Gewerkschaftliche Strategien im Niedriglohnsektor. Eine Analyse ihrer Herausforderungen und Gelingensbedingungen

Niedriglohn: Habe Arbeit, brauche Geld„… Die Lohnentwicklung in Deutschland war in den letzten Jahrzehnten in den unteren Lohnsegmenten überwiegend durch Stagnation oder gar Realeinkommensverluste gekennzeichnet, was unter anderem im gezielten Ausbau des Niedriglohnsektors begründet war. Den Gewerkschaften ist es trotz schwindender Organisationsmacht und teilweise massivem Widerstand (auch anfänglich innergewerkschaftlichem) gelungen, den allgemeinen Mindestlohn durchzusetzen. Obgleich daraufhin die untersten Löhne anstiegen, hat sich die Niedriglohnquote nicht wesentlich verändert. Das kann auch darauf zurückgeführt werden, dass der Mindestlohn unterhalb der Niedriglohnschwelle liegt. Vor dem Hintergrund dieser Problematik geht die vorliegende Untersuchung den Fragen nach, mit welchen Strategien es Gewerkschaften gelungen ist, 1. im Niedriglohnbereich entgegen dem Trend hohe Tarifabschlüsse und damit hohe Tariflohnsteigerungen in einzelnen Branchen durchzusetzen, 2. atypische Beschäftigungsformen zu regulieren, von denen Niedriglohnbeschäftigte besonders betroffen sind, sodass der Kreis der Betroffenen eingeschränkt werden konnte, 3. weitere Arbeitsbedingungen im Niedriglohnsektor zu verbessern. (…) Ziel der Analysen ist es, Gelingensbedingungen aus Sicht der Gewerkschaften zu identifizieren, um hohe Tariflohnsteigerungen durchzusetzen, den Einsatz atypischer Beschäftigungsformen zu reduzieren und darüber hinaus Arbeitsbedingungen im Niedriglohnsektor zu verbessern…“ Eine 40-seitige iaw-Analyse von Till Kathmann aus der Reihe Arbeit und Wirtschaft der Uni Bremen Ausgabe 33 vom Februar 2021 externer Link

  • Kampf dem Niedriglohn: Studie untersucht gewerkschaftliche Strategien bei den ärmsten Einkommensbeziehern. Abkehr vom »Krisenkorporatismus« als Erfolgsmodell New
    „Die Bundesrepublik verfügt – im europäischen Vergleich – über einen der größten Niedriglohnsektoren. Im Frühjahr 2018 hat nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gut jeder fünfte Beschäftigte für einen Niedriglohn gearbeitet. Konkret bedeutet das: Etwa acht Millionen Beschäftigte wurden mit weniger als 11,05 Euro brutto je Stunde entlohnt. In den unteren Lohnsegmenten gab es dennoch in den letzten Jahren Bewegung. Das stellt eine kürzlich veröffentlichte Studie des Institutes für Arbeit und Wirtschaft (IAW) an der Universität Bremen fest. Obwohl die Gewerkschaften längst nicht mehr so mächtig sind wie einst und obwohl ihnen mitunter enormer Widerstand entgegenschlug, konnten sie deutliche Entgeltsteigerungen im Niedriglohnbereich durchsetzen. Die Studie zeigt, wie das möglich war: Einerseits wurde der allgemeine Mindestlohn durchgesetzt; auf der anderen Seite erkennen die Gewerkschaften zunehmend, dass sie sich im Kampf um Mitglieder und Organisationsmacht neuen Strategien öffnen müssen. (…) Die IAW-Studie zeigt nun, mit welchen Strategien die Gewerkschaften in den letzten Jahren erfolgreich agieren konnten: Einmal war es eine gute Tarifpolitik, daneben aber auch: Basisarbeit, »Organisieren am Konflikt« und zeitgemäße Öffentlichkeits- und Kampagnenarbeit. Der Erfolg zeigte allerdings auch seine Schattenseiten. Manche Gewerkschaften seien in der Krise der Finanzmärkte Bündnisse mit politischen Eliten eingegangen, heißt es in der Studie. Sie hätten dabei als tragende Kraft eines »Krisenkorporatismus« gewirkt, der die Auswirkungen der Krise sowohl auf die Beschäftigte als auch auf den »Finanzmarktkapitalismus« geringhalten sollte. Ihren Erfolg hätten die Gewerkschaften dabei mit einem »interessenpolitischen Konservativismus« bezahlt, der auf die allgemeine Repräsentation der Lohnabhängigen verzichtete. Die Solidarität habe dabei nicht mehr allen Lohnabhängigen gegolten. Durch das Gründen von Betriebsräten, aber auch durch »Organizing«-Strategien gelang es den Gewerkschaften, ihre Mitgliederbasis unter den Niedriglöhnern auszubauen. Dadurch sei es stellenweise gelungen, eine Trendwende herbeizuführen: Nicht nur mehr Menschen traten den Gewerkschaften bei – viele wurden auch aktiv…“ Artikel von Bernd Müller in der jungen Welt vom 5. März 2021 externer Link
  • Und weiter aus dem Vorwort der iaw-Analyse von Till Kathmann aus der Reihe Arbeit und Wirtschaft der Uni Bremen Ausgabe 33 vom Februar 2021 externer Link : „… Damit soll die Analyse einen Beitrag dazu liefern, die Strategien gegen Niedriglöhne zu systematisieren und zu verbessern. Im Ergebnis zeigt sich eine überraschende Vielfalt an konfliktiven, integrativen, partizipativen sowie kooperativen Strategien. (…) Das hier vorgestellte Ergebnis steht im Widerspruch zur in der Forschungsliteratur von manchen Autorinnen und Autoren aufgestellten These, dass Gewerkschaften exklusive Solidarität ausübten und damit Tarifpolitik nur für eingeschriebene Gewerkschaftsmitglieder machen (…) Um einen Durchbruch zu erreichen – so lässt sich aus den aufgezeigten Gelingensbedingungen gewerkschaftlicher Strategien im Niedriglohnbereich ableiten –, bedarf es eines weiteren Ausbaus von Machtressourcen, wohl insbesondere über konfliktive Strategien. Dies schließt Elemente auf gesetzlicher Ebene wie eine weitere Reform zur Vereinfachung und Unterstützung von Allgemeinverbindlicherklärungen, aber auch einen weiteren Ausbau der strukturellen und organisatorischen Machtressourcen der Gewerkschaften ein. Hier scheinen gerade im Niedriglohnbereich mit oftmals vielen kleinen und mittleren Unternehmen, häufig ohne Betriebsrat, die Strategien des Organisierens am Konflikt und der Kampagnen besonders erfolgreich zu sein und sollten weiter ausgebaut werden. Da die meisten mit diesen Strategien verbundenen Ziele eher kurzfristig angelegt sind, ist langfristig verstärkt auch die Forderung durchzusetzen, dass Erwerbsarbeit zum Leben reichen muss…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=187069
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