Arbeitsmarkt in der Corona-Krise: Schon 120.000 Zeitarbeiter weniger

Dossier

Ich bin ein Leiharbeiter„Die Zahl der Zeitarbeiter in Deutschland ist in der Corona-Krise bereits drastisch um mehr als 120.000 gesunken. Das geht aus Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) hervor, die unserer Redaktion vorliegen. Demnach waren  im Mai nur noch 624.900 Menschen in der Zeitarbeitsbranche beschäftigt. Ein Jahr zuvor waren es dagegen noch 749.000. Aktuellere Daten erwartet die BA erst Anfang September. Zeitarbeitnehmer gehören in der Krise zu den ersten, die ihre Arbeitsstelle verlieren (…) „Jeder sechste Beschäftigte in Leiharbeit war im Mai gegenüber dem Vorjahresmonat  entlassen worden“, sagte Riexinger. Leiharbeit müsse als „Beschäftigung zweiter Klasse“ endlich ganz abgeschafft werden, forderte er. Dagegen verlangt die Industrie das Gegenteil: das Instrument der Zeitarbeit müsse gerade wegen der Krise für die Betriebe flexibler handhabbar werden. Die Regierung sollte die Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten bei der Zeitarbeit aussetzen, forderte der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau. Bisher dürfen Leiharbeitnehmer nur maximal für eineinhalb Jahre in einen Betrieb ausgeliehen werden.“ Artikel von Jan Drebes und Birgit Marschall vom 13. August 2020 bei RP online externer Link und dazu:

  • Corona-Pandemie: Leiharbeiter unter Druck – weder Krankschreibungen noch Corona-Tests – aus Angst um ihren Arbeitsplatz New
    Die Pandemie trifft die Leiharbeitsbranche besonders hart: 275.000 Leiharbeiter meldeten sich in 2020 arbeitslos. Chronische Krankheiten sind häufig, Antidepressiva an der Tagesordnung. Und dennoch scheuen sich die Beschäftigten der Branche vor Krankschreibungen oder auch nur Corona-Tests – aus Angst um ihren Arbeitsplatz. Die Zustände sind katastrophal. Dass es Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer in Krisenzeiten als erste trifft, hat die aktuelle Pandemie wieder gezeigt. Bei Airbus mussten in 2020 mehr als 1100 Leiharbeiter gehen, bei Daimler in Düsseldorf 1300, bei BMW sollen es sogar 10.000 gewesen sein (siehe Reuters). Das Unternehmen bestreitet die Zahl, sagt aber nichts Genaues. Den Konzernen scheint das Thema unangenehm zu sein. Die Zahlen von insgesamt 275.000 arbeitslos gemeldeten ehemaligen Leiharbeitnehmern hat die Bundesagentur für Arbeit so gemeldet. Die Leiharbeitsbranche erfährt damit den stärksten Einbruch seit Jahren. Die Autoindustrie betrifft es deshalb besonders hart, weil sie gleich von zwei Großkrisen auf einmal bedroht ist: von der Pandemie und vom bevorstehenden Ende des Verbrennungsmotors, das schon vor Corona viele Leiharbeiter den Job gekostet hat. Leiharbeiter scheuen Coronatests: Im vergangenen Jahr veröffentlichte die Techniker Krankenkasse eine Studie zur gesundheitlichen Verfassung von Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern. Danach leiden sie häufiger als andere Arbeitnehmer an Rücken- und Gelenkerkrankungen. Sie haben mehr Arbeitsunfälle. Und bekommen deutlich öfter Antidepressiva verordnet. Corona habe die Situation verschlimmert. In Firmen, wo das Virus grassierte, hätten sich viele Stammwerker krankschreiben lassen, aus Angst, sich anzustecken. Die Leiharbeiter hingegen seien zur Schicht angetreten. Einige Werke berichten sogar, dass sich Leiharbeiter teilweise geweigert hätten, sich auf Corona testen zu lassen. Sie befürchteten, bei einem positiven Ergebnis nicht nur in Quarantäne geschickt, sondern auch abgemeldet zu werden…“ Beitrag vom 17. August 2021 beim Bund-Verlag externer Link
  • Leiharbeiter als Manövriermasse. Coronakrise: Beschäftigte von Zeitarbeitsfirmen besonders von Jobverlust betroffen. DGB kritisiert Entlassungspolitik der Branche [ist das nicht deren akzeptierte Funktion als Puffer?] 
    Leiharbeiter sind fast überall beschäftigt – in Industriebetrieben, auf dem Bau, in der Warenverteilung, Pflege und weiteren Branchen. In Krisenzeiten sind sie oft die ersten, die ihren Job verlieren. Das gilt auch während der Coronapandemie. Bereits Mitte Juni 2020 setzte der Flugzeughersteller Airbus rund 1.100 von 2.900 Leiharbeitern in den Werken Hamburg, Buxtehude, Stade und Bremen vor die Tür, wie damals der Weserkurier berichtete. Anschließend sei vielen der Betroffenen auch von ihrer Zeitarbeitsfirma gekündigt worden, erklärte die Bremer IG-Metall-Geschäftsführerin Ute Buggeln, obwohl diese Unternehmen während der Pandemie Beschäftigte übergangsweise in Kurzarbeit schicken könnten. Nach Darstellung des Interessenverbandes Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (IGZ) von Mitte April nutzt allerdings die Mehrzahl der entsprechenden Unternehmen das Mittel der Kurzarbeit während der Coronakrise. Laut einer Umfrage unter den IGZ-Mitgliedern hätten 75 Prozent der Zeitarbeitsfirmen Kurzarbeit angemeldet. Weitere zehn Prozent planten diesen Schritt. Die Befragung zeigte auch, wie sehr die Branche von den Pandemiefolgen betroffen ist: Bei 88 Prozent gab es Personalabmeldungen durch ausleihende Unternehmen, für 70 Prozent der Betroffenen hätten anschließend keine Neuaufträge akquiriert werden können. Und ein Drittel der Mitgliedsfirmen schätze die Coronakrise als »existenzgefährdend« ein, so der IGZ. Eine Branche, in der wegen Corona die Arbeit nicht ausgeht, ist der Pflegesektor. (…) In anderen Branchen werden Leiharbeiter als Manövriermasse in Krisen betrachtet. So etwa beim Autokonzern BMW: Mit der Ankündigung der Streichung von 6.000 Stellen im vergangenen Sommer beschloss das Unternehmen, die Verträge von 10.000 Leiharbeitern nicht zu verlängern. Eine Erklärung dazu blieb aus. Das Instrument Leiharbeit bedeutet also trotz einiger Nachbesserungen beim Entgelt für die Betroffenen extrem prekäre Arbeit...“ Artikel von Gudrun Giese in der Erster Mai-Beilage der jW vom 28.04.2021 externer Link
  • Leiharbeit unter Druck: Eine Krise im Zeitraffertempo 
    Leiharbeiter sind die ersten, die während der Pandemie rausgeflogen sind, unerwartet schnell wird der Absturz nun gebremst. Was heißt das für die Beschäftigten – und was bedeutet es für den gesamten Arbeitsmarkt? (…) Unterm Strich aber hat die Coronakrise das Geschäft von Randstad erst einmal verhagelt – ebenso wie den Konkurrenten. Jedes Jahr macht die Wirtschaftsberatung Pricewaterhouse Coopers (PwC) eine Umfrage unter den deutschen Zeitarbeitsunternehmen, so auch diesen April. Danach rechnet PwC für 2020 damit, dass 10 bis 30 Prozent weniger Leiharbeiter vermittelt werden als im Vorjahr. Im ersten Halbjahr schnurrte das Geschäft um rund ein Viertel zusammen, ausnahmslos alle befragten Firmen berichten von Sofortstornierungen. Selbst die Finanzkrise von 2008 und 2009 habe nicht solche Verheerungen hinterlassen; damals gab es einen Einbruch von 17,8 Prozent. Die Pandemie erklärt den Einbruch aber nicht vollständig. Erst Ende März wurde das Wirtschaftsleben wegen Corona ausgebremst, schon vorher lief es schlechter. Von Januar 2019 bis Januar 2020 ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Arbeitnehmerüberlassung von 763.000 auf 689.000 gefallen. Selbst in diesem Zeitraum verstärkt sich nur eine Tendenz, die seit Ende 2017 zu beobachten ist: Leiharbeit verliert an Zuspruch. (…) Letztlich hat sich die Branche die Regulierung selbst eingebrockt, es sollten damit vor allem Auswüchse eingedämmt werden. Denn so schön die Idee vom Puffer sein mag: Für viele Firmen ist Leiharbeit vor allem ein Instrument zur Lohndrückerei. (…) Die andere Neuerung war, dass die Höchstüberlassungsdauer begrenzt wurde: Ein Leiharbeitsmitarbeiter darf seither für höchstens 18 Monate an dieselbe Firma ausgeliehen werden. Das soll sicherstellen, dass Menschen, deren Arbeitskraft dauerhaft benötigt wird, tatsächlich eine feste Anstellung beim Auftraggeber bekommen. Auch hier hatte es zuvor viel Wildwuchs gegeben. Beide Maßnahmen haben die Attraktivität der Leiharbeit beeinträchtigt, sie wurde teurer und bürokratischer. (…) Zu sehen ist allerdings auch: „Im Juni und Juli haben die Verleihunternehmen offenbar schon weniger Leute rausgeworfen als im Vorjahr“, sagt Eric Seils von der Hanns-Böckler-Stiftung. Für ihn zeigt die rasend schnelle Reaktion der Branche, dass die Pufferwirkung für Arbeitnehmer kaum funktioniert. Denn demnach müssten solche massiven Einbrüche eben nicht zu so schnellen Entlassungen führen. Aber, so Seils: „So läuft das ja nicht.“ Vielmehr hänge der Großteil der Beschäftigungsverhältnisse „direkt von bestimmten Einsätzen beim Entleihunternehmen ab und wird oft in der Probezeit ohne große Fristen wieder gekündigt“. Das liegt daran, dass die Branche in einem wichtigen Punkt dereguliert wurde. Bereits im Zuge der Hartz-Gesetze wurde 2004 das sogenannte Synchronisationsverbot aufgehoben, das Zeitarbeitsunternehmen an einem schnellen Hire and Fire hindern sollte. Dass Arbeitnehmer synchron zu einem bestimmten Auftrag angestellt und wieder entlassen werde, sei heute deshalb Regel. Theoretisch gelten zwar dieselben Kündigungsfristen wie für alle Arbeitnehmer, „aber die meisten Beschäftigten werden noch in der Probezeit entlassen“, bevor diese Fristen greifen. Damit stehen die Leute im Ernstfall binnen weniger Tage auf der Straße…“ Artikel von Matthias Kaufmann vom 23.08.2020 im Spiegel online externer Link
  • Unser Kommentar dazu bei Twitter externer Link: „Das ist ja leider die Funktion der #Leiharbeit, die ebenso leider von den schrumpfenden Stammbelegschaften begrüßt wird: Als Puffer – für ihre Illusion, ihr „eigener“ Arbeitzplatz sei „sicher“…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=176763
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