Wer über 3.000 Wohnungen hat, soll enteignet werden: Das Volksbegehren in Berlin hat begonnen, die bundesweite Debatte darüber schon länger

Dossier

Kampagne zur Enteignung der „Deutsche Wohnen“Hohe Mieten sind eben kein Schicksal, wie es die wirtschaftsnahen Kreise immer erklären, sondern sind systembedingt. Das wurde auf einem Mieterspaziergang im Friedrichshainer Nordkiez am Freitagabend deutlich, der im Rahmen der Mietenaktionstage in Berlin stattgefunden hat. Dort berichtete die Bewohnerin der Rigaer Straße 77, dass die Mieter des Hauses kürzlich eine Mietminderung bekamen. Die Bewohner zahlen eine Miete von 3,50 Euro pro Quadratmeter. Die für viele Nachbarn unglaubliche Nachricht ist möglich, weil in dem Haus niemand mehr Profit aus der Miete zieht. Der günstige Mietpreis macht es möglich, dass die nötigen Instandhaltungen und Reparaturen getätigt werden können, aber eben niemand mehr Gewinn daraus schlägt. Die Wohnungen in dem Haus sind nur dadurch dem Profitstreben entzogen, weil das Anfang der 1990er Jahre besetzte Haus in Genossenschaftseigentum überging. Das macht deutlich, dass die Eigentumsfrage stellen muss, wer gegen hohe Mieten kämpfen will. Diese Eigentumsfrage gestellt zu haben, ist das eigentliche Verdienst der Initiative „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen“. Das zeigen die wütenden Reaktionen von Kapitalkreisen und ihren Parteien darauf. Die Experten, die jetzt immer mit Warnungen vor den Folgen der Enteignung zitiert werden, sind wirtschaftsnah. Wenn jetzt die FDP fordert, dass die Grundlage der Enteigungsforderungen, auf die sich das Volksbegehren bezieht, aus dem Grundgesetz gestrichen werden soll, zeigt sich nur einmal mehr das instrumentelle Verhältnis von kapitalfreundlichen Parteien zum Grundgesetz…“ – aus dem Beitrag „Die Mieterbewegung stellt die Eigentumsfrage“ von Peter Nowak am 07. April 2019 bei telepolis externer Link zu den politischen Auswirkungen des Volksbegehrens noch vor seinem Beginn… Siehe zum Thema „Enteignen“  auch ein aktuelles Interview und Hintergründe:

  • Enteignen! Was sonst? Und das ist erst der Anfang… New
    „… Doch wir dürfen eben nicht dabei stehenbleiben. Wir dürfen uns solche sozialdemokratischen Kompromisse eben nicht als die ultimativen Erfolge verkaufen lassen. Es gilt gerade jetzt noch zwei Schritte weiter zu gehen und wirklich eine gesellschaftliche Alternative zu dem herrschenden kapitalistischen System zu fordern und zu erkämpfen. Wir wollen nicht die unvorstellbaren Profite der Großunternehmen und Monopole ein klein wenig schmälern, sondern ihre auf unserer Ausbeutung beruhende Gesellschaftsordnung auf den Kopf stellen und ihr eine gerechte und solidarische, eine sozialistische Gesellschaft entgegensetzen. Wir dürfen nicht dabei stehen bleiben, allein die Enteignung von einzelnen Unternehmen wie Deutsche Wohnen, Vonovia und Co. zu verlangen, sondern wir müssen eben in allen gesellschaftlich notwendigen Bereichen die privat-kapitalistischen Unternehmen enteignen. Nur so können wir eine lebenswerte Zukunft für uns alle schaffen. Gleichzeitig kann solch eine Zukunft nur geschaffen werden, wenn der Enteignung die revolutionäre Umwälzung der herrschenden Verhältnisse und eine wirklich demokratische Kontrolle aller Lebensbereiche folgt. Die Beteiligung möglichst großer Teile der Bevölkerung an der Gestaltung und Verwaltung der gesamten Gesellschaft, sowie die Entwicklung einer neuen Kultur des Zusammenlebens sind zwingende Voraussetzungen für eine bessere Gesellschaftsform, jenseits von Ausbeutung und Unterdrückung…“ – aus dem Kommentar „Es gibt keine Alternative zur Enteignung!“ von Clara Bunke am 08. Juni 2019 bei Perspektive Online externer Link zur Debatte um die Enteignung der Wohnungskonzerne…
  • Sackgasse oder Einfallstor? Wie die Reaktionen auf das Wort „Enteignung“ unterschiedlich ausfallen… 
    Doch zurück zur „Enteignen-Kampagne“. So wie der Lohnkampf in die Profitstruktur des Kapitals eingreift, um diese zu gunsten der Werktätigen zu verändern, muss sich der Miet- und Wohnungskampf auch von dieser Überlegung leiten lassen. Allerdings ließen sich Eingriffe in die Profitmacherei mit Immobilien zugunsten der Mieter*innen – je nach den Kräfteverhältnissen zwischen Kapital und Arbeiter*innenklasse – nur durch außerökonomische Maßnahmen (Gesetze, Verordnungen, Kontrollstrukturen etc.) erzwingen. Wird der Fokus für eine politische Intervention in dieser Weise gelegt, wird das angestrebte Ziel  – Senkung der Miete – selbst zum Kriterium für die Bewertung der Strategie. Die rechtsformwechselnde Umwandlung einer privatwirtschaftlich betriebenen Immobilie in eine gemeinwirtschaftliche – und umgekehrt – ändert nichts an der Kostenstruktur der (Kalt-) Miete, mit der weiterhin Fremd- und Eigenkapital finanziert werden müssen, da diese Finanzierungsverpflichtung (auf jeden Fall für das Fremdkapital) trotz Rechtsformwechsel grundbuchlich gesichert bestehen bleibt. Zur Erinnerung: Als 2004 die städtische GSW von SPD und Linkspartei an Cerberus Capital Management für 405 Mio. Euro verkauft wurde, um deren Wohnungsbestand es heute in erster Linie bei der „Enteignen-Kampagne“ geht, wurden 1,56 Milliarden Euro Schulden mitverkauft. Enteignung als An- bzw. Rückkauf durch Entschädigung grundgesetzlich vorgeschrieben, egal in welcher Höhe, heißt von daher nicht nur Erwerb der Häuser sondern auch immer Übernahme der Schulden (Hypotheken). Damit hätte die heutige GSW-Kostenmiete im Hinblick auf die Verzinsung von Eigen- und Fremdkapital weiterhin Bestand. Hinzukämen Aufschläge für Verwaltung, Asset-Management und baulichen Unterhalt, ganz abgesehen von den sogenannten Betriebskosten. Von daher darf bezweifelt werden, dass sich die bisherige Miethöhe einer Immobilie durch einen Rechtsformwechsel, wie er von der Enteignen-Kampagne gefordert wird,  um einen Jota nach unten ändern würde…“ – aus dem Beitrag „Die „Enteignen-Kampagne“ ein Protestprojekt in der strategischen Sackgasse“ von Karl-Heinz Schubert in der Ausgabe 5-6/2019 von trend online externer Link zur Kritik an dieser Initiative. Siehe dazu auch einen weiteren Diskussionsbeitrag mit anderer Orientierung und dem Verweis auf die Reaktionen des Bürgertums:

    • „Debatte um Enteignungen: Ein Schritt in die richtige Richtung“ von Tomasz Konicz am 10. Mai 2019 bei telepolis externer Link, der unter anderem zur Reaktion auf das Kühnert-Interview hervor hebt: „Nichts Neues also? Nicht ganz: Irgendetwas scheint diesmal anders zu sein, etwas hat sich verschoben im kollektiven Unterbewussten der Gesellschaft, da diesmal die Bemerkungen des Juso-Vorsitzenden zum demokratischen Sozialismus und etwaigen Vergesellschaftungen von Produktionsmitteln, die sich immer noch als Anachronismen des 20. Jahrhunderts in SPD- und Gewerkschaftsprogrammen finden, eine regelrechte Hysterie ausgelöst haben. Nicht nur die üblichen neoliberalen Verdächtigen von der Presse und der politischen Konkurrenz – von Springer, FAZ, Welt, CDU, über FDP bis AfD – sind ausgerastet (die AfD forderte gar eine Überwachung der SPD durch den Verfassungsschutz). Auch Kühnerts Genossen suchten möglichst schnell das Weite. Sigmar Gabriel bat im Handelsblatt regelrecht um Verzeihung für die Entgleisungen des frechen Jungsozialisten, während der rechte Seeheimer Kreis in der SPD offen fragte, ob Kühnert nicht unter Drogeneinfluss gestanden habe. Diese hysterischen ersten Reaktionen auf das eingespielte Ritual der Jusos sind nicht nur Ausdruck der fundamentalen Rechtsverschiebung des politischen Spektrums im Verlauf der finsteren neoliberalen Jahrzehnte, die den Boden für den Aufstieg der Neuen Rechten bereitete. Es geht auch nicht nur um Wahlkampfrhetorik. Eine ideologisch gefestigte veröffentlichte Meinung reagiert nicht mit derart extremen Abwehrreflexen, wenn unbestimmte gesellschaftliche Alternativentwürfe ins öffentliche Gespräch gebracht werden. Die entsprechenden Äußerungen eines „Juso-Marxisten“ Gerhard Schröder lösten damals keinen vergleichbaren Skandal aus. Wenn nun die FAZ schreibt, Kühnert würde in dem Zeit-Interview an der Marktwirtschaft „zündeln“, dann scheint diese gesellschaftliche Struktur nicht mehr allzu stabil zu sein – sie ist nicht allzu „feuerfest“, um mal im Bild zu bleiben. Und eben dies gibt auch die FAZ als das Leitmedium der Bundesrepublik indirekt zu, indem sie einräumt, dass die postkapitalistischen Gedankenspiele Kühnerts „wieder mehr Menschen zu faszinieren scheinen“. Dieser in der Bevölkerung zunehmenden Sehnsucht nach einer Systemalternative zum Kapitalismus, nach einer demokratischen Kontrolle des Eigentums, habe der Juso-Chef „eine Stimme verliehen“…
  • Enteignen? Sowieso! Eigentum an Haus und Grund ist kapitalistische Ideologie 
    Auf die verschiedenen Spielarten dazu soll hier gar nicht weiter eingegangen werden, denn entscheidend ist, was Kühnert vermutlich mit seinem lapidaren „das wäre der Optimalfall“ (nämlich: keine privaten Vermietungen mehr) meint, was man hier zumindest intensiv hätte diskutieren müssen: Nämlich die völlig fiktive Idee vom Eigentum an Grund und Boden und dem, was darauf gebaut wird, ohne dass dies an eine Notwendigkeit für den Eigenbedarf oder eine Leistung für die Gesellschaft gekoppelt wäre. Eigentum sei ein Grundrecht, wird stets jedem entgegengehalten, der Immobilien „kollektivieren“ möchte. Sogar die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen enthalte die Eigentumsgarantie. Dabei werden jedoch zwei Dinge übersehen: Erstens verbieten beide Grundlagen gerade nicht die Nutzung von bisherigem Eigentum zugunsten der Allgemeinheit – Enteignung darf nur nicht willkürlich erfolgen und muss entschädigt werden (Art. 14 GG). Dabei ist das Willkürverbot natürlich ohnehin Grundsatz in jeder Demokratie. Zweitens aber ist damit überhaupt nicht gesagt, ob man Eigentum an Grund und Boden haben kann und was dessen Besitz ggf. bedeutet. Dass „Eigentum verpflichtet“ und sein Gebrauch „zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“ soll, halten ja immer noch viele für DDR-Propaganda, obwohl es seit 1949 in der bundesrepublikanischen Verfassung steht. Kann man Eigentum an Menschen erwerben? Nein, selbst dann nicht, wenn man sie selbst gemacht hat, um den Reproduktionsvorgang einmal kapitalistisch zu beschreiben. Kann man Eigentum an der Luft erwerben, die uns umgibt? Nein, weil da niemand ist, der dieses Eigentumsrecht verkaufen könnte. Das alles sind aber keine Naturgesetze, sondern Konventionen. Land zu beanspruchen weit über den persönlichen Bedarf hinaus, ist freilich keine neue Idee, sondern Kern und Geißel der menschlichen Zivilisationsgeschichte. Und es funktioniert nur aufgrund eines Herrschaftsverhältnisses, das aufgebaut wird, indem einerseits eine notwendige Zahl an Populationsmitgliedern am Profit dieser Herrschaft beteiligt wird und weil andererseits der große Rest der Bevölkerung zurecht daran glaubt, bei Missachtung der Eigentumsbehauptung ganz gewaltig Ärger zu bekommen…“ – aus dem Beitrag „Eigentum an Haus und Grund ist kapitalistische Ideologie“ von Timo Rieg am 02. Mai 2019 bei telepolis externer Link, der an die bescheidenen Ausführungen des Juso-Vorsitzenden anknüpft, um die Frage radikaler zu stellen…
  • Mit Schaum vor dem Mund: Die Reaktionen der Interessensvertreter des (nicht nur) Wohnungskonzerne-Kapitals, wenn auch nur das Wort enteignen fällt 
    Die Debatte um die Forderungen der Berliner Initiative wird mit harten Bandagen geführt. Auf ihrem kommenden Parteitag will sich die FDP als »Partei des Eigentums profilieren«, indem sie wieder einmal die Abschaffung von Art. 15 GG fordert. Zudem erleben die antikommunistischen Ressentiments, die die alte Bundesrepublik prägten, eine Renaissance, wenn zum Beispiel der CDU-Generalsekretär von »Methoden aus der DDR« spricht oder ein Zeitungskolumnist der Welt sich zu dem Spruch hinreißen lässt, »Wer Enteignung sagt, muss auch Gulag sagen.« Ich möchte in diesem Beitrag keine Exegese dazu betreiben, ob die Anliegen der Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« im Einzelnen rechtsdogmatisch valide sind. Drei unabhängige Gutachten, die vom Berliner Senat in Auftrag gegeben wurden, kommen überzeugend zum Ergebnis, dass die Vergesellschaftung von Wohneigentum unter bestimmten Umständen verfassungsrechtlich möglich ist, ein Gutachten im Auftrag des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen stellt hingegen die Vereinbarkeit der Sozialisierung mit der Berliner Landesverfassung in Frage. Mir geht es an dieser Stelle darum, dass die Berliner Initiative gerade den verfassungspolitischen Handlungsspielraum für Antworten auf die Wohnungsfrage diskursiv erweitert…“ – aus dem Beitrag „»Verfassungs­positionen verteidigen«: Gedanken zur Debatte um die Vergesell­schaftung von Wohn­eigentum“ von Maximilian Pichl am 15. April 2019 im Verfassungsblog externer Link, worin der „Schaum“ ziemlich kurz aber deutlich dargestellt ist… Siehe dazu auch einen Beitrag „andersherum“: Welche Enteignungen das Kapital und seine Meute total normal finden:

    • „Enteignet wird tagtäglich“ von Fabian Westhoven am 16. April 2019 bei analyse&kritik externer Link (Ausgabe 648) zum Thema so herum: „… Ohnehin ist die Geschichte des Kapitalismus auch als Historie der Enteignungen zu schreiben. Entstehen konnte diese Produktionsweise, weil die unmittelbaren Produzenten von ihren Arbeitsmitteln, von ihrem Grund und Boden, vertrieben wurden. Marx beschrieb das als ursprüngliche Akkumulation des Kapitals. Des Weiteren führen die Zentralisations- und Konzentrationsprozesse des Kapitals dazu, dass je ein Kapitalist viele totschlägt. Kapitalisten enteignen andere Kapitalisten. Auch der bürgerliche Staat expropriiert Kapitalisten. In der Finanzkrise von 2008 konnte das zuletzt eindrucksvoll beobachtet werden. Enteignungen sind also nicht gleich Enteignungen. Die Frage ist, wer wird enteignet und wem nützt das? Und um welche Form des Eigentums handelt es sich, die expropriiert werden soll? Zu unterscheiden ist einerseits zwischen Eigentum an Wohnungen oder Produktionsmitteln und andererseits an Handtüchern, Hosen oder Handys. Das wird meist gleichgesetzt – mit gravierenden Folgen. Die Gleichsetzung von verschiedenen Formen des Privateigentums führt zur angstvollen Ablehnung jeder Kritik am Eigentum. Auf dieser Klaviatur spielen die bürgerlichen Politiker*innen. Politische Bewegungen, die die Vergesellschaftung eines besonderen Eigentums – beispielsweise von Immobilienunternehmen – anstreben, haben es somit schwer. Ihnen wird der Vorwurf gemacht, das Eigentum an sich in Frage zu stellen. Die Enteignungsdebatte bietet die Chance, das und einiges mehr klar zu stellen. Zum Beispiel, dass das lateinische Wort privare rauben heißt. »Geraubtes Eigentum muss geraubt bleiben«, bedeutet die Aussage des FDP-Politikers Schäffler demnach. Das ist der Kern der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft. Gut, dass darüber gesprochen wird.“
  • Seltsame Gegenargumente in der Debatte um das Volksbegehren zur Enteignung von Wohnungskonzernen 
    Enteignungen schaffen keinen neuen Wohnraum. So äußerten sich etwa erneut die SPD-Chefin Andrea Nahles, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), Lukas Büdenbender von den Jungen Unternehmern, der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Marco Buschmann, sowie Nikolaus Pieper von der Süddeutschen Zeitung.  Das Argument verfehlt das Thema. Natürlich schaffen Enteignungen keinen Wohnraum. Darum geht es auch gar nicht. Das Volksbegehren hat vielmehr das Anliegen, die horrend steigenden, renditegetriebenen Mieten der großen privaten Wohnungskonzerne auszubremsen. Wenn das gelänge, wäre schon viel erreicht. Noch mehr wäre erreicht, wenn es dank der Enteignungen vielleicht sogar gelänge, mittels eines breiteren Angebots öffentlicher und genossenschaftlicher, also bezahlbarer Wohnungen Druck auf den gesamten Mietwohnungsmarkt auszuüben.  Dass es daneben mehr Neubau braucht, ist richtig. Neubau ist aber weder Thema des Volksbegehrens noch alleine Lösung für den renditegetriebenen Anstieg der Mieten…“ – aus dem Beitrag „Vier Argumente gegen die Enteignung von Wohnungen – und warum sie falsch sind“ von Patrick Schreiner am 11. April 2019 bei Blickpunkt WiSo externer Link, der die verbreiteten Gegenargumente debattiert – und kritisiert. Siehe zur Enteignungsdebatte auch eine Stellungnahme einer Mieterinitiative:

    • „Statement des Mieter*innenprotest Deutsche Wohnen zum Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ am 13. April 2019 auf der Aktionsseite DW Protest externer Link zur Kampagne unter anderem: „… Die Enteignung der Immobilienakteure ist fraglos umstritten. Kritiker werfen der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ die Höhe der Kosten vor. Wir als betroffene MieterInnen, die sich im Mieter*innenprotest Deutsche Wohnen zusammengetan haben, entgegnen: Es darf nicht vergessen werden, dass auch künftig Mieten gezahlt werden, mit denen die Kosten der Entschädigung finanziert werden und somit keine Kosten für das Land Berlin entstehen würden. Die Angemessenheit der Entschädigung der Enteigneten muss ja nicht zwingend zu Traumrenditen für die Immobilienspekulanten führen. (…) Was man von den Kritikern der Enteignung selten hört, ist, was im Detail stattdessen passieren sollte, um die Machenschaften der Immobilienspekulanten in ihrem komplexen Wirken zu unterbinden. Ein langfristiges Konzept, welches die verschiedenen mietmarktwirtschaftlichen Zusammenhänge klug analysiert und daraufhin tragfähige Lösungen anbietet, fehlt. Stattdessen folgen reflexartige Verweis auf das allzu selbstgerechte Credo „Bauen,bauen, bauen“, was gleichzeitig suggeriert, dass in Berlin nicht gebaut werden würde. Dass in Berlin in den vergangenen Jahren sehr wohl Wohnungen gebaut und etliche Bezirke „nachverdichtet“ wurden, kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der entstandene Wohnraum vor allem aus hochpreisigen Miet- oder Eigentumswohnungen besteht. Es ist eine Illusion zu glauben, dass dieserart Neubauten zur Entspannung auf dem Vermietungsmarkt führen würden. Luxuswohnungen für solvente Zuzügler beschleunigen die Verdrängung der derzeit in der Stadt lebenden Menschen aus ihrem angestammten Zuhause. Das passiert seit etlichen Jahren in einem schleichenden Prozess und damit muss Schluss sein!
  • Wohnungskonzerne enteignen? Sowieso! Gerade weil es „Investoren“ abschrecken könnte…
    Das Volksbegehren „Deutsche Wohnen enteignen“ ist mit runden 15.000 Unterschriften am vergangenen Wochenende in Berlin so gestartet, dass es zu neuen heftigen Debatten und Reaktionen geführt hat. Wenn in den USA einzelne Abgeordnete oder Bürgermeisterinnen gewählt werden, die als Links gelten – egal auch, wie weit sie es sind – dann sehen die sich als hohe Herrschaften fühlenden schon wieder ein gutes altes Gespenst um die Ecke kommen. In der Schweiz dasselbe – schon bei einem Transparent auf einer Klima-Demonstration. Und in der BRD eben wegen einem Volksbegehren auf Enteignung von Wohnungskonzernen. Zwischen „Sozialismus baut keine Wohnungen“ und „Enteignen baut keine einzige Wohnung“ schwanken die Reaktionen der InteressensvertreterInnen der Wohnungskonzerne. Immer schön so tun, als ob die Zahl der Wohnungen das Hauptproblem sei – und nicht ihr Mietpreis, so offensichtlich die uniforme Ausrichtung der Gegenpropaganda. Anscheinend halten die Kapitalisten den Kapitalismus für nicht so stabil, wie manche seiner Kritiker und Gegner. Dabei ist das Begehren mit seiner Entschädigungs-Zusicherung doch ausgesprochen „gemäßigt“… Zum Volksbegehren und Reaktionen vier aktuelle Beiträge:

    • „»Am Prenzlauer Berg anfangen«“ am 09. April 2019 in der jungen Welt externer Link meldet an Reaktionen: „Das Berliner Volksbegehren über die Enteignung großer Wohnungsunternehmen hat eine heftige Debatte ausgelöst. Kaum hatte die Sammlung von Unterschriften am Wochenende begonnen, fuhren die Gegner schwere Geschütze auf. »Enteignungen sind nun wirklich sozialistische Ideen und haben mit bürgerlicher Politik nichts zu tun«, sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) dem Münchner Merkur (Montagausgabe); »schwachsinnige Debatte von vorgestern«, polterte Söders Bauminister Hans Reichhart (CSU). Der Grünen-Bundesvorsitzende Robert Habeck äußerte vorsichtige Zustimmung.   (…) SPD-Vize Ralf Stegner erinnerte daran, dass das Grundgesetz festlege, dass Eigentum verpflichte. Dort stehe nicht, dass sich jeder selbst der Nächste und der Markt heilig sei. Enteignungen seien sicher nicht das vordringlichste Mittel, um das Grundrecht auf bezahlbares Wohnen durchzusetzen, schrieb er am Sonntag auf Twitter – aber doch ein »Notwehrrecht gegen Marktradikalismus«. Er widersprach damit der SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles. Die hatte sich in Bild am Sonntag gegen Enteignungen ausgesprochen…
    • „Die Macht der Bewegung„ von Lisa Vollmer am 08. April 2019 im Freitag externer Link zu Reaktionen verschiedener Seiten: „… Dass Neubau zur Bewältigung der Wohnungskrise nötig ist, bestreitet auch die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ nicht. Nun haben aber gerade die Akteure, die enteignet werden sollen, in den vergangenen Jahren entweder gar nicht gebaut oder nur im hochpreisigen Luxussegment. Dass dieser hochpreisige Neubau über einen angeblichen Sickereffekt auch ärmeren Haushalten helfen würde, ist eine weitere Erzählung der Immobilienwirtschaft, die nicht mehr verfängt. Ein weiteres Argument, das gerne gegen den angestrebten Volksentscheid in Berlin vorgebracht wird, ist, dass so mit sehr viel Geld Politik für eine beschränkte Anzahl von Haushalten gemacht würde. Auch das Wort Klientelpolitik wird gerne in den Mund genommen. Zunächst ist festzuhalten, dass es sich um knapp 250.000 Haushalte handelt und dass diese Haushalte mit zu den ärmsten in Berlin gehören. Falls also endlich einmal Politik für diese Klientel gemacht werden sollte, wäre das zu begrüßen. Außerdem verkennt diese Erzählung, dass nicht nur die Mieter*innen von Deutsche Wohnen & Co von der Vergesellschaftung profitieren würden. In der Wohnungsforschung ist es eine Binsenweisheit, dass ein großes öffentliches Wohnungsmarktsegment auch Einfluss auf den privaten Mietmarkt hätte. Mit der Vergesellschaftung würde sich das öffentliche Segment verdoppeln. Bleiben dort die Mieten niedrig, beeinflusst das über den Mietspiegel den gesamten Mietmarkt. Die Mehrheit der Berliner Mieter*innen hat das begriffen und sieht ihre Interessen auch als Nicht-Deutsche Wohnen & Co-Mieter*innen im Volksentscheid repräsentiert – nicht zuletzt aufgrund der diskursprägenden Macht der Mieter*innenbewegung. Die Immobilienwirtschaft hat dem – nach jahrzehntelanger scheinbarer Selbstevidenz neoliberaler Politikerzählungen – bislang nur wenig entgegen zu setzen…
    • „Enteignung und Entgeisterung“ von Markus Drescher am 08. April 2019 in neues Deutschland externer Link zum „Sozialismus“ der Enteignung: „Für Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder sind Enteignungen »nun wirklich sozialistische Ideen und haben mit bürgerlicher Politik nichts zu tun«. Und FDP-Chef Christian Lindner ist sich sicher, »gegen steigende Mieten helfen nur mehr Wohnungen und nicht DDR-Ideen«. Enteignungen würden alle privaten Investitionen in Wohnungen verschrecken und die Eigentumsgarantie der Verfassung beschädigen. (…) Doch nicht nur diese ist im Grundgesetz in Artikel 14 festgeschrieben, dort findet sich auch eine von Konservativen und Liberalen gern übersehene Bestimmung: »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. (…) Und in Artikel 15 wird ausdrücklich die Möglichkeit genannt, privates in öffentliches Eigentum zu überführen. Es handelt sich also keineswegs um einen »Kropf«, etwas aus der »Mottenkiste«, eine »sozialistische« oder »DDR-Idee«, sondern eine grundgesetzlich legitimierte bundesrepublikanische Diskussion. Die angesichts der aktuellen Dringlichkeit und prognostizierten Verschärfung des Problems wohl kaum derart abzuwürgen sein dürfte. Zumal das Argument der Enteignungskritiker, dass nur der Bau möglichst vieler Wohnungen helfe, nicht mit der Realität der Betroffenen korrespondiert. Denn weder wird genug gebaut, noch sind diese Wohnungen in der Regel bezahlbar, und schon gar nicht ist eine Trendwende am Wohnungsmarkt in Sicht…“
    • „Nüchtern bleiben“ von Nico Popp am 09. April 2019 in der jungen Welt externer Link zum gemäßigten Ansatz der Initiative: „Es kommt selten vor, dass die harten materiellen Tatsachen der bürgerlichen Gesellschaft in die bundespolitische Debatte einbrechen. Eigentum, Geld, Ausbeutung, Armut: Was alle jeden Tag beschäftigt, ist in dieser Zone, in der es keine Klassen und keine Interessen, dafür aber ideologische Posen für jeden Geschmack gibt, ganz tabu. Wenn das doch einmal passiert, wird es richtig verrückt. Der Zirkus um das Berliner Volksbegehren »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« zeigt, wie verdreht Kategorien und Maßstäbe des politischen Personals inzwischen sind: CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak ist »fassungslos«; Thüringens CDU-Chef Mike Mohring meint: »Sozialismus pur«; Hans Reichhart (CSU), Bauminister in Bayern, will die »schwachsinnige Debatte« schnell beenden; CSU-Generalsekretär Markus Blume weiß, dass »sozialistische Ideen« noch nirgendwo »funktioniert« haben. Linke sollten hier ganz nüchtern bleiben. »Sozialistisch« ist an dem Berliner Vorstoß gar nichts. Die Initiatoren wollen die Eigentümer grundgesetzkonform »entschädigen«, wenn auch »unterhalb des Marktwerts«. Am Ende stünde so zwar ein politischer Preis, aber eben doch ein Kauf. Und so radikal, um mit dem Gedanken zu spielen, die Wohnungskonzerne zu dem Tarif zu entschädigen, mit dem das westdeutsche Kapital nach 1990 von der Treuhand Grundstücke, Gebäude und Betriebe im Osten der Republik erworben hat, sind sie nicht. Damals gingen Industriekombinate mit Mann und Maus für eine »symbolische D-Mark« über den Ladentisch…“
  • „»Verwertungsdynamik kennt keine Grenzen«“ am 06. April 2019 in der jungen welt externer Link ist ein Gespräch von Jan Greve mit Andrej Holm über Mietenwahnsinn und Enteignung, worin dieser unter anderem ausführt: „Wir haben es mit einem typischen Abwehrdiskurs zu tun, der in der Regel zuerst von der Immobilienwirtschaft geführt wird. Aus Sicht der Mieter ist die Sache klar: Es soll möglichst alles versucht werden. Je mehr Mieterschutz, je mehr öffentlich und gemeinnützig verwaltete Wohnungen und je mehr günstiger und dauerhaft gebundener Neubau, desto besser. Das gilt auch für die Sozialisierung, die mit der Enteignung von Konzernen verbunden ist. Dabei geht es ja nicht um eine Bestrafung von Immobilienunternehmen, denen man ihre Spielzeuge wegnimmt. So, wie ich die Initiative verstanden habe, geht es darum, einen relevanten Sektor zu vergesellschaften, weil dieser in privatwirtschaftlicher Organisation die soziale Aufgabe der Versorgung mit günstigem Wohnraum nicht erfüllt. Das ist eine richtige Forderung unter vielen. In den letzten Jahren war vor allem die Losung »Bauen, bauen bauen« zu hören. Damit hat man sich viel zu sehr auf die Logik des Marktmodells eingelassen. Viele scheinen zu glauben, dass Mieten sinken, nur weil mehr Quartiere entstehen. Das stimmt aber höchstens für die Spitzensegmente. Es ist völlig ausgeschlossen, so viel bauen zu können, dass es in der Stadt wieder mehr Wohnungen für 4,50 Euro den Quadratmeter gibt…“
  • „»Man muss den Unternehmen die Wohnungen wegnehmen«“ am 19. März 2019 bei analyse&kritik externer Link ist ein Gespräch von Jan Ole Arps mit Kalle Kunkel und Tashy Endres über die auf den Demonstrationen am Wochenende beginnende Unterschriftensammlung für Deutsche Wohnen & Co. Enteignen, worin es unter anderem heißt: „Nehmen wir zum Beispiel den Kotti, also das Kottbusser Tor, oder die Otto-Suhr-Siedlung. Dort leben die Menschen mit dem geringsten Einkommen in Berlin. Viele haben schon einmal ihr Zuhause aufgeben müssen – oft in anderen Ländern, oft aus ökonomischer Not oder Verfolgung. Sie haben den Stadtteil aufgebaut und all das geschaffen, was Kreuzberg heute attraktiv macht. Man kann sie nicht einfach auf eine Wiese nach Marzahn verfrachten, weil dort jetzt billiger gebaut werden kann. Je weniger Geld Menschen zur Verfügung haben, umso wichtiger sind nachbarschaftliche Zusammenhänge: für die gegenseitige Hilfe, bei Sorge oder Pflege, für die Anbindung an medizinische Versorgung, an Schulen. Der urbane Mehrwert von Stadtteilen wie Kreuzberg, der jetzt kapitalisiert wird, ist genau durch diese Beziehungsarbeit geschaffen worden. Das ist nicht nur eine Frage, die den Kotti betrifft. Bei der ganzen Debatte, ob nicht statt Enteignung Neubau auf der Wiese die bessere Strategie wäre, höre ich makroökonomische Strategen, die aus einer Vogelperspektive kritisieren, dass das zu viel kostet, und überhaupt nicht auf dem Schirm haben, wessen Alltag und gesellschaftliche Teilhabe sie dabei aufs Spiel setzen…

Siehe auch:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=147109
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