Gegen Bengalos, gegen Schals, gegen „verdächtige Gesichter“: Fußball-Stadien als Übungsplatz für den Polizeistaat

Dossier

Protest gegen den Innenminister Hessens und seine Hetztiraden gegen Fussballfans im Februar 2019Was ist ein Polizeistaat? Ein Staat, in dem die Polizei über dem Gesetz steht – oder es selbst macht. Da werden Ordnungswidrigkeiten zu Gesetzesverstößen hochstilisiert – Stichwort Bengalos – und neue Straftatbestände  etabliert – Stichwort Schlauchschal, der Vermummung sein soll. In allen Verfahren, die es bisher wegen dieser Schals gab, haben die Einwender gegen das polizeiliche Vorgehen Recht bekommen, es ist nun mal nirgends geschrieben, dass so ein Kleidungsstück nicht getragen werden darf. Das wird versucht polizeilich zu etablieren, legal, illegal, scheißegal von der anderen Seite. Bei den Attacken wegen Bengalos sollte nicht nur daran erinnert werden, dass deren Nutzung lange Zeit legal und üblich war – mit weitaus weniger Verletzungen und Gefährdungen, als etwa an Sylvester, auch wenn sich jeder Sportreporter mutig findet, wenn er in den Chor dagegen einfällt. Und auch wenn es eine Tatsache ist, dass sich in vielen Fankurven unerfreuliche Menschen sammeln, ist dies kein Grund für neue Polizeigesetze: Weder die, die da bundesweit gerade verabschiedet werden oder wurden, noch weitere. Schon gar keine von der Polizei selbst gemachten, auch wenn sich sofort Minister finden, die dies vollziehen wollen. Siehe zum Polizeistaats-Übungsfeld Fußballstadion weitere Beiträge:

  • Von Linken lernen. Polizeigewalt im Fußball: Freund und Helfer des Status quo New
    „Polizeigewalt ist weitgehend unerforscht. Was schon Horst Seehofer gekonnt ignorierte, konnte erstmals vor zwei Jahren im Kontext Fußball untersucht werden. 2020 brachte der Journalist Thorsten Poppe das Thema Polizeigewalt im Fußball in großem Stil auf die Agenda und zitierte in einem ARD-»Sportschau«-Beitrag (20.2.2020) eine Studie der Ruhr-Universität Bochum, nach der rund ein Viertel der 3.300 Befragten angegeben hatte, Erfahrungen mit Polizeigewalt beim Fußball gemacht zu haben. Immer wieder mehren sich Berichte von prügelnden Polizisten, willkürlichen Maßnahmen und Machtdemonstration des Staates gegenüber Fans. Besonders bei Auswärtsspielen bekommen das viele zu spüren: Unnötiges und stundenlanges Einkesseln bei Minusgraden, anlasslose Personenkontrollen und Eskalation statt Deeskalation sind oftmals an der Tagesordnung. Ein Phänomen, das man ansonsten vor allem von linken und gegenherrschaftlichen Demonstrationen kennt. Die von Poppe angestoßene Debatte flachte schnell ab, doch die Vorfälle wurden nicht weniger. Zuletzt fiel die Wolfsburger Polizei beim Heimspiel der konzerneigenen Mannschaft gegen Werder Bremen am 18. August auf, indem die Anreise von Bremer Fans zum Auswärtsspiel in die Volkswagen-Arena behindert und von Beginn an gekesselt wurde. Die Beamten verhängten anlasslos pauschale Aufenthaltsverbote, durchsuchten Taschen und nahmen Personalien auf. Linke und Fußballfans haben mehr gemeinsam, als man meinen mag, und ihre jeweiligen Rollen zu betrachten kann erklären, warum Polizeigewalt ausgerechnet im Fußball so häufig vorkommt. Offensichtlich werden beide Gruppen regelmäßig Opfer von heftiger Polizeigewalt, beide vereint ihre Ablehnung der Institution Polizei. Den liberal-bürgerlichen Standpunkt, nach dem die Polizei »Freund und Helfer« ist, halten beide für absurd. Aber während man sich in linken Kreisen schon seit langer Zeit mit dem Ursprung der Institution und den Gründen der andauernden Repressionen und der Gewalt im Kontext einer kapitalismuskritischen Herrschaftsanalyse auseinandersetzt, fehlt diese Dimension im Fußball noch vollends. Zwar hat so ziemlich jeder Verein, jede aktive Fanszene auch eine Fanhilfe, die als Solidargemeinschaft über Verhalten bei Begegnungen mit der Polizei und die eigenen Rechte aufklärt und anwaltliche Hilfe bereitstellt und die Kosten trägt, allerdings bleibt die Analyse der Gründe für die Repressionen meist am Anfang hängen. Gewaltenteilung und bürgerliche Rechte sind zentrale Themen, auch sieht man sich als Feindbild – aber warum ist man überhaupt ein Feind? (…) Wer verstehen will, warum Fußballfans und besonders Ultra-Gruppierungen immer wieder Opfer von Polizeigewalt und Repressionen werden, kann und sollte sich bei der linken Analyse der Institution Polizei bedienen. Nur wer die Verhältnisse versteht, kann sie auch ändern. Damit es nicht nur bei der Symptomlinderung bleibt, sondern Herrschaft konkret sichtbar und dadurch angreifbarer wird.“ Artikel von Raphael Molter und Lara Schauland in der jungen Welt vom 15. September 2022 externer Link
  • „Minister gegen Eintracht Frankfurt“ von Christoph Schmidt-Lunau am 28. Februar 2019 in der taz externer Link zu den Polizeiattacken in Frankfurt: „Die Opposition im hessischen Landtag hat am Donnerstagvormittag mit scharfen Worten Innenminister Peter Beuth (CDU) kritisiert. Sie macht Beuth für die Eskalation der Gewalt am Rande des Europa-League Spiels von Eintracht Frankfurt gegen Schachtjor Donezk verantwortlich. RednerInnen von SPD, FDP und Linken warfen dem Minister vor, in einer „Privatfehde“ gegen die Fans der Frankfurter Eintracht Frankfurt die Verhältnismäßigkeit der Mittel aus den Augen verloren zu haben. Schon seit Beuths Amtsantritt vor fünf Jahren beharken sich Eintracht-Fans und der Minister immer wieder öffentlich. Endgültig brachte er diese gegen sich auf, als er für den Einsatz von Pyrotechnik in Stadien Gefängnisstrafen forderte. Mit einem massiven Polizeieinsatz waren vor dem Spiel am vergangenen Donnerstag die Räume der Eintracht-Fan-Clubs im Frankfurter Waldstadion nach Pyrotechnik und Waffen durchsucht worden. Als daraufhin wütende Fans Transparente mit beleidigenden Parolen gegen den Innenminister hochhielten, ging die Polizei mit Schlagstöcken gegen sie vor und kassierte die Banner. Zwei Fans erlitten dabei Knochenbrüche…“
  • „Der Dreck vor der Haustür“ von Gitta Düperthal am 28. Februar 2019 in der jungen welt externer Link unter anderem (neben einem Bericht über die Debatte zu „Antisemistismus im Fußball“) zum selben Thema: „… So sehr Sozialarbeiter von Fanprojekten auch betonen mögen, Fußball sei grundsätzlich unpolitisch und Eintracht-Frankfurt-Fans interessiere nur »Eintracht, Eintracht, Eintracht«: So ist es nicht. Etwa dann, wenn es um die Politik des hessischen Innenministers Peter Beuth geht. Der CDU-Hardliner, aktuell u. a. in der Kritik, weil er angesichts von neofaschistischen Netzwerken bei der Frankfurter Polizei jeden Aufklärungseifer vermissen lässt, hat sich den Zorn der Fanszene zugezogen. Die Ultras und andere Eintracht-Anhänger haben verstanden, dass ihnen Kriminalisierung droht, weil der Minister sich ständig neue Sanktionen ausdenkt: Ende November forderte Beuth erst Gefängnisstrafen für Fans, die Bengalos im Stadion zünden, was bislang als Ordnungswidrigkeit gilt. Dann schob er die Ankündigung hinterher, »Problemfans« künftig polizeiliche Maßnahmen in Rechnung stellen zu wollen. Und nun das: Am Donnerstag vergangener Woche durchsuchten Polizeieinheiten beim Europa-League-Heimspiel gegen Schachtar Donezk die Frankfurter Fankurve, Räumlichkeiten im Stadion sowie weitere Objekte im Stadtteil Sachsenhausen. Als Anlass wurde ein Statement des Eintracht-Präsidenten Peter Fischer vorgeschoben. Der hatte in einem Interview im gängigen Fußballjargon davon gesprochen, dass »das Stadion brennen« müsse. Gefunden wurde nichts. Die anschließende polizeiliche Beschlagnahme eines Banners mit der Aufschrift »Beuth, der Ficker fickt zurück« erfolgte mit Schlagstockeinsatz – mehrere Fans wurden verletzt, zwei erlitten Brüche…
  • „BVB- und SGE-Fans etwa 150 Minuten von Polizei festgesetzt“ am 02. Februar 2019 bei Faszination Fankurve externer Link berichtete über „Vorläufer“ dieser Auseinandersetzungen unter anderem: „Etwa 65 BVB-Fans sowie einige wenige Anhänger von Eintracht Frankfurt wurden auf den letzten Metern ihrer Anreise von Einheiten der Bundes- und Landespolizei nahe des Bahnhofs Stadion festgesetzt. Ohne jeden erkennbaren Anlass wurde die Gruppe von Fußballfans anschließend von den eingesetzten Beamten etwa 150 Minuten lang festgehalten, personalisiert sowie vereinfacht erkenndungsdienstlich behandelt. Erstaunlich war neben der Länge des Einsatzes insbesondere die Tatsache, dass sich die Maßnahmen sowohl gegen Fans der Gastmannschaft als auch gegen einzelne Fans des Heimteams richtete, die sich zufällig gemeinsam auf dem Weg zum Stadion befanden, wodurch die Auswahl der kontrollierten Personen durch die beteiligten Beamten überaus willkürlich erscheint. Besonders fragwürdig erscheint darüber hinaus die Tatsache, dass die Beamten während der gesamten polizeilichen Maßnahme den Betroffenen weder den Grund für die Maßnahme, ferner noch die Rechtsgrundlage mitteilen konnten. Lediglich eine Mitteilung der Frankfurter Polizei per Twitter lässt im Nachhinein darauf schließen, dass die Maßnahme wohl dazu dienen sollte, Personen für das Tragen von Schlauchschals im Rahmen eines späteren Ordnungswidrigkeitenverfahrens belangen zu können“, blickt die Fanhilfe Dortmund kritisch auf den Polizeieinsatz von Samstag zurück…
  • „Auch Dynamo-Fans bekommen Probleme wegen Schlauchschals“ am 04. Februar 2019 ebenfalls bei Faszination Fankurve externer Link über polizeiliches Vorgehen gegen ein legales Kleidungsstück: „Viele Fans der Sportgemeinschaft Dynamo Dresden tragen ein solches Schlauchtuch in der kalten Jahreszeit, egal ob als Fanartikel oder als Schutz vor Kälte. Und genau dieser Schlauchschal wurde in der Vergangenheit vielen Anhängern unserer SGD zum Problem. Wir, die Schwarz-Gelbe Hilfe e.V., beobachten seit geraumer Zeit, dass sich die anwesende Polizei rund um Spielen der schwarz-gelben Dynamos gezielt Fans mit diesen Stück Stoff um den Hals herauspicken, kontrollieren und dieses Tuch als Vermummungsgegenstand klassifizieren. Neben der Personalienaufnahme und der Beschlagnahme des Schlauchschals, flattert einige Wochen später ein Bußgeldbescheid des zuständigen Ordnungsamtes (meist ein geringer dreistelliger Betrag) in den Briefkasten des betroffenen Fußballfans. Sowohl die Polizei als auch die Ordnungsbehörde berufen sich dabei auf §17 des Sächsischen Versammlungsgesetzes, vereinfacht, das Mitführen bzw. Tragen eines Vermummungsgegenstandes bei/zu einer öffentlichen Versammlung“, teilte die Fanhilfe aus Dresden dazu mit. Die Schwarz-Gelbe Hilfe empfiehlt betroffenen Dynamo-Fans, sich bei einer Polizeikontrolle nicht einschüchtern zu lassen, aber freundlich zu bleiben. Sollte ein Schlauchschal beschlagnahmt werden, rät die Fanhilfe den betroffenen Fans, mündlich Widerspruch einzulegen. Weiter erklärt die Schwarz-Gelbe Hilfe aus Erfahrungen aus den letzten Jahren, dass die Behörden einen Rechtsstreit bei Schlauchschals gescheut hätten und die Verfahren nach Hinzuziehen eines Rechtsanwalts meistens eingestellt wurden. Die betroffenen Dynamo-Fans mussten demnach kein Bußgeld bezahlen…

Siehe im LabourNet Germany

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=145151
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