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Kassenärztliche Vereinigungen besorgt: Investoren kaufen immer mehr Arztpraxen und Versorgungszentren

Dossier

Aufruf zur Unterstützung des Filmprojekts "Der marktgerechte Patient"Finanzinvestoren kaufen immer mehr Arztpraxen in Deutschland auf. Hinter jedem sechsten Medizinischen Versorgungszentrum steht nach Schätzung der Deutschen Apotheker- und Ärztebank ein internationaler Finanzinvestor. Die Bundeszahnärztekammer fordert jetzt den Stopp von Fremdkapital in der Zahnmedizin. Sie sieht den Patientenschutz in Gefahr, wenn die Medizin vor allem als Investment betrachtet werde. (…) Problematisch wird die Arbeit dieser Einrichtungen, wenn Investoren allein am Gewinn orientiert sind. Genau das befürchten die Fachverbände. (…) Heißt im Klartext: Je höher der Umsatz, desto höher das Gehalt des Arztes. Tatsächlich scheint es Fälle von Missbrauch zu geben…“ Artikel von Marc Hagedorn vom 20.01.2020 beim Weser-Kurier online externer Link, siehe dazu:

  • Lukratives Geschäft: Wenn private Investoren Arztpraxen kaufen New
    Jeder neunte Arzt in Deutschland hat bereits ein Kaufangebot erhalten. Karl Lauterbach schiebt das Problem auf
    Franz Maier ist Finanzinvestor, spezialisiert auf Zahnarztpraxen in Deutschland. 100 hat er bereits gekauft, es sollen noch mehr werden. Rückendeckung hat Maier von einer milliardenschweren Investmentgesellschaft mit Stammsitz im arabischen Steuerparadies Bahrain. (…) Arztpraxen sind laut Verband der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte mittlerweile ein begehrtes Spekulationsobjekt. Und krisensicher. Denn dahinter stehen Versichertenbeiträge in Milliardenhöhe. Jeder neunte Arzt hat schon einmal ein Kaufangebot für die eigene Praxis bekommen. Zu diesem Ergebnis kam eine Umfrage unter 830 niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten Anfang 2023. Demnach gaben 8,5 Prozent der Befragten an, das Angebot auch angenommen zu haben. 25,5 Prozent haben es zwar abgelehnt, hätten aber angenommen, wenn die Bedingungen gestimmt hätten. Besonders oft interessieren sich Investoren für Zahnarztpraxen. Auch Hausärztinnen und Hausärzte erhalten überdurchschnittlich viele Kaufangebote. Wenig attraktiv für Investoren sind die Praxen von psychologischen Psychotherapeuten. Nur vier Prozent von ihnen haben ein Kaufangebot bekommen. (…) Horst Helbig kritisiert diese Entwicklung, nennt sie gefährlich. Er ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde in Regensburg. Zu ihm kommen die Patienten, die seiner Meinung nach zunehmend durchs Behandlungsraster fallen. Sogenannte Schieloperationen bei Kindern seien zum Beispiel wenig lukrativ – und nicht nur die: „Da sind aber auch Patienten mit Behinderungen, da sind demente Patienten, die sehr aufwändig in der Pflege und der Betreuung sind, die in keiner Weise vergütet wird. Die sind natürlich nicht das, worauf sich Finanzinvestoren spezialisieren werden.“ (…) Der Gesundheitsminister schiebt das Problem auf die lange Bank. Karl Lauterbach (SPD) hat bereits vor geraumer Zeit eine gesetzliche Regelung angekündigt. (…) Doch bis jetzt liegt der angekündigte Gesetzentwurf nicht vor. Und aktuell steht Lauterbach wegen seiner Gesundheitspolitik in der Kritik. Tausende Ärztinnen und Ärzte protestieren am heutigen Montag und streiken. Es ist eine weitere Baustelle des Gesundheitsministers – neben der Krankenhausreform oder eben den privaten Finanzinvestoren, die Arztpraxen aufkaufen.“ Beitrag von B. Spiekermann und D. Rzepka vom 2. Oktober 2023 im ZDF externer Link
  • [Ganz überraschend] Private-Equity-Übernahmen erhöhen Kosten für Patienten und Kostenträger 
    „Die Übernahme medizinischer Versorgungseinrichtungen (MVZ) durch Private-Equity-Gesellschaften (PEG) führt überwiegend zu höheren Kosten für Patienten und Kostenträger. Zu diesem Ergebnis kommt eine im British Medical Journal veröffentlichte Metastudie. Mit Blick auf die Qualität der medizinischen Versorgung sind die Ergebnisse demnach jedoch nicht belastbar genug (…). Die Autorinnen und Autoren aus den USA, Kanada und Israel hatten 55 Studien identifiziert, die sich mit den Auswirkungen der Übernahme von Gesundheitseinrichtungen durch PEG in acht Ländern – darunter neben den USA auch Schweden, Großbritannien, Kanada, die Niederlande und Deutschland – befassen und deren Ergebnisse in verschiedenen Kategorien analysiert. Die untersuchten Einrichtungen reichten dabei von Krankenhäusern über Pflegeheime bis zu Hospizen und umfassten auch zahlreiche fachärztliche Einrichtungen, darunter dermatologische, ophthalmologische, urolo­gische und gynäkologische Praxen. „Obwohl die Zahl der Studien, die Auswirkungen auf die Kosten für Patienten oder Kostenträger feststellten, nicht so hoch war wie die der Studien, die sich auf die Qualität bezogen, deuteten die übereinstimmenden Ergebnisse der meisten Studien darauf hin, dass der Besitz von Private Equity im Allgemeinen mit höheren Kosten verbunden war“, schreibt das Team um den Medizinsoziologen Alexander Borsa vom Department of Sociomedical Sciences der Columbia University New York. Von den zwölf Studien, die sich mit den finanziellen Auswirkungen beschäftigten, habe keine eine Verringe­rung der Kosten für Patienten beziehungsweise Kostenträger gezeigt. Demgegenüber standen neun, die eine Kostensteigerung befanden, und drei, laut derer keine Auswirkungen festzustellen waren. (…) Ähnlich sah es bei der Behandlungsqualität aus. Es lasse sich zusammenfassend sagen, dass in 21 Studien zumindest irgendeine Form von schädlichen Auswirkungen festgestellt wurde, während es in zwölf Studien irgendeine Form von positiven Auswirkungen waren. Zwar seien diese Ergebnisse widersprüchlich, doch würden die größere Prävalenz schädlicher Auswirkungen und die Studien, die ausschließlich schädliche Auswirkungen feststellen, darauf hindeuten, dass die Bilanz mindestens durchwachsen ist oder der Besitz durch PEG tendenziell eher schlechte Auswirkungen auf die Qualität hat. Die Sensitivitätsanalyse der Studien relativiere diese Erwägung jedoch eher, als dass es sie stärken würde. Schaut man auf die Qualität der Gesundheitsversorgung, würden die untersuchten Studien hingegen auf gemischte Auswirkungen von PEG-Eigentum auf die Qualität der Gesundheitsversorgung hinweisen. Dabei gebe es mehr Belege dafür, dass die Übernahme durch Private-Equity-Gesellschaften die Qualität eher verschlechtert als verbessert.“ Nachricht vom 25. Juli 2023 beim aerzteblatt.de externer Link
  • [Neue Branchenanalyse] Medizinische Versorgungszentren: Kostendruck schlägt auf Arbeitsbedingungen durch  „Bei Medizinischen Versorgungszentren steht häufig das Geldverdienen im Vordergrund: Kosten müssen gesenkt, Erlöse gesteigert werden. Das ist zum Teil in der bisherigen Gesundheitspolitik angelegt, zugleich ist die wachsende Branche geprägt durch starke Konzentrationstendenzen, bei denen auch der Einstieg von Finanzinvestoren eine Rolle spielt. Das erhöht den Druck auch auf die Beschäftigten, von denen viele nicht nach Tarif bezahlt werden und eine Arbeitsverdichtung mit vielen Überstunden erleben, zeigt eine neue, von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie. Eine Folge: Nichtärztliche Beschäftigte wandern ab, insbesondere im medizinisch-technischen Dienst herrscht Fachkräftemangel. Private Investoren breiten sich im Gesundheitswesen aus. Besonders gerne übernehmen sie Medizinische Versorgungszentren (MVZ), trimmen sie auf maximalen Gewinn und verkaufen sie nach kurzer Zeit weiter. Aber auch anderen Betreibern von MVZ wie etwa Kliniken geht es um möglichst niedrige Kosten. Das hat nicht nur Folgen für die Patientinnen und Patienten, sondern auch für die Beschäftigten. „Der Kostendruck wirkt sich negativ auf die Arbeitsbedingungen sowie die Vergütung der Beschäftigten in MVZ aus“, erklären Katharina Schöneberg und Dr. Katrin Vitols vom Beratungsunternehmen wmp consult. Die Forscherinnen haben zum einen die Struktur und die wirtschaftliche Entwicklung der Branche untersucht, zum anderen, wie es den Beschäftigten in MVZ im Hinblick auf Arbeitsbedingungen, Qualifizierung, Digitalisierung, Mitbestimmung und Zukunftsaussichten ergeht. Sie haben aktuelle Statistiken und Literatur ausgewertet, Interviews mit Experten und Expertinnen geführt und Beschäftigte sowie ihre Interessenvertretungen befragt, insgesamt knapp 100 Personen. (…) Arbeitnehmervertretungen gibt es in den MVZ bislang nur selten. Für die im Rahmen der Studie befragten Vertreter und Vertreterinnen spielen die Themen Arbeitszeit und Dienstplanung, Entgelt, betriebliches Eingliederungsmanagement und Gefährdungsbeurteilungen eine wichtige Rolle. Die Einhaltung der Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte wird überwiegend als „mittelmäßig“ beschrieben. Die Interessenvertretungen geben an, häufig keine ausreichenden oder rechtzeitigen Informationen von der Unternehmensleitung zu erhalten. Die betriebliche und überbetriebliche Mitbestimmung wird aus ihrer Sicht dadurch erschwert, dass MVZ zunehmend in größere Konzerne eingebunden sind. Auch wenn die Kommunikation mit der lokalen Geschäftsführung positiv bewertet wird, fehlt es häufig an Einflussmöglichkeiten auf höhere Unternehmensebenen. „In Anbetracht einer angestrebten Ambulantisierung der medizinischen Versorgung in Deutschland werden MVZ als Teil der ambulanten Versorgung von wachsender Bedeutung sein“, schreiben Schöneberg und Vitols. Die Entwicklung hänge stark von rechtlichen Rahmenbedingungen und gesundheitspolitischen Entscheidungen ab. Insgesamt sei aber mit einem weiteren Wachstum der MVZ und auch der Zahl der Beschäftigten zu rechnen. Angesichts der zunehmenden Belastungen komme der Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Vergütung eine besondere Bedeutung zu, um neues Personal zu gewinnen und der Abwanderung von Fachkräften entgegenzuwirken.“ Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung vom 11. Mai 2023 externer Link zur 120-seitigen Studie von Katharina Schöneberg und Katrin Vitols externer Link
  • Lauterbach will „Einstieg von Heuschrecken in Arztpraxen“ verbieten – „Praxen müssen denen gehören, die dort arbeiten“ – aber anders als er denkt
    • Lauterbach will „Einstieg von Heuschrecken in Arztpraxen“ verbieten
      „… Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will den Kauf von Arztpraxen durch Finanzinvestoren künftig verhindern. „Ich schiebe einen Riegel davor, dass Investoren mit absoluter Profitgier Arztpraxen aufkaufen“, sagte der SPD-Politiker der „Bild am Sonntag“. „Es gibt den fatalen Trend, dass Investoren medizinische Versorgungszentren mit unterschiedlichen Facharztpraxen aufkaufen, um sie anschließend mit maximalem Gewinn zu betreiben“, kritisierte der Minister. Im ersten Quartal 2023 werde er einen Gesetzentwurf vorlegen, „der den Einstieg dieser Heuschrecken in Arztpraxen unterbindet“. Im Juni hatten die Gesundheitsminister der Länder (GMK) den Bund gebeten, gesetzliche Regelungen zu prüfen, um den Einfluss von privaten Investoren bei der Gründung und dem Betrieb von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) einzuschränken. Ärztliche Standesvertreter beklagen schon länger, dass Arztsitze zunehmend von profitorientierten Unternehmen übernommen werden und so immer mehr Sitze in MVZ gebündelt werden. (…) Dem Bundesgesundheitsminister sind auch große Praxisketten ein Dorn im Auge. „Die Praxen müssen denen gehören, die dort tatsächlich arbeiten. Dann ist auch Schluss damit, dass ein Promi-Arzt seinen Namen für Dutzende Praxen hergibt, in denen junge Ärzte Hamsterradmedizin mit unnützen Behandlungen in schlechter Qualität betreiben, um absurde Profitziele zu erreichen.“ Generell hält Lauterbach im Gesundheitsbereich Renditen im zweistelligen Prozentbereich „nicht für vertretbar“. „Wenn Sie zehn Prozent Rendite oder mehr rausholen, dann ist das mit seriöser Medizin kaum möglich“, befand der Minister. Grundsätzlich müsse das „absurde Gewinn-Konzept“ im Gesundheitssystem geändert werden.“ Agenturmeldung vom 26. Dezember 2022 bei der ÄrzteZeitung online externer Link, siehe dazu:
    • Lauterbach hat recht: „Praxen müssen denen gehören, die dort arbeiten“ – aber anders als er denkt
      Gesundheitsminister Lauterbach will gegen den Anstieg von Investoren im medizinischen Sektor vorgehen. Die Bündelung in “Medizinischen Versorgungszentren” durch profitorientierte Unternehmen sehen auch die Gesundheitsministerien der Länder kritisch. Kann der Vorstoß gegen die Monopolisierung erfolgreich sein? (…) Denn der Gesundheitssektor – und im besonderen der Bereich der Augenheilkunde – ist für Spekulanten sehr attraktiv. Laut der ARD-Sendung Panorama externer Link wurden im Jahr 2021 mindestens hunderte Arztpraxen von Finanzinvestoren aufgekauft, die auf hohe Gewinne spekulieren – genau Zahlen gibt es aber nicht und sie könnten noch deutlich höher liegen. Dazu bestätigte das Bundeskartellamt auf Nachfrage von tagesschau.de externer Link, dass die Zukäufe von großen Augenarztketten nicht kontrolliert wurden, da aufgrund niedriger Umsatzschwellen der einzelnen Praxen keine Bedenken wegen einer marktbeherrschenden Stellung bestünden. (…) Sollte der Staat aber beispielsweise die fehlenden Profite kleiner Arztpraxen mit Hilfszahlungen ausgleichen, wird das ganze von den Steuergeldern der Arbeiter:innenklasse getragen – und nicht von den Milliardenprofiten der Konzerne, die sich in Krisenzeiten bereichern. Auch das wäre für die Finanzinvestoren vermutlich verkraftbar. Dann können sie eben in der nächsten Krise, wenn die Preise explodieren, zuschlagen. Die Forderung nach einem Gesundheitssystem, das bedürfnisorientiert und nicht profitorientiert arbeitet, gibt es regelmäßig. Doch diese Forderung wird nicht eingelöst, wenn man ein paar Arztpraxen davor bewahrt von Investoren aufgekauft zu werden. (…) Gegen die Unterbezahlung von Praxisangestellten oder Pflegekräften müssen wir natürlich trotzdem kämpfen. Genauso auch dafür, dass Patient:innen schneller Termine bekommen und dass alle Notwendigen Behandlungen von den Krankenkassen übernommen werden. Die Aussage Lauterbachs, dass die Praxen denen gehören sollen, die dort tatsächlich arbeiten, hört sich natürlich auch erst einmal richtig an. Er meint damit aber nur, dass die Praxen den gut bezahlten Ärzt:innen und nicht irgendwelchen Finanzinvestoren gehören sollen. Dass ein paar mehr Menschen in einer Arztpraxis arbeiten, die genau so mitbestimmen sollten, hat er dabei mal schnell vergessen...“ Kommentar von Gillian Norman vom 26.12.2022 bei Perspektive Online externer Link
  • Finanzinvestoren in den Arztpraxen: Es wird höchste Zeit, die Profitorientierung im Gesundheitswesen auch als Kostentreiber zulasten der Beitragszahlenden zu begreifen 
    „Für Private-Equity-Investoren steht die Renditeorientierung an erster Stelle – das wird jedenfalls beim Blick auf die Webseiten und in die Kataloge entsprechender Private-Equity-Gesellschaften schnell deutlich. Angesichts dessen drängt sich unausweichlich die Frage auf, welchen Einfluss die zunehmenden Übernahmen von Unternehmen im Gesundheitswesen durch Finanzinvestoren auf das Versorgungsgeschehen haben und haben werden. Ein aktuelles Gutachten des IGES Instituts, in dem das Institut im Auftrag der KV Bayern Abrechnungsdaten analysiert hat, zeigt nun zumindest in Bezug auf MVZ in Bayern die Entwicklungsrichtung auf. Konkret wurden im besagten Gutachten die Abrechnungsdaten von Einzelpraxen mit denjenigen von MVZ und dann noch einmal mit MVZ im Eigentum von Private-Equity-Gesellschaften im Besonderen verglichen. Die Analyse war dabei morbiditätsbereinigt, sprich es wurden unter der Bedingung gleicher Patientenstruktur, gleicher Vorerkrankungen und gleicher Behandlungsanlässe verglichen. Das IGES Institut kam bei den analysierten Arztgruppenfällen zu dem Ergebnis, dass die praxisbezogenen Behandlungskosten je Patient von MVZ um 1,9 Prozent größer sind als von Einzelpraxen – und die von MVZ im Eigentum von Private-Equity-Gesellschaften um 8,3 Prozent größer. Auch beim Vergleich der Honorarvolumen ergibt sich ein ähnlicher Trend. Trotz der Kritik an der Studie – etwa die implizite Setzung von Einzelpraxen als Goldstandard der Versorgung – sollte zumindest der beschriebene Unterschied von 6,4 Prozentpunkten zwischen Private-Equity-MVZ und dem Durchschnitt aller MVZ deutlich aufhorchen lassen. Denn dieser direkte Vergleich innerhalb der gleichen Versorgungsstruktur lässt sich kaum mehr medizinisch erklären. (…) Es ist überfällig, zunehmende Privatisierungen und Profitorientierung in allen Versorgungsbereichen des Gesundheitswesens systematisch als Kostenfaktor zu begreifen. Das gilt bei Mengenausweitungen und Mehrfachbehandlungen ebenso wie bei überzogenen Preisen für Gesundheitsanwendungen, in der stationären ebenso wie in der ambulanten Versorgung. Letztlich ist der zunehmende Gesundheitskapitalismus ein wachsendes Kostenmonster, das konsequent gebändigt werden muss. Das gilt gerade auch mit Blick auf die Diskussion um Ausgabensenkungen der gesetzlichen Krankenkassen. Denn Versicherte würden davon doppelt profitieren, und zwar als Beitragszahlende der Krankenkassen wie als Patient*innen: Sie könnten sich dann nämlich darauf verlassen, dass nur medizinische und keine privatwirtschaftlichen Überlegungen die Grundlage ihrer gesundheitlichen Behandlungen bilden.“ Beitrag vom 27. April 2022 in der DGB-Gegenblende externer Link
  • Spekulanten greifen nach Arztpraxen: Zahl investorengeführter Arztpraxen steigt rasant mit drastischen Folgen für Ärzte und PatientInnen
    • Spekulanten greifen nach Arztpraxen
      „Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit haben Finanzinvestoren in den vergangenen Jahren hunderte Arztpraxen in Deutschland aufgekauft. Sie spekulieren auf hohe Gewinne. Und das hat Folgen für Ärzte und Patienten. Der deutsche Gesundheitssektor ist offensichtlich attraktiv. So beschreiben ihn jedenfalls viele internationale Investmentfirmen. Sie haben Praxen als Renditeobjekte entdeckt und bereits hunderte, möglicherweise sogar tausende Arztsitze in Deutschland aufgekauft. Genaue Daten und Zahlen gibt es allerdings nicht. Der Wandel vollzieht sich nahezu unbemerkt. (…) Klar ist: Geld verdienen wollen die Investoren auf jeden Fall. Eine Renditeerwartung von 20 Prozent ist laut Finanzexperten üblich. Diese Gewinne erzielen sie, in dem sie Praxen hinzukaufen, sie in einem größeren Konzern zusammenführen und diesen dann einige Jahr später zu einem möglichst hohen Preis an einen anderen Investor weiterverkaufen. „Buy-and-Build“ – „Kaufe-und-Wachse“ – nennt sich die Strategie. Die von Investoren geführten Ketten bieten Medizinern für ihre Arztsitze oft hohe Beträge und drängen so andere aus dem Markt. Und nicht nur in der Augenheilkunde zeigt sich dieser Trend. Investoren übernehmen auch Praxen von Zahnärzten, Radiologen, Orthopäden, Gynäkologen, Nierenfachärzten, Internisten und Allgemeinmedizinern. (…) Das bleibt offenbar nicht ohne Folgen – auch für die Patienten. Die Investoren bestreiten zwar vehement, dass sich die Versorgung verschlechtere. Doch zahlreiche Hinweise und Indizien zeigen etwas anderes: Ein System, in dem der wirtschaftliche Druck auf Ärzte steigt, das sich auf besonders gewinnträchtige Operationen ausrichtet und aus dem offenbar viel Geld aus der Solidargemeinschaft an unbekannte Profiteure fließt. (…) Wie viele Praxen mittlerweile Investoren gehören, weiß niemand. Das Bundesgesundheitsministerium teilte Panorama auf Anfrage zu den augenärztlichen Ketten mit, es sei ihm nicht bekannt, „ob und inwieweit eine beherrschende Marktkonzentration“ in einzelnen Bereichen vorliege und „worauf etwaige Konzentrationstendenzen zurückzuführen“ seien. Insgesamt sei es auch rechtlich schwierig, den Markt stärker zu beschränken…“ Bericht von Christian Baars, Petra Blum, Brid Roesner und Anne Ruprecht vom 7. April 2022 bei Panorama externer Link (Videolänge: ca 28 Min.)
    • Im Griff des Kapitals: Zahl investorengeführter Arztpraxen steigt rasant. Mehr teure Zusatzleistungen. Höhere Honorare. Gesundheitsministerium sieht keinen Handlungsbedarf
      „Die Unterordnung des Gesundheitssystems unter das Primat der gnadenlosen Profitmaximierung schreitet hierzulande immer schneller voran. Das bestätigt eine aktuelle Analyse, die das Berliner IGES-Institut im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) ausgearbeitet hat. Demnach hat sich die Anzahl der Arztpraxen in Händen von Private-Equity-Fonds in den Jahren 2018/19 im KVB-Bezirk um 72 Prozent erhöht. Mit dramatischen Folgen für die Patienten. Als wichtigstes Einfallstor dienen dem Finanzkapital offenbar die Medizinischen Versorgungszentren (MVZ), die infolge der Gesundheitsreform 2003 stark an Bedeutung gewonnen haben. Im Bereich Augenheilkunde machten MVZ Ende 2019 bereits 28,4 Prozent der Versorgungsstandorte aus. Es folgen Orthopädie und Chirurgie mit 21,6 Prozent sowie Internisten des fachärztlichen Versorgungsbereichs mit 20,2 Prozent. Insgesamt befanden sich bereits im vierten Quartal 2019 zehn Prozent der bayerischen MVZ im Eigentum von Finanzinvestoren. Je höher der Anteil dieser Zentren im Gesundheitssystem wird, desto teurer werden die Behandlungen. So zeigt die IGES-Untersuchung, dass die Honorare dort gegenüber Einzelpraxen bei gleicher Patientenstruktur, gleichen Vorerkrankungen und gleichen Behandlungsanlässen um 5,7 Prozent höher ausfallen. Wo Finanzinvestoren das Sagen haben, liegt diese Extrarendite sogar bei 10,4 Prozent. Besonders tief wird den Behandelten demnach in den Bereichen Gynäkologie (plus 16,6 Prozent) und Augenheilkunde (plus 15,8 Prozent) in die Tasche gegriffen. Weiter zeigt die Studie, dass die MVZ-Struktur umfassend genutzt wird, den Patienten allerlei kostspielige Extras anzudrehen. So werden dort 19,1 Prozent mehr Mitversorgungsleistungen abgerechnet als in Einzelpraxen. Mehr als 60 Prozent dieser Zusatzleistungen werden durch Ärzte desselben Zentrums erbracht. »Das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel, den Zugang von Finanzinvestoren in die ambulante vertragsärztliche Versorgung wirksam zu begrenzen, wird klar verfehlt«, so das Resümee der IGES-Autoren, Hans-Dieter Nolting und Thorsten Tisch. In Reaktion auf die Studienergebnisse hat der KVB-Vorstand vergangene Woche Alarm geschlagen: »Die Politik kann nicht länger tatenlos zusehen, wie der Einfluss von Kapitalinvestoren auf unser solidarisches Gesundheitswesen permanent wächst«, heißt es in einer Erklärung. Die Gesundheit der Menschen dürfe »nicht zum Spekulationsobjekt werden«. Gefordert werden »klare Vorgaben in bezug auf Transparenz der Gesellschafterstruktur, Zulassung und Gestaltung« von investorengeführten MVZ. Eine marktbeherrschende Stellung müsse verhindert werden…“ Artikel von Sebastian Edinger in der Jungen Welt vom 11. April 2022 externer Link
  • Immer mehr Fremdinvestoren im Geschäft: Gutachter sehen Gefahren für Zahnversorgung 
    Experten warnen vor immer mehr Fremdinvestoren in der Zahnversorgung. Zwei Gutachten kommen zu dem Befund, dass dadurch das Patientenwohl gefährdet ist. In zwei dicken Gutachten warnen Experten vor negativen Auswirkungen von investorengetragenen Medizinischen Versorgungszentren (iMVZ) auf die zahnmedizinische Versorgung in Deutschland. Beide Studien – ein versorgungspolitisches Gutachten des Berliner IGES-Instituts externer Link und ein Rechtsgutachten von Helge Sodan externer Link   Staats- und Verwaltungsrechtler an der Freien Universität Berlin und Direktor des Deutschen Instituts für Gesundheitsrecht – kommen zu dem Befund, dass aufgrund einer „weiterhin dynamische Ausbreitung von iMVZ“ politischer Handlungsbedarf bestehe.Die Gutachten zeigten „klar und nachvollziehbar, dass die von iMVZ ausgehenden Gefahren für die vertragszahnärztliche Versorgung trotz der Regelung im Terminservice- und Versorgungsgesetz fortbestehen“, sagte Wolfgang Eßer, der Vorstandsvorsitzende der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), von der die Studien in Auftrag gegeben waren. Der Anteil der iMVZ an der Versorgung belaufe sich inzwischen auf mehr als ein Fünftel aller MVZ im zahnärztlichen Bereich. Dabei leisteten die investorengetragenen Zentren kaum einen Beitrag zur Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung externer Link, sie ließen sich gerade nicht in strukturschwachen und ländlichen Regionen nieder. (…) Dabei hatte Gesundheitsminister Jens Spahn mit dem im Jahr 2019 beschlossenen Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) schon einmal versucht, die Ausweitung von zahnärztlichen Versorgungszentren zu begrenzen externer Link. Das Gesetz sieht unter anderem eine gestaffelte Beschränkung der Gründungsbefugnis von Krankenhäusern für solche MVZ vor. Entscheidend ist dabei dabei der Versorgungsgrad des jeweiligen Planungsbereiches. Neugründungen über Kliniken sind seither nur noch möglich, wenn ihr Versorgungsanteil im jeweiligen Planungssektor zehn Prozent nicht übersteigt. In überversorgten Regionen liegt die Quote sogar bei nur fünf Prozent, in unterversorgten sind 20 Prozent die Grenze. Ungeachtet dieser Regelung steige der Anteil investorengetragener MVZ jedoch weiter ungebremst an, klagen die Kassenzahnarzt-Funktionäre…“ Artikel von Rainer Woratschka vom 20.11.2020 im Tagesspiegel online externer Link
  • siehe dazu auch von 2017: Wachstumsbremse für MVZ! Finanzstarke Kapitalgesellschaften kaufen Praxissitze wie geschnitten Brot auf. Niederlassungswillige Ärzte gehen häufig leer aus
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=161418
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