DNA-Analysen: Gesetzesänderungen im Schnellverfahren?

Dossier

Plakat der Freiburger Kampagne gg PolizeistaatIn Freiburg hatte zum Beispiel Polizeipräsident Bernhard Rotzinger im Rahmen der Ermittlungen nach dem Mord an Maria L. nach einem „Phantombild aus dem Labor“ gerufen. In der Politik sprang man schnell mit Gesetzesvorhaben auf den Zug auf. Es war die schwarz-grüne Landesregierung Baden-Württembergs, die über Justizminister Guido Wolf (CDU) vorgeprescht war und entsprechende Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht hatte. (…). Eine umfassendere Auswertung von DNA-Spuren hätte der Polizei bei der Tätersuche „massiv geholfen“, meinte Rotzinger. Der Freiburger Polizeipräsident wollte am Tatort gefundene Spuren von Blut, Speichel oder Sperma auch auf Haut-, Augen- und Haarfarbe sowie Herkunft und Alter untersuchen. Doch nach Angaben von Professor Peter Schneider, der die Abteilung für Forensische Molekulargenetik am Institut für Rechtsmedizin der Uni Köln leitet, ist bis zu diesem „Phantombild“ bestenfalls noch ein weiter Weg. Dass eine Firma in den USA schon behauptet, „sie könnte das schon – und virtuelle Gesichtsbilder aufgrund von DNA-Spuren“ erstellen, glaubt Schneider nicht. „Das sind dann eher ethnische Stereotypen, keine individuellen Gesichter. Das ist aus meiner Sicht eine Schande für die seriöse Wissenschaft“, sagte er im WDR-Interview“ – aus dem Beitrag „Risiken und Nebenwirkungen erweiterter DNA-Analysen“ von Ralf Streck am 22. Juni 2017 bei telepolis externer Link, worin die verschiedenen gesetzgeberischen Schritte zusammengefasst werden, die zur Einführung einer weiteren dem Polizeistaat dienlichen Methode bereits unternommen wurden. Siehe nun auch Protest dagegen:

  • Die doppelte Büchse der Pandora: Einführung der erweiterten DNA-Analyse New
    „In der vergangenen Woche hat der Bundestag verschiedene Änderungen des Strafverfahrensrechts beschlossen – darunter auch eine Erweiterung der DNA-Analyse auf äußere Merkmale durch einen neuen § 81e Abs. 2 S. 2 StPO. Künftig sollen anhand einer DNA-Spur von einer unbekannten Person nicht mehr nur das DNA-Identifizierungsmuster, die Abstammung und das Geschlecht der spurenverursachenden Person bestimmt werden dürfen, sondern auch die Farbe von Haut, Haaren und Augen sowie das Alter. Was der bayerischen Polizei bereits durch das dortige Polizeiaufgabengesetz gestattet ist, wäre damit auch den Strafverfolgungsbehörden in der gesamten Republik zum Zwecke der Strafverfolgung erlaubt. (…) In der polizeilichen Praxis und in der öffentlichen Debatte wird sich diese Benachteiligung für People of Color (PoC) grundlegend anders auswirken als für Weiße mit blonden Haaren. Zum einen sind beide Gruppen in der deutschen Gesellschaft in sehr unterschiedlichem Maße vertreten, sodass sich die Bestimmung der Hautfarbe in sehr unterschiedlichem Maße als Ermittlungsansatz eignet. Zum anderen bedient die Feststellung einer dunklen Hautfarbe rassistische Einstellungen und wird vor allem im öffentlichen Diskurs grundlegend anders wahrgenommen. Die Situation ist also mit der Debatte um die Änderung von Ziffer 12 des Pressekodex vergleichbar (Nennung der Staatsangehörigkeit bzw. Herkunft von Tatverdächtigen bei Straftaten). (…) Die beschlossene Befugnis der erweiterten DNA-Analyse hat somit das Potential, zu erheblichen Diskriminierungseffekten zu führen, wenn weitergehende Ermittlungen sich gegen Angehörige bestimmter gesellschaftlicher Gruppen richten oder der öffentliche Diskurs entsprechende Ermittlungen aufgreift. Je nachdem wie die Befugnis in der Praxis umgesetzt wird und wie sich der dem zugrunde liegende Stand der Forschung weiterentwickelt, kann sich die Befugnis zu einer Form von institutionellem oder strukturellem Rassismus entwickeln…“ Beitrag von Tobias Singelnstein vom 19. November 2019 beim Verfassungsblog externer Link
  • Modernisierung des Strafverfahrens: Modernisierter Rassismus 
    „… Die Analyse der Pigmentierung von Augen- Haar- und Hautfarbe sowie des Alters ist zwar grundsätzlich möglich, doch Wissenschaftler*innen haben immer wieder darauf verwiesen, dass die Vorhersagegenauigkeiten stark schwanken können und nicht den Testdaten aus dem Labor entsprechen. Eine Fehlleitung von Ermittlungen aufgrund von zu großem Vertrauen in die DNA-Technologie erscheint demnach höchst wahrscheinlich.Expert*innen, die die Einführung befürworten, verweisen darauf, dass die Technologie ausreichend validiert sei. Doch Studien zeigen, dass die „hinreichende Vorhersagegenauigkeit“ von dem das Bundesjustizministerium in seinem Gesetzesentwurf ausgeht, nicht gegeben ist. Beispielweise zeigte eine neue US-amerikanische Studie eine Fehlerrate von rund 40 Prozent bei Augenfarbe auf, bei Haarfarbe lag sie bei 20 Prozent. Bei einer anderen Studie mit brasilianischen Proband*innen versagte die Technologie HIrisPlex-S (auf die sich meist bezogen wird) fast gänzlich dabei, Hautfarbe vorherzusagen. Die Wissenschaft scheint also noch gar nicht so weit zu sein, wie es von den politisch Verantwortlichen vermittelt wird. Immer wieder wird auf den Mordfall Maria L. verwiesen. Doch selbst Manfred Kayser, ein Hauptentwickler der Technologie hat inzwischen eingeräumt, dass die DNA-Analysen in diesem Fall – in einer Großstadt mit einer diversen Bevölkerung – nicht geholfen hätten. Vielfach wird behauptet, in anderen Ländern würde die Technologie erfolgreich eingesetzt, doch Studien über Schaden und Nutzen fehlen. Es ist kein einziger Fall bekannt, bei der die Vorhersage von Augen- Haar- und Hautfarbe und des Alters zur Aufklärung eines Falls geführt hat!...“ – aus der Stellungnahme „Erweiterte DNA-Analysen“ gefährden Minderheiten!“ des Gen-Ethischen Netzwerks vom 14. November 2019 externer Link   auf seiner Webseite zu den „erweiterten DANN-Analysen“, die im Rahmen des Gesetzes zur „Modernisierung des Strafverfahrens“ möglich gemacht wird. Siehe dazu drei weitere aktuelle Beiträge zu verschiedenen – und gemeinsamen – Aspekten des modernen Strafrechts:

    • „Sind erweiterte DNA-Analysen eine Gefahr für Minderheiten?“ von Peter Nowak am 15. November 2019 bei telpolis externer Link hält dazu fest: „… Wie wahrscheinlich solche Fehlleitungen sind, zeigte sich im Fall des NSU-Komplexes gleich zwei Mal. Zunächst sorgten verunreinigte Wattestäbchen bei der Auswertung dafür, dass von einer ominösen Frau als Täterin fabuliert und noch ein Roma-Hintergrund dazu fantasiert wurde. Hier zeigte sich konkret, wie aus einer falsch zugeordneten DNA-Spur eine rassistische Fama produziert wurde. Dass man dazu keine falsche DNA-Spur braucht, zeigt die Erzählung von den „Döner-Morden“, die die Opfer zu Tätern machte. Aber in der Geschichte des NSU-Komplexes gab es noch eine falsche DNA-Zuordnung. So stand für kurze Zeit der Verdacht im Raum, ob der NSU-Terrorist Böhnhardt auch für den Mord an der Schülerin Peggy verantwortlich ist. Bald stellte sich heraus, dass auch hier die DNA-Spurensuche versagt hat. Wenn es allein beim NSU-Komplex solche Fehlleistungen gab, wird deutlich, wie unsicher die DNA-Spurensuche ist. Daher ist es zu begrüßen, dass das Gen-ethische Netzwerk (GeN) davor warnt, auf die DNA-Untersuchungsmethoden zu vertrauen. Gleichzeitig wurde deutlich, wie schnell mit falschen DNA-Ergebnissen rassistische Kampagnen entstehen können. Das GeN sieht hierin das zentrale Problem…“
    • „Erweiterte Genanalysen zur Strafverfolgung“ am 16. November 2019 in der jungen welt externer Link ist eine afp-Meldung nach parlamentarischem „Vollzug“, worin unterstrichen wird: „Die Polizei darf künftig über Genspuren auch die Farbe von Haut, Haar und Augen sowie das Alter eines flüchtigen Täters ermitteln. Der Bundestag hat am Freitag einen entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung beschlossen. (…) Über die erweiterten Genanalysen werde es künftig »auch für Altfälle neue Ermittlungsansätze geben«, erklärte Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU)...“
    • „Hautfarbensuche per DNA-Test“ von Christian Rath am 13. November 2019 in der taz online externer Link gibt unter anderem wieder, wie diese Modernisierung der DANN-Untersuchung dann auch „verkauft“ werden soll: „… Das ist die wohl spektakulärste Änderung. Aus Tatortspuren wie Blut oder Sperma soll die Polizei künftig Hinweise auf das Aussehen und das Alter eines unbekannten Täters gewinnen können. Damit solle der Kreis der potenziell Verdächtigen eingegrenzt werden. Allerdings kann diese erweiterte DNA-Analyse nur mehr oder weniger ungenaue Prognosen liefern. Dass der Täter weiße Hautfarbe hat, kann mit 98-prozentiger Wahrscheinlichkeit vermutet werden, bei blonden Haaren liegt die Genauigkeit nur bei 70 Prozent. Die Polizei dürfte das Instrument vor allem nützlich finden, wenn es um in Deutschland noch eher seltene Merkmale wie eine dunkle Hautfarbe geht. Eine Stigmatisierung sei damit aber nicht verbunden, denn auch die Zeugenaussage, dass ein Täter dunkelhäutig war, darf verwendet werden, heißt es…“ – natürlich ist das keine „Stigmatisierung“. Nur weil damit stigmatisiert wird? Tönnies ist ja auch kein Rassist, nur weil er rassistische Ausfälle praktiziert…
  • Aufruf gegen erweiterte DNA-Analysen: Ein rassistisches System 
    Sicherheitspolitiker_innen drängen derzeit darauf, noch in dieser Legislaturperiode eine Gesetzesreform zu verabschieden, die die polizeilichen Befugnisse bei der DNA-Analyse drastisch erweitern soll. Den Strafverfolgungsbehörden soll erlaubt werden, DNA auf Marker für Haut-, Haar- oder Augenfarbe zu untersuchen, so die Eingabe aus dem Bundesrat. Bei Massengentests soll die Polizei Rückschlüsse auf die DNA von Verwandten einer Probengeber_in ziehen dürfen, so die Gesetzesinitiative der Bundesregierung. Und Bayern fordert zudem, auch die Analyse „biogeographischer Herkunftsmarker“ zu legalisieren. Wir protestieren gegen diese Vorhaben, wie sie im „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ gebündelt werden. Die vorgeschlagenen Verfahren erlauben keine eindeutigen Aussagen, sondern nur Wahrscheinlichkeitsbewertungen. Vor allem aber verletzen sie bisherige Standards des Datenschutzes und können rassistische Stimmungsmache und Diskriminierung fördern oder gar heraufbeschwören“ – so beginnt die Erklärung „Gegen die Erweiterung polizeilicher Befugnisse in der DNA-Analyse“ von Kirsten Achelik am 21. Juni 2017 im GID externer Link – hier dokumentiert im linksnet und inzwischen von zahlreichen Gruppierungen als gemeinsame Erklärung unterzeichnet.
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=117890
nach oben