»
Frankreich »
» »

Frankreichs umkämpfte Arbeitsrechts-„Reform“, Teil 38

Artikel von Bernard Schmid vom 27. Juni 2016Alter Summit: Carton rouge au projet „Loi Travail“ en France

Neue Demonstration am morgigen Dienstag: zur Abwechslung genehmigt * Attacke auf den Sitz des Dachverbands CGT in Montreuil: zwei unidentifizierte Individuen * Vorübergehende Besetzung eines Kraftstofflagers in Fos-sur-Mer * Platzbesetzerbewegung geht weiter, ruft zu internationaler Beteiligung auf und plant 14. Juli in Clichy-sous-Bois auf

Zur Abwechslung mal wieder genehmigt: Am Montag früh (27. Juni) wurde bekannt, dass für den elften gewerkschaftlichen „Aktionstag“ am morgigen Dienstag eine Demonstration in Paris genehmigt wurde. Anders als am vorigen Donnerstag, den 23. Juni d.J. (vgl. unseren Teil 37) soll sie sich auch nicht in einer Art Käfig abspielen.

Infolge von „Ausschreitungen“ am Rande der Pariser Zentraldemonstration vom 14. Juni 2016 ging die Regierung vergangene Woche erstmals zu einer Verbotsstrategie über: Am Vormittag des Mittwoch, den 22. Juni verhängte das Innenministerium ein Verbot über die, am folgenden Tag geplante Gewerkschafts- und Sozialprotest-Demonstration. Es handelte sich um das erste Verbot einer Demonstration mit gewerkschaftlicher Unterstützung in Frankreich seit dem Jahr 1962, also der Schlussphase des Algerienkriegs.

Nach einem Aufschrei auch in der etablierten Politik (u.a. die Neofaschistin Marine Le Pen und der konservative Ex-Präsident Nicolas Sarkozy konnten sich auf dem Weg auf wohlfeile Weise als Superdemokraten profilieren…) und infolge mehrstündiger Verhandlungen wurde das Verbot doch noch aufgehoben. Ein Berater von Premierminister Manuel Valls wurde in der Pariser Abendzeitung Le Monde mit den Worten zitiert, es sei ohnehin eher inopportun erschienen, hätte man „Jean-Claude Mailly“ – den Generalsekretär des Gewerkschaftsdachverbands FO – „und fünfzehn Abgeordnete“ (gemeint wohl: von der Linksfraktion oder vom halboppositionellen Flügel der Sozialdemokratie) „abführen müssen“. Dies hätte dann doch vielleicht eher ungünstige Bilder geliefert.

Doch die Demonstration wurde nur unter extremen Auflagen genehmigt; und darin liegt vielleicht der eigentliche, wahre Sieg der Regierung. Den Teilnehmer/inne/n wurde nur eine Route von 500 Metern gewährt, an deren Ende sie kehrtmachen und zum Ausgangsort zurücklaufen mussten. Die Gesamtstrecke der Demonstration (an der trotz allem rund 30.000 Menschen teilnahmen) betrug nur 1,6 Kilometer.

Ferner mussten die Teilnehmer/inn/en eine vierfache polizeiliche Absperrung durchqueren und sich einzeln durchsuchen lassen. Die innerste Polizeikette hatte rund um den Pariser Bastille-Platz, der den Ausgangs- und Abschlussort der Demonstration bildete, eine fast hermetische Absperrung mit Plexiglasschildern gezogen und nur einen Ausgang offen gelassen. Dort war auch ein Wasserwerfer stationiert. Rund 80 Menschen in Paris, über 110 in ganz Frankreich wurden an dem Donnerstag vorübergehend festgenommen, unter ihnen auch Journalisten wegen des Mitführens von Fahrradhelmen. Abgesehen hatten die „Ordnungs“kräfte es offenkundig auch auf die Streets Medix (Medics), also auf das Sanitätsteam der Demonstrationen. Verboten waren u.a. Schals und Halstücher, weil viele Teilnehmer/innen diese nach den erfahrenen der vergangenen Wochen mit Zitronensaft, Milch oder Malox (einem Arzneimittel gegen Übelkeit) tränken und auf diese Weise den Wirkungen von Tränengas ein wenig besser standhalten. Teilnehmer/innen an Versuchen, Spontandemonstrationen in einiger Entfernung vom Bastille-Platz abzuhalten, wurden auf dem Vorplatz der(alten) Pariser Börse sowie beim Hôtel de Ville/Rathaus zerstreut oder vorübergehend festgenommen.

In den „sozialen Medien“ verglichen viele Kommentator/inn/en den Protestzug mit einem Rundgang auf einem Gefängnishof. Die Regierung, die sich im Anschluss auf ihren „Erfolg“ in Gestalt ausbleibender Ausschreitungen berief, hat dadurch einen absolut bedenklichen Präzendenzfall geschaffen.

Am morgigen Dienstag, wird nun eine genehmigte Demonstration stattfinden. (Genau genommen braucht eine Demo in Frankreich nicht genehmigt zu werden, sondern die Veranstalter/innen müssen diese Ausübung eines Grundrechts lediglich bei den Behörden anmelden, um diesen u.a. die Verkehrsregelungen zu ermöglichen. Es liegt notfalls an den Behörden, wegen Sicherheitsbedenken ihrerseits eine Entscheidung zu treffen und Auflagen oder ein Verbot auszusprechen – die jedoch einer gerichtlichen Prüfung unterliegen. Derzeit gilt allerdings in Frankreich der Ausnahmezustand, seit dem 14. November 2015 und infolge seiner dritten Verlängerung noch mindestens bis zum 26. Juli 2016, möglicherweise auch darüber hinaus. Streng genommen ist auch im Ausnahmezustand keine Vorab-Genehmigung erforderlich, sondern es bleibt bei einem Anmeldeverfahren. Allerdings liefert der Ausnahmezustand aus sich heraus einen pauschalen Verbotsgrund, falls die Behörden denn ein Verbot aussprechen wollen. Insofern besitzen die Behörden im Ausnahmezustand eine weitgehende Handlungsfreiheit.)

Die Demonstrationsroute in Paris am morgigen Dienstag wird von der place de Bastille, im Südosten der französischen Hauptstadt, zur place d’Italie im Pariser Süden führen. (Vgl. http://tempsreel.nouvelobs.com/en-direct/a-chaud/24497-loitravail-nouveau-defile-autorise-mardi-paris-prefecture.html externer Link und http://canempechepasnicolas.over-blog.com/2016/06/manifestation-unitaire-a-paris-contre-la-loi-travail-demain-28-juin-de-la-bastille-a-la-place-d-italie.html externer Link)

Zu den Vorzügen dieser Route aus Sicht der Veranstalter/innen dürfte zählen, dass sie relativ langgestreckt ist und eine sichtbare Präsenz im öffentlichen Raum – unter den Augen relevanter Teile der Pariser Bevölkerung – ermöglicht. Aus Sicht der Staatsmacht hat sie hingegen den Vorteil, dass eine Demonstration auf dieser Route relativ leicht zweizuteilen ist. Da sie auf der Höhe des Austerlitz-Bahnhofs über eine Seinbrücke führt, fällt es den Einsatzkräften (wie sich in den vergangenen Woche erwies) leicht, die Demonstration abzuschneiden, wenn sie dies für erforderlich halten. Beim Überqueren der Seine ist eine Ausweichroute nicht möglich. Verglichen mit der Käfig-Demo am vergangenen Donnerstag handelt es sich dennoch nahezu um Luxusbedingungen…

Attacke auf die CGT

In der Nacht vom Freitag zum Sonntag, also vom 24. auf den 25. Juni 16 richteten zwei bislang nicht identifizierte Individuen mit Hammerschlägen einen Scheibenbruch am Sitz der CGT im Pariser Vorort Montreuil an. Auch versuchten sie, durch die Eingangstür ins Innere des Gebäudes zu gelangen, was ihnen jedoch nicht gelungen ist. (Vgl. beispielsweise http://www.francetvinfo.fr/economie/emploi/carriere/vie-professionnelle/droit-du-travail/le-siege-de-la-cgt-a-ete-vandalise-dans-la-nuit-de-vendredi-a-samedi-a-montreuil_1517235.html externer Link und http://www.lemonde.fr/economie-francaise/article/2016/06/25/le-siege-de-la-cgt-a-montreuil-vandalise_4958166_1656968.html externer Link) In einer ersten Reaktion erklärte die CGT, man werde sich „nicht einschüchtern lassen“ (vgl. http://www.cgt.fr/La-CGT-ne-se-laissera-pas.html externer Link)

Die Hintergründe dieser Attacke auf das Gebäude des stärksten Gewerkschaftsdachverbands in Frankreich sind bislang nicht geklärt. Der Angriff erfolgte rund 24 Stunden nach einem Glasbruch am Hauptsitz der CFDT, des rechtssozialdemokratisch geführten zweitstärksten Dachverbands. (Wir berichteten in Teil 37 vom vergangenen Freitag darüber.) Im Falle der CFDT bestehen allerdings keine Zweifel an den Hintergründen: Der Glasschaden erfolgte am Rande einer „Spontandemonstration“, die am Donnerstag gegen 21 Uhr losgelaufen war, und bildete unzweideutig eine Antwort auf die politische Positionierung der CFDT-Spitze. Diese unterstützt seit dem 14. März dieses Jahres die Regierungsposition in der Auseinandersetzung um das strittige „Arbeitsgesetz“, ja fordert – was ihren Generalsekretär Laurent Berger betrifft – die Regierung dazu auf, um keinen Preis „der CGT nachzugeben“.

(Am Rande derselben Spontandemonstration gab es auch eine stärker problematische Aktion, in Gestalt eines Flaschenwurfs auf ein Polizeiauto, das am Einparken war. Als Antwort darauf rächten sich Polizeikräfte an einem Teilnehmer der Spontandemonstration, den sie ergreifen konnten, dem Obdachlosen Sébastien Pi., der in den vergangenen Wochen zum bekannten Aktivisten der Platzbesetzerbewegung Nuit debout geworden war. Sébastien Pi. wurde am Boden liegend misshandelt, musste am Hinterkopf genäht werden und trug einen Beinbruch davon.)

Möchten wir einmal die – eher unwahrscheinliche – Hypothese einer Racheaktion der CFDT am Gebäude der CGT ausschließen (zumal Letztere den Scheibenbruch bei der CFDT scharf verurteilt hatte), bleiben dennoch unterschiedliche Hypothesen übrig. Zum Einen könnte es sich um eine „zum opportunen Zeitpunkt“ kommende Aktion von faschistischen Aktivisten, „unzufriedenen Steuerzahlern“ oder beidem auf einmal handeln.

Zum Anderen jedoch kann bislang nicht ausgeschlossen werden, dass sich für besonders „(links)radikal“ handelnde Individuen auf eine solche Weise handelten. „Verrats“vorwürfe auch an die Adresse der CGT sind nicht neu, dürften sich jedoch verschärft haben, seitdem die CGT- und die FO-Führung die Auflagen der Käfigdemonstration vom Donnerstag, den 23. Juni akzeptierten.

Es war in jüngster Vergangenheit ferner Bestandteil einer erkennbaren polizeilichen Eskalationsstrategie, für Spannungen innerhalb des Protestspektrums zu sorgen. Dies wurde besonders sichtbar, als eine Pressemitteilung der Pariser Polizeipräfektur – der politischen Polizeiführung in der Hauptstadt – am 12. Mai 2016 bekannt gab, man arbeite angeblich gut mit den gewerkschaftlichen Ordnerdiensten gegen die casseurs (ungefähr: „Chaoten“) zusammen. Diese Information war unzutreffend, da die gewerkschaftlichen Ordnerdienste sich in der Praxis auf den Schutz der Demonstrationen beschränkten und sich ausdrücklich weigerten, „Hilfspolizeifunktionen“ zu übernehmen. Die politisch motivierte Falschmeldung verfehlte jedoch ihre Wirkung nicht. Bei einer Demonstration am Nachmittag des 12. Mai des Jahres kam es zu Attacken (mit Wurfgeschossen) aus dem schwarzen respektive bunten Block auf den gewerkschaftlichen Ordnerdienst. Letzterer antwortete bei einer neuerlichen Demonstration in Paris am 17. Mai seinerseits mit einem knüppelbewehrten „Gegenangriff“. In der Folgezeit flauten diese Auseinandersetzungen wieder ab. Es ist jedoch möglich, dass sie auf längere Dauer „böses Blut“ hinterlassen haben.

Fortgang der Protestbewegung

Am Freitag, den 24. Juni wurde das Treibstoffdepot im südfranzösischen Fos-sur-Mer erneut besetzt und blockiert. Eine Woche zuvor war der Streik in der dortigen Raffinerie und Ölindustrie vorläufig ausgesetzt worden, doch viele CGT-Gewerkschafter wollten es dabei nicht bewenden lassen. (Vgl. http://www.lemonde.fr/economie-francaise/article/2016/06/24/loi-travail-nouveau-blocage-du-depot-petrolier-de-fos-sur-mer_4957400_1656968.html externer Link) In den Abendstunden wurde es jedoch geräumt.

300 bis 400 Menschen nahmen am Sonntag an einer Versammlung der Platzbesetzerbewegung Nuit debout in Paris teil. Damit hat dieser erneut bewiesen, dass nach wie vor Potenzial in ihr stickt, wenngleich die Besetzung auf quantitativ niedrigerem Niveau als im April fortgesetzt wird.

Ab Mitte Mai d.J. gingen die Teilnehmer/innen/zahlen an den Platzversammlungen im Allgemeinen zurück. Dies hing mit Abnutzungs- und Ermüdungserscheinungen zusammen, aber auch mit den Wetterverhältnissen, die sich mehrere Wochen hindurch ausgesprochen negativ auswirkten. Ende Mai und Anfang Juni 16 fanden im Raum Paris und in anderen Landesteilen platzregenartige Unwetter statt, die in der ersten Juniwoche für massive Überschwemmungen sorgten. Die Regengüsse leerten die place de la République in Paris weitgehend, nur ein kleiner „harter Kern“ versammelte sich weiterhin unter Plastikplanen; ähnlich erging es der Platzbesetzerbewegung in anderen Städten. Erstaunlich ist vor diesem Hintergrund vor allem, dass die Platzbesetzerbewegung dennoch auch weiterhin eine bemerkenswerte Zählebigkeit aufweist. Am Wochenende des 25./26. Juni des Jahres nahmen erneut mehrere Hundert Menschen an Debatten auf der Pariser place de la République teil, etwa am späten Sonntag Nachmittag an einer Diskussion mit dem kritischen Wirtschaftswissenschaftler Frédéric Lordon über die EU, das britische Referendum und die Frage nach linken Perspektiven. Auf dem Höhepunkt der Platzbesetzerbewegung hatten, im April und noch Anfang Mai 16, allerdings mitunter 2.000 bis 3.000 Menschen an Vollversammlungen teilgenommen.

Ab dem 28. Juni (dem Abend nach der morgigen Demonstration) und bis zum 10. Juli ruft die Pariser Platzbesetzerbewegung nun zu internationaler Unterstützung auf, dergestalt, dass Leute sich den derzeitigen Platzversammlungen hinzugesellen sollen. Am 15. Mai 2016 hatte es noch, umgekehrt, den Aufruf zu parallel stattfindenden Versammlungen überall auf der Welt gegeben. Damals hatte man (im Rahmen des Aktionstags #Global Debout) zugleich über Liveschaltungen Verbindungen zu besetzten Plätzen anderswo aufgenommen. Der Erfolg fiel unterschiedlich aus: In den spanischen Städten Madrid und Barcelona versammelten sich je mehrere Tausend Menschen (es war zugleich der fünfte Jahrestags der Beginns der spanischen „Bewegung der Plätze“ am 15.05.2011), in Berlin rund 200 Menschen, in der bulgarischen Hauptstadt Sofia hingegen nur fünfzehn. (Vgl. http://www.liberation.fr/france/2016/05/15/dimanche-c-est-global-debout-a-paris-en-france-et-dans-le-monde_1452770 externer Link und http://www.liberation.fr/france/2016/05/15/en-espagne-nuit-debout-fait-un-bien-fou-aux-indignes_1452861 externer Link) Im brasilianischen Belem, wohin es ebenfalls eine Liveschaltung gab, überlappte sich die Mobilisierung mit dem dortigen Kampf gegen den rechten „institutionnellen Putsch“ gegen die PT-Regierung.

Am diesjährigen 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag, ist eine symbolträchtige Versammlung in der Pariser Trabantenstadt Clichy-sous-Bois geplant. Von dort aus waren, nach dem Tod zweier Jugendlicher, den die Polizei mit verursacht hatte, im Oktober 2005 die mehrwöchigen Riots in französischen Trabantenstädten ausgegangen.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=100361
nach oben