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Updated: 18.12.2012 15:51
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Repressionen mit Tradition

Die 1996 als Scharnier zwischen Wissenschaft und Friedensbewegung gegründete gemeinnützige "Informationsstelle Militarisierung" (IMI) (http://www.imi-online.de/ externer Link) sieht sich staatlichen Repressionen ausgesetzt

Artikel von Jens Wernicke vom 16.7.2007

Die Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI) versteht sich als Scharnier zwischen Wissenschaft und Friedensbewegung und verfolgt seit ihrer Gründung 1996 ihr satzungsgemäßes Ziel, dem Frieden und der Völkerverständigung dienliche Informationen zu veröffentlichen und zu verbreiten. Hierbei nimmt sie unter anderem eine kritische Haltung zur deutschen Beteiligung an Angriffskriegen, zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren und zum Abbau der Bürger- und Menschenrechte ein. Das Finanzamt Tübingen will dem Verein nun rückwirkend ab 2001 die Gemeinnützigkeit aberkennen. Als Grund wurde genannt, eine nicht näher spezifizierte Behörde hätte Zweifel an der Verfassungstreue des Vereins erhoben. In der Konsequenz soll dieser nun seitens des Finanzamtes für die seit 2001 entgangenen Steuern mit 40 Prozent auf alle Spendeneinnahmen haftbar gemacht werden: sein sicherer Konkurs. Und zudem eine Aktion, welche IMI als politischen Skandal und gezielte staatliche Repression gegen Kritiker wertet. "Es ist bezeichnend, dass im Kontext verfassungswidriger In- und Auslandseinsätze deren Kritiker zu Staatsfeinden erklärt werden - von Organisationen, die dem Namen nach dem Schutz der Verfassung dienen", so Jürgen Wagner, Geschäftsführender Vorstand der Informationsstelle Militarisierung.

Mit Schreiben vom 11. Mai 2007 erklärte das Finanzamt Tübingen nach über einjähriger Vorgeschichte, es beabsichtige, der IMI die Gemeinnützigkeit "Für die Jahre ab 2001 zu versagen" und drohte, der Verein müsse für die entgangene Steuer auf seit dem geleistete Spenden, die mit 40% angesetzt wird, haften. Bei einem persönlichen Gespräch zwischen Vorstandsmitgliedern und Vertretern des Finanzamtes wurde der IMI eine Frist von drei Monaten eingeräumt, hierzu Stellung zu nehmen.

Die Argumentation des Finanzamtes Tübingen

In seinem Schreiben vom 11. Mai 2007 argumentiert das Finanzamt dabei wie folgt:

"Im Rahmen der Vorbereitung der zu treffenden Entscheidung habe ich die Web-Site der IMI eingesehen. Dabei fiel sofort auf, daß diese stark von allgemeinen politischen Themen dominiert wird. Insgesamt entsteht der Eindruck, daß die Tätigkeit der IMI sich fast ausschließlich in politischen Aktivitäten erschöpft. Ein solches Agieren ist aber von den Gemeinnützigkeitsregeln der §§ 51 ff der Abgabenordnung (AO) nicht gedeckt. Nr. 15 des Anwendungserlasses zu § 52 AO (vgl. beigefügte Kopie) führt hierzu aus, daß politische Zwecke (Beeinflussung der politischen Meinungsbildung) grundsätzlich nicht zu den gemeinnützigen Zwecken zählen. Zwar ist eine nur gelegentliche politische Stellungnahme im Rahmen des Satzungszwecks unschädlich, sie darf jedoch nicht Mittelpunkt der Tätigkeit der Körperschaft werden. Genau dies ist aber offensichtlich bei der IMI ausweislich ihrer Web-Site der Fall"

Bezeichnend an dieser Argumentation ist die Unterstellung, gemeinnützige Organisationen, die sich beispielsweise für den Frieden und die Völkerverständigung einsetzten, dürften sich nicht regelmäßig öffentlich äußern, da dies nicht mehr als gemeinnützig zu werten sei. Hier wird ein Artikel des so genannten Anwendungserlasses derart interpretiert, dass die Zivilgesellschaft bei zu häufiger Artikulation ihrer Meinung in Ermessenssache stets in Gefahr gerät, ihre "staatliche Anerkennung" zu verlieren.

Im Wortlaut heißt es im genannten Anwendungserlass:

Eine gewisse Beeinflussung der politischen Meinungsbildung schließt jedoch die Gemeinnützigkeit nicht aus (BFH-Urteil vom 29.08.1984, BStBl 1984 II S. 844). Eine politische Tätigkeit ist danach unschädlich für die Gemeinnützigkeit, wenn eine gemeinnützige Tätigkeit nach den Verhältnissen im Einzelfall zwangsläufig mit einer politischen Zielsetzung verbunden ist und die unmittelbare Einwirkung auf die politischen Parteien und die staatliche Willensbildung gegenüber der Förderung des gemeinnützigen Zwecks weit in den Hintergrund tritt. Eine Körperschaft fördert deshalb auch dann ausschließlich ihren steuerbegünstigten Zweck, wenn sie gelegentlich zu tagespolitischen Themen im Rahmen ihres Satzungszwecks Stellung nimmt. Entscheidend ist, dass die Tagespolitik nicht Mittelpunkt der Tätigkeit der Körperschaft ist oder wird, sondern der Vermittlung der steuerbegünstigten Ziele der Körperschaft dient (BFH-Urteil vom 23.11.1988, BStBl 1989 II S. 391).

Es handelt sich also um eine Rechtsgrundlage, die ebenso auf die eine wie andere Art auszulegen ist. Im Rahmen der nun durch das Finanzamt Tübingen gegen die IMI verwandten Interpretation wäre es nun konsequenterweise auch möglich, nun dem BUND oder Greenpeace momentan die Gemeinnützigkeit abzuerkennen, da diese sich in den letzten Wochen mannigfaltig und wiederholt zu den Störfällen in deutschen Atomkraftwerken kritisch äußerten (http://www.heise.de/tp/r4/artikel/25/25619/1.html externer Link). Zwingend notwendig ist dieses Vorgehen allerdings nicht.

Repressionen gegen zu erfolgreiche Kritiker

Die IMI vermutet hierhinter politisches Kalkül gegen oppositionelle Meinungen. "Es ist doch bezeichnend, dass im Kontext verfassungswidriger In- und Auslandseinsätze deren Kritiker zu Staatsfeinden erklärt werden - von Organisationen, die dem Namen nach dem Schutz der Verfassung dienen", so Jürgen Wagner, Geschäftsführender Vorstand der Informationsstelle Militarisierung. "Dass diejenigen, die im Ausland Aufstandsbekämpfung mit Tornados betreiben im Inland nicht davor zurückschrecken, das Finanzamt auf Kritiker zu hetzen, sollte nicht wundern", so Wagner weiter. "Der aktuelle Versuch, uns die Gemeinnützigkeit zu entziehen, zielt gezielt darauf, uns unserer finanziellen Grundlage zu berauben und den Verein zu zerschlagen. Schon jetzt nimmt dieser Angriff viel Arbeit in Anspruch, die wir gerne für den Frieden investieren würden."

Dabei kommt der aktuelle "Angriff", wie die IMI die Aktion des Finanzamtes auf anonymes staatliches Geheiß hin interpretiert, ausgerechnet zu einer Zeit, in der der Verein zunehmend Erfolge verbucht und mehr und mehr eine friedensbewegte Öffentlichkeit zu mobilisieren und erreichen vermag.

So heißt es bspw. bereits im Mitgliederbericht 2004:

"In den letzten beiden Jahren ist es IMI gelungen seinen Bekanntheitsgrad sowohl in der Friedensforschung als auch Friedensbewegung erheblich zu steigern. Dies äußert sich bspw. darin, dass Vortragsanfragen an IMI ebenso sprunghaft gestiegen sind, wie Bitten um IMI-Beiträge in diversen Publikationen der Friedensbewegung und Friedensforschung. Auch die hohen Zugriffszahlen unserer Homepage zeugen davon, dass unsere Arbeit auf immer stärkere Resonanz stößt. Insbesondere was die Quantität und Qualität unserer Publikationen anbelangt, sind deutliche Fortschritte erzielt worden. Zudem gelang es ebenfalls Autorenschaft und Themenvielfalt zu erweitern."

Die Argumentation der Informationsstelle Militarisierung (IMI)

Überdies sieht die IMI die erhobenen Vorwürfe als unbegründet an. Keinesfalls sei die Arbeit der IMI ganz "allgemeinen politischen Themen dominiert". Tatsächlich hätten alle veröffentlichten Texte Bezug zu den Satzungszwecken Frieden und Völkerverständigung. Da diese Ziele jedoch durch tagespolitische Entscheidungen in Gefahr seien, ließe man es sich nicht nehmen, hierzu auch aktuell Stellung zu beziehen. Die von der IMI in diesem Rahmen veröffentlichten Studien (http://www.imi-online.de/studien.php3 externer Link), welche einen abstrakten und umfangreichen Einstieg in die Friedensthematik ermöglichten, beruhten dabei auf der längerfristigen Beobachtung des internationalen Kriegs- und Konfliktgeschehens, von Rüstungsprojekten und Konfliktstrategien in Zusammenarbeit mit internationalen Partnern, die den tatsächlichen Schwerpunkt der Arbeit der IMI darstellten.

Darüber hinaus ist die IMI Mitherausgeber der Zeitschrift "Wissenschaft und Frieden", betreut wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Frieden und Konflikte und stellt sie der Öffentlichkeit eine Bibliothek zu eben diesem Thema zur Verfügung.

Unbegründete Vorwürfe - Finanzamt entscheidet über "Verfassungsfeindlichkeit"

Bezeichnend sei überdies, dass die nicht genannte Behörde, welche gegenüber dem Finanzamt der IMI "Verfassungsfeindlichkeit" unterstellt hat, und hinter welcher die IMI selbst nun den Verfassungsschutz vermutet, diesen Vorwurf einfach "in den Raum gestellt (hat), ohne ihn (jedoch) zu spezifizieren oder zu belegen." (zitiert nach http://www.imi-online.de/download/IfdP.pdf externer Link pdf-Datei).

Die IMI wird sich nun gerichtlich wehren und hat überdies die Kampagne " IMI - gemein aber nützlich" (http://www.imi-online.de/seite.php3?id=14) initiiert, um die Öffentlichkeit zu mobilisieren. Im Rahmen dieser ist es beispielsweise möglich, einen vorgefertigten "Brief an das Wahrheitsministerium" (http://www.imi-online.de/download/Wahrheitsministerium.pdf externer Link pdf-Datei) auszudrucken und als Unterstützungsleistung an das zuständige Finanzamt zu senden.

Die Friedensbewegung vor Gericht

Inwiefern die gerichtliche Auseinandersetzung der IMI jedoch erfolgreich sein wird, bleibt abzuwarten. Die Kriminalisierung der Friedensbewegung ( http://www.friedrich-martin-balzer.de/pdf/Justunr.pdf externer Link pdf-Datei) ist in der bundesrepublikanischen Geschichte zwar ein gut gehütetes Tabu ( http://www.amazon.de/Tabus-bundesdeutschen-Geschichte-Eckart-Spoo/dp/3980813746 externer Link), hat jedoch Tradition und findet seit Gründung der BRD auf die eine oder andere Weise immer wieder einmal statt.

So belegt bspw. eine aktuelle Publikation ( http://www.friedrich-martin-balzer.de/justizunrecht_rez.htm externer Link) von Dr. Friedrich-Martin Balzer, dass der spektakuläre so genannte "Düsseldorfer Prozess" von 1959 bis 1960 wenig mehr als ein staatlicherseits inszenierter Schauprozess mit dem Ziel der Kriminalisierung der westdeutschen Friedensbewegung war. Der Spiegel schrieb diesbezüglich 1961 vom "bislang ungewöhnlichsten politischen Strafprozess", der "das Elend der politischen Justiz im liberalen Rechtsstaat erhelle".

Der "Rädelsführerschaft in einer verfassungsfeindlichen Vereinigung", dem damaligen Friedenskomitee der Bundesrepublik Deutschland, beschuldigt und für schuldig befunden, wurden damals in einer nach sieben Jahren dauernden Ermittlung: Pastor Johannes Oberhof, Freiwilliger im Zweiten Weltkrieg, Erwin Eckert, von der evangelischen Kirche nach seinem Eintritt in die KPD seines Pfarramtes enthoben, wegen Widerstand gegen den Faschismus 1936 zu drei Jahren und acht Monate Zuchthaus verurteilt, Walter Diehl, Sprachwissenschaftler, gläubiger Christ, Gerhard Wohlrath, Kommunist, 1933 der Festnahme durch Emigration entkommen, Mitglied der Internationalen Brigaden im spanischen Freiheitskampf, Gustav Thiefes und Erich Kompalla, beide Teilnehmer am Zweiten Weltkrieg, Kompalla in den Reihen der Waffen-SS, beide zu Kriegsgegnern geworden.

Diese sieben also, vier Kommunisten und vier Christen darunter, waren angeklagt, als Rädelsführer im Friedenskomitee versucht zu haben, durch Schriften, Reden und anderes gegen die Wiederaufrüstung, für einen Friedensvertrag und Verhandlungen mit der DDR und der Sowjetunion, auch durch die Teilnahme an internationalen Kongressen der Friedensbewegung beabsichtigt zu haben, die verfassungsmäßige Grundordnung der BRD beseitigen bzw. außer Geltung setzen zu wollen.

Die Angeklagten und ihre vier Verteidiger, Diether Posser, Heinrich Hannover, Walther Ammann und Friedrich-Karl Kaul, sowie der Reporter der DDR-Zeitung Wochenpost, Rudolf Hirsch, kommen nun in Balzers Band zu Wort.

Dabei spricht Diether Posser von den «das Gesinnungsrecht offen praktizierenden Begründungen«, mit denen das Gericht in Serie das Vorbringen von Anträgen und Dokumenten der Beschuldigten ablehnte. Heinrich Hannover erinnert sich, wie seinem Kollegen Posser deshalb damals vor Gericht der Kragen platzte und er dem Gericht: «Wenn Sie alle unsere Beweisanträge zurückweisen, würde ich es ehrlicher finden, unsere Mandanten durch Verwaltungsakt ins KZ einzuweisen, statt uns Anwälte als rechtsstaatliches Dekor zu mißbrauchen.«


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