Gewerkschaften und Digitalisierung: Mal wieder „Dialog“-Zeit? Mit wem wozu?

Weißbuch Arbeiten 4.0 des BMAS„„Smart und demokratisch“ soll es werden. Bei der Digitalisierung sei wichtig, „dass uns die Entscheidungshoheit nicht entgleitet und dass Prozesse mitbestimmbar und mitgestaltbar sind“, erklärt Annette Mühlberg, die beim Verdi-Bundesvorstand die Projektgruppe „Digitalisierung“ leitet. „Betriebsräte, Personalräte und die Gewerkschaften stehen für eine konstruktive Debatte bereit“. Die Gewerkschaften fordern mal wieder einen Dialog. (…) Dies klingt nach einem offenen Austausch, der für beide Seiten eine zufriedenstellende Einigung ergibt. Ignoriert werden dabei Erfahrungen mit einem „Dialog“ der Bundesregierung zur digitalen Arbeit in der letzten Amtsperiode. (…) Der vom Bundesarbeitsministerium geleitete „Dialog“ hat also einen klaren Sieger: die Unternehmer, die das Arbeitszeitgesetz in der jetzigen Form abschaffen wollen. (…) Eine Diskussion innerhalb der Gewerkschaften, ob diese Beteiligungsformen überhaupt Erfolge für die Beschäftigten bringen können, ob es sich dabei nicht um reine Machtinstrumente der Unternehmensvertreter handelt, bleibt aus. (…) Eine gewerkschaftliche Strategiedebatte findet nicht statt. Stattdessen werden „Chancen“ betont, etwa durch den Jörg Hofmann, Vorsitzender der IG Metall (…) Um sinkendes Arbeitsvolumen zumindest betrieblich etwas auffangen zu können, ist Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich eine passende Antwort. Aber auch der steigende Leistungsdruck durch die neue Technik ist ein Argument für die Verkürzung der Arbeitszeit. (…) Auch die Kontrolle der Arbeiter wird verstärkt. Der Technikeinsatz erfordert eher eine Begrenzung der Arbeitszeit, um den Stress nicht weiter auszuweiten. Eine Debatte hierzu scheuen die Gewerkschaftsvorstände. (…) Die Unternehmen brauchen keinen „Dialog“ –  sie setzen die Digitalisierung bereits in ihrem Sinne um. Mit weitgehenden Folgen…“ Artikel von Marcus Schwarzbach vom 11.8.2018 – wir danken!

Gewerkschaften und Digitalisierung: Mal wieder „Dialog“-Zeit? Mit wem wozu?

„Smart und demokratisch“ soll es werden. Bei der Digitalisierung sei wichtig, „dass uns die Entscheidungshoheit nicht entgleitet und dass Prozesse mitbestimmbar und mitgestaltbar sind“, erklärt Annette Mühlberg, die beim Verdi-Bundesvorstand die Projektgruppe „Digitalisierung“ leitet. „Betriebsräte, Personalräte und die Gewerkschaften stehen für eine konstruktive Debatte bereit“ (http://gegenblende.dgb.de/artikel/++co++9270e28e-96ec-11e8-af98-52540088cada externer Link).

Die Gewerkschaften fordern mal wieder einen Dialog. „Die Frage, wann und wofür neue Technologien zum Einsatz kommen und zu wessen Vorteil sie genutzt werden, ist klärungsbedürftig“, stellt die Kommission „Arbeit der Zukunft“ der Hans-Böckler-Stiftung fest. „Ob das Pendel stärker in Richtung Chance oder in Richtung Risiken ausschlagen wird, ist keineswegs eine ausgemachte Sache, sondern wird von der Bereitschaft und der Fähigkeit aller gesellschaftlich relevanten Akteure, insbesondere der Sozialpartner und des Staates, abhängen, den Wandel offensiv zu gestalten“ (Kerstin Jürgens, Reiner Hoffmann, Christina Schildmann: Arbeit transformieren!, Kommission „Arbeit der Zukunft“, Hans-Böckler-Stiftung, Seite 9). Dies klingt nach einem offenen Austausch, der für beide Seiten eine zufriedenstellende Einigung ergibt.

Ignoriert werden dabei Erfahrungen mit einem „Dialog“ der Bundesregierung zur digitalen Arbeit in der letzten Amtsperiode.

Mit dem vom Bundesministerium für Arbeit vorgelegten „Weißbuch Arbeiten 4.0“ wurde ein anderthalb Jahre währender „Dialogprozess“ zwischen Bundesregierung, Unternehmen und Gewerkschaften dokumentiert (Weißbuch Arbeiten 4.0 im Internet: http://www.bmas.de/DE/Service/Medien/Publikationen/a883-weissbuch.html externer Link).

Breiten Raum nimmt dabei das Arbeitszeitthema ein: „Viele Beschäftigte wünschen sich mehr Spielraum, um Beruf und Privatleben besser in Einklang bringen zu können“ (Seite 75), wird einleitend festgestellt und vollmundig ergänzt: „Um vor Entgrenzung und Überforderung zu schützen und die Flexibilitätsanforderungen der Betriebe mit den Selbstbestimmungswünschen der Beschäftigten auszutarieren, scheinen tarifliche und betriebliche Vereinbarungen am besten geeignet, die gesetzlichen Regelungen in der betrieblichen Praxis passgenau umzusetzen“ (Seite 121). Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung spielen überhaupt keine Rolle.

Vielmehr präsentierte das Bundesarbeitsministerium eine „Experimentierklausel“, nach der vom Arbeitszeitgesetz verschlechternd abgewichen werden kann. Voraussetzung für dieses Unterlaufen des Gesetzes soll die Zustimmung der Gewerkschaften und des Betriebsrats sein, gleichzeitig wird eine wissenschaftliche Begleitung verlangt. Rechtzeitig vor der Bundestagswahl hat die damalige Ministerin Nahles ihre „Experimentierklausel“ in den Bundesanzeiger aufnehmen lassen. (https://www.attac.de/fileadmin/user_upload/bundesebene/Pressegruppe/170817_Bundesanzeiger_Richtlinie.pdf externer Link ).

Der vom Bundesarbeitsministerium geleitete „Dialog“ hat also einen klaren Sieger: die Unternehmer, die das Arbeitszeitgesetz in der jetzigen Form abschaffen wollen.

Im „Dialogprozess“ wurde auch über Crowdworking und Solo-Selbstständige diskutiert. Während zu Beginn des Prozesses das Bundesarbeitsministerium hier noch dringenden Regelungsbedarf sah, ergeben sich aus dem Weißbuch keine gesetzlichen Forderungen. Wie mit neuen Formen der „Scheinselbständigkeit“ umzugehen ist, ob der Betriebsbegriff durch Crowdworking nicht anders gefasst werden muss, wenn dezentral gearbeitet wird, bleibt im Weißbuch offen. Das Ministerium will warten, bis Unternehmen weitere Fakten schaffen.

Gewerkschaftliche Auswertung des „Dialogs“ – Fehlanzeige!

Eine Diskussion innerhalb der Gewerkschaften, ob diese Beteiligungsformen überhaupt Erfolge für die Beschäftigten bringen können, ob es sich dabei nicht um reine Machtinstrumente der Unternehmensvertreter handelt, bleibt aus. Die Gewerkschaften sehen ihre Rolle größtenteils als Moderator sehen. Ein gewerkschaftlicher Aufschrei bleibt selbst dann aus, wenn feststeht, dass ein Dialog zum „Weißbuch Arbeiten 4.0“ wenig Konkretes bringt. Eine gewerkschaftliche Strategiedebatte findet nicht statt. Stattdessen werden „Chancen“ betont, etwa durch den Jörg Hofmann, Vorsitzender der IG Metall: „Die technischen Möglichkeiten, dezentrale Steuerungsprinzipien etwa, haben etwas potenziell Emanzipatorisches. Ob beim altersgerechten Arbeiten, in der qualifizierten Gruppenarbeit in neuen – für den Beschäftigten positiven – Spielarten in der Mensch–Maschine-Kommunikation“ (zitiert nach Alfons Botthof/Ernst A. Hartmann, Zukunft der Arbeit in Industrie 4.0, Seite  35).

Dabei ist bei aller Unklarheit über die konkreten Auswirkungen der digitalen Arbeit bereits jetzt klar, dass die Technik menschliche Arbeit ersetzen wird. Christian Illek von der Deutschen Telekom sagt es knallhart: Digitalisierung kostet Arbeitsplätze und wer sich nicht weiterbildet, der muss gehen. „Wir brauchen in den nächsten Jahren weniger Mitarbeiter als heute“ (Heimann, Was geht, wird gemacht, in:  Arbeitsrecht im Betrieb 2016, Ausgabe 11, S. 37).  Um sinkendes Arbeitsvolumen zumindest betrieblich etwas auffangen zu können, ist Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich eine passende Antwort.

Aber auch der steigende Leistungsdruck durch die neue Technik ist ein Argument für die Verkürzung der Arbeitszeit. „Der Mensch wird für die Produktion der Zukunft eine große Rolle spielen. Menschen werden mit mobilen Endgeräten, sogenannten Smart Devices, in die Industrie 4.0 eingebunden“, so der Dortmunder Professor Michael ten Hompel. Die Einbindung der Beschäftigten über mobile Endgeräte führt zu einer enormen Verschärfung des Arbeitsdrucks. Jeder Schritt kann überwacht werden, Arbeiter sind – wie beim Versandkonzern Amazon – stets lokalisierbar und so beobachtbar. Auch die Kontrolle der Arbeiter wird verstärkt. Der Technikeinsatz erfordert eher eine Begrenzung der Arbeitszeit, um den Stress nicht weiter auszuweiten. Eine Debatte hierzu scheuen die Gewerkschaftsvorstände.

Unternehmen schaffen Fakten

Die Unternehmen brauchen keinen „Dialog“ –  sie setzen die Digitalisierung bereits in ihrem Sinne um. Mit weitgehenden Folgen: „Man lagert zunehmend Bereiche der Forschung und Entwicklung aus dem Unternehmen in Start-ups aus“, schildert Constanze Kurz, Referentin des Gesamt- und Konzernbetriebsrats der Robert Bosch GmbH, die Entwicklung. „Die Belegschaften der Start-ups sind nicht tarifgebunden und haben in der Regel auch keinen Betriebsrat. Damit wächst die Gefahr von Unsicherheit und Entsolidarisierung“ (Info der Friedrich-Ebert-Stiftung 2-2018, http://library.fes.de/pdf-files/fes/info-2018-2.pdf externer Link ).

Unternehmen wollen die Digitalisierung zum Sozialabbau und Einschränkung von Arbeitnehmerrechten zu nutzen. Christoph Schmidt fordert die Abschaffung des gesetzlichen Acht-Stunden-Tages – der Vorsitzende des „Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ begründet dies mit dem betrieblichen Alltag: „Die Vorstellung, dass man morgens im Büro den Arbeitsalltag beginnt und mit dem Verlassen der Firma beendet, ist veraltet“, (https://www.welt.de/wirtschaft/article170529775/Wirtschaftsweise-fordern-das-Ende-des-Acht-Stunden-Tags.html externer Link). Er wiederholt damit nur – unter dem Deckmantel der „Wissenschaftlichkeit“ – Forderungen aus dem Positionspapier der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA): „Chancen der Digitalisierung nutzen“. Schützenhilfe erhalten die hiesigen Unternehmen aus Österreich. Die neue ÖVP-FPÖ-Regierung will den 12-Stundentag durchsetzen. „Der Arbeitnehmerschutz in Deutschland hat sich bewährt, aber er ist teilweise nicht mehr für unsere digitalisierte Arbeitswelt geeignet“, formuliert der „Wirtschaftsweise“ Schmidt – im Nachbarland lautet die Vorgabe im „Regierungsprogramm 2017 – 2022“: „Wir wollen Österreich fit für das digitale Zeitalter machen“ durch „Entbürokratisierung“ von „Arbeitnehmerschutzvorschriften“ („Zusammen. Für unser Österreich. Regierungsprogramm 2017 – 2022“, siehe https://www.oevp.at/Programme-Statuten-Logos externer Link).

So erscheint das Neue, die moderne digitale Arbeitswelt sehr altmodisch.

Marcus Schwarzbach,
Berater für Betriebsräte, schreibt u.a. für das isw München zur Digitalisierung der Arbeit, siehe:  www.isw-muenchen.de externer Link

Siehe von Marcus Schwarzbach zum Thema im LabourNet Germany:

Siehe auch zum Thema im LabourNet Germany unser Dossier: Weißbuch Arbeiten 4.0 des BMAS – Flexibilisierung 4.0? Neuer Angriff auf das Arbeitszeitgesetz und Arbeitszeitgesetz: Kampf um den Acht-Stunden-Tag [erneut]

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=135916
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