Prävention an gefährlichen Orten: So entwickelt sich – der Polizeistaat

Strafanzeigen gegen Verantwortliche & Beteiligte “Europäischer Polizeikongress 2014” in BerlinIn den USA gibt es sie schon lange: Die polizeilich definierten „gefährlichen Orte“. Was in der Regel – dies ist bereits bis in die bürgerliche Soziologie vorgedrungen – dazu führt, dass diese Orte noch gefährlicher werden. Denn wo mehr kontrolliert wird, kommt auch mehr zu Tage und auch kleine Vergehen finden in die Statistik Eingang… Und nun, da die bundesdeutsche Polizei, beauftragt von Medienkampagnen, serienweisen neuen Polizeigesetzen und weitgehender Abschaffung der Gültigkeit von rechtlichen Bestimmungen (nannte man einst: Rechtsstaat) daran geht, ihrerseits allüberall solche Orte zu definieren, wird auch die grundsätzliche politische Orientierung solcher Vorgehensweisen deutlich. Denn was sind das für Orte, die vom Akteur selbst als Aktionsfeld bestimmt werden? Die Jahresversammlung der Automobilwirtschaft? Wo allseits bekannte Betrüger stets neue massenhafte Gefahren für Leib und Leben produzieren? Die Hauptversammlung von Rheinmetall? Auf Konto deren Tätigkeit so viele Todesopfer rund um die Welt gehen? Natürlich nicht, deren Sicherheit muss schließlich gewährleistet werden. Sondern es sind die „guten, alten“ Problemviertel, sei es in Dortmund, Duisburg oder Offenbach, wo Migration und Armut zusammen kommen. Zur Entwicklung polizeistaatlichen Alltags zwei aktuelle Beiträge sowie ein Beitrag zum (rechten) Polizeikodex, der dabei zum Tragen kommt – und gestärkt wird – und der Hinweis auf die Deutschlandfunk-Sendung am 24.07.2018:

  • „Gefahrenlage ganz nach Gutdünken“ von Hendrik Lasch am 20. Juli 2018 in neues deutschland externer Link, worin über die 61 „gefährlichen Orte“ in Sachsen und die gesellschaftliche Debatte, die nach ihrer Bekanntgabe entstand, berichtet wird: „Tatsächlich sagt die Einstufung wenig bis nichts über das Risiko aus, bestohlen oder überfallen zu werden. Der Begriff, stellt das Innenministerium klar, lasse »keine belastbaren Schlüsse auf die Gefährlichkeit im klassischen Sinne« zu. In der Antwort auf Lippmanns Anfrage erklärt das Ministerium, ein Ort werde als »gefährlich« eingestuft, wenn es »Anhaltspunkte« gibt, dass dort Straftaten verabredet oder begangen werden oder sich Straftäter verbergen. Die Einstufung sei ein »sehr dynamischer Prozess«; gefährliche Orte könnten »heute hier, morgen dort« sein, wird betont. Im Dezember 2017 gab es in Sachsen noch 67 solcher Plätze. Seither wurde für etliche Plätze in Chemnitz und für den Kornmarkt in Bautzen Entwarnung gegeben – in Aue, Stollberg oder Rochlitz wurden aber neue Orte definiert. Das scheint nach Gutdünken zu geschehen, wie allein die geografische Verteilung zeigt: Die Polizeidirektion Chemnitz weist 46 gefährliche Orte aus, die im benachbarten Zwickau keinen einzigen, die in Görlitz nur einen. In Dresden und Leipzig sind es acht beziehungsweise sechs. Lippmann spricht von einer »willkürlichen« Benennung und kritisiert zudem, dass auffällig viele Unterkünfte von Flüchtlingen genannt werden. Ein Grund dürfte sein, dass nach Definition des Ministeriums auch Orte als gefährlich gelten, an denen »Personen ohne erforderliche Aufenthaltserlaubnis« anzutreffen sind. Der rechtspopulistische Verein »Heimattreue Niederdorf« macht diese Liste prompt zum Beleg dafür, dass Kriminalität nicht mehr nur ein Großstadtproblem, sondern auch in Dörfern anzutreffen sei…
  • „Eine neue Sicherheitsarchitektur: „Vor die Lage kommen““ von Matthias Becker am 22. Juli 2018 bei telepolis externer Link, worin zur Entwicklung der ideologischen Begründung für solche Entwicklung fest gehalten wird: „Polizeiarbeit dreht sich immer stärker um die Begriffe Risiko und Vorbeugung. Diese Entwicklung hat sicher damit zu tun, dass sich mit entsprechender Software Risikoprognosen erzeugen lassen. Aber die „präventive Wende“ in der Polizeiarbeit wird weniger vom technischen Fortschritt als vielmehr dem erfolgreichen politischen Agieren der Sicherheitsbehörden angetrieben. Statt bereits begangene Verbrechen aufzuklären, soll die Polizei zukünftige verhindern – und zu diesem Zweck braucht sie angeblich mehr Eingriffsrechte. Diese Argumentation ist keineswegs neu. Die „präventive Wende“ in der Strafverfolgung setzte schon in den 1970er Jahren ein. Seit den 1980er Jahren wandern polizeiliche Befugnisse aus der Strafprozessordnung in die Polizeigesetze. Die Strafprozessordnung dreht sich um die Straftat, die Polizeigesetze um die Gefahr. Entsprechend darf die Polizei immer mehr Maßnahmen ergreifen, um Gefahren abzuwehren, sie soll tätig werden, bevor ein Verbrechen begangen wurde. Die Ausrichtung von Polizei (und auch Justiz) auf Prävention setzte also lange vor 9/11 ein, aber sie beschleunigte sich im „Krieg gegen den Terror“. Die neuen Polizeigesetze in Deutschland sind der bisherige Höhepunkt dieser langjährigen Entwicklung. „Die effizienteste Abwehr von Gefahren ist doch, diese gar nicht entstehen zu lassen“, erklärte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann diese Teile des Polizeiaufgabengesetzes…
  • „Polizeigewalt“ von Leo Fischer am 20. Juli 2018 in neues deutschland externer Link über den international bekannt gewordenen Fall der Bonner Polizei, die peinlicherweise einen bekannten Professor aus den USA „erwischte“ – und wie solche Aggressionen normalerweise ablaufen: „Der Fall Melameds zog Kreise – doch jeder, der jetzt überrascht tut, kennt einen ähnlichen Fall, wo eben nichts passiert ist. Seien es Teilnehmer einer Demonstration, seien es lockere Sprüche bei einer Kontrolle im Bahnhofsviertel, die Kette ist immer die gleiche: brutale Festnahme, psychologische Bearbeitung auf der Wache, Drohung mit Gegenanzeige, eine gleisnerische Pressemitteilung – und Medien, die sie eins zu eins aus dem Polizeiticker übernehmen. Die Gegenanzeige geht meist zugunsten der Polizei aus, denn kein Richter niederer Instanzen zweifelt an der Redlichkeit eines Polizisten und den feingetunten Aussagen seiner Kollegen. Je ausländischer der Beklagte, desto redlicher dabei die Polizisten, desto angemessener stellt sich retrospektiv die gebrauchte Gewalt dar. Jeder kennt dieses System. Man hat sich darauf eingelassen. Ärgerlich ist es schon, aber wie soll es anders laufen? So redet man sich das alles schön – und wird zum Komplizen. Es braucht einen geradezu klischeehaften Professor aus Amerika, dem man im Gegensatz zu anderen Ausländern keine niederen Motive nachsagen darf, um festzustellen, dass an diesem System etwas grundsätzlich nicht stimmt. Melamed benannte es ohne Scheu: »Polizeigewalt«. Das Verhältnis zwischen den Deutschen und ihrer Polizei stellt sich stets ein wenig so dar wie ein prügelnder Ehemann in der Familie. Man spricht von Ausrutschern, beschönigt, vertuscht; er ist ja doch eigentlich ein Guter, er hat nur viel Stress in letzter Zeit. Hier wie dort deckt das Umfeld die Taten, ja macht sie überhaupt erst möglich. Nirgends zeigt sich dies so klar wie in der deutschen Populärkultur, im deutschen »Tatort« (…)Es ist ein System, über das wir uns mit Recht empören, wenn es in der Türkei oder in Südamerika praktiziert wird, das wir hier jedoch als schmutziges Familiengeheimnis verhandeln. Diese Polizei, die die Öffentlichkeit nicht nur im Fall Melamed zum Narren hält, ist bei alledem, wie der Familienvater, auch noch ständig am Heulen, will bemitleidet und gehätschelt werden, will jetzt auch Panzer und Handgranaten, die sie bestimmt so verantwortungsvoll einsetzt wie den Vorwurf des »Widerstands gegen die Staatsgewalt«….
  • Siehe auch den Hinweis auf die Deutschlandfunk-Sendung von Marie von Kuck externer Link am 24.07.2018, 19:15 Uhr: Polizeigewalt in Deutschland: Täter in Uniform
    Wenn Polizisten in Deutschland Straftaten begehen, werden sie nur sehr selten zur Verantwortung gezogen – begünstigt durch ein System, in dem Gewalt von Polizisten nicht unabhängig untersucht wird. Dafür landen nicht selten die Opfer auf der Anklagebank. Je brenzliger die Lage, desto lauter der Ruf nach starken Sicherheitsorganen. Doch was, wenn Polizisten selbst zur Gefahr werden? Die Liste der Vorwürfe ist lang: Anschläge auf friedliche Bürger, Misshandlungen in Gewahrsamszellen, sogar Totschlag und Mord im Dienst. Die Polizeigewerkschaft spricht von bedauerlichen Ausnahmen und schwarzen Schafen. Doch Amnesty International kritisiert strukturelle Polizeigewalt in Deutschland schon seit Jahren…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=135012
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