Das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung gilt auch in Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete

Dossier

ÜberwachungMenschen, die in Deutschland Asyl suchen, leben häufig über lange Zeiträume in Gemeinschaftsunterkünften. Da die Erwachsenen und Kinder hier viel Zeit auf wenig Raum verbringen, ist es umso wichtiger, dass ihre Rechte beachtet werden. Die Privat- und Intimsphäre der Bewohner_innen ist grund- und menschenrechtlich geschützt und von allen Personen zu achten, die in der Einrichtung tätig sind. Die vorliegende Publikation externer Link geht der Frage nach, ob die bestehenden Hausordnungen und Satzungen der Unterkünfte das Recht auf Privatsphäre ausreichend beachten oder ob sie diesbezüglich überarbeitet werden müssen. Die Autor_innen untersuchen dabei insbesondere, inwiefern auch das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Artikel 13 Grundgesetz (GG) zu achten ist.“ Quelle: Thomé Newsletter 41/2018 vom 12.11.2018 externer Link, siehe dazu unser Dossier zum Gang durch alle Instanzen am Beispiel Ellwangen und hier zu Freiburg sowie allgemein:

  • Abdalah, einer der Kläger gegen die Hausordnung in der LEA Freiburg, wurde am 14.11. nach Ghana abgeschoben – Spendenaufruf für Abdalah New
    Am Dienstag vergangener Woche wurde unser Freund Abdalah nach Ghana abgeschoben. Zusammen mit fünf Geflüchteten hatte er 2020 gegen die Hausordnung in der Landeserstaufnahmeeinrichtung Freiburg geklagt. Der Prozess ist weiterhin vor dem Verwaltungsgericht Freiburg anhängig. Wir protestieren gegen den Abschiebewahn und rufen zu Spenden für Abdalah auf. Die Polizei holte Abdalah am Montagabend in seiner Unterkunft ab, er verbrachte die Nacht auf der Polizeistation. Am Dienstagmorgen wurde er in München um 7 Uhr zusammen mit anderen Geflüchteten in einen Charter-Flug gezwungen. Für Abdalah ist die Abschiebung das bittere Ende seiner Flucht nach Europa…“ Spendenaufruf bei Aktion Bleiberecht externer Link „Sicher ist nur die Unsicherheit – Spendenaufruf für Abdalah“ mit dem SPENDENKONTO:
    Aktion Bleiberecht
    Volksbank Breisgau Nord e.G.
    IBAN: DE75 6809 2000 0000 3615 26
    BIC: GENODE61EMM
    Stichwort: Abdalah

    • Mehr Informationen dort in einer pdf externer Link und darin: „… Noch auf der Polizeistation sagt er am Telefon, dass er in Ghana nicht bleiben kann und sich bald wieder auf den lebensgefährlichen Weg nach Lybien machen will. Dass Schutzsuchende wie Abdalah hin und her geschleudert werden, ist das Ergebnis einer rassistischen Ideologie, die weiterhin der Kritik bedarf. Wir protestieren gegen diesen Wahn und rufen zu Spenden für Abdalah auf.“ Siehe auch:
    • Unser Freund Abdalah wurde am 14.11. nach Ghana abgeschoben. Er hat mit fünf Geflüchteten 2020 gegen die Hausordnung in der LEA Freiburg geklagt. Der Prozess ist weiterhin vor dem VGFreiburg anhängig. Wir protestieren und rufen zu Spenden für Abdalah auf.Tweet von AntiRa-BaWü vom 19. Nov. 2023 externer Link
  • Erfolgreiche Klage gegen Hausordnung in Erstaufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete: Zimmer sind grundrechtlich geschützte Wohnungen 
    „Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat heute seine Entscheidung zur Hausordnung in der Erstaufnahmeeinrichtung Freiburg bekanntgegeben und der Klage mehrerer Geflüchteter in wichtigen Punkten stattgegeben. Das Verfahren wird unterstützt von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), PRO ASYL, der Aktion Bleiberecht und dem Flüchtlingsrat Baden-Württemberg. Der Verwaltungsgerichtshof entschied, dass die in der Hausordnung geregelten Befugnisse des Sicherheitsdienstes, die Zimmer der Geflüchteten jederzeit kontrollieren und betreten zu können, unwirksam sind. Das Gericht bestätigte, dass die Schlafzimmer in den Unterkünften grundrechtlich geschützte Wohnräume sind. (…) „Die Unverletzlichkeit der Wohnung gilt auch in Erstaufnahmeeinrichtungen, und Geflüchtete haben dort ein Recht auf Privatsphäre – was eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist, stellt der Verwaltungsgerichtshof Mannheim mit dem Urteil endlich klar“, sagt Sarah Lincoln, Juristin bei der GFF. „Die Entscheidung macht eine klare Ansage an das Land Baden-Württemberg. Weitreichende Grundrechtseingriffe per Hausordnung regeln – das geht nicht. Das Land muss Einschränkungen gesetzlich festlegen, nur dann sind Grundrechte und Demokratieprinzip gewahrt.“ „Dieses Urteil ist von bundesweiter Bedeutung, denn es macht klar, dass die Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art.13 Grundgesetz auch in Sammelunterkünften gilt. Das gibt geflüchteten Menschen ein Stück Eigenständigkeit und Würde zurück“, sagt Peter von Auer, rechtspolitischer Referent bei PRO ASYL. (…) Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg stützt sich mit dieser Entscheidung auf den weiten Wohnungsbegriff des Bundesverfassungsgerichts. Der Schutz der Wohnung ist eng mit der Menschenwürde verbunden. Geschützt sind nach der Karlsruher Rechtsprechung alle Räume, in denen das Privatleben stattfindet.“ Pressemitteilung vom 24. Februar von und bei Pro Asyl externer Link
  • (R)eintreten jetzt verboten – Verwaltungsgericht rügt Land Berlin: Die Praxis der Polizei, bei Abschiebungen ohne Richterbeschluss in Wohnungen einzudringen, sei rechtswidrig 
    „Die Polizei darf Wohnungen oder Zimmer von Geflüchteten in Heimen nicht ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss betreten. Auch für Menschen, die abgeschoben werden sollen, gilt das im Grundgesetz verbriefte Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13). Mit diesem Urteil hat das Verwaltungsgericht Berlin vergangene Woche der Klage eines jungen Mannes aus Guinea gegen das Land Berlin in Teilen stattgegeben. In einem zweiten Punkt wies Richterin Nadine Ennsberger jedoch die Klage ab: Die Sicherstellung von Mobiltelefonen, Kopfhörern und Portemonnaies durch die Polizei sei rechtmäßig, da diese Gegenstände geeignet seien, sich selbst oder andere zu verletzen (VG 10 K 383.19). Für den Berliner Rechtsanwalt Christoph Tometten, der den 22-jährigen Kläger vertritt, ist das in der vorigen Woche schriftlich ergangene Urteil, das der taz exklusiv vorliegt, eine wichtige Klarstellung zu den Rechten Geflüchteter. Der taz sagte Tometten: „Das Urteil des Verwaltungsgerichts stellt fest, was eigentlich selbstverständlich sein sollte. Die Polizei hat auch bei der Durchführung von Abschiebungen das Grundgesetz zu achten.“ Damit schließe sich das Gericht der jüngsten Rechtsprechung aus Hamburg an. „Daraus muss die Innenverwaltung nun umgehend Konsequenzen ziehen und der bisherigen Praxis ein Ende setzen“, fordert der Anwalt. Zugleich bedauert Tometten, dass das Gericht nichts dagegen habe, dass Menschen vor ihrer Abschiebung die Handys weggenommen werden. „Es erschwert den Rechtsschutz, wenn die Betroffenen so nicht rechtzeitig ihren Anwalt kontaktieren können. Zur Mobilisierung von Fluchthelfern, die sich der Polizei in den Weg stellen würden, taugt das Mobiltelefon in aller Regel nicht. Auch die Ansicht des Gerichts, Mobiltelefone seien generell geeignet, sich oder andere zu verletzen, ist abwegig.“ (…) Tometten kündigte gegenüber der taz an, gegen die Teilabweisung der Klage zur „Handy-Frage“ Berufung einzulegen…“ Artikel von Susanne Memarnia vom 12. Oktober 2021 in der taz online externer Link
  • [Grundrechtseingriffe in den sächsischen Aufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete] Regierung sollte handeln, bevor Gerichte sie zwingen 
    „Das heute veröffentlichte Rechtsgutachten des Juristen Martin Wiesmann thematisiert rechtswidrige Grundrechtseingriffe in den sächsischen Aufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete. Bei einer Pressekonferenz von Antidiskriminierungsbüro Sachsen e.V., Sächsischem Flüchtlingsrat e.V. und Leipziger Initiativkreis: Menschen.Würdig. stellte Wiesmann zentrale Punkte seines Gutachtens vor. Die in der Hausordnung festgelegten Sanktionen – Zimmerdurchsuchungen, Haus-, Besuchs- und weitere Verbote sowie die Personenkontrolle am Eingang – verstießen insbesondere gegen den Grundsatz des Schutzes der Wohnung nach Art. 13 Grundgesetz. Erschwerend komme hinzu, dass die Betreiber beziehungsweise die Sicherheitsunternehmen die Sanktionen durchführen. Hoheitliche Aufgaben stünden ihnen aber nicht zu, weshalb auch sie ein Interesse daran haben sollten, dass die Hausordnungen geändert werden. Andernfalls, so Wiesmann, führe das zu einer „potentiellen Strafbarkeit“. Die Linksfraktion hatte bereits 2019 mit einem Antrag Maßnahmen zur Einhaltung der Unverletzlichkeit der Wohnung in Sammelunterkünften begehrt, u.a. die grund- und menschenrechtskonforme Überarbeitung der Hausordnungen. Die Kenia-Koalition hatte das abgelehnt. Dazu erklärt die asylpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, Jule Nagel: „Ich erwarte von der Koalition, dass sie umgehend Änderungen der Hausordnung wie auch des Gewaltschutzkonzeptes in den Aufnahmeeinrichtungen veranlasst. Diese Grundrechtseingriffe geschehen täglich und das muss aufhören. (…) Das Machtgefälle fällt eindeutig zugunsten von Betreibern und Sicherheitsunternehmen aus, legitimiert durch die Hausordnung. So ist Gewalt in ihren vielfältigen Formen vorprogrammiert. Solange es keine politische Lösung gibt, müssten Gerichte Druck aufbauen. Ich begrüße es daher, dass die Nichtregierungsorganisationen heute konkrete Handlungsempfehlungen geben, wie solche Verfahren angestoßen werden können. Allerdings muss dafür bereits der Grundrechtseingriff bei einer/-m Bewohnerin/-in erfolgt sein. Ich fordere daher die Regierungskoalition auf, aktiv zu werden, bevor Gerichte sie dazu zwingen. Zivilgesellschaftliche Organisationen und wir haben in der Vergangenheit immer wieder auf das Problem aufmerksam gemacht. Es ist Zeit zu handeln!“…“ Beitrag der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag vom 26. Mai 2021 bei der Leipziger Zeitung online externer Link
  • Grundrechte an der Tür abzugeben. Gutachten: Hausordnungen in sächsischen Flüchtlingsheimen sind rechtswidrig – Musterklagen angestrebt  „Alkohol ist in sächsischen Flüchtlingsheimen nicht erlaubt. Wer dagegen verstößt, erhält vier Stunden Hausverbot. Auch Rauchen ist unzulässig; bei Verstoß gibt es zwei Stunden Hausverbot. Untersagt sind das Kochen, die Nutzung vieler Elektrogeräte und selbst der Besitz kleiner Obstmesser. Das Wachpersonal darf Zimmer jederzeit durchsuchen; die Bewohner haben das »zu dulden«. All diese Regelungen finden sich in einer Musterhausordnung, die Sachsens Innenministerium für Flüchtlingsunterkünfte erlassen hat. Diese aber sei »klar verfassungswidrig«. Zu diesem Fazit kommt ein Rechtsgutachten, das der Flüchtlingsrat und das Antidiskriminierungsbüro Sachsen sowie der Initiativkreis Menschen.Würdig in Auftrag gegeben haben. So klar wie in kaum einem anderen Bundesland ließen sächsische Vorschriften erkennen, dass es nur um »die Verwaltung von Menschen im Asylverfahren« gehe, sagte dessen Autor Martin Wiesmann. Zentraler Kritikpunkt ist die Aussetzung des in Artikel 13 des Grundgesetzes geregelten Rechts auf Unversehrtheit der Wohnung. Das Ministerium geht ausdrücklich davon aus, dass Räume in den Gemeinschaftsunterkünften keine Wohnungen darstellten. Der Hauptzweck der Unterbringung dort sei vielmehr »die Verfügbarkeit der Bewohner für das laufende Asylverfahren« und, falls der Antrag abgelehnt werde, »für die Rückführung aus dem Bundesgebiet«. Das schrieb CDU-Innenminister Roland Wöller 2019 auf Anfrage der Linksabgeordneten Jule Nagel. Das Gutachten hält diese Auffassung für unzulässig. Der Begriff der Wohnung nach Artikel 13 Grundgesetz sei sehr weit gefasst und erstrecke sich auch auf »temporäre Behausungen« wie Wohnwagen und Zelte, Abteile in Schlafwagen oder Zimmer in Hotels und Krankenhäusern. Die einzige markante Ausnahme seien Gefängniszellen. Ihnen seien Räume in Flüchtlingsheimen aber »nicht vergleichbar«, sagt Wiesmann. Weil dort das Grundrecht aus Artikel 13 zutreffe, gebe es auch »hohe Schwellen für Eingriffe«, etwa die Kontrolle der Zimmer. Diese wäre nach Ansicht des Gutachters nur mit Einwilligung der Bewohner zulässig. Für Durchsuchungen gelte ein Richtervorbehalt.“ Artikel von Hendrik Lasch vom 26. Mai 2021 bei neues Deutschland online externer Link
  • Siehe auch vom 17. März 2021: Grundrechtswidrige Hausordnungen in Geflüchteten-Unterkünften – vier Freiburger Flüchtlinge klagen
  • Auch in Flüchtlingsunterkünften gilt das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung
    „Eine anständige Unterbringung, die Unverletzlichkeit der Wohnung und der Verzicht auf nicht grund- und menschenrechtskonforme Eingriffe in das Privatleben sind Ausprägungen der Verpflichtung auf den Schutz der Menschenwürde. Zu oft lassen Flüchtlingsunterkünfte solche Mindeststandards missen. Immer wieder erreichen PRO ASYL Berichte von Flüchtlingen, die sich über problematische Praktiken des Personals, der Sicherheitsunternehmen bzw. der Betreiberfirmen in Flüchtlingsunterkünften beschweren. (…) Das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) hat es jüngst unternommen, die Grauzone der Hausordnungen und sonstiger Regelungen für den Unterbringungsbereich in einem Papier »Hausordnungen menschenrechtskonform gestalten« auszuleuchten. Dabei wurde insbesondere untersucht, welche Anforderungen sich aus dem Schutz der Wohnung gemäß Art. 13 GG ergeben. (…) Eines der Ergebnisse: Auch wenn bei gemeinschaftlicher Nutzung von Räumen gewisse Einschränkungen aus praktischen Gründen hinzunehmen sind, kommt Bewohner*innen zumindest für Schlaf- und Wohnräume ein »Hausrecht« zu, weil sie als Wohnung im Sinne von Art. 13 GG einzuordnen sind. »Der Staat bleibt an die Grund und Menschenrechte gebunden. Er kann sich seiner Verantwortung nicht entledigen, indem er durch einfaches Gesetz oder eine Auflage ein besonderes Rechtsverhältnis schafft, in dem die Grundrechte nicht gelten sollen«, so das DIMR. (…)Anlassloses jederzeitiges Betreten von Wohn- oder Schlafräumen wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Durchsuchungen sind nur dann zulässig, wenn dafür eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage besteht. In Sachen Besuchsregelungen ist das legitime Interesse der Bewohner*innen aus Art. 13 GG an Kontakt und Austausch mit anderen im Rahmen der Privatsphäre zu beachten. In Rechnung zu stellen ist aber auch das Interesse anderer Bewohner*innen, nicht durch Besuche über Gebühr beeinträchtigt zu werden. Menschen, die Flüchtlinge in Unterkünften unterstützen, sollten die Untersuchung zum Anlass nehmen, im Dialog mit den Behörden, ggf. auch im Konflikt, dafür zu sorgen, dass Unterbringungspraktiken und Hausordnungen Grund- und Menschenrechten Rechnung tragen…“ Beitrag von Pro Asyl vom 15. November 2018 externer Link, siehe dazu
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=139970
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