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Führungswechsel bei der CGT

Die CGT, mit rund 700.000 Mitgliedern der noch immer stärkste Gewerkschaftsdachverband in FrankreichArtikel von Bernard Schmid vom 05./06. Februar 2015 – eine Quellensammlung dazu (mit Link zu diversesten Artikeln) wird nachgereicht

Am Ende stieg zwar kein weißer Rauch auf (und auch kein roter), um eine Parallele zur erfolgreichen Papstwahl zu ziehen. Und es war auch nicht nötig, die Teilnehmer/innen an der Wahl so lange einzusperren, um eine Einigung zu erzielen. Am Dienstag dieser Woche, den 03. Februar um kurz vor 13 Uhr war es so weit: Die CGT, mit rund 700.000 Mitgliedern der noch immer stärkste Gewerkschaftsdachverband in Frankreich, der in diesem Jahr sein 120jähriges Bestehen (1895 bis 2015) feiern wird, hatte einen neuen Generalsekretär. Philippe Martinez wurde mit 93,4 % der Delegiertenstimmen beim Conseil confédéral national (CCN), einer Art „kleinem Gewerkschaftstag“, an die Spitze gewählt.

De facto hatte seit drei Monaten ein Vakuum an der Spitze geherrscht. Denn der kurzlebige Generalsekretär Thierry Lepaon, seit März 2013 im Amt, hatte sich – politisch schwer angeschlagen – einige Wochen lang an seinem Sitz festzukrallen versucht. Doch dann wurde er zum Rücktritt gedrängt. Es ist erst zum zweiten Mal in der einhundertzwanzigjährigen Geschichte der CGT, dass ein Generalsekretär der CGT faktisch durch die Basis und die unteren sowie mittleren Führungsebenen aus dem Amt gemobbt wird (wenngleich die bürgerliche Presse ihrerseits ein erhebliches Scherflein dazu beitrug, an seinem Sitz zu sägen). Das letzte Mal war im Jahr 1909.

Nachdem er in der zweiten Januarwoche 2015 seine hinhaltenden Widerstände gegen einen seit Wochen von Vielen erwarteten Rücktritt aufgegeben hatte, fiel sein designierter Nachfolger am 13. Januar d.J. zunächst durch. Martinez, den Lepaon (wohl oder übel) als Nachfolger akzeptiert hatte, erhielt bei einem „außerordentlich“ einberufenen CCN damals zwar eine Mehrheit mit 57,5 % der Delegiertenstimmen für seinen Wahlvorschlag zum Bureau confédéral, dem zentralen Vorstandsgremium. Diese war jedoch nicht ausreichend, da für die Besetzung der Spitzengremien eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich ist. Martinez dreht gewissermaßen eine Ehrenrunde und arbeitete eine neue Liste für die Besetzung des zehnköpfigen Zentralgremiums aus; diese kam nun diese Woche auch durch. Die ursprünglichen Widerstände gegen seinen Wahlvorschlag vom Januar des Jahres hatten allerdings nicht so sehr seiner (Martinez‘) Person gegolten, sondern vor allem der Tatsache, dass sein aus dem Amt gedrängter Vorgänger – Lepaon – noch immer eine federführende Rolle bei der Zusammensetzung des ersten Wahlvorschlags gespielt hatte. Dies hatte nun ein Ende, und Lepaon hat sich in seine Herkunftsregion, die Normandie, zurückgezogen.

Doch das war passiert, und wie sind diese Ereignisse zu analysieren?

Am 29. Oktober 14 fiel der Startschuss für das, was Einige in der CGT als eine „äußere Pressekampagne“ erlebt wurde – welche jedoch aus dem Inneren des Apparats heraus alimentiert wurde, und ohne dieses Element auch nicht hätte funktionieren können. An jenem Mittwoch veröffentlichte die, an diesem Wochentag erscheinende, französische wöchentliche Satire- und Enthüllungszeitung Le Canard enchaîné einen Artikel, dem ein Faksimile einer Rechnung beigefügt war. Die Rechnung war durch ein Bau- und Renovierungsunternehmen ausgestellt worden und betraf Arbeiten zur Erneuerung einer Wohnung im eher „gehobenen“ Pariser Vorort Vincennes, in Waldnähe (nebenan liegt der berühmte Stadtwald Bois de Vincennes). Es handelte sich um die Dienstwohnung, die 2013 für den frischgebackenen Generalsekretär Thierry Lepaon angemietet worden war. Es war das erste Mal überhaupt, dass der Dachverband eine solche Anmietung unternahm: Die dreizehn vor Lepaon amtierenden Generalsekretäre stammten alle aus dem erweiterten Pariser Großraum und hatten alle ihre eigenen Wohnungen, in erreichbarer Weite vom Zentralsitz der CGT, der seit 1980 im Pariser Vorort Montreuil liegt.

Besagte Wohnung war für (je nach Angaben, die zwischen diesen beiden Zahlen variierten) 105.000 Euro respektive 130.000 Euro renoviert worden. Die Wohnung ist geräumig, aber nicht überdimensioniert – ursprüngliche Angaben von 120 Quadratmeter wurden alsbald auf 79 Quadratmeter revidiert -, liegt jedoch in nobler Wohnlage. Über die genannte Summe konnten Wirtschaftsbosse und Manager ohne Zweifel nur lachen. Dennoch wirkte sie verstörend. Erstens fügte die Zeitung ihren Informationen die Nachricht hinzu, die Wohnung sei kurz vor ihrer Anmietung durch die CGT bereits einmal renoviert worden. Zum Zweiten verfügt die CGT nur über einen kurzfristigen, dreijährigen Mietvertrag, ist also nicht Eigentümerin der Wohnung. Sprich, das Geld war für einen Privateigentümer zum Fenster hinausgeblasen worden, ohne dass dieser deswegen eine besonders günstige Miete gewährt hätte. Einige an der Spitze der CGT, konkret ihr damaliger Verwalter Eric Lafont (dem schon zuvor die Mentalität eines Parvenus nachgesagt wurde), waren offensichtlich von dem Standpunkt ausgegangen: „Geld spielt keine bedeutende Rolle, wir haben es ja!“ Nur handelte es sich um die Beiträge von Mitgliedern, deren Monatsverdienst oft eher in der Nähe des gesetzlichen Mindestlohns liegt. Hinzu kam, dass der ,Canard enchaîné‘ Stimmen aus der CGT zu Wort kommen ließ – unter anderem besagten Lafont. Dieser verbreitete sich mit der Erkenntnis: „Was wollen Sie denn?, wir konnte ihn ja schließlich nicht in Aubervilliers oder Clichy-sous-Bois unterbringen!“ Ausgesprochen im Tonfall der Entrüstung, nach dem Motto: So weit kommt’s noch! Es handelt sich um zwei ärmere Vororte von Paris mit starker Bevölkerungskonzentration. Die Mitglieder der CGT, die ebendort leben, durften diese Aussage ihres Verwalters „wertschätzen“.

Es folgten, Schlag auf Schlag, in den acht und vierzehn Tage später erscheinenden Ausgaben der Wochenzeitung weitere Enthüllungen. Es kam heraus, dass das (gar nicht sonderlich geschmackvoll) eingerichtete Büro Lepaons seinerseits für lockere 67.000 Euro renoviert worden war. Das wunderte Beobachter/innen aus der Nähe nicht unbedingt, da bereits bekannt war, dass Eric Lafont bei seiner Ankunft seinerseits die Lappalie von 20.000 Euro für eine, nicht gerade dringend notwendige, Renovation seines eigenen Büros ausgegeben hatte bzw. ausgeben ließ. Und die Wirtschaftszeitung ,L’Expansion‘ ihrerseits setzte nach mit der Information, Lepaon habe 2013, als er die CGT-Region Normandie für seinen Job in der Zentrale der CGT verließ, von Ersterer eine Abfindung von rund 30.000 Euro ausgezahlt bekommen. Dahinter steckte freilich eine Überlegung: Lepaon war formal in der Arbeitslosigkeit belassen worden, als er in der Normandie zu arbeiten begonnen hatte – um den geltend gemachten Schaden und dadurch die Abfindungssumme, die wegen ungerechtfertigter Entlassung gerichtlich von seinem vormaligen Arbeitgeber (dem Konzern Moulinex) eingefordert wurde, ein wenig die Höhe zu treiben. Die nachträglich abgegoltene Summe sollte dafür sorgen, dass Lepaon dennoch für diesen Zeitraum formeller Arbeitslosigkeit noch Sozialversicherungsbeiträge geltend machen konnte. Solche Tricks, hinter denen durchaus strategische Absichten stehen, gibt es nicht nur in diesem (Nicht-Einzel)fall. Freilich zog die regionale CGT sich damit auch das Risiko auf sich, wegen, juristisch ausgedrückt, vermeintlicher Schwarzbeschäftigung belangt zu werden.

Beim Publikum kam die ganze Chose jedoch noch mal anders an, nämlich wie der simple Vorwurf der Selbstbedienung. Diese Sichtweise war zu einfach. Umgekehrt gab es wesentlich schlimmere Dinge, die Lepaon intern vorgeworfen wurden, dem breiteren Publikum jedoch unbekannt blieben, etwa die Nutzung eines Fahrdiensts für private Zwecke (Einkäufe für Madame). Unter dem Strich war der Vorwurf vielleicht nicht der illegalen Selbstbedienung, aber einer Neureichen-Mentalität – endlich sind wir auch einmal an der Spitze und dürfen ausgeben – nicht völlig aus der Luft gegriffen. Lepaon drohte zunächst bei Krisensitzungen damit, müsse er gehen, dann werde er seinerseits nicht länger mit seinem Wissen über gewisse Praktiken anderer Funktionäre in Branchenverbänden hinter dem Berg halten. Das Erpressungsmanöver fruchtete jedoch nicht. Zugleich versuchte er es mit Manövern: Er zeigte sich in den ersten Januartagen d.J. zu seinem Rücktritt bereit, forderte dann jedoch zunächst – und quasi als Vorbedingung – den aller anderen Leitungsmitglieder, also auch den bisheriger Opponenten gegen seine Person und/oder seinen Kurs. Und er erklärte sich bereit, seinen bisherigen Lohn (er bezog ein Gehalt von 5.200 Euro) um eintausend Euro monatlich zu senken, was allerdings nichts als eine hohle Geste ohne riesige Wirkungen auf das Gesamtbudget darstellte. Angeblich hatte er diesen Beschluss sogar bereits ein Jahr zuvor gefasst bzw. vom Führungsgremium fassen lassen, ihn jedoch kurioserweise bis zum Jahreswechsel 2014/15 nicht umsetzen lassen.

Der Druck wuchs ins Immense und leitete schließlich, Anfang Januar 15, Lepaons Kapitulation ein. Doch er leitete zunächst den Stab, der interne Wahlvorschläge für die in Eile zusammengebastelte künftige Führungsspitze ausarbeiten sollte – und profitierte von der Gelegenheit, um auch seine eigenen bisherigen Widersacher aus dem ausscheidenden Bureau confédéral herauszukanten. Vor diesem Hintergrund fiel auch die erste Wahlvorschlags-Liste am 13. Januar 15 durch.

Die Pressekampagne war jedoch kein äußerliches Ereignis, das wie ein Gewitter auf die CGT eingeprasselt wäre. Vielmehr wurden die Zeitungsveröffentlichungen aus dem Inneren des Apparats heraus alimentiert. Die fragliche Rechnung, die als Faksimile im ,Canard enchaîné‘ publiziert wurde, war eine Woche zuvor in Briefumschlägen an alle Branchenverbände der CGT versandt worden. Das Dokument kam von innen.

Und was steckte dahinter? Zunächst einmal gab es einen unmittelbaren Anlass: Lepaon war ein schwacher Generalsekretär, der im März 2013 ohne eigene Hausmacht an die Spitze gespült worden war. Sein Name war als „kleinster gemeinsamer Nenner“ ins Spiel gekommen, weil sich das ganze Jahr 2012 hindurch die wesentlichen Strukturen der CGT nicht auf eine/n Nachfolger/in für den bisherigen Generalsekretär (und Ex-Eisenbahner) Bernard Thibault einigen konnten. Thibault hatte im Frühjahr 2012, er sähe gerne „eine Frau als Nachfolgerin“ – es wäre die erste Generalsekretärin in der Geschichte der CGT gewesen, jedenfalls beim Dachverband, während in den Branchenverbänden viele Frauen auch erste Positionen besetzen -, im Gespräch waren Nadine Prigent aus dem Gesundheitssektor und Agnèns Nathon, Direktorin eines Teils der Gewerkschaftspresse. Umgekehrt favorisierten Teile des Apparats den „Rentenexperten“ und Sekretär für Beschäftigungspolitik, Eric Aubin. Er gilt als kompetent, aber auch relativ „rechtslastig“ (für die Verhältnisse der CGT), u.a. auch wegen seiner Strategie im Rahmen des großen Rentenstreits und –streiks im Jahr 2010. Eine Einigung wurde nicht erzielt. Schlussendlich wurde Thierry Lepaon als, relativ schwache, „Kompromissfigur“ aufs Schild gehoben.

Es ist auf unzulässige Weise übervereinfacht, wenn Teile der bürgerlichen Presse hinter jedem schärfer ausgetragenen Konflikt innerhalb der CGT (partei)politische Spaltungslinien auszumachen versuchen. Die wirklichen Debatten und Konflikte heute sind oft andere. In der CGT gibt es seit ihrem Bestehen strukturelle Konflikte, weil ihre zentralen Gremien auf einer Doppelstruktur ruhen: Die Macht der Brancheverbände (fédérations) kreuzt sich mit jener der berufsgruppenübergreifenden Orts- und vor allem Bezirksverbände (Unions locales und Unions départementales, UL/UD). Beide Strukturen zusammen machen, vertreten durch ihre jeweiligen Vorsitzenden respektive Sekretäre/Sekretärinnen, den CCN aus, also das entscheidende Beschlüsse fassende „Parlament“ der CGT zwischen zwei Kongressen (Gewerkschaftstagen). Beide sind einflussreich, anders als beim DGB, wo die reale Macht vor allem bei den Branchengewerkschaften sitzt und der übergreifende Dachverband DGB daneben relativ schwach ausgeprägt bleibt.

Seit Jahrzehnten erwachsen daraus Konflikte, weil es strukturell unvermeidlich ist. Geht das kollektive Interesse der gemeinsam organisierten Beschäftigten in einem Betrieb vor (notfalls, im Konfliktfall, auch gegen die anderer Betriebe – Konkurrenten auf dem gleichen Markt, Zulieferer und Abnehmer-Unternehmen)? Oder ist das betriebs-, aber auch berufsgruppenübergreifende Interesse aller Beschäftigten vorrangig, auch dann, wenn das im Betrieb unter Umständen schlechter ankommt? Darauf wurden und werden unterschiedliche Antworten gegeben. Manche Mitgliedsgewerkschaften der CGT sind eher berufsgruppenegoistisch (corporatiste) und nehmen nur auf ihre Kernklientel Rücksicht, etwa an vielen Stellen im Staatsdienst (nicht jedoch in den Krankenhäusern). Andere sind stärker „universalistisch“ auf Gesamt-Lohnabhängigeninteressen orientiert. Manche sind sehr skeptisch gegenüber Verbindungen zu (organisierter) Politik und bleiben sogar Demonstrationen fern, wenn diese etwa durch Linksparteien aufgerufen werden – eingedenk früherer Erfahrungen mit der Dominanz durch die französischen KP, zwischen den 1940er und den 1990er Jahren, auf Distanz bedacht -, und andere scheuen es nicht, mit politischen Kräften an einem Strang zu ziehen.

Diese Widersprüche wurden in einer bestimmten Periode, etwa zwischen 1945 und Ende der 1970er Jahre, überdeckt oder übertüncht, indem man sich auf ein vermeintlich allen (in den Grundzügen und im Prinzip) gemeinsames Gesellschaftsprojekt berief: Der Sozialismus wird es richten, er wird die Widersprüche auf einer höheren Ebene aufheben. Und ein wenn nicht schlüsselfertig, so doch zumindest greifbares Modell für diesen Sozialismus schien es in den Augen Vieler in Frankreich (nicht nur bei der CGT) damals auch tatsächlich zu geben, im Osten des Kontinents, bis diese Referenz ab den 1980er Jahren gesamtgesellschaftlich zunehmend in Misskredit geriet. Bis dahin konnte man sich bei Widersprüchen etwa zwischen Beschäftigteninteressen im Betrieb und außerhalb (bei konkurrierenden Unternehmen, bei Zulieferern und Kundenunternehmen) darauf berufen, dass man überall gemeinsam das Wirtschaftssystem denunzierte und darauf insistierte, man habe gemeinsame Grundinteressen, die in der nachkapitalistischen Gesellschaft schon zusammenfinden würden. Und die Hauptamtlichenbürokratie, dies es gab und die de facto eigene (Schichten-)Interessen verfolgen konnte, musste ihre Legitimation immer wieder aufs Neue darin suchen, dass sie eine soziale Basis in der Lohnabhängigenschaft erfolgreich mobilisieren konnte. Eher selten kollidierten diese Interessen und dieser Imperativ offen, wie in den Anfängen der Mai 1968-Bewegung, als die französische KP die Bewegung offen auszubremsen versuchte, während Teile der CGT und vor allem ihre jüngere Basis von ihr mitgezogen wurden – die CGT-Spitze zeigte sich denn auch (rund um das Abkommen von Grenelle vom 27. Mai 1968) viel geschmeidiger, und dazu bereit, der Streikbewegung zu folgen, als die viel härter auf die Bremse tretende KP-Führung.

Diese frühere, die Widersprüche erfolgreich covernde Decke ist heute weggezogen. Denn auch wenn weite Teile der CGT nach wie vor nicht mit dem Kapitalismus (als „letztem Wort der Geschichte“) sich abfinden mögen, verfügt doch heute niemand über ein schlüsselfertiges Gesellschaftsmodell – auch wenn dies „gestern“ ebenfalls nur vermeintlich der Fall war. Deswegen treten Widersprüche mitunter offen, ungeschminkt und auf scheinbar chaotisierende Weise zu Tage. Hinzu kommt, dass örtliche und/oder auf Berufsgruppen zentrierte Verbände innerhalb der CGT sehr viel mehr eigene Gestaltungsmacht aufweisen, als dies etwa innerhalb der CFDT (sozialdemokratisch geprägt, rechtssozialdemokratisch geführter zweitstärkster Dachverband in Frankreich) der Fall ist. Auch wenn die Vorurteile der öffentlichen Meinung scheinbar Anderes besagen – da tatsächliche oder vermeintliche Sozialdemokraten scheinbar der Demokratie verpflichtet, tatsächlich oder (überwiegend) vermeintliche Kommunist/inne/n dagegen angeblich notwendig antidemokratisch seien -, ist das Ausmaß an innerverbandlicher Demokratie oder jedenfalls Autonomie der Strukturen bei der CGT heute ungleich größer als etwa bei der CFDT.

Vor diesem Hintergrund können jedoch innerverbandliche Kompromisse oft schwierig ausfallen. Zumal dann, wenn es keinen gesellschaftspolitischen Kompass mehr gibt. Unter Thierry Lepaon, der weder über eine starke Rückendeckung in einem Bereich (bei einer gewerkschaftlichen Orientierung, bei einem Branchenverband, bei einer – im weiteren Sinne – politischen Kraft) verfügte, sondern lediglich auf Sicht manövrierte, flogen der Spitze deswegen die Widersprüche um die Ohren. Und die Tatsache, dass Lepaon Mitte Oktober 14 gegenüber ,Le Monde‘ ankündigte, beim für Anfang 2016 programmierten CGT-Kongress (Gewerkschaftstag) erneut für ein zweites Mandat kandidieren zu wollen, brachte das Fass zum Überlaufen. Der Rest ist mittlerweile bekannt.

Was bringt der fünfzehnte Generalsekretär? Für eine Bilanz jeglicher Art ist es natürlich noch viel zu früh. Augenscheinlich ist es offenbar, dass es zu einer Repolitisierung der Führungsspitze kommt. Martinez kommt jedenfalls aus der französischen KP, in welcher er manchen Quellen zufolge noch Mitglied sein soll, der er anderen Angaben zufolge 2002 den Rücken kehrte (und zwar, weil die bis dahin neben den Wohngebiets- noch bestehenden Betriebsgruppen der Partei aufgelöst wurden, als aus einem klar inhaltlichen Motiv). Neben ihm kehrt ein Mitglied des ,Conseil national‘ („Nationalrat“, das erweitere Führungsgremium) selbiger Partei in das Bureau confédéral der CGT zurück, Pascal Joly aus dem Regionalverband der Pariser Großregion. Es ist das erste Mal seit 2001, als Bernard Thibault dieses Gremium verließ, dass eine solche Doppelmitgliedschaft besteht. Alte (scheinbare) „Pracht & Herrlichkeit“ der früheren KP-Kontrolle, die seit den 1940er Jahren die – in ihrer Gründungsphase einstmals anarcho-syndikalistische – CGT erfasst hatte, dürften kaum zurückkehren. Denn Erstens ist die Partei selbst heute weitgehend kompass- und strategielos und kann keine „Linie“ mehr vorgeben, weil die französische KP selbst längst über keine einheitliche Linie mehr verfügt, sondern lokale Strategien sich durchwurschteln. Zum Zweiten ist die, faktisch heute als linkssozialdemokratische Partei funktionierende, französische KP längst nicht mehr Trägerin einer „gesellschaftlichen Alternative“, das einstmals in Gestalt eines auf mehreren Kontinenten existierenden Gesellschaftssystems greifbar erschien.

Die ersten Ankündigungen der neuen Führung deuten darauf hin, dass diese verstärkt durch die Mobilisierung ihrer Basis in sozialen Kämpfen ihre Legitimation suchen wird – was erst einmal auf keine Fall schädlich sein kann. Martinez kündigte an, zu einer zentralen frankreichweiten Großdemonstration (voraussichtlich im März oder Anfang April 15) gegen die Austeritätspolitik zu mobilisieren. Diese soll gemeinsam mit anderen Kräften organisiert werden – nur deswegen wurde bislang noch kein präziseres Datum genannt, um Gesprächen mit den übrigen Gewerkschaftsverbänden nicht vorzugreifen -, wozu der Dachverband FO bereits seine Bereitschaft signalisiert hat. Ferner ging der 53jährige Ex-Metaller für eine neue Offensive zur Arbeitszeitverkürzung, auf 32 Stunden wöchentlich, in die Offensive. Diese Punkte deuten für’s Erste in eine richtige Richtung. Doch noch ist nicht aller Tage Abend.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=74740
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