Keine Panik 4.0! Digitalisierung, „Industrie 4.0“ oder die neuste Transformation des Kapitalismus

graswurzelrevolution„… Digitalisierung bedeutet, in den Worten von Matthias Becker „Akkordarbeit ohne Akkordlohn, standardisierte Arbeistabläufe, automatische Kontrolle und Management über Kennzahlen, eine hohe Fluktuation der Belegschaft und einen erbitterten Preiskampf um die Marktbeherrschung“. Für die Arbeiter*innen heißt „Arbeit 4.0“ vor allem eins: eine effizientere Ausbeutung ihrer Arbeitskraft.  (…) Die in der Luft schwebende Drohung des Arbeitsplatzverlusts entpuppt sich – das ist abzulesen am Positionspapier „Chancen der Digitalisierung nutzen“ des Arbeitgeberverbands (BDA) sowie am „Weißbuch Arbeit 4.0“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales – als Strategie für einen umfassenden und entgrenzten Zugriff auf Arbeitszeit und Arbeitskraft. Vulgo: Wenn ihr eure Arbeitsplätze erhalten wollt, müsst ihr einfach flexibler werden! Die Panikmache vor Jobverlust durch die „Industrialisierung 4.0“ führt auch dazu, andere Tendenzen der Inwertsetzung von lebendiger Arbeit zu verdecken: Zunehmend wird versucht, die Freizeit, die Reproduktionsarbeit usw. in Lohnarbeit zu verwandeln…“ Rezension von Torsten Bewernitz aus der graswurzelrevolution 429 vom Mai 2018, sie behandelt das Buch von Becker, Matthias: Automatisierung und Ausbeutung. Was wird aus der Arbeit im digitalen Kapitalismus? (ProMedia, Wien 2017. 240 Seiten, 19,90 euro, ISBN 9783853714188) – wir danken!

Keine Panik 4.0! Digitalisierung, „Industrie 4.0“ oder die neuste Transformation des Kapitalismus

Rezension: Becker, Matthias: Automatisierung und Ausbeutung. Was wird aus der Arbeit im digitalen Kapitalismus? ProMedia, Wien 2017. 240 Seiten, 19,90 euro, ISBN 9783853714188.

Ein Wort geht um in Europa und der Welt – der Begriff „Industrialisierung 4.0“, manchmal auch „Industrie 4.0“ oder „Arbeit 4.0“. Die Wirkung dieses Begriffes hat etwas Gespenstisches. Die ersten empirischen Studien zur Digitalisierung oder auch Smartifizierung der Industrie und vor allem auch des Dienstleistungssektors aus dem MIT und aus Oxford sagen massive Arbeitsplatzverluste voraus. Auch, wenn andere Studien diese Zahlen von über 40 bzw. sogar 59 Prozent relativieren, bleibt in der öffentlichen Debatte die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust ein wesentlicher Bestandteil dieses Diskurses.

„Diskurs“ ist dabei der richtige Begriff, um das zu beschreiben, was in der Marktwirtschaft und Produktion gerade passiert – ein „Buzzword“, wie es der Autor Marcus Schwarzbach nennt. (1) Letztlich ist das Schlagwort „Industrialisierung 4.0“ bewusst von der Unternehmensseite in die Waagschale geworfen worden, um bestimmte wirtschaftliche Entwicklungen zu implizieren – letztlich, dass der Kapitalismus weiterhin funktioniert, dass es also weiterhin Wachstum gäbe.

„Industrialisierung 4.0“ suggeriert dabei, dass wir vor einem ökonomischen Wandel stehen (bzw. schon mittendrin sind), der sich mit den bisherigen „industriellen Revolutionen“ messen kann. Das sind die „Industrialisierung 1.0“, also die Einführung der Dampfmaschine und die ersten Fabriken, „Industrialisierung 2.0“ ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der Elektrifizierung und der Einführung des Fließbands (Fordismus und Taylorismus) verbunden und als dritte industrielle Revolution wird die Robotisierung und Automatisierung bezeichnet, die vor allem durch die Erfindung des Microchips möglich wurde. Die Erzählung der „Industrialisierung 4.0“ soll einen neuen Wachstumsschub nahe legen, der die Wirtschaft umwälzt – nicht thematisiert werden dabei die drastischen negativen Auswirkungen, die all diese Industrialisierungsschübe hatten. Die Juristin Yvonne Hofstetter geht dabei soweit zu behaupten, dass die „smarte Technologie“ für das 21. Jahrhundert dieselbe Bedeutung haben wird wie die Elektrizität für das 20. Jahrhundert. (2)

Was tatsächlich als „Industrialisierung 4.0“ bezeichnet wird, ist facettenreich. Dabei geht es einerseits um eine Umstrukturierung der bestehenden Arbeit – wenn in der metallverarbeitenden Industrie z.B. die Rohstoffe und Waren digital erfasst werden, um sie durch die gesamte Wertschöpfungskette – von der Rohstoffgewinnung bis zur Entsorgung – zu begleiten oder auch, wenn digital gesteuerte Roboter den Menschen ihre Bedürfnisse mitteilen, wie sie etwa gewartet werden müssen oder welcher Arbeitsschritt als nächstes notwendig ist. Ein weiterer Punkt ist z.B. die Steuerung der Arbeitszeit – dm etwa hat Ende 2017 alle Mitarbeiter*innen mit Smartphones ausgestattet. U.a. kann so per Doodle die Bereitschaft zu Sonderschichten abgefragt werden. Das bekannteste Beispiel der digitalisierten Arbeit sind sicherlich die neuen virtuellen „Marktplätze“: Uber, AirBnB, Amazon, Google, Facebook, Deliveroo und Foodora, um die bekanntesten zu nennen. Hier geht es um neue Distributionswege, vor allem um kurze Warenwege – und nicht zuletzt darum, aus den Konsument*innen „Prosument*innen“ zu machen, also sämtliche Handlungen der Kund*innen marktförmig zu gestalten und zu nutzen – symbolisch steht dafür amazons „Alexa“, also die Absurdität, dass Kund*innen sich freiwillig ein Gerät in den Haushalt stellen, das für amazon ihre Daten sammelt – und dafür noch bezahlen!

Zusammengefasst:

„Industrialisierung 4.0“ vernetzt Menschen, Maschinen und Waren und organisiert unter ihnen einen Datenaustausch, um den Kapitalismus „effizienter“ zu gestalten – Produktion und Distribution „on demand“ und „just in time“, am besten Einzelstücke auf Kundenwunsch, Lieferungen in Minutenschnelle und damit verbunden Arbeit, wann immer sie notwendig ist. Digitalisierung bedeutet, in den Worten von Matthias Becker „Akkordarbeit ohne Akkordlohn, standardisierte Arbeistabläufe, automatische Kontrolle und Management über Kennzahlen, eine hohe Fluktuation der Belegschaft und einen erbitterten Preiskampf um die Marktbeherrschung“. (3) Für die Arbeiter*innen heißt „Arbeit 4.0“ vor allem eins: eine effizientere Ausbeutung ihrer Arbeitskraft.
Um die Vision der „Industrie 4.0“ zu verdeutlichen, schildert Matthias Becker in seinem Buch die Raumschifftüren, die mit EPM („Echtes Menschliches Persönlichkeitsbild“) ausgestattet sind (S.169), auf die Arthur Dent in „Per Anhalter durch die Galaxis“ stößt und die der Roman-(Anti-)Held zurecht „grässlich“ findet. Becker nennt in Bezug auf sein Thema Douglas Adams Werk als visionär. Tatsächlich wäre eine EPM heute dadurch realisiert, dass den Konsument*innen eine emotionale Maschine vorgegaukelt wäre, hinter der sich aber nach wie vor irgendwo ein Mensch – ein*e Arbeiter*in – versteckt. Dieses Bild verdeutlicht, dass menschliche Arbeit notwendig bleibt und in Bezug auf die offensive Drohung mit Jobverlust lässt sich das Titelblatt des fiktiven Hitchhikers Guide aus dem Roman zitieren: Keine Panik!

Die Panikmache bezüglich der horrenden Zahlen in Sachen Arbeitsplatzabbau ist letztlich massiv übertrieben, denn praktisch ändert die Digitalisierung weniger, als uns vorgegaukelt wird. Ja, bestimmte Arbeitsplätze – und zwar die prekären und mit geringer Qualifikation verbundenen – haben ein erheblich größeres Risiko, tatsächlich zu verschwinden. Aber: „Menschliche Arbeitskraft wird auch in der Industrie 4.0 noch lange Zeit nachgefragt werden.“ (4) Die in der Luft schwebende Drohung des Arbeitsplatzverlusts entpuppt sich – das ist abzulesen am Positionspapier „Chancen der Digitalisierung nutzen“ des Arbeitgeberverbands (BDA) sowie am „Weißbuch Arbeit 4.0“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales – als Strategie für einen umfassenden und entgrenzten Zugriff auf Arbeitszeit und Arbeitskraft. Vulgo: Wenn ihr eure Arbeitsplätze erhalten wollt, müsst ihr einfach flexibler werden!

Die Panikmache vor Jobverlust durch die „Industrialisierung 4.0“ führt auch dazu, andere Tendenzen der Inwertsetzung von lebendiger Arbeit zu verdecken: Zunehmend wird versucht, die Freizeit, die Reproduktionsarbeit usw. in Lohnarbeit zu verwandeln – das Ende des fordistischen Ernährermodells (der Mann bringt das Geld nach Hause) zugunsten eines Haushalts, in dem möglichst alle Mitglieder prekär arbeiten, ist nur ein Beispiel dafür. Einige Aspekte der Digitalisierung fördern diesen Prozess, so etwa die „Gig Economy“ bei amazon, Uber, Foodora und Co und die „Prosumption“ (die Produktion durch Konsument*innen) bei Facebook oder Google. Die zunehmende Vernetzung führt zu einer Zunahme internationaler Arbeitsplatzkonkurrenz. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Digitalisierung nur eines von mehreren Mitteln ist, möglichst viele Menschen von der Lohnarbeit abhängig zu machen – nicht als Selbstzweck, sondern zur Ausbeutung der Ware Arbeitskraft – und die daraus entstehende vermehrte und globale Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt ist es, die zur Bedrohung des Jobverlusts führt: Gerade die Verbilligung der Arbeitskraft durch diese Konkurrenz ist es ja, die die vermehrte Inwertsetzung möglich macht. (5) „Industrialisierung 4.0“ ist auch deswegen ein Diskursphänomen, weil es über die Denkweise das Verhalten verändert: Die in der Arbeitswelt verlangte und digital gesteuerte „Selbtsoptimierung“ wird zum kapitalistischen Dispositiv, das auch das Freizeitverhalten steuert – zumal Freizeit und Arbeitszeit, so die dystopische Vision, zunehmend ununterscheidbar werden. Davon legen Selftracking-Geräte bered Zeugnis ab. (6)  Der neue technologische Angriff ist ein Angriff auf den gesamten Körper und die gesamte Zeit, um beides ökonomisch nutzbar zu machen.

Technik ist nie „unpolitisch“ oder unabhängig von den sozialen Rahmenbedingungen und damit auch von der bisherigen Geschichte der Dialektik zwischen Technik und Sozialem. Darauf weisen z.B. alle Autor*innen der Prokla-Schwerpunktausgabe zum Thema (Nr.187/2017) hin. In der sozialwissenschaftlichen, gewerkschaftsnahen und linksradikalen Kritik ist das fast schon ein Allgemeinplatz – aber eben diese bestimmen den Diskurs nicht, sondern in der breiten (Fach-)Öffentlichkeit werden fast ausschließlich die Positionierungen der IT und des Ingenieurwesens wahrgenommen – soweit die Diskussion überhaupt wahrgenommen wird, denn trotz der weitreichenden Konsequenzen haben etwa 80 Prozent der Bevölkerung noch nie etwas von „Industrie 4.0“ gehört. Nun sind dies genau die „Expert*innen“, deren Jobs, Forschungsgelder und Projekte von einem positiven Bild dieser Entwicklung abhängen. Diese Akteure haben also ein lebhaftes Interesse daran, den Stand der Entwicklung auch etwas zu übertreiben oder schönzureden.

Das ist nichts Neues, wie Matthias Becker ausführlich beschreibt. Ob Vaucansons mechanische verdauende Ente (1745), der sogenannte „Schachtürke“ (1769), der seinen diskursiven Nachhall noch in amazons GigEconomy-Plattform „mechanical turk“ hat, oder auch der Roboter, der angeblich ein Weizenbier einschenken kann (2016) – alle technischen Erfinder und die dahinter stehenden Unternehmen haben ihre Erfindungen übertrieben, um die Entwicklung zu forcieren (S.67 – 80). Auch das gehört zur sozialen Bedingtheit von Technik.

„Die Entwicklung der Technologie folgt aus gesellschaftlichen Entscheidungen, die die sozialen Beziehungen der Produktion spiegeln“. (7) Die Auswirkungen der Technologie, so Noble weiter, resultieren aus eben diesen gesellschaftlichen Entscheidungen – die Technik ist Ausdruck der sozioökonomischen Machtverhältnisse. „Das Misstrauen der Ingenieure gegenüber menschlichen Wesen ist eine Manifestation des Misstrauens des Kapitals gegenüber der menschlichen Arbeit“. (8) Technik ist also nie wertfrei und entsteht nicht in einem „vorpolitischen“ Raum, sondern die Einführung einer bestimmten Technologie ist stets an die Machtverhältnisse gekoppelt.
Die Koppelung an Machtverhältnisse bedeutet auch die Koppelung an handfeste materielle Gewaltverhältnisse. Ranga Yogeshwar etwa präsentiert in der „DB mobil“ anlässlich des Bonner Klimagipfels die smarte Technologie als vermeintliche Lösung ökologischer Probleme, denn die Koordinierung via App könne Ressourcenverschwendung (etwa über die Organisierung von Fahrgemeinschaften) begrenzen. Wie nur allzu häufig, so wird auch hier vergessen, dass die digitale Wirtschaft eine materielle Basis hat, die – allerdings meist fernab von Europa – soziale und ökologische Kosten produziert. Computer, Tablets und Smartphones benötigen Rohstoffe, die nicht nur in einem ökologischen Raubbau gewonnen werden, sondern auch unter Arbeitsbedingungen, die gemeinhin als überwunden galten. Sei es unter den Bedingungen der Frühindustrialisierung wie in China (Foxconn), oder in Form von Schuldknechtschaft und Sklaverei bei der Rohstoffgewinnung z.B. im Kongo. (9)

Betrachtet man sich den tatsächlichen „Fortschritt“ (ein Begriff, der ja aufgrund der durch ihn implizierten vermeintlichen zeitlichen Linearität an sich schon problematisch ist) durch die weitergeführte Digitalisierung, so müssen wir bezweifeln, dass es sich hier um eine „industrielle Revolution“ handelt. Die aktuellen technischen Entwicklungen, so Becker (10), haben bislang keine Produktivitätssprünge ermöglicht. Es entwickelt sich hier lediglich die elektronische Datenverarbeitung wie seit den 1980er Jahren weiter. Durch Industrie 4.0 wird weder mehr hergestellt noch anderes, was verkaufbar wäre. Es gewinnen nur andere kapitalistische Akteure: Uber statt traditioneller Taxiunternehmen, amazon statt dem lokalen Buchhandel, AirBnB statt Hotels, Foodora statt der Dönerläden um die Ecke usw. Ein angeblicher Aufschwung ist aus dieser Verschiebung im globalen Unternehmensgefüge nur durch verstärkte Arbeitskraftausbeutung möglich – also durch geringere Löhne, erhöhte Arbeitszeiten und vor allem eine Verdichtung der Arbeit – „Verdichtung, Beschleunigung, Abwertung“ schreibt Matthias Becker. (11) Von der „Industrialisierung 4.0“ bleibt dann letztlich nur, dass die effektivste Nutzung menschlicher Arbeitskraft zunehmend von Algorithmen berechnet wird – und die zunehmende Arbeitsverdichtung für die einen ist es, die möglicherweise den Arbeitsplatzverlust der anderen bedingt.

Das führt uns zu einem entscheidenden Aspekt der Diskurspolitik, die mit der „Industrialisierung 4.0“ betrieben wird: Wir befinden uns seit 2007 in einer Krise, die in der Geschichte des Kapitalismus bislang einmalig ist, weil sie zum ersten Mal gleichzeitig den Rückgang des wirtschaftlichen Wachstums, das Ansteigen der Gesamtverschuldung der Volkswirtschaften und die Ungleichheit von Vermögen und Einkommen beinhaltet. (12) Wenn sich der Kapitalismus bislang aus einer seiner zyklischen Krisen befreien konnte, so hing dies in der Regel mit einer Basisinnovation (wie Dampfmaschine, Elektrotechnik oder Microchip und Container) (13) zusammen: Trotz aller Spekulationen (Carework, Green Economy, Digitalisierung…) mangelt es dem Kapitalismus bislang an einer Basisinnovation, die ihn aus dieser Vielfachkrise herauskommen lassen könnte. Um so wichtiger ist es, ein Licht am Ende des Tunnels vorzugaukeln. Dabei ist dieses „Licht“ eben nicht nur die Vorspielung falscher Tatsachen, um Menschen im allgemeinen und Arbeiter*innen im besonderen eine wirtschaftliche Sicherheit vorzugaukeln, sondern gleichzeitig ein Druckmittel, um vermehrt Opferbereitschaft für das Kapital zu erreichen.

Vielleicht ist also ein wenig Panikmache doch ganz angebracht?

Wenn es an der historischen Untersuchung Matthias Beckers etwas zu kritisieren gibt, dann vielleicht den Aspekt, dass er angesichts der beschriebenen Entwicklungen in ihrem historischen Kontext zu gelassen bleibt. Allein am Ende scheint doch etwas Unruhe auf: „Es ist, als sei die Menschheit in ein zirkuläres Irresein geraten, aus dem sie nicht herauskommt. Rationalisierung ohne Sinn und Verstand“ (S.201). Ansonsten ist „Automatisierung und Ausbeutung“ auch aufgrund des journalistischen Stils mit eine der gelungensten – Becker wechselt zwischen eigenen Erfahrungen, historischen Recherchen und Industriereportagen und vermixt diese Aspekte zu einem großen Ganzen, indem er die verschiedenen beschriebenen Erfahrungen kontextualisiert. Während Marcus Schwarzbachs gelungene und praktisch nutzbare Einführung (14) formalistisch daherkommt, ist das Büchlein des ehemaligen ver.di-Funktionärs René Arnsburg doch arg propagandistisch. (15) Das geht soweit, dass sein Gegenwehr-Kapitel keinen Zusammenhang mehr mit dem Thema aufweist, sondern ganz plump ein Plädoyer für eine staatliche Planwirtschaft darstellt.

Von solchen Dystopien ist Matthias Becker weit entfernt, ebenso wie er – trotz der Referenz auf Douglas Adams – aus der Industrie 4.0 weder eine Dystopie noch wie viele ihrer Vertreter*innen eine Utopie macht. Trotz dieser scheinbaren „Neutralität“ ist Beckers Einführung keineswegs trocken-deskriptiv. Becker weiß zu beschreiben, wie Geschichte von Menschen gemacht wurde, was die Geschichte mit den Menschen macht und was heutige Menschen einerseits für Geschichten erzählen – etwa die Mär einer neuen industriellen Revolution – und was auch solche Erzählungen mit Menschen machen. Technik kommt eben nicht „über uns“, sondern sie ist Bestandteil der sozialen Verhältnisse – und die waren, sind und bleiben nun mal menschengemacht und damit veränderbar.

Torsten Bewernitz

Anmerkungen:

1) Marcus Schwarzbach: Digitaler Arbeitsdruck. https://direkteaktion.org/digitaler-arbeitsdruck/ externer Link

2) Jo Wüllner: Ein Ende der Arbeit? S.15. In: Hintergrund 2/2017. S.14 – 16.

3) Matthias Becker: Industrie 4.0: Die Automatisierung der Ausbeutung. S.102. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 10/2017. S.101. – 107.

4) Ebd. S.107.

5) Siehe Florian Butollo und Yannick Kalff: Entsteht der Postkapitalismus im Kapitalismus? Eine Kritik an Masons Transformationsstrategie. In: ProKla 187/2017. S.291 – 308. Schwerpunkt dieser Ausgabe der ProKla ist ebenfalls „Arbeit und Wertschöpfung im digitalen Kapitalismus“ und für das Thema sehr zu empfehlen.

6) Vgl. capulcu Redaktionskollektiv: Disrupt! Widerstand gegen den technologischen Angriff. Münster 2017.

7) David Noble: Maschinenstürmer. Oder. Die komplizierten Beziehungen der Menschen zu ihren Maschinen. Berlin 1986. S.118.

8) Ebd. S.110.

9) Vgl. Christian Fuchs: Zur Theoriebildung und Analyse der digitalen Arbeit. Die globale Produktion digitaler Hard- und Software (Teil I). In: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung 103, September 2015 (Schwerpunkt Digitale Arbeit und Gewerkschaften). S.85 – 95.

10) Matthias Becker: Industrie 4.0: Die Automatisierung der Ausbeutung. S.106. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 10/2017. S.101. – 107.

11) Ebd. S.107.

12) Wolfgang Streeck: Wie wird der Kapitalismus enden? S.99f. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 3/2015. S.99. – 111.

13) Vgl. Karl Heinz Roth: Die globale Krise. Hamburg 2009.

14) Marcus Schwarzbach: Work around the clock? Industrie 4.0, die Zukunft der Arbeit und die Gewerkschaften. Köln 2016.

15) René Arnsburg: Maschinen ohne Menschen? Industrie 4.0: Von Schein-Revolutionen und der Krise des Kapitalismus. Berlin 2017

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=132709
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