Berlin Tech Workers Coalition (TWC)

Dossier

Tech Workers CoalitionTechnologiefirmen sind innovativ und disruptiv — und verursachen dabei u.a. Gentrifizierung, Lohngefälle, Umweltzerstörung und Militarisierung. Aber das muss nicht so sein. Die Berlin Tech Workers Coalition ist eine Basisbewegung von Arbeiter*innen im Technologiesektor. Wir bauen kollektive Organisationsformen auf und kämpfen für Technologie, die beim Aufbau einer progressiven Gesellschaft hilft.“ Die Selbstdarstellung auf der Homepage der Berlin Tech Workers Coalition externer Link und diese auf Twitter externer Link – siehe dazu:

  • Gesundheit, Streiks und Proteste: IT-Branche kämpft für bessere Arbeitsbedingungen New
    „… „Die Unzufriedenheit über die Entlassungen und die intransparenten und ungleichen Löhne führten dazu, dass eine Welle von Betriebsratsgründungen einsetzte. Diejenigen, die sie vorantreiben wollten, fanden sich dann bei den Tech Workers zusammen“, berichtet Softwareentwickler Peter Müller, der aktiv bei TWC ist. Bei einigen Unternehmen aus der Branche war die Gründung der Betriebsräte erfolgreich. „Beispiele sind Soundcloud, Contentful, ShareNow, SumUp, Klarna, N26, TikTok oder Spotify. Andere Firmen versuchen weiterhin, das zu verhindern“, so Müller. (…) Auch die IG Metall ist in der Branche aktiv. Bei dem Hightech-Unternehmen ASML gelang es der Gewerkschaft, für die knapp 2.000 Beschäftigten einen Haustarifvertrag auszuhandeln, der für die Branche Vorbildcharakter hat. Die gewerkschaftliche Organisierung war ein langer Weg, denn anfangs überwog die Ablehnung von Arbeitskampfmaßnahmen, aber schließlich gelang es, die Betriebskultur zu verändern. Das Motto lautet „normalize to be organized“, wie Beteiligte berichten. (…) Das Problem der TWC sei, dass die Unternehmen eine Ideologie verbreiten, nach der die Unterscheidung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer unwichtig sei, nur Kreativität und Leistungsbereitschaft zählten. „Die Firmen wollen, dass ihre Angestellten sich wohlfühlen, aber sie stellen diese Annehmlichkeiten auch zur Verfügung, damit keine höheren Löhne oder Sozialleistungen verlangt werden“, so Müller. Doch die „Tech Workers“ sagen klar: „Nein, wir sind Arbeiter, und wir haben Rechte!“. Erste Schritte hin zu Tarifverträgen werden unternommen, um Transparenz und Lohngerechtigkeit durchzusetzen. Die Erfahrungen von Verdi in der Pflege dienen bisher nur als Anregung für die Durchsetzung von Haustarifverträgen zur Entlohnung. Tarifliche Mindeststandards für die Personalausstattung in agilen Teams und die Mitbestimmung der Beschäftigten bei der Personalplanung sind noch kein Thema. „Wir können als Plattform dienen, um Erfahrungen auszutauschen und zum Beispiel die Gründung von Betriebsräten anzustoßen. Letztes Jahr gab es eine große Entlassungswelle bei IT-Firmen. Entsprechend groß war das Interesse an Information, welche Rechte Gekündigte haben, wie ordentliche Abfindungen durchgesetzt werden“, beschreibt Müller aktuelle Schwerpunkte der Aktivisten.“ Beitrag von Marcus Schwarzbach vom 13. März 2024 in Telepolis externer Link
  • ›Technologie wird uns nicht retten!‹: Informationstechniker:innen organisieren sich
    In Berlin organisieren sich Programmierer:innen und Informationstechniker:innen in der Tech Workers Coalition (TWC) – Versuche der Selbstorganisation in einem schwierigen Umfeld. (…)
    [Wie bist du zur Tech Workers Coalition gekommen?]
    Mich hat angesprochen, dass IT-Angestellte sich mit politischen Themen beschäftigen und sich andererseits auf der Arbeit organisieren. Als die Covid-19-Pandemie einsetzte, gab es in vielen IT-Unternehmen Konflikte über die Möglichkeit, von zuhause aus zu arbeiten. Auch der Chef in meiner damaligen Firma versuchte, Home Office zu verhindern oder wenigstens so weit wie möglich einzuschränken. Das war der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die Unzufriedenheit über die Entlassungen und die intransparenten und ungleichen Löhne führten dazu, dass eine Welle von Betriebsratsgründungen einsetzte. Diejenigen, die sie vorantreiben wollten, fanden sich dann bei den Tech Work­ers zusammen, die sich ein Jahr zuvor gegründet hatten. Wir haben uns regelmäßig online getroffen und gegenseitig unterstützt. (…)
    Ich war schon lange vor der Pandemie unzufrieden gewesen. Es war eine mittelständische Firma, in der der Chef und Firmengründer sich wie ein Alleinherrscher aufführte. Wer beispielsweise auf Bildungsurlaub bestand, bekam im Gegenzug keine Gehaltserhöhung. Die Lohnhöhe hing von der Sympathie des Chefs ab. Es herrschte schlicht Willkür. Auch die Beschäftigten vermieden es, über ihre Löhne zu sprechen. Von einem Betriebsrat hatte ich mir mehr Transparenz und Gerechtigkeit erhofft.
    [Das klingt vernünftig!]
    Die Betriebsratsgründung ist aber letztlich gescheitert. Der Chef war vehement dagegen und hat viel Zeit und Mühe darauf verwandt, einen Betriebsrat zu verhindern. Wahrscheinlich hat er sich von einer dieser Anwaltskanzleien beraten lassen, die sich auf das Unterdrücken von Gewerkschaftsaktivitäten spezialisieren. Kolleg:innen wurden massiv unter Druck gesetzt. Da hieß es: »Entweder stehst du auf der Seite des Managements oder auf der Seite der Gewerkschaft!« Der Chef hat dann eine Handvoll höriger Kolleg:innen gefunden, die sich für die Wahl aufstellen ließen und auch gewonnen haben. Nach einem Jahr hat sich der Betriebsrat dann wieder aufgelöst. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon gekündigt.
    Bei einigen anderen Unternehmen aus der Branche war die BR-Gründung dagegen erfolgreich. Beispiele sind Soundcloud, Contentful, ShareNow, SumUp, Klarna, N26, TikTok oder Spotify. (…)
    Zu uns gehören Mitglieder von Ver.di und IG Metall, aber auch Unorganisierte und eher Gewerkschaftskritische. Bei ernsteren Arbeitskonflikten oder BR-Gründungen holen wir uns anwaltliche Beratung von den großen Gewerkschaften. Mein Eindruck ist, dass diese froh darüber sind, dass wir Kontakte in die Branche haben, die sie nicht selbst herstellen können.
    Für Gewerkschaften ist es schwieriger, einen Zugang zu finden. Das fängt schon damit an, dass wir eine englischsprachige Organisation sind. Bei uns gibt es kaum Deutsche, ich bin eine seltene Ausnahme! In der IT-Branche arbeiten viele Menschen aus Indien, Osteuropa und der Türkei. Die meisten wohnen in Berlin, aber sie arbeiten für ausländische Firmen. Entsprechend haben wir Mitglieder aus vielen verschiedenen Ländern und sprechen viel darüber, wie das deutsche Arbeitsrecht funktioniert. Wir stellen englischsprachige Informationen zusammen und machen Infoveranstaltungen zu arbeitsrechtlichen Themen. Ansonsten organisieren wir thematische Workshops und Lesegruppen, zum Beispiel über Rassismus in der IT-Branche. Außerdem treffen wir uns regelmäßig zu einem Stammtisch. (…) Wir kommen aus unterschiedlichen Bereichen der IT-Branche: Software für die Automobilindustrie, Internetdienstleistungen, Financial Tech – quer durch die Bank. (…)
    Zu uns kommen die politisch Bewussten und Engagierten, das stimmt. Wir diskutieren auch über Fragen, die nichts mit der eigentlichen Arbeit zu tun haben. Aber die Lohnabhängigkeit ist trotzdem der eigentliche Anstoß, um sich bei uns zu organisieren. Daher ja auch der Name Tech Workers. Das meint, wir sind Arbeiter:innen, auch wenn wir in Büros mit Kicker und Obstschale tätig sind!
    Die Firmen wollen, dass ihre Angestellten sich wohl fühlen, aber sie stellen diese Annehmlichkeiten auch zur Verfügung, damit keine höheren Löhne oder Sozialleistungen verlangt werden. Viele neoliberal sozialisierte Beschäftigte haben eine Ideologie verinnerlicht, derzufolge die Unterscheidung zwischen Unternehmer und Angestellten unwichtig ist, nur Kreativität und Leistungsbereitschaft zählen, wir treiben mit unserer Arbeit den technischen Fortschritt voran und damit werden alle Probleme gelöst. Diese sog. kalifornische Ideologie gibt es in verschiedenen Ausprägungen und Schattierungen, aber viele IT-Beschäftigte sehen sich tatsächlich nicht als Arbeiter:innen, sondern als eine Art Arbeitskraft-Unternehmer. Die eigene Lohnabhängigkeit wird verdrängt solange es geht, vielleicht bis zur Entlassung. Dieses Denken wird vom Management nach Kräften gefördert. Darüber hinaus gibt es eine Kultur des Heuerns und Feuerns und üble Ausbeutungsverhältnisse, die einfach hingenommen werden. Genau dagegen richtete sich die Gründung der TWC im Jahr 2014. Der Impuls war: »Nein, wir sind Arbeiter, und wir haben Rechte!« (…)
    [Welche Konflikte schwelen gerade in der IT-Branche?]
    Die Löhne werden oft individuell und intransparent vereinbart. Entsprechend groß ist der Gender Pay Gap, Frauen werden durchschnittlich deutlich schlechter bezahlt. Ein anderes wichtiges Thema ist der Bereitschaftsdienst. Die Software läuft heutzutage oft rund um die Uhr. Deswegen müssen Kolleg:innen zur Verfügung stehen, wenn sich die Programme verhaken oder etwas nicht mehr funktioniert. Oft gibt es Konflikte darüber, wie die Bereitschaft vergütet wird. Eigentlich unterscheiden sich die Probleme gar nicht so sehr von denen in anderen Branchen
    …“ Interview von Matthias Becker in der Soz Nr. 03/2024 externer Link mit Peter Müller, TWC- Aktivist
  • Tech Workers Coalition: Gegen Gehaltsunterschiede und Raubrittermentalität
    „Yonatan Miller weckt mit der Tech Workers Coalition bei Beschäftigten im Hochtechnologiesektor Interesse an politischem Engagement und Betriebsratsarbeit.“ Im Interview von Tom Mustroph vom 2. April 2021 bei neues Deutschland online erklärt Yonatan Miller externer Link wie es Gründung der Berliner Sektion der Tech Workers Coalition kam: „Es begann am 10. Juni 2019. Zwei Leute aus der IT-Branche aus Massachusetts – einer von ihnen gehörte zur Bostoner Tech Workers Coalition – gaben in Berlin einen Workshop zum Thema Gewerkschaften in der IT-Branche. Zehn Tage später haben wir die Berliner Sektion gegründet. (…) Ich habe in der Zeit bemerkt, dass die Arbeitsverhältnisse hier in der Regel zwar besser sind als in den USA, wo ich herkomme. Aber es gibt massive Probleme wie Sexismus am Arbeitsplatz und Intransparenz bei den Gehältern. Viele migrantische Arbeiter*innen kennen ihre Rechte gar nicht, können sie deshalb auch nicht einfordern. Aus diesem Grund brauchen wir ein Instrument, um solche Themen einzubringen und zu besprechen. Ich will auch ganz klar sagen, dass es sich um keine Gewerkschaft handelt. Bei uns sind Mitglieder aus verschiedenen Gewerkschaftsorganisationen des DGB und der Gewerkschaft FAU. Ich selbst bin bei der IG Metall, denn ich arbeite in der Automobilindustrie. (…) Im April wird eine neue Sektion der Tech Workers Coalition in München gegründet, mit Unterstützung der IG Metall. (…) Das wichtigste Ziel ist zunächst, die Beschäftigten in der Branche überhaupt zu politisieren und zwischen ihnen Verbindungen herzustellen. Dabei sind Betriebsräte ein ganz wichtiges Instrument. Deshalb haben wir verschiedene Workshops zum Thema Betriebsrat durchgeführt: Was sind Betriebsräte? Was können sie bewirken? Wie gründet man sie? Im Anschluss an diese Workshops gab es unter anderem eine Betriebsratsgründung bei N26 (…) Natürlich sind die großen Gewerkschaften vom Staat gesteuert. Aber es gibt auch kleinere Initiativen, die unabhängig sind und wichtige Arbeit leisten. Chinesische Tech-Worker starteten die Initiative 996.ICU…“

Siehe international: Tech Workers Coalition externer Link

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=188684
nach oben