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Kurzbericht Soziale Solidarökonomie in Griechenland

1. CoOpenAir Festival für Kooperativismus 12. bis 14. Oktober 2018 auf dem Gelände von VIOME ThessalonikiEs sieht so aus, als ob Griechenland ein Experimentierfeld für die solidarische Ökonomie (Social Solidarity Economies = SSE) sei. Immer noch sprießen solidarökonomische Projekte aus dem Boden. Dennoch haben wir es hier nicht mit homogenen sozialen Prozessen zu tun. Die Bandbreite dieser Projekte deckt einen großen Bereich ab. Die Palette reicht von unternehmerischer Initiative über die Suche nach rechtlicher Absicherung bis hin zu sozialen Modellen der Selbstverwaltung und des Widerstands gegen die Krise. Zum einen wirkte der dritte Aspekt als Initialzündung für die Ausweitung einer „Ökonomie“ außerhalb der Grenzen des alles bestimmenden Marktes. Zum anderen bieten sich bedingt durch die schwere Krise gewisse Marktnischen, die jetzt vom sozialen „Unternehmertum“ besetzt werden. Hingegen engagiert sich die Solidaritätsbewegung mit den sozialen Kämpfen in Griechenland primär für Projekte der Selbstverwaltung und Selbstorganisierung. Besonders in diesem Bereich wird der heftige Konflikt zwischen der Profitgier und dem Kampf um die Erhaltung von Arbeitsplätzen sichtbar…“ Kurzbericht von Konstantin Koustas vom August 2018 – wir danken!

Kurzbericht Soziale Solidarökonomie in Griechenland

Es sieht so aus, als ob Griechenland ein Experimentierfeld für die solidarische Ökonomie (Social Solidarity Economies = SSE) sei. Immer noch sprießen solidarökonomische Projekte aus dem Boden. Dennoch haben wir es hier nicht mit homogenen sozialen Prozessen zu tun. Die Bandbreite dieser Projekte deckt einen großen Bereich ab. Die Palette reicht von unternehmerischer Initiative über die Suche nach rechtlicher Absicherung bis hin zu sozialen Modellen der Selbstverwaltung und des Widerstands gegen die Krise. Zum einen wirkte der dritte Aspekt als Initialzündung für die Ausweitung einer „Ökonomie“ außerhalb der Grenzen des alles bestimmenden Marktes. Zum anderen bieten sich bedingt durch die schwere Krise gewisse Marktnischen, die jetzt vom sozialen „Unternehmertum“ besetzt werden. Hingegen engagiert sich die Solidaritätsbewegung mit den sozialen Kämpfen in Griechenland primär für Projekte der Selbstverwaltung und Selbstorganisierung. Besonders in diesem Bereich wird der heftige Konflikt zwischen der Profitgier und dem Kampf um die Erhaltung von Arbeitsplätzen sichtbar.

Seit der Regierungsübernahme sucht SYRIZA nach Kompromissen, die die Situation entschärfen und die Wut der Initiativen, Kollektive und Bündnisse kanalisieren können. Mit einer  Reihe von moderaten Gesetzesänderungen hat Tsipras vor allem die Lage der kooperativen Unternehmungen leicht verbessert. Im Folgenden wird kurz über die jetzige Situation der UNITED TEXTILES, des in Konkurs geratenen Unternehmens mit früher fast 2000 Arbeitnehmer*innen, berichtet. Die Reaktivierung von Betriebsteilen der Firma war und ist ein Prestigeprojekt der SYRIZA-Regierung, das aber nicht zu funktionieren scheint. Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Vereinigung K.AL.O (Soziale Solidarökonomie). Diese Strukturen profitieren vornehmlich von den Gesetzesänderungen.

United Textiles – eine unendliche Geschichte

Alle folgenden Angaben habe ich in den griechischen Medien recherchiert (Efsyn – Zeitung der Redakeure, Epohi, left.gr etc.). United Textiles war ein für griechische Verhältnisse Gro0unternehmen mit 17 Zweigbetrieben und ca. 2000 Arbeitnehmer*innen der Textilindustrie und Bekleidungsbranche. In diesem Zusammenhang sollte auch erwähnt werden, dass Griechenland zu den führenden Baumwollerzeuger in Europa gehört – eine optimale Startposition und gute Voraussetzungen für das Gedeihen der Firma. Das Unternehmen wurde 1929 gegründet und war zwischen 1980 – 2004 besonders erfolgreich. Doch 2012 wurde das offizielle Insolvenzverfahren eingeleitet, und seit der Regierungsübernahme von SYRIZA versuchen die früheren Arbeitnehmer*innen die Wiederinbetriebnahme von 3 Zweigbetrieben zu erreichen. Mag der Zusammenbruch des Unternehmens auf Fehler des Managements zurückzuführen sein, ist er trotzdem ein typisches Fallbeispiel für die systemische Deindustrialisierung der griechischen Wirtschaft. Einige Zahlen können den Untergang der United Textiles adäquat verdeutlichen:

Jahr                Bruttoeinnahmen               Verschuldung                      Beschäftigte

2004               154,3 Mio.                             118,5 Mio.                             1769

2007                 74,7 Mio.                             164,7 Mio.                             1178

2009                   3,1 Mio.                             218,3 Mio.                               480

Trotzdem gewährten die Banken 2009 ein weiteres Darlehen in Höhe von 40 Mio., das durch eine staatliche Bürgschaft gedeckt wurde. 2011 hatte ein amerikanischer Investmentfonds versucht das Unternehmen zu übernehmen. Doch nach sechsmonatigen Verhandlungen scheiterte das Projekt. Im Jahr 2012 hat die Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission entschieden, dass die letzte Darlehensvergabe, die durch eine staatliche Bürgschaft gedeckt war, gegen die geltenden Wettbewerbsbestimmungen verstoße und hat dem griechischen Staat die Rückforderung von 35 Mio. auferlegt. Gegen diese Entscheidung hatte die damalige griechische Regierung noch nicht einmal Bedenken angemeldet, was letzten Endes einer grundsätzlichen Anerkennung des Beschlusses bedeutet. Ich kann hier nicht eine detaillierte Erklärung der rechtlichen und politischen Tragweite dieser Angelgenheit liefern, aber der Spruch der Kommission beschränkt sich nicht nur auf die „Einhaltung“ von gerechten Wettbewerbsbedingungen. Die Beschlusslage blockiert regelrecht jeden Versuch einer Sanierung des Unternehmens, die als Grundlage für die Erhaltung von Arbeitsplätzen dienen könnte. Doch was noch viel schlimmer ist, der Beschluss der Europäischen Kommission hat einen Präzedenzfall für ähnliche Fälle geschaffen. Seit Anfang 2012 läuft das offizielle Insolvenzverfahren über das Firmenvermögen. Auch hierzu einige Zahlen: Die Gesamtverschuldung beträgt ca. 345 Mio., die Forderungen der Banken betragen 190 Mio., die des Fiskus beziffern sich auf 70 Mio., die des Sozialversicherungsträgers belaufen sich auf 51 Mio., den Arbeitnehmer*innen steht eine Summe von 36 Mio. zu. Die sonstigen Gläubiger (Lieferanten) haben Anspruch auf 11 Mio.

Der Zusammenbruch der UNITED TEXTILES hatte den Norden Griechenlands besonders stark getroffen. Im Mai 2015 hatten die früheren Kolleg*innen des Unternehmens den damaligen SYRIZA-Minister für Produktionswiederaufbau, Umwelt und Energie, Panagiotis Lafazanis (Führer der Linken Plattform), aufgesucht und einen umfassenden, kohärenten und realistischen Plan (Businessplan) zur Sanierung des Unternehmens vorgelegt. Der Plan sah die Wiederaufnahme der Produktion in drei Zweigbetrieben mit 350 Arbeitsplätzen (in 5 Jahren sogar mit 700 Arbeitsplätzen) vor. Das Projekt wäre machbar, wenn die Hauptgläubiger (Banken, Staat, Sozialversicherungsträger) mitspielten. Prinzipiell könnten die Gläubiger mit der Kapitalisierung der Schulden bedient werden, der Staat könnte auf die ausstehenden Steuern verzichten, eine ähnliche Lösung würden die Sozialversicherungsträger eventuell akzeptieren. Schließlich wäre auch ein neuer Investor ebenfalls als Teil der Gesamtlösung erwünscht. Löhne und Gehälter sollten vertraglich auf 750,00 festgeschrieben werden. Ende Dezember 2015 hatte die SYRIZA-Regierung die Zwangsversteigerungen der UNITED TEXTILES als auch der VIOME für sechs Monate ausgesetzt. Die Liquidierung der technologischen und maschinellen Ausrüstung konnte zeitweise gestoppt werden. Seit 2016 arbeiten verschiedene interministerielle Ausschüsse an einem möglichen Sanierungsplan wenigstens für zwei oder drei Zweigstellen. Doch ein Ergebnis ist nicht absehbar. Die Konkursverwalterin betreibt die Zerschlagung der Betriebe fleißig weiter. Die Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission droht immer wieder damit, falls eine Sanierung vorgenommen werden sollte, den Fall vor den Europäischen Gerichtshof zu bringen, um die Rückzahlung der 35 Mio. an den griechischen Staat durchzusetzen – eine Entscheidung, die eine mögliche Wiederinbetriebnahme auch von einzelnen Betriebsteilen ernsthaft gefährden würde. Der Griechische Unternehmensverband SEV (Hellenic Federation of Enterprises) torpediert generell Sanierungsmodelle in Not geratener Unternehmen. Der Verband lehnt jede Form einer Reaktivierung von Firmen, die auf staatliche Subventionen angewiesen sei, gleichgültig ob Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen. Priorität hat nur die radikale Marktbereinigung von nicht lebensfähigen Firmen. Im September 2016 bekundete der Investmentfonds AIGLON mit Sitz in Luxemburg Interesse an einer Teilübernahme. Es begann ein langwieriges Verfahren, bei dem die Rolle der Konkursverwalterin in den griechischen Medien sehr kritisch hinterfragt wurde. Trotzdem zeigte sich die SYRIZA-Regierung sehr optimistisch über den erwarteten Ausgang der Verhandlungen. Gleichzeitig erschien auch das Verhalten des neuen Interessenten ziemlich suspekt. Am 21. Mai fand die Versteigerung von 3 Zweigbetrieben statt. Doch die Vertreter von AIGLON erschienen nicht und gaben auch kein Angebot ab. Ist dies das Ende dieser unendlichen Geschichte?

Soziale Solidarökonomie

Mit dem Gesetz 4430/2016 über die soziale Solidarökonomie wurde der Versuch unternommen, die rechtliche Lage der verschiedenen Kooperativformen mit einer „marktwirtschaftlichen“ Ausrichtung zu verbessern. Die wichtigsten Elemente seien hier kurz aufgelistet:

  • Es werden Mindestvorschriften über das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer*innen mit der Eigenschaft eines Mitglieds und Arbeitnehmer*innen, die Nichtmitglieder der Kooperative sind.
  • Es wird eine rechtliche Konvergenz zwischen dem Mindest- und Höchstlohn angestrebt.
  • Das Gesetz trifft auch Vorsorge, dass die sozialen Kooperativen nicht als Leiharbeitsfirmen fungieren dürfen.
  • Geregelt werden auch die Bestimmungen für Vertragsabschlüsse mit der öffentlichen Verwaltung.
  • Festgelegt werden ebenfalls die Grenzen der ehrenamtlichen Arbeit, die in Sozialkooperative geleistet werden darf, festgelegt.
  • Ein besonders wichtiger Punkt sind die Steuer- und Sozialversicherungsvorschriften, die den Sektor der Sozialkooperativen stärken und fördern sollen.

Das amtliche Register für Solidarökonomie soll bereits über 1000 Sozialkooperativen erfaßt haben. Die SYRIZA-Regierung verspricht sich von einer Stärkung der solidarischen Ökonomie die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen und einen durch produktive Multiplikatoreffekte moderaten Zuwachs der Wirtschaftsleistung. Nicht umsonst hat das Projekt „United Textiles“ auf diesem Gebiet weiterhin große Priorität. Was hier auffällt, ist die Tatsache, dass das Gesetz den Dualismus zwischen Arbeitnehmer*innen mit einer Mitgliedseigenschaft und solchen, die Nichtmitglieder sind, anerkennt. Es akzeptiert auch die Lohndifferenzierung und letzten Endes auch das Direktionsrecht in seinem bürgerlichen Kontext.

2016 hatten 23 Sozialkooperativen (darunter auch die VIOME) die Initiative ergriffen, eine landesweite Tagung mit dem Ziel einer konkreten Vernetzung zu organisieren. Im März 2017 hat dann die Tagung in Karditsa (Region Thessalien) stattgefunden. An dem Treffen haben 84 Vertreter*innen teilgenommen. Neben dem Tagesordnungspunkt effektive landesweite Vernetzung spielten vor allem folgende Aspekte eine wichtige Rolle:

  • Änderungswünsche an der aktuellen Gesetzeslage
  • Fragen der landesweiten Lagerung und der Vertriebsnetze von landwirtschaftlichen und sonstigen Kooperativbetrieben
  • Fragen der logistischen Organisierung
  • Schaffung eines Solidarfonds – eine Finanzierung über das Bankensystem funktioniert nicht.

Auf dieser Tagung haben die Vertreter der VIOME ein Papier mit Änderungsvorschlägen präsentiert. In erster Linie fordern sie, dass die solidarischen Sozialinitiativen auf keinen Fall die Beschäftigung von Leiharbeiter*innen, Schwarzarbeit oder prekäre Arbeitsverhältnisse akzeptieren oder erlauben. Der zweite Fragenkomplex betrifft den Solidarfonds, der nach den politischen Grundsätzen des sozialen und solidarischen Kooperativismus und nicht allein nach den üblichen Bonitätskriterien funktionieren sollte. Das Papier der VIOME legt die Ausarbeitung einer minimalen politischen Plattform nahe, die die Kriterien und den Charakter der landesweiten Vernetzungsstruktur begründet. In einem „internen“ Bericht der VIOME-Vertreter heißt es, dass die überwiegende Mehrheit der beteiligten Sozialkooperativen leider nicht an einer politischen Debatte interessiert gewesen sei. Der Schwerpunkt lag vielmehr auf der Frage, wie die „alternative“ Ökonomie ihren Platz innerhalb der Marktherrschaft finden könne. Im Juni 2017 fand in Athen der 4. Europäischer Kongress Soziale Solidarökonomie „UniverSSE 2017“ statt. Der Kongress und seine Arbeitsgruppen verfolgten eine ähnliche Stossrichtung.

Konstantin Koustas

  • Siehe zum Anlass der Veröffentlichung: 1. CoOpenAir Festival für Kooperativismus 12. bis 14. Oktober auf dem Gelände von VIOME Thessaloniki
    Das 1. CoOpenAir Festival für Kooperativismus („Von Evros bis Kreta, für Arbeit ohne Chefs, für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung“) findet vom 12. bis 14. Oktober auf dem Gelände von VIOME Thessaloniki statt, eine Mischung aus politischer Zeichensetzung, kultureller Veranstaltung und solidarischer Vernetzung der verschiedenensten Widerstandsprojekte landesweit. as Fest soll ein Ort der Begegnung und Vernetzung des sozialen Widerstandes und der Solidaritätsbewegung sein. Siehe dazu Infos beim Griechenland Solidaritäts Komitee Köln (GSKK) externer Link, dort Kurzvorstellung der anderen beteiligten Kollektivprojekte. Siehe auch ein Mobi-Video externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=137955
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