Arbeit 4.0 – Arbeitsrecht in Gefahr! Aktuelle Bedrohung des Arbeitsrechts

Industrie 4.0 – Der Kapitalismus vor dem Aus? Bild zum Artikel der Arbeiterstimme - Zeitschrift für marxistische Theorie und Praxis Heft 190 vom Winter 2015/2016Die französischen Gewerkschaften kämpfen seit Monaten gegen die Zerstörung arbeitsrechtlicher Errungenschaften. In Deutschland konnten in den letzen 30 Jahren zahlreiche Standards des Arbeitsrechts ohne jeden Widerstand der Gewerkschaften abgebaut werden. Nun schreitet die Bundesregierung unter dem Stichwort „Arbeit 4.0“ offenbar zu einem auch ideologisch begleiteten Generalangriff auf das Arbeitsrecht. Dies gibt Anlaß, über die bisherigen Angriffe auf das Arbeitsrecht hierzulande nachzudenken und zu fragen, ob und wenn ja wie sich dieses Projekt von anderen Aktivitäten solcher Art unterscheidet…“ Artikel von und bei Rolf Geffken vom 30.6.2016 externer Link. Besonders wichtig in diesem empfehlenswerten Text: 

  • „… Zum einen werden arbeitsrechtliche Schutzgesetze immer mehr unter „Tarifvorbehalt“ gestellt: Von gesetzlichen Standards „darf“ durch Tarifvertrag abgewichen werden. Dabei „dürfen“ Betriebsräte meistens ihrerseits von tarifvertraglichen oder gesetzlichen Standards zu lasten der Beschäftigten abweichen, obwohl sie bekanntermaßen an die betriebsverfassungsrechtliche Friedenspflicht gebunden sind und kaum eigenen Druck auf die Unternehmen ausüben können. Die erste große Welle von „Abweichungen“ erfolgte duch die „Flexibilisierung“ der Arbeitszeit in Form von „Arbeitszeitkonten“. (…)  Zum anderen wurde durch neue Managementkonzepte, die das bisherige autoritative sog. Harzburger Modell ablösen sollten, eine Art Individualisierung des Arbeitsrechts betrieben. Mit Hilfe sog. Zielvereinbarungen, Mitarbeitergesprächen, einer sog. Balanced Scorecard und anderen Methoden wurde der einzelne Beschäftigte zum „Schmied seines eigenen Glückes“ erklärt. Betriebsräte waren und sind in diesem System ebenso wenig vorausgesetzt wie Gewerkschaften. Dennoch wirkten beide an der Implementierung dieses Systems mit, obwohl damit ein Paradigmenwechsel zurück in das 19. Jahrhundert verbunden war. (…) Als wäre all dieses noch nicht genug, hat die Bundesregierung n u n in ihrer Initiative Arbeit 4.0 einen ideologischen Generalangriff auf das klassische Verständnis vom Arbeitsrecht als einem Schutzrecht für Arbeitnehmer gestartet. Unter dem Vorwand einer angeblich vierten inustriellen Revolution („digitale Revolution“) wird überall dort, wo es digitalisierte Arbeitsplätze gibt, nicht nur das bisherige Arbeitsrechtssystem sondern auch – soweit noch vorhanden – das bisherige Arbeitszeitregime in Frage gestellt. Zugleich wird die totale Verfügbarkeit des Arbeitnehmers auch außerhalb seines bisherigen Arbeitsplatzes angestrebt. (…) Allerdings wissen Bundesregierung und Unternehmerverbände, daß dieses Projekt ohne Zustimmung, Mitwirkung oder Duldung von Gewerkschaften und Betriebsräten nicht durchsetzbar ist. (…) Völlig abwegig erscheint eine Beteiligung der Gewerkschaften an diesem „Dialog“, dessen Ziel bereits feststeht. Ebenso abwegig aber ist es, wenn etwa die NGG in ihrer Kritik argumentiert, das Arbeitszeitgesetz etwa böte „bereits“ hinreichend Möglichkeiten der Flexibilisierung. Damit kann man dem prinzipiellen Angriff auf arbeitsrechtliche Standards auf Dauer nicht begegnen. (…) Umso abwegiger ist es, wenn IG Metall-Vorstandsmitgied Hans Jürgen Urban behauptet, der Erfolg dieses Projekts hänge davon ab, wie (?) sich Betriebsräte und Gewerkschaften als „Humanisierungsaktivisten“ durchsetzten (isw-analysen vom 29.6.2016) und dabei einer „digitalen Humanisierung“ das Wort redet. Wir rufen zum BOYKOTT DIESES DIALOGS auf…“
  • Siehe dazu: Arbeiten in der Wirtschaft 4.0. Über kapitalistische Rationalisierung und digitale Humanisierung
    „… Die Faszination technischer Zukunftserwartungen verdrängt die Erfahrungen mit den Folgen kapitalistischer Rationalisierung. Wenig spricht dafür, dass sich die Digitalisierung als eine sozialpartnerschaftliche Konsensmaschine erweisen wird. Auch bei der Industrie 4.0 handelt es sich zunächst und im Kern um eine Rationalisierungsstrategie bzw. -vision. Sie zielt auf die Erschließung umfassender Effizienzpotenziale, die durch neue Technologien sichtbar werden – mit entsprechenden Risiken für Beschäftigung, Entgelte und Arbeitsbedingungen. Den Rationalisierungscharakter der Digitalisierung anzuerkennen erfordert jedoch keineswegs, die Logik der Humanisierung zu leugnen, die den neuen Technologien ebenfalls innewohnt. Zweifelsohne tragen sie auch die Möglichkeit von weniger Arbeitsbelastungen und Gesundheitsverschleiß in sich, sind Arbeitserleichterungen und inhaltsreichere Arbeitsaufgaben denkbar. Doch ob sich die Humanisierungspotenziale gegen die kapitalistische Rationalisierungsdynamik behaupten können, ist keineswegs ausgemacht (…) Ob Technikeinsatz und Arbeitsorganisation im digitalisierten Unternehmen „gute Arbeit“ ermöglichen, wird nicht zuletzt davon abhängen, ob es Betriebsräten und Gewerkschaften gelingt, sich als Humanisierungsaktivisten im Digitalisierungsprozess durchzusetzen – mit eigenen Konzepten und hinreichender Verhandlungsmacht.“ Artikel von Hans-Jürgen Urban vom 28. Juni 2016 beim isw externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=100505
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