderes als Barrieren, die errichtet werden, um eine Flucht der breiten Masse aus den Bankkonten hin zum Bargeld zu verhindern. Auch das „Bail-in“ (die Heranziehung der Einlagen von Sparern und Kleinaktionären im Fall eines Bankzusammenbruchs), das ab dem 1. Januar 2016 für alle Banken im Euroraum gilt, ist im Grunde nichts anderes als die Vorbereitung einer umfassenden Enteignung arbeitender Menschen für den Fall, dass die Banker sich erneut an den Finanzmärkten verspekulieren.

Sieben Jahre nach der Krise von 2008 markiert 2015 einen Wendepunkt: Die bisherigen Maßnahmen zeigen wie bei einem Drogensüchtigen immer weniger Wirkung und müssen daher in immer höheren Dosen verabreicht werden. Dennoch bleibt die Wirkung zunehmend aus. Dafür treten immer stärkere Nebenwirkungen auf, die das Spiel zunehmend gefährlicher machen. Anders ausgedrückt: Das Finanzsystem ist an einem Punkt angekommen, an dem die bisherigen Maßnahmen großenteils ausgereizt sind und eine Umkehr das System als Ganzes zum Einsturz bringen würde. Die Realwirtschaft wiederum kann sich nicht erholen, da die Renditen dort nicht annähernd so hoch sind wie auf den Finanzmärkten. Schlimmer noch: Die höchsten Gewinne sind in den kommenden Monaten genau da zu erzielen, wo sie den größten sozialen Schaden anrichten – im Bereich der Währungsspekulation in den Schwellenländern.

Wie lange kann es so weitergehen?

Die Frage, die sich aufdrängt, lautet: Wie lange kann dieses System noch bestehen? Eine präzise Antwort darauf lässt sich nicht geben. Einen globalen Schuldenstand von über 200 Billionen US-Dollar hat es in der Geschichte der Welt noch nicht gegeben. Auch negative Zinsen waren bisher unbekannt und für das Gelddrucken gibt es keine bekannte Obergrenze. Dass es irgendwann zur Hyperinflation führen muss, steht fest, aber niemand kann sagen, wie weit die Aktien-, Anleihen- und Immobilienmärkte sich noch künstlich aufblähen lassen, bevor die Blasen zerplatzen. Sollten die Zentralbanken an die Grenzen ihrer Möglichkeiten stoßen, steht noch der Internationale Währungsfonds (IWF) mit seiner eigenen Währung, den „Sonderziehungsrechten“, zum Eingreifen bereit. Diese bereits 2008 in großem Stil eingesetzte Währung wird ausschließlich an Staaten vergeben und könnte einen Crash im Ernstfall noch um einige Zeit hinauszögern.

Dennoch ist es angesichts der vielen wirtschaftlichen Krisenherde nicht ausgeschlossen, dass ein unvorhergesehenes Ereignis (ein „black swan“) das gesamte Kartenhaus zum Einsturz bringt. Sollte das geschehen, stünde die Welt von einem Augenblick auf den anderen vor der größten Krise aller Zeiten. Das Weltfinanzsystem hat sämtliche Länder so eng miteinander verknüpft, dass kein Winkel der Erde von seinem Zusammenbruch und der resultierenden Entwertung des Papiergeldes verschont bliebe.

Die größte Gefahr lauert nicht in Finanzsektor

Die derzeit größte Gefahr lauert allerdings weder im Finanzsektor, noch in der Realwirtschaft, sondern im Bereich der Politik. Die politisch Verantwortlichen wissen – genau wie die wirtschaftlich Mächtigen – um die allseits lauernden wirtschaftlichen und finanziellen Gefahren und greifen daher zu zwei in der Vergangenheit bewährten Mitteln: Um von den wahren Schuldigen und der eigenen Korruptheit abzulenken, bauen sie Feindbilder auf und bereiten Kriege vor. Die USA als mächtigstes und gleichzeitig sozial am stärksten zerrissenes Land setzen zunehmend auf militärische Gewalt und legen seit Längerem die Grundlagen für einen Krieg gegen Russland. Ihre Politik gegenüber der Ukraine und den ehemaligen Ostblockstaaten dient der ständigen Provokation der Regierung Putin. Unterstützt wird sie durch den treuesten Verbündeten der USA im Nahen Osten, Saudi-Arabien, das seit 2015 dafür sorgt, dass der Ölpreis, der bereits die Sowjetunion zu Fall gebracht hat, immer weiter sinkt – ein Prozess, den Russlands Führung auf Dauer nicht überleben kann.

Aber auch die übrigen Großmächte wie Großbritannien, Frankreich und auch Deutschland bereiten sich immer stärker auf militärische Auseinandersetzungen vor. Sowohl Russland, als auch China, das nach einem Fall der russischen Regierung sofort zur nächsten Angriffsziel der USA würde, unternehmen ebenfalls erhebliche Rüstungsanstrengungen.

Motor für diese internationalen Kriegsvorbereitungen sind allerdings nur vordergründig die Lage der Weltwirtschaft und die des globalen Finanzsystems. Entscheidender und für die Entwicklung des Weltgeschehens auch über das Jahr 2016 wichtigster Faktor auf unserem Planeten ist die exponentielle Zunahme der sozialen Ungleichheit.

Da sich die Welt fest im Würgegriff der Finanzindustrie befindet und diese nicht einmal zu den geringsten Zugeständnissen an die arbeitende Bevölkerung und die Armen bereit ist (man erinnere sich nur an die Ereignisse dieses Jahres in Griechenland), wird sich die soziale Ungleichheit in der vor uns liegenden geschichtlichen Epoche dramatisch verschärfen und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf das Heftigste entladen – in der Form von Armutsaufständen, Bürgerkriegen und riesigen sozialen Verwerfungen.

Wie wird es weitergehen?

Befindet sich die Welt angesichts dieser Perspektiven – Crash, Krieg, oder Bürgerkrieg – nicht in einer unaufhaltsamen und nicht mehr zu stoppenden Abwärtsspirale? Ist nicht jeder Versuch, den Lauf der Geschichte positiv beeinflussen zu wollen, von vornherein zum Scheitern verurteilt?

Der Zustand der Welt im Jahr 2016 könnte ein solches Urteil in der Tat nahelegen. Dennoch gibt es mehrere Entwicklungen, die in eine andere Richtung deuten. Sowohl die Manipulationen an den Finanzmärkten, als auch die Kriegsvorbereitungen, die internationale Aufrüstung, die weltweite Brutalisierung der Polizei und die mit Macht vorangetriebene Erklärung des radikalen Islamismus zum Menschheitsfeind Nr. 1 sind ja kein Zeichen der Stärke der derzeit Mächtigen. Im Gegenteil: Sie belegen ihre Schwäche und ihre Angst vor Veränderung. Säßen die Finanzelite und die ihr hörigen Politiker wirklich fest im Sattel, wären sie nicht darauf angewiesen, einen riesigen weltumspannenden Medienapparat zu unterhalten, der nur dazu dient, die globale öffentliche Meinung zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

Ein Blick auf den Vorwahlkampf in den USA zeigt, wie dort Milliarden von Dollar dafür ausgegeben werden, eine geradezu hysterische Angst vor dem Islamischen Staat zu schüren. Sinn und Zweck dieser Übung ist es, davon abzulenken, dass die wirklichen Feinde der arbeitenden Bevölkerung an der Wall Street und im Weißen Haus sitzen. Das Gleiche gilt für Frankreich nach den Terroranschlägen von Paris: Obwohl die Ursache für die Attentate in den verheerenden sozialen Verhältnissen der französischen und belgischen Vorstädte zu suchen ist, wurden sie vom politisch angeschlagenen Präsidenten zum Anlass für eine radikale Verschärfung der Sicherheitsgesetze und für die Ausweitung des Kriegseinsatzes in Syrien genommen – obwohl sonnenklar ist, dass die Terrorgefahr dadurch nicht verringert, sondern erhöht wird.

Allerdings zeigt der Einfluss der Mainstream-Medien auf das Denken der Massen seit 2007 / 2008 erhebliche Ermüdungserscheinungen und hat im Jahr 2015 seinen bisherigen Tiefstand erreicht. Umfragen belegen, dass immer mehr Menschen den verbreiteten Informationen immer weniger Glauben schenken, und dem Verhalten der Wähler im Jahr 2015 kann man entnehmen, dass immer mehr den etablierten politischen Kräften den Rücken kehren. Allerdings können sie den ihnen aufgezwungenen Meinungen in vielen Fällen keinen klaren eigenen Standpunkt entgegensetzen, da ihnen der politische und wirtschaftliche Durchblick fehlt. Außerdem sind sie durch die Erfahrungen, die sie in der Vergangenheit gemacht haben, weitgehend desillusioniert und resigniert.

Sowohl Desillusionierung, als auch Resignation werden allerdings durch die vor uns liegenden Ereignisse durchbrochen werden: Ob Crash, Krieg oder Bürgerkrieg – wenn es um die eigene Haut geht, dann werden auch die Frustriertesten aufwachen und sich zu regen beginnen. Ihr größtes Problem wird allerdings die politische Orientierung sein.

Aus diesem Grund bleibt auch 2016 die wichtigste Aufgabe die Aufklärung. Nur wer erkennt, dass nicht islamistischer Terror, sondern das Bündnis aus rücksichtslosen Spekulanten, korrupten Politikern und den ihn hörigen Journalisten die Menschheit in den Abgrund zu reißen droht, kann sich gegen diese historische Herausforderung zur Wehr setzen. Die Gefahren, vor denen die Welt steht, waren nie so groß wie heute, aber auch die Chancen, die Mehrheit der Menschen zu einem Umdenken zu bewegen, waren – dank der modernen Kommunikationstechnologien – nie größer.


Konfetti? Bitte in Grau

Deutschland in der Weltwirtschaft vor einem (fast) berechenbaren Jahr 2016

Beginnen wir jenseits des Tellerrandes. Am 16. Dezember, wenn diese Zeitschrift auf dem Weg zu ihren Leserinnen und Lesern ist, wird in Washington D.C. das Federal Open Market Committee seine Entscheidung über den künftigen Leitzins verkünden. Überraschen wird das Ergebnis wohl nicht: Eine Erhöhung steht an.

Gut sechs Jahre nach dem offiziellen Tiefpunkt der letzten Krise im Juni 2009 zeigt sich die US-Wirtschaft in stabiler Verfassung. Die Profitrate des US-Unternehmenssektors hatte sich vom Tiefpunkt Ende 2008 mit etwa acht Prozent schon bis Mitte 2010 auf 15 Prozent rasch erholt und blieb seither etwa in dieser Höhe. Mit einiger Verzögerung – erst mussten die Verluste ausgeglichen werden – folgten die Investitionen und schließlich auch die Jobs: Die Arbeitslosenrate lag im Oktober 2015 bei fünf Prozent. Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts liegt zwar unter dem Niveau der Vorkrisenjahre, ist aber robust. Zuletzt zog auch die Rendite der kurzfristigen US-Staatspapiere, der 3-Monats-T-Bill, an. Anders als im Haushaltsstreit im Oktober 2013 handelt es sich dabei nicht um einen kurzen Warnschuss für die Tea Party, die im Parteienstreit die Grundlagen erfolgreicher Akkumulation aus den Augen zu verlieren drohte. Diesmal handelt es sich um eine Trendwende: Angesichts profitabler Anlagealternativen muss der US-Finanzminister dauerhaft höhere Zinsen anbieten. Die Leitzinsen folgen nur.

Seit Beginn der Diskussion über eine US-Leitzinserhöhung wurden auch Befürchtungen über negative Folgen laut. Manche Spekulanten sehen die hohen Aktienkurse an der Wall Street in Gefahr. Doch das Kurs-Gewinn-Verhältnis ist zwar hoch, aber von den Boomjahren weit entfernt. Dean Baker schrieb im Frühjahr in counterpunch: „Natürlich muss man auf mögliche Blasen an den Finanzmärkten achten, aber zugleich „das Bild mit klaren Augen sehen – und nicht ‚Feuer‘ rufen, nur weil jemand eine Zigarette anzündet“. Ohne einen Boom gibt es keine Blase. Ein Boom ist an den Finanzmärkten aber nicht in Sicht.

Die realen Bau- und Anlageinvestitionen werden von den etwas höheren Zinsen kaum beeinflusst. Die weiter sinkende Arbeitslosigkeit stärkt die Position der Beschäftigten. Von daher wäre Raum, um im Jahr der US-Präsidentschaftswahlen endlich die Interessen der arbeitenden Bevölkerungsmehrheit nach Einkommen (höherer Mindestlohn!) und einem besseren Leben (gesetzlicher Urlaub!) nachdrücklich zu vertreten. Selbst Hillary Clinton muss auf entsprechende Forderungen Rücksicht nehmen. In der ungeheuren Aggressivität der republikanischen Präsidentschaftskandidaten zeigt sich dagegen eine tiefe Verunsicherung: Einerseits nutzten die US-Eliten den Staat zur Rettung aus der Finanzkrise und konnten dabei ihre soziale Macht auf allen Ebenen stärken. Andererseits erkennen sie im größeren staatlichen Einfluss auf Wirtschaft und Finanzen, verkörpert nicht zuletzt in der gewachsenen Staatsverschuldung, auch die prinzipielle Möglichkeit eines politischen Eingriffs in ihr Eigentum. Gerade deshalb erhöhen reiche Privatleute ihr Spendenvolumen für die anstehenden Wahlkämpfe massiv.

Neben dem eigenen Land gibt es in der US-Statistik noch den „rest of the world“. Dort ergibt sich ein differenziertes Bild. Die Schwellenländer haben ihre Aufholjagd der Jahre bis 2012 seither nicht einfach fortsetzen können. Die Umstellung des chinesischen Akkumulationsmodells auf einen stärkeren Binnenkonsum geht mit geringeren Wachstumsraten einher. Russland und lateinamerikanische Länder trifft der Preisrückgang bei Rohstoffen, nicht nur beim Öl. Während der Globalisierungsjahre nach 1995 war der Welthandel regelmäßig rascher gewachsen als die Weltproduktion. 2015 ist das Gegenteil der Fall. Die Aufräumarbeiten nach der Krise sind in den imperialistischen Metropolen weitgehend abgeschlossen. Damit verstärkt sich ihr Druck auf den Weltmarkt. Was früher „entwickelte Industrieländer“ hieß und inzwischen „fortgeschrittene Volkswirtschaften“ genannt wird, hat in den letzten drei Jahren deutlich höhere Wachstumsraten erreicht. Neben den USA wurde dieses Wachstum etwa von Großbritannien und Deutschland bestimmt. Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Produktivität im globalen Norden und Süden bedeutet das eine erneute Vergrößerung des Abstands zwischen Arm und Reich im Weltmaßstab.

Für einen allgemeinen Aufschwung in Europa reichte es bisher noch nicht. In vielen europäischen Ländern ist die soziale Krise nicht vorbei, die sich seit Ende 2008 entfaltet hat. Aber für die Unternehmen ist außerhalb Griechenlands eine Rückkehr zum „business as usual“ greifbar. So negative Folgen die Austeritätspolitik für die Bevölkerung und für die Staatshaushalte hatte, die Unternehmensbilanzen haben sich verbessert. Trotzdem wird die EZB noch auf längere Sicht an ihrer „lockeren Geldpolitik“ festhalten, denn die deutschen Staatspapiere sind der sichere Hafen für die Euro-Finanzmärkte, und Investoren zahlen auch drauf, um diesen Hafen zu erreichen.

Aus der deutschen neoliberalen Professorenzunft wird die EZB für die Subventionierung von Trittbrettfahrern am deutschen Konjunkturzug kritisiert, zuletzt im Jahresgutachten der Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Die Mehrheit des Rates – außer, selbstverständlich, Peter Bofinger – spricht sich klar gegen die EZB-Politik und zum wiederholten Male für eine Insolvenzordnung für Staaten aus. Darüber hinaus würden die Professoren gern Staatsschulden mit allen anderen Schuldforderungen von Banken gleichstellen, d.h. die Schuldenaufnahme für schwache Länder nochmals verteuern.

Dieser kurzsichtige Finanznationalismus hat keine Aussicht auf Realisierung. Dass er überhaupt vorgebracht wird, zeigt das überbordende Selbstbewusstsein der Kopflanger des deutschen Kapitals. Sie blicken auf ein Jahr voller Erfolge zurück: Überschüsse in der Leistungsbilanz und im Staatshaushalt, moderate Lohnsteigerungen im Inland, die Kapitulation von Syriza und die Bestätigung der Attraktivität des „Modells Deutschland“ durch die Flüchtlingsströme. Selbst die nähere Zukunft ist überschaubar. Kein Wachstumseinbruch bei den Haupthandelspartnern, keine Wiederholung der Griechenlandkrise ist 2016 in Sicht. In diesen Punkten stimmen auch die Keynesianer des gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung/IMK und das Herbstgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute zu.

Daher können sich die Professoren des Sachverständigenrats in Ruhe Gedanken über die gesteigerte „Zukunftsfähigkeit“ ihres Erfolgsmodells machen und singen dabei – mehrheitlich – das Lob des Marktes. Sicher wird kein deutscher Finanzminister dem Vorschlag folgen, die Verzinsung eines großzügig berechneten „Grundkapitals“ von Unternehmen steuerfrei zu stellen. Weder die angepriesene Privatisierung der höheren Bildung noch die Deregulierung der digitalen Infrastruktur wären auch nur in der CDU mehrheitsfähig. Ein bisschen wirken diese neoliberalen Fingerübungen wie eine akademische „Tea Party“: der Wirklichkeit entrückt, einem Paralleluniversum entstammend und zutiefst konventionell. Etwas anderes als Markt, Eigentum und Recht fällt den Professoren nicht ein; wie der Tea Party.

Der Unterschied zwischen den USA und hier besteht darin, dass die neoliberalen Professoren angehört und bezahlt – aber nicht ans Steuer gelassen werden. Pegida und AfD mobilisieren, gefährlich genug, wildgewordene Kleinbürger nach Feierabend. In den USA ist die Tea Party dagegen ein anerkannter Teil der Republikaner, die wieder Regierung werden wollen. Anders als ihre US-amerikanischen Partner sind sich die deutschen Eliten sicher, dass die Krise seit 2007 ihre Politik bestätigt hat. Sie sind nicht zu politischen Experimenten aufgelegt; noch nicht einmal nach rechts.

Sicher muss 2016 nicht so verlaufen, wie die Experten es heute vorhersagen. Auch ganz oben ist die Stimmung gedämpft. Wie mit den weltpolitischen Konflikten vor den Türen der EU umgegangen werden soll, ist noch nicht einmal strittig, sondern unklar. Gemeinsam mit den imperialistischen Kollegen – nur: Wird das reichen? Kein Marshallplan für den Südrand des Mittelmeeres wird vorgeschlagen. Man traut sich nicht mal das. Die Klimakonferenz in Paris nimmt in den Medien breiten Raum ein. Es wird berechnet, wann die Marshall-Inseln wahrscheinlich im Ozean verschwinden. Selbst die naheliegende Beziehung zwischen den Kriegen im Nahen und Mittleren Osten und der Kontrolle einer weltweit energietechnisch zu 50 Prozent auf Erdöl und Erdgas basierenden Ökonomie scheint in der Klimaberichterstattung zuweilen auf. Doch die in Aussicht genommenen Maßnahmen? Zutiefst konventionell: Technik, Markt, Staat. Das wird nicht reichen.

Ja, 2016 wird manches anders laufen als vorausberechnet. Anfang dieses Jahres hatten auch nicht viele eine Syriza-Regierung und eine breite Flüchtlingsbewegung nach Kerneuropa auf dem Schirm. Am Ende dieses Jahres wissen wir jedoch, dass auch unerwartete Wendungen die bestehende Verteilung der Ressourcen nicht außer Kraft setzen.

Die Linke hat die Kräfteverhältnisse nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.

Artikel von Sebastian Gerhardt aus der aktuellen Lunapark Nummer 32

Sebastian Gerhardt lebt und arbeitet in Berlin, vor allem für die Stiftung Topographie des Terrors und das Deutsch-Russische Museum Berlin-Karlshorst. Neben der Redaktion und Geschäftsführung von lunapark21 noch anderweitig politisch aktiv, z.B. in der Initiative für einen neuen kommunalen Wohnungsbau (http://www.inkw-berlin.de externer Link ). Zitat nach: http://www.counterpunch.org/2015/04/29/is-the-stock-market-another-bubble/ externer Link

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=91112
nach oben