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»AKP, tritt zurück«. Proteste in der Türkei gegen Erdogan nach Lira-Absturz – trotz Polizeiterror und Festnahmen

Dossier

»AKP, tritt zurück«. Türkei: Proteste gegen Erdogan nach Lira-Absturz (Foto: sendika.org)In Ankara, Istanbul und weiteren Städten der Türkei ist es in der Nacht zu Mittwoch zu spontanen Protesten gegen die AKP-Regierung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan gekommen. Auslöser waren ein neuer historischer Tiefstand der türkischen Lira sowie infolge der Inflation extrem angestiegene Preise für Grundnahrungsmittel. (…) »AKP, tritt zurück!« lautete die Hauptparole auf Demonstrationen, denen sich trotz Polizeiübergriffen in verschiedenen Istanbuler Stadtvierteln jeweils mehrere hundert Menschen angeschlossen hatten. (…) In Ankara und Diyarbakir protestierten Anwohner lautstark mit Töpfen und Pfannen auf ihren Balkonen. Studenten der Technischen Universität (ODTÜ), die sich in der Hauptstadt den Protesten anschließen wollten, wurden von der Polizei mit Pfefferspray attackiert…“ Artikel von Nick Brauns in der jungen Welt vom 25.11.2021 externer Link – siehe weitere Berichte, v.a. unserer KollegInnen von sendika.org (zu Migros Türk gibt es ein extra-Dossier):

  • Erneute und wachsende Streikbewegung gegen steigende Lebenshaltungskosten in der Türkei New
    „Am Montag traten 625 U-Bahn- und Straßenbahnarbeiter von Metro AŞ, dem Verkehrsbetrieb der Metropole Izmir, in den Streik und demonstrierten damit eindrucksvoll die gesellschaftliche Stärke der Arbeiterklasse. Der U-Bahnverkehr, der in Izmir – mit über vier Millionen Einwohnern die größte Stadt der Türkei – täglich von etwa 400.000 Menschen genutzt wird, kam zum Erliegen. Der Streik hatte begonnen, weil die Arbeiter darauf bestanden hatten. Doch als seine Auswirkungen sichtbar wurden, beendete der Gewerkschaftsapparat ihn nach zwei Tagen und unterzeichnete einen Ausverkaufsvertrag. Die Tarifverhandlungen fanden zwischen dem Sozialdemokratischen Verbund Öffentlicher Arbeitgeber (Sodem-Sen) – der die von der größten Oppositionspartei CHP geführten Kommunen vertritt – und der Gewerkschaft Demiryol-İş, einem Mitglied des Gewerkschaftsbundes Türk-İş statt. In der Auseinandersetzung, die sich über fast sieben Monate ohne Einigung hinzog, ging es um Löhne, Arbeitszeiten, Arbeitsplatzsicherheit und die Löhne für Neueingestellte. Am Dienstag legten etwa 18.000 Beschäftigte der Unternehmen IZELMAN und IZENERJI, die u.a. in den Bereichen Gesundheit und Bildung aktiv sind und ebenfalls der Verwaltung von Izmir unterstehen, für einen Tag wegen ausstehender Löhne im Zusammenhang mit dem seit April gültigen Tarifvertrag ebenfalls die Arbeit nieder. Die Streiks und Arbeitsniederlegungen in Izmir ereignen sich vor dem Hintergrund eines Auflebens der Klassenkämpfe als Reaktion auf die steigenden Lebenshaltungskosten und eine Reihe sozialer Angriffe der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan, die so ihr Haushaltsdefizit beseitigen und die Wirtschafts- und Finanzelite weiter bereichern will. Am 1. und 2. August traten tausende Ärzte, Pflegekräfte und andere Gesundheitsbeschäftigte aus dem Umfeld der Plattform für Einheit und Kampf im Gesundheits- und Sozialwesen (SABIM), einem Zusammenschluss vieler Gewerkschaften und Berufsverbände, in den Streik. Die Beschäftigten des Gesundheitswesens in der Türkei haben seit Anfang 2022 immer wieder im ganzen Land für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen gestreikt. Letzten Monat traten etwa 3.000 Beschäftigte der Elektrizitätswerke Dicle Electricity (DEDAS) in den überwiegend kurdischen Städten Diyarbakir, Urfa, Mardin, Batman, Siirt und Şırnak in spontane Streiks für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Das Unternehmen entließ daraufhin etwa 100 von ihnen. Der Streik der Arbeiter im Corning-Werk im Industriezentrum Gebze (Provinz Kocaeli) dauert bereits seit drei Wochen an. In dem Werk des Chemiekonzerns Eti Maden in Bandirma wurde am 17. Juli eine Streikankündigung veröffentlicht, nachdem die Tarifverhandlungen gescheitert waren. Wenn die Gewerkschaft nicht noch in letzter Sekunde einen Ausverkauf durchsetzt, werden die Arbeiter am 17. August in den Streik treten. In der Auto- und Metallindustrie laufen im September die Tarifverträge von etwa 150.000 Arbeitern aus…“ Beitrag von Barış Demir und Ulaş Ateşçi vom 4. August 2023 bei wsws.org externer Link („Wachsende Streikbewegung gegen steigende Lebenshaltungskosten“)
  • Türkei: Die gepfefferte Inflation, wachsende Unzufriedenheit, unzureichende Wahlgeschenke und eingeschränkte Protestmöglichkeiten
    • Die gepfefferte Inflation. Die Kosten für Energie, Mieten und Lebensmittel steigen deutlich schneller als die Löhne
      Das erste Wahlgeschenk 2023 hat Präsident Recep Tayyip Erdoğan schon verteilt: Mehr als zwei Millionen Beschäftigte brauchen dieses Jahr nicht mehr zu arbeiten. Erdoğan schickt sie persönlich in den Ruhestand und hofft, dass ihm das viele Stimmen für die Wiederwahl im Sommer einbringt. Die Türkei steckt in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage mit einer rasanten Geldentwertung. Im November wurde offiziell erstmals seit anderthalb Jahren ein leichter Rückgang der Inflation gemessen. Offiziell lag diese bei 84,4 Prozent, ein Prozentpunkt weniger als im Oktober. Die von der staatlichen Statistikbehörde veröffentlichten Zahlen werden jedoch kritisch betrachtet, unabhängige Forschungsinstitute gehen von einer noch weitaus höheren Teuerungsrate aus. Die Inflation äußert sich in rasant steigenden Verbraucherpreisen, vor allem die Kosten für Energie, Mieten und Lebensmittel steigen von Woche zu Woche. In der letzten Dezemberwoche wurde zudem eine Erhöhung der Preise für den öffentlichen Nahverkehr angekündigt, die ab Januar gilt. Um die schwindende Kaufkraft zu stärken, kündigte die AKP-Regierung eine Erhöhung des Mindestlohns zum Beginn des neuen Jahres an. Dieser liegt aktuell bei 5500 Lira (275 Euro) und soll mit der ersten Lohnzahlung Anfang Februar auf 8500 Lira steigen. Rund die Hälfte der Lohnabhängigen bezieht nach offiziellen Angaben den Mindestlohn, im privaten Sektor sind es 60 Prozent. Die Erhöhung gleicht den Kaufkraftverfall jedoch bei Weitem nicht aus. (…) Die Konföderation progressiver Arbeitergewerkschaften DISK kritisierte in ihrem Statement nach Verkündung der Lohnerhöhung, dass nicht der Mindestlohn, sondern flächendeckende Tarifverträge das richtige Mittel gegen die Verarmung der Arbeiter*innen wären. Die Konföderation, die selbst nicht Teil der Kommission ist, die den Mindestlohn festlegt, hatte zuvor eine Erhöhung auf 13 500 Lira gefordert. Der Gewerkschaftsbund Türk-İş hatte im Oktober eine Studie veröffentlicht, laut der die monatlichen Ausgaben einer vierköpfigen Familie rund 24 200 Lira betragen. Selbst bei zwei in Vollzeit arbeitenden Elternteilen wäre somit auch mit dem neuen Mindestlohn kein Auskommen möglich. Auch die Jugendarbeitslosigkeit steigt gerade zum Ende der Tourismussaison wieder an und liegt aktuell bei 22 Prozent…“ Artikel von Svenja Huck, Istanbul, vom 02.01.2023 im ND online externer Link
    • Türkei: »Sichtbaren Widerstand gibt es nicht«
      Kıvanç Eliaçık im Interview von Svenja Huck vom 2. Dezember 2022 in Neues Deutschland online externer Link „über wachsende Unzufriedenheit und eingeschränkte Protestmöglichkeiten in der Türkei: (…) Betrachtet man die Erhöhung des Mindestlohns im Vergleich zum Januar 2022, sehen wir eine fast 100-prozentige Steigerung. Das sieht als Zahl erst einmal nach viel aus und mag auch ungewöhnlich klingen aus europäischer Perspektive. Doch wenn wir uns die Preisentwicklung in der Türkei anschauen, ist diese Erhöhung ziemlich unwirksam. Hier ändern sich die Preise wöchentlich, seien es Lebensmittel, die Miete oder die Preise für Energie. Was ich heute im Restaurant bezahle, ist in ein paar Tagen nicht mehr gültig. Deshalb hat auch ein großer Teil der Bevölkerung eher verhalten auf die Erhöhung reagiert. (…) In der [Mindestlohn-]Kommission sitzen Vertreter*innen des Ministeriums für Arbeit, des Arbeitgeberverbandes TİSK und der größten Gewerkschaftskonföderation Türk-İş. Sie treffen sich, debattieren und kommen dann zu einer Entscheidung. Doch dieses Mal war es anders. Plötzlich fand ein Treffen zwischen Präsident Recep Tayyip Erdoğan, dem Ministerium und den Arbeitgebervertretern statt. Die Gewerkschaften waren ausgeschlossen. Anschließend verkündeten sie ihre Entscheidung in einer Pressekundgebung. Das entspricht nicht den Gesetzen der Türkei. Es zeigt aber erneut, dass Entscheidungen aus dem Palast über allem stehen. Hinzu kommt, dass bisher auch noch kein Amtsblatt publiziert wurde. Formell gibt es demnach noch gar keine Lohnerhöhung. (…) Da auch die Lebensmittelpreise steigen, lassen die Menschen Mahlzeiten ausfallen. Letztens erzählte ein befreundeter Lehrer, dass Schüler*innen hungrig zur Schule kommen und dort in Ohnmacht fallen. Und zuletzt stiegen auch die Preise für die eigene Gesundheitsversorgung. In den staatlichen Krankenhäusern bekommt man keine Termine, also geht man in ein Privatkrankenhaus. Die sind teuer und auf der Arbeit muss man sich beurlauben lassen. Dieser freie Tag wird vom Lohn abgezogen, den man bräuchte, um die Krankenhausrechnung zu bezahlen. (…) Natürlich herrscht Unzufriedenheit, aber einen sichtbaren Widerstand gibt es bisher nicht. Um das zu erkennen, muss man kein Gewerkschafter sein. In der Vergangenheit gab es immer wieder spontan aufkommenden Protest und das kann auch wieder passieren. Für die Gewerkschaften war unser Mittel öffentlichkeitswirksamer Massenprotest. Doch seit dem Anschlag am 10. Oktober 2015 in Ankara findet der kaum mehr statt. Hinzu kam die Pandemie. Stattdessen gibt es nun mehr Aktionen direkt in und vor den Betrieben statt zentrale Kundgebungen. (…) Die vergangenen Wahlen waren bereits nicht fair, es gab eine Menge Wahlbetrug. Besonders bezeichnend waren die Bürgermeisterwahlen in Istanbul, deren Ergebnis die AKP erst nach der zweiten Niederlage akzeptierte. Wenn die Wahlen fair ablaufen, wird es mit Sicherheit eine Veränderung geben. Aber hinsichtlich der Rechte von Arbeiter*innen und deren Ausbeutung sind wir nicht erst seit der Erdoğan-Regierung mit Problemen konfrontiert. Dennoch wären die Wiedereinführung des parlamentarischen Systems und die Wiederherstellung der Justizhoheit ein wichtiger Sieg. Die Konflikte zwischen uns und den Bossen werden dadurch aber nicht gelöst, das ist ein längerer Kampf. Hoffnung auf Veränderung gibt es auch unter denjenigen, die bisher der AKP ihre Stimme gegeben haben.“
  • 100 Prozent Inflation. Enorme Preissteigerungen in der Türkei: Regierung reicht Erhöhung der Gas- und Stromkosten an Verbraucher weiter. Protestbündnis formiert sich
    „… Seit Donnerstag müssen Privathaushalte 20 Prozent, Industriebetriebe sogar 50 Prozent mehr für ihren Strom zahlen, teilte die türkische Energiemarktregulierungsbehörde EPDK mit. (…) In der Erklärung der EPDK hieß es, der Nachhall der Pandemie auf die globale Wirtschaft sowie der Krieg zwischen Russland und der Ukraine hätten heftige Auswirkungen auf den internationalen Energiemarkt, vor allem in den europäischen Ländern. Diese globale Energiekrise habe die Rohstoffpreise außerordentlich steigen lassen, wodurch auch die Kosten für die Energiebereitstellung in der Türkei negativ beeinflusst worden seien. Aus diesem Grund sei eine Erhöhung der Strompreise notwendig. (…) Die Erklärung der EPDK zeigt, dass die türkische Regierung sich nicht in der Verantwortung für die wirtschaftliche Lage des Landes sieht. Gerade jüngere, alleinstehende Beschäftigte sehen sich gezwungen, zurück zu den Eltern zu ziehen, andere stellen sich bereits auf unbeheizte Wohnungen im Winter ein. Handelsminister Mehmet Mus erklärte außerdem am Donnerstag auf einem Treffen mit der Exporteurvereinigung von Südostanatolien, dass zwar aktuell sogar noch staatliche Subventionen für Strom und Gas existierten, jedoch weitere Maßnahmen für den Staatshaushalt nicht tragbar seien. Deshalb sei es nun notwendig, die erhöhten Kosten an die Verbraucher weiterzureichen. Rechnet man alle bisherigen Preissteigerungen seit Beginn des Jahres zusammen, beträgt eine durchschnittliche Gasrechnung, die sich im Januar auf 100 Lira belief, jetzt mehr als das Doppelte. Angesichts der rasanten Inflation, die offiziell bei rund 80 Prozent, inoffiziell aber bei mehr als 100 Prozent liegt, ist das lukrativste Geschäft in der Türkei wohl das der Druckereien, die permanent neue Preisschilder produzieren. (…) Das Bündnis »Gecinemiyoruz« (»Wir kommen nicht über die Runden«), das hauptsächlich im Istanbuler Bezirk Kadiköy aktiv ist, hielt am Donnerstag deswegen spontan eine Kundgebung vor den Toren des Energieversorgers Enerjisa ab. Die Demonstranten forderten die Rücknahme der Preiserhöhungen sowie die Vergesellschaftung der Energieunternehmen. Die Erhöhung der Kosten bezeichnet »Gecinemiyoruz« als »Raubüberfall«. Das Bündnis, das zu Beginn des Jahres gegründet wurde, protestiert ebenfalls regelmäßig gegen die steigenden Mieten in Kadiköy. Laut einem Bericht von »Gecinemiyoruz« liegen die durchschnittlichen Wohnkosten im Bezirk bei rund 20.000 Lira (1.100 Euro), weshalb angesichts des Mindestlohns von 5.500 Lira Räumungsanordnungen die größte Bedrohung für die Bewohner darstellen. Auch die Arbeiterpartei der Türkei (TIP) protestierte am Donnerstag gegen die Preiserhöhungen, indem sie in verschiedenen Orten Infostände organisierte und Unterschriften sammelte.“ Artikel von Saskia Huck in der jungen Welt vom 5.9.2022 externer Link
  • Löhne im öffentlichen Dienst in der Türkei unter der Hungergrenze
    Aufgrund der Inflation in der Türkei und den rapiden Verteuerungsraten sind die Löhne der Angestellten im öffentlichen Dienst in vielen Bereichen unter die Hungergrenze gefallen. Die staatliche Statistikbehörde TURKSTAT hat mit der Bekanntgabe der Inflationszahlen für Juni 2022 einen Aufschrei der Entrüstung ausgelöst. Die für geschönte Daten bekannte Behörde gab die Inflation in der Türkei auf 4,95 Prozent im Juni und 78,6 Prozent auf das Jahr gerechnet an. Auch wenn diese Daten hoch erscheinen, so zeichnet die Statistik der unabhängigen Inflation Research Group (ENAG) ein deutlicheres Bild. Laut ENAG lag die Inflationsrate bei 175,5 Prozent auf das Jahr gerechnet. Die Föderation der Gewerkschaften des öffentlichen Diensts (KESK) kritisiert, dass selbst unter Bezugnahme auf die geschönten TURKSTAT-Zahlen die Löhne von Angestellten im öffentlichen Diensts unter der Armutsgrenze, oft sogar unter der Hungergrenze liegen. Der Gewerkschaftsverband fordert daher die umgehende Anhebung der Löhne.
    Der Minister für Arbeit und soziale Sicherheit, Vedat Bilgin (AKP), der sich am Tag der Veröffentlichung der TURKSTAT-Statistiken äußerte, hat eine Erhöhung der Beamtenpensionen um 42 Prozent angekündigt. Er sagte, man habe nicht mit einem derartigen Anstieg der Inflation gerechnet. Gleichzeitig dementierte er die vom Gewerkschaftsverband Türk-Iş veröffentlichten Zahlen von Menschen, die in Armut und Hunger leben (…)
    TURKSTAT und die Zentralbank seien in der Türkei vollkommen diskreditiert, unterstreicht Bozgeyik: „TURKSTAT gibt sowohl viel zu niedrige Inflationsraten als auch Arbeitslosenzahlen an. Die Zentralbank hat die Inflation und die TL durch ihre Politik auf dieses Niveau gebracht. Darüber hinaus werden mit dem kürzlich verabschiedeten Nachtragshaushaltsgesetz die Steuersätze parallel dazu erhöht. Mit dieser Erhöhung wird die Steuerbelastung der Arbeitnehmer:innen noch weiter steigen…“ ANF-Meldung vom 5. Juli 2022 externer Link mit weiteren Berichten zur Inflation und Protesten
  • Existenzbedrohende Preise. Türkei: Kostensteigerungen in allen Lebensbereichen. Proteste gegen Erhöhung der Fahrpreise. Mindestlohn reicht nicht aus 
    „… Die Preissteigerung für den Nahverkehr um 40 Prozent reiht sich ein in monatelange Verteuerungen in so gut wie allen Lebensbereichen. Erst zu Beginn des Jahres wurden die Strompreise um 100 Prozent erhöht. Die Preissteigerungen haben verschiedene Ursachen. Eine davon ist der Werteverlust der Lira im Verhältnis zum Dollar und zum Euro, was vor allem Exportprodukte teurer macht. Letzte Woche erreichte die offizielle Inflationsrate einen neuen Höchstwert mit über 60 Prozent, unabhängige Institute schätzen diese sogar auf über 100 Prozent. Auch der Krieg in der Ukraine führt zu einer Preissteigerung, denn die Türkei bezieht Grundnahrungsmittel wie Getreide und Sonnenblumenöl zum Großteil aus der Ukraine und Russland. (…) Vor dem Hintergrund, dass in der Türkei rund 70 Prozent der Arbeiter im Privatsektor gerade einmal den Mindestlohn von 4.250 Lira (264 Euro) beziehen, sind die Verteuerungen für immer mehr Menschen existenzbedrohend geworden. Auch die Mieten sind im letzten Jahr in der gesamten Türkei um bis zu 200 Prozent gestiegen, der Durchschnittspreis für eine Wohnung in Istanbul liegt aktuell bei 6.500 Lira. Immer mehr Menschen, auch gutverdienende Ärzte oder Ingenieurinnen, suchen sich deshalb Untermieter. Zudem sind auch die Papierpreise für Zeitungen, Bücher und andere Druckerzeugnisse gestiegen, weil es in der Türkei keine Papierfabriken mehr gibt. Mittlerweile ist deshalb das regelmäßige Erscheinen insbesondere kleinerer, kritischer Zeitungen ernsthaft gefährdet. Gegen die Preissteigerung im Nahverkehr protestierten vergangene Woche Mitglieder der sozialistischen Arbeiterpartei der Türkei (TIP). In den Metrostationen organisierten sie spontane Proteste. Deutlich benannten sie dabei die AKP-Regierung als Verantwortliche für die wirtschaftliche Krise im Land und forderten umgehend die Rücknahme der erhöhten Ticketpreise. (…) Die Gewerkschaften, die entweder regierungsnahe Politik betreiben oder unter dem politischen Einfluss der CHP stehen, sind ebenfalls kaum gewillt, ihre Mitglieder gegen die Wirtschaftskrise und ihre Auswirkungen zu mobilisieren. Zunehmend laut wird die Forderung, den staatlichen festgelegten Mindestlohn in regelmäßigen Abständen zu erhöhen, um die Arbeiter finanziell zu entlasten.“ Bericht von Svenja Huck, Istanbul, in der jungen Welt vom 11.04.2022 externer Link – für immer mehr lokale Lohnstreiks in der Türkei siehe die Berichterstattung unsrer KollegInnen von Sendika.org externer Link (türkisch)
  • „Wir wollen das Leben und keine Krümel“. In der Türkei haben in den vergangenen drei Wochen in über dreißig Betrieben etwa 10.000 Beschäftigte die Arbeit niedergelegt 
    „Angesichts von hoher Inflation und steigenden Lebenshaltungskosten bei gleichbleibenden Löhnen gehen in der Türkei seit Anfang des Jahres Arbeiter:innen auf die Barrikaden. In mehreren Betrieben, darunter die Kurierdienstleister Yurtiçi Kargo und Yemeksepeti, der Online-Versand Trendyol und der Autokarosserieanbieter Farplas A.S., ist die Belegschaft in den Streik getreten. Nach Angaben von Bülent Duran, Menschenrechtsvertreter der Rechtsanwaltskammer Antep, haben in den vergangenen drei Wochen in über dreißig Betrieben etwa 10.000 Beschäftigte die Arbeit niedergelegt. Beim Automobilzulieferer Farplas in Kocaeli, einer Fabrik mit 2000 überwiegend weiblichen Beschäftigten, hat vor vier Wochen ein erster Warnstreik stattgefunden. Die Arbeiter:innen forderten unter anderem Prämienzahlungen, Lohnerhöhungen, keine Anrechnung von geplantem Arbeitsausfall auf den Jahresurlaub, Hilfszuschüsse aufgrund der Preissteigerungen in der Türkei, Anrechnung der Inflation auf die Gehälter sowie eine Erhöhung der Überstundenzuschläge. Für eine Antwort der Konzernleitung wurde eine Frist von einer Woche gesetzt. Ende Januar kam es zu einem Großeinsatz der Polizei gegen die streikende Belegschaft. Die Polizei stürmte das besetzte Fabrikgebäude, setzte Pfefferspray ein und nahm über 200 der Streikenden fest. Die Arbeiter:innen hatten nach der Entlassung von Kolleg:innen die Produktion eingestellt, die entlassenen Arbeiter:innen protestierten in der Fabrik. Auch nach dem Polizeiangriff geht der Widerstand bei Farplas weiter. Die „Feministische Aufstandskampagnengruppe gegen Armut“ hat am Dienstag der kämpfenden Belegschaft in Kocaeli einen Solidaritätsbesuch abgestattet. Die Feministinnen, darunter die HDP-Abgeordneten Züleyha Gülüm und Oya Ersoy, trafen mit einem Transparent mit der Aufschrift „Wir sind an der Seite der Farplas-Arbeiter:innen“ vor der Fabrik ein und wurden mit Applaus empfangen. Für die Kampagnengruppe hielt Selin Top eine Ansprache, die sie mit einer an die Chefetage gerichteten Botschaft begann: „Die Farplas-Arbeiter:innen sind nicht allein, wir stehen hinter ihrem gerechten Widerstand. Wir wollen das Leben und keine Krümel.“ Die feministische Aufstandskampagne fordere die Wiedereinstellung der entlassenen Arbeiter:innen und das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung…“ Bericht vom 22. Februar 2022 von und bei AFN mit kurzem Video externer Link
  • »Nur mit konsequenter Linie wird man Kämpfe gewinnen«. Krise in der Türkei: Streiks unorganisierter Belegschaften nehmen zu. Gewerkschaften wollen sie in Grenzen halten
    „… Gerade in den gewerkschaftlich unorganisierten Betrieben und Firmen kommt es zu Arbeitsniederlegungen, die Beschäftigten fordern bessere Arbeitsbedingungen und Lohnerhöhungen und kämpfen um eine gewerkschaftliche Organisierung. Seit Januar hat es 70 Arbeitsniederlegungen gegeben, und diese verbreitern sich weiter. Man kann noch nicht von einem Generalstreik sprechen, aber man kann von einer Arbeiterbewegung sprechen, in der sich viel aufgestaut hat. So lange die Arbeiter gezwungen werden, die Rechnung der Wirtschaftskrise und der Pandemie zu zahlen, so lange wird die Suche nach neuen Kampfformen unausweichlich sein.
    [Wo wird hauptsächlich gekämpft?]
    In vielen Bereichen, wie der Metall-, Textil-, Dienstleistungs-, Speditions- und Nahrungsmittelbranche, kommt es zu Arbeitsniederlegungen. Die Produktion wird stillgelegt, und es wird direkt mit dem Vorgesetzten vor Ort verhandelt. Leider möchte die Gewerkschaftsbürokratie nicht, dass der Kampf ausgeweitet wird. Sie möchte die Auseinandersetzungen anscheinend innerhalb der Grenzen halten, die von Regierung und Unternehmen vorgegeben sind. Dazu kommt, dass Teile der Arbeiter den Gewerkschaften nicht vertrauen. Daher sind sie den Verbänden gegenüber eher distanziert. In einigen Betrieben kommen die Streikenden zwar mit Gewerkschaften zusammen, aber für die ganze Bewegung gilt das nicht. (…)
    In den Betrieben, wo es Tarifabschlüsse gibt, fordern die Beschäftigten neue außerordentliche Lohnerhöhungen. Aber es ist noch nicht so weit, dass sie dafür in die Auseinandersetzung gehen. Die Auswirkungen der erhöhten Gas- und Stromrechnungen und die anderen Preiserhöhungen werden im März/April spürbarer sein als jetzt. Spätestens im Sommer kann es gut sein, dass die Arbeiter, die Tarifverträge haben, für außerordentliche Lohnerhöhungen betriebliche Aktionen durchführen. In der Phase werden alle Gewerkschaften sich auch zwingend für außerordentliche Tariferhöhungen einsetzen müssen. Selbst der Mindestlohn wird angeglichen werden müssen. (…)
    Seit 2015 sind Arbeitsniederlegungen in 228 Betrieben von 170.000 Beschäftigten verboten worden. Es wird auch bei Aktionen und Demonstrationen interveniert. In der letzten Zeit haben diese Methoden auf eine unerträgliche Weise zugenommen. Die Unternehmen entlassen massenweise Kollegen, die sich an betrieblichen Aktionen und Streiks beteiligt haben. Zum Teil belässt man es bei der Bestrafung beziehungsweise Entlassung der führenden Aktiven. Es ist nicht mehr ungewöhnlich, dass Spezialeinsatzkräfte der Polizei mit gepanzerten Fahrzeugen in die Betriebe eindringen und Streikende gewaltsam verhaften. In Gaziantep wurde Mehmet Türkmen, der Vorsitzende der Textil-, Weber- und Ledergewerkschaft, BIRTEK-SEN, von mafiösen Kreisen verfolgt und mit dem Tod bedroht. Wir vermuten, dass ein Arbeitgeber, der bestreikt wird, dieses Verbrechen in die Wege geleitet hat. Gewerkschafter werden bedroht und verhaftet. Das alles wird gemacht, damit sich das Rad der Ausbeutung weiterdreht...“ Interview von Mahir Sahin in der jungen Welt vom 22.02.2022 externer Link mit Seyit Aslan, Vorstandsmitglied der Konföderation der Revolutionären Arbeitergewerkschaften (DISK) und Vorsitzender der Nahrungsgewerkschaft (GIDA-IS)
  • Ermutigung für mehr Belegschaften. In der Türkei häufen sich angesichts der stark steigenden Lebenshaltungskosten wilde Streiks und andere Proteste
    Seit Beginn des Jahres sind in verschiedenen Orten der Türkei spontane Streiks und Proteste gegen hohe Lebenshaltungskosten und für höhere Löhne ausgebrochen. Zuvor hatte die AKP-Regierung die Strompreise für Haushalte um 50 Prozent, für größere Unternehmen sogar um 100 Prozent erhöht. Bei einer Inflationsrate von offiziell 48 Prozent – unabhängige Forscher*innen gehen sogar von 114 Prozent aus – sind die Preise für den täglichen Einkauf massiv angestiegen und brachten das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen. Ladenbesitzer*innen, die ihre Geschäfte schließen mussten, hingen ihre Stromrechnungen ins Fenster und schrieben dazu: »Wir wurden ausgeraubt.« Vielerorts gingen Menschen auf die Straße und forderten eine Rücknahme der Preiserhöhungen. (…) Ebenfalls zum Jahreswechsel wurde der Mindestlohn um rund 50 Prozent auf 4250 Lira (275 Euro) erhöht. In der Türkei erhielten 2021 laut einer Studie der Gewerkschaftskonföderation DISK 57 Prozent der Arbeiter*innen einen Lohn, der nur bis 20 Prozent über dem Mindestlohn lag. Im Vergleich dazu waren das in Deutschland gerade einmal 4,8 Prozent der Beschäftigten. Im Privatsektor der Türkei ist diese Zahl noch höher und wird aktuell auf 72 Prozent geschätzt. (…) Auch dagegen richteten sich die Streiks in verschiedenen Sektoren wie der Textilproduktion und dem Lieferservice. Seit Jahresbeginn bis Mitte Februar verzeichnete das Forschungskollektiv Emek Çalışmaları 65 Streiks. Bei 29 konnten bereits Erfolge erzielt werden, andere dauern an. (…) Statt größerer Mobilisierungen auf der Straße oder in den Betrieben setzt die Opposition jedoch auf politische Überzeugung durch Presseerklärungen. Die Gewerkschaftskonföderation DISK organisiert nun zwar Kundgebungen, in denen auch sie sich gegen die Erhöhung der Strompreise und für höhere Löhne ausspricht, doch stehen einzelne DISK-Gewerkschaften auch selbst in der Kritik, unzureichende Tarifverträge für ihre Mitglieder verhandelt zu haben…“ Artikel von Svenja Huck vom 20.02.2022 im ND online externer Link 

    • Siehe auch den Tweet von Svenja (@svendscha) vom 16.2.22 externer Link: „Praktischer thread von Emek Çalışmaları Topluluğu, um die aktuellen Streiks in der Türkei einzuordnen nach Sektoren, Städten und Erfolgen…“ zu einer Übersicht auf Türkisch
  • [Eine weltweit gute Idee?] Linke Plattform bei İzmir fordert kostenloses Erdgas, Wasser, Strom, Telefon und Internet unterhalb der Armutsgrenze 
    Linke Plattform von verschiedenen Gruppen in einem Bezirk bei İzmir [Çiğli Emek ve Demokrasi Güçleri] protestierte gegen die steigenden Kosten und hohen Preissteigerungen bei Energie. Bei einer Versammlung vor Çiğli Gediz Electric gaben VertreterInnen der Arbeits- und Demokratiekräfte eine Erklärung ab und betonten, dass Erdgas, Wasser, Strom, Telefon und Internet für alle Haushalte, deren Einkommen unter der Armutsgrenze liegt, sofort kostenlos sein sollten. (…)
    Wie alle Preiserhöhungen sind Stromerhöhungen nicht nur wechselkurs- und marktbedingt. Dies ist auch eine Entscheidung der Regierung. Während das Kilowatt Strom für 31 Cent an private Unternehmen verkauft wird, wird es an die Öffentlichkeit zu Preisen von 2 Lire verkauft. Weil sie dieses Land für die fünfköpfigen Banden regieren, zugunsten einer Handvoll Bosse, einer Handvoll Auftragnehmer und anderer Bosse. Der Grund für die hohen Rechnungen, die wir erhalten, ist, dass private Unternehmen wollen, dass ihre Unterstützer mehr verdienen.
    Heute liegt die Hungergrenze über dem Mindestlohn und damit nur noch für den Küchenbedarf einer 4-köpfigen Familie. Es gibt nichts anderes über das Leben darin. Warum nicht? Weil sie sagen, dass Arbeiter sie nicht brauchen, Arbeiter sind keine Menschen, sie müssen nur ernährt werden. Es ist ihnen egal, ob die Arbeiter ihre Miete nicht bezahlen konnten, ihre Rechnungen nicht bezahlen konnten, sich aus der Kälte heraushielten, die Servicegebühr ihres Kindes nicht bezahlen konnten. Es ist üblich, dass Arbeiter reisen, Spaß haben, ins Kino gehen und Urlaub nehmen. Sie sagen uns: „Das sind die Bedürfnisse normaler Menschen, Arbeiter sind Arbeiter, du bist kein Mensch“. (…)
    Während Stromrechnungen einerseits die Taschen verbrennen, werden uns, den Arbeitern, die Kürzungen beim Erdgas in Rechnung gestellt. Die Kosten der Auslandsabhängigkeit im Energiebereich sind hoch, aber es passiert nicht den Unternehmen und Chefs, sondern uns.
    Es ist klar, dass sowohl diese Macht als auch diese Ordnung, die von den Armen nimmt und sie den Reichen überträgt, und die die Arbeiter und Werktätigen für jedes Problem im Land bezahlt, verfällt und geändert werden muss. Wir sind diejenigen, die das ändern werden. Wir müssen unsere Rechte verteidigen, indem wir uns organisieren, uns zusammenschließen und kämpfen. Hier stellen wir es noch einmal fest:

    • Erdgas, Wasser, Strom, Telefon und Internet sollen ab sofort kostenlos für alle Haushalte sein, deren Einkommen unterhalb der Armutsgrenze liegt.
    • Mehrwertsteuer und SCT sollten sofort abgeschafft werden, nicht nur auf Strom, sondern auch auf grundlegende Konsumgüter
    • Die Energiemonopole müssen den Preis für diesen ganzen Raub bezahlen.
    • Die Herrschaft des internationalen und nationalen Kapitals über Energie sollte beendet werden, die Produktion und Verteilung von Energie sollte als öffentliche Dienstleistung gegeben werden.“ Maschinenübersetzung der (türk.) Berichtes mit Fotos vom 12.2.2022 externer Link bei sendika.org (Çiğli Organized Industrial Workers, Çiğli Labour and Democracy Forces hat der google-Übersetzer gesagt, was hier als „Linke Plattform“ bezeichnet wurde…)
  • Welle spontaner Streiks gegen die explodierenden Lebenshaltungskosten und zu geringen Lohnerhöhungen in der Türkei – Überblick und Streikkarte
    • „… Diese Streiks zeichnen sich dadurch aus, dass sie größtenteils unabhängig von den Gewerkschaften, als Initiativen von Arbeitern entstehen, die keine Gewerkschaftsmitglieder sind. In der ersten Woche des neuen Jahres streikten rund 200 Arbeiterinnen auf dem Obst- und Gemüsemarkt Tarsus in der Stadt Mersin (türkische Mittelmeerküste), um eine Lohnerhöhung zu bekommen.
      Am 12. Januar streikten die Metallarbeiter der Çimsataş-Fabrik in Mersin gegen einen schlechten Vertrag, den der türkische Metall-Arbeitgeberverband (MESS) mit drei Gewerkschaften abgeschlossen hatte, und der für rund 150.000 Arbeiter gelten soll. Der spontane Streik von über 700 Beschäftigten wurde beendet, als die Unternehmensleitung sich mit der Gewerkschaft Birleşik Metal-İş einigte, die der „linken“ DİSK angehört. 13 Beschäftigte wurden entlassen. (…)
      Ende Januar legten 40 Bergarbeiter in der südöstlichen Stadt Şırnak die Arbeit nieder und forderten eine Lohnerhöhung. Nach Angaben der Agentur Mezopotamya begründeten die Arbeiter ihren Streik damit, dass ihre Löhne nicht erhöht worden seien und sie faktisch unter Lohnverlust arbeiteten. (…)
      Am Dienstag lehnten die Beschäftigten der Kızılay-Fabrik für Getränkeprodukte in der osttürkischen Stadt Erzincan eine 22-prozentige Lohnerhöhung ab und stellten die Produktion ein. Darauf traten auch 150 Beschäftigte der Kızılay-Mineralwasserfabrik im westanatolischen Afyonkarahisar in den spontanen Streik und forderten eine angemessene Lohnerhöhung, die Rücknahme aller Kürzungen und die Anerkennung ihrer Gewerkschaft. Berichten zufolge rief die Betriebsleitung Polizei zu Hilfe, um ihre Kontrolle über die Fabrik zu sichern.
      Bei dem Folienhersteller Polibak, einem der 500 größten Industrienternehmen der Türkei, stoppten 80 Beschäftigte der Verpackungsabteilung am Dienstag die Produktion im Werk Çiğli in İzmir und forderten mehr Lohn. Wie die Wochenzeitung Kızıl Bayrak berichtet, kehrten die Beschäftigten nach einem zweistündigen Protest an ihren Arbeitsplatz zurück und gaben der Unternehmensleitung eine Woche Zeit, um ihre Forderungen zu erfüllen.
      Am Kernkraftwerk Akkuyu, das der russische Staatsbetrieb Rosatom errichtet, legten 250 Bauarbeiter die Arbeit nieder, nachdem sie zwei Monate lang ohne Lohn gearbeitet hatten. Berichten zufolge wurden Polizeieinheiten auf die Baustelle geschickt. Ein Arbeiter sagte gestern gegenüber der Tageszeitung Sözcü: „Wir haben seit zwei Monaten keinen Lohn mehr bekommen, und wir sind seit vier Tagen im Streik. Morgen wird es Massenentlassungen geben, weil wir gehandelt haben. Sie werden uns gnadenlos entlassen.“ Mehrere tausend Arbeiter sind dort beschäftigt, und obwohl sie in zahlreiche Subunternehmer aufgespalten sind, haben sehr viele von ihnen auch früher schon gegen die Verschleppung von Lohnzahlungen und die miserablen Arbeits- und Wohnbedingungen protestiert…“ Aus dem Artikel „Türkei: Inmitten der Pandemie breiten sich spontane Streiks gegen die Teuerung aus“ von Ulaş Ateşçi vom 5.2.2022 bei wsws externer Link, siehe weitere Kurzmeldungen:
    • In der Fabrik Kıraç Metal in Eskişehir konnten die Arbeiter die Entlassung von 10 ihrer Kollegen verhindern, in dem sie das Werk über Nacht besetzten. Der Protest dauerte nur kurz, bis der Chef einlenkte und von der geplanten Kündigung absah. (Quelle: Sendika.org externer Link)
    • Proteste und Boykottaufruf im Lager der Supermarktkette Migros: Das Lager befindet sich in einem Randbezirk Istanbuls, in Esenyurt. Die Arbeiter werden dort vertreten von der Lager- und Transportgewerkschaft DGD-SEN, die kein Mitglied einer Konföderation ist. Auslöser für ihren Protest war die geringe Lohnerhöhung um 8 Prozent, sie fordern 70 Prozent mehr Lohn im Vergleich zum Vorjahr bzw. 20 Prozent mehr als der gesetzliche Mindestlohn von 2022. Die Streikenden berichten von Drohungen, die sie per Textnachrichten erhielten. Dort hieß es mehrmals, sie seien gekündigt und die Polizei bereite sich auf einen Einsatz vor. Derweil riefen die Arbeiter öffentlich die Bevölkerung dazu auf, den Supermarkt Migros zu boykottieren.
      Am Freitag Nachmittag (4.2.) kam der Chef des Migros-Lagers zu den streikenden Arbeitern und erklärte, ihre Forderungen würden erfüllt werden. Daraufhin kündigten die Streikenden an, das Lager für heute zu verlassen. Jedoch werde die morgige Frühschicht erst mit der Arbeit beginnen, wenn die Versprechen der Geschäftsführung allen Arbeitern mitgeteilt und schriftlich festgehalten werde. (Quellen: Sendika externer Link und DGD-SEN externer Link auf Twitter)[siehe zu Migros Türk von nun an ein Dossier]
    • Auch in der Stadt Gaziantep im Süden der Türkei wurde an unterschiedlichen Orten die Arbeit niedergelegt. In der Textilfabrik Melike protestieren die Arbeiter gegen zu niedrige Lohnerhöhung, außerdem sei ihnen unrechtmäßig Lohn gekürzt worden für die Tage, an denen sie auf Grund von Schneefall nicht zu Arbeit kommen konnten. Der Protest wurde jedoch pausiert, nachdem die Geschäftsführung die Arbeiter um etwas mehr Zeit bat. In der Güler Fabrik für synthetische Säcke protestieren die Streikenden gegen eine höhere Arbeitsbelastung durch eine höhere Anzahl an Maschinen, für die die Arbeiter zuständig seien sollten bei niedrigerem Lohn. Drei Schichten von Arbeitern befinden sich im Ausstand. Auch die Arbeiter bei Sevinçler Sağlık Ürünleri und Kartal Halı streiken, da ihre Chefs ihnen keine oder nur geringe Lohnsteigerung im Vergleich zum Mindestlohn machten. Quelle: Sendika.org externer Link)
    • Um die aktuellen Streiks und Proteste in der Türkei besser zu verfolgen, hat die Zeitung evrensel eine Karte erstellt externer Link, in der die einzelnen Aktionen nach Sektor geordnet eingesehen werden können. Direkt darunter finden sich die aktuellsten Artikel zu den einzelnen Standorten. Für nicht-Türkischsprachige übersetzen wir hier die einzelnen Sektoren:
      İnşaat: Bau
      Metal: Metall
      Kağıt: Papier
      Gıda: Lebensmittel
      Tekstil: Textil
      Taşımacılık: Transport
      Maden: Bergwerk
      Basın: Presse/ Druck
      Belediye: Stadtverwaltung
      Liman-Depo: Hafen, Lager
      (Wir danken Svenja Huck für die Übersetzungshilfe!)
  • ArbeiterInnen protestieren weiterhin in vielen Städten der Türkei gegen die Austerität 
    Auf den Plätzen vieler Städte haben die Arbeitnehmer gegen die Arbeitslosigkeit und die hohen Lebenshaltungskosten protestiert. In vielen Städten der Türkei weigern sich die Arbeitnehmer, sich den Angriffen der Bosse zu beugen. Sie kämpfen weiter für ihre Rechte.“ Video vom 16.01.2022 bei youtube externer Link (Labour Movement in Turkey This Month (15 December – 15 January)) von UİD-DER – wir erinnern erneut an die laufende Berichterstattung unserer KollegInnen von sendika.org externer Link
  • Großkundgebung der DISK am 12. Dezember in Istanbul: „Genug ist genug, wir wollen leben! Rücktritt der Regierung!“ 
    Tausende von Arbeitnehmern folgen am 12. Dezember dem Aufruf der DISK (Konföderation der Revolutionären Arbeitergewerkschaften). „Istanbul meldet sich zu Wort: Genug ist Genug! Wir wollen leben!“ So schreien sie und marschieren zum Kartal-Platz. Sie sagen NEIN zu Arbeitslosigkeit, hohen Lebenshaltungskosten, Repression und Verfolgung! An der Kundgebung nehmen DISK-Mitgliedsgewerkschaften, arbeitnehmerfreundliche Abgeordnete, demokratische Massenorganisationen, Künstler und Arbeiter von UID-DER teil. Hier überwiegen Enthusiasmus und Entschlossenheit: Istanbul meldet sich zu Wort!Video der Kundgebung bei youtube externer Link – siehe auch einen (tr.) Bericht vom 12. Dezember 2021 unserer KollegInnen von sendika.org externer Link (mit vielen Fotos und Videos), in dem es u.a. heisst: „… Während der Verhandlungen über den Mindestlohn forderten die Arbeiter, deren Wut über die Lebenshaltungskosten und das Elend der Löhne wuchs, einen von der DİSK festgelegten Netto-Mindestlohn von 5200 TL. (…) Die Wut auf die Regierung und der Enthusiasmus der Arbeiter spiegelten sich in den Parolen der im Regen stattfindenden Kundgebung wider. Die Menge, die nicht auf den Platz passte, skandierte die Parolen „Schulter an Schulter gegen Sklaverei“, „Regierungsrücktritt“ und „Gemeinsam werden wir gewinnen“. (…) Das Kundgebungsprogramm, das mit dem Konzert von Ilkay Akkaya begann, wurde um 14.30 Uhr mit der Rede des DİSK-Vorsitzenden Arzu Çerkezoğlu fortgesetzt. Çerkezoğlu, der unter den Slogans „Wir werden zusammen gewinnen“ das Wort ergriff, sagte: „Diejenigen, die sagen, dass es genug ist, mehr Steuern zu zahlen als ihr Chef, und diejenigen, die ihre Arbeit, ihr Brot und ihr Land schützen, haben sich heute auf dem Kartal-Platz versammelt . Wir haben diesen Platz gefüllt im Namen von Millionen Arbeitern, im Namen der Arbeiter, im Namen der Rentner, im Namen derer, die keinen Lebensunterhalt bestreiten können, im Namen derer, die keine Arbeit finden, im Namen derer, die keine Arbeit finden können finde eine Arbeit.“ Mit der Aussage, dass die Arbeiter seit dem 1. Oktober die Last der Wirtschaftskrise und der Pandemie tragen, macht Çerkezoğlu auf den großen Unterschied zwischen dem, was die Arbeiter durchmachen, und dem, worüber die Herrscher des Landes sprechen, aufmerksam (…) Çerkezoğlu sagte: „Nun, meine lieben Brüder, lasst diese Herausforderung beantworten, glaubt irgendjemand, dass die Inflation 21% beträgt? Hat jemand gesehen, dass die Arbeitslosigkeit zurückgegangen ist und ihre Kinder eine Arbeit finden?“ die Arbeiter, die er anrief, antworteten einstimmig mit „Nein“…“
  • Schwere Wirtschaftskrise: „Viele Türken verfluchen sich, je Erdogan gewählt zu haben“ 
    Das Geld verliert in der Türkei jeden Tag an Wert, doch Präsident Erdoğan hält an seiner Zinspolitik fest. Frustration, Hilflosigkeit und Wut sind an der Tagesordnung. Sie klopfen auf Töpfe, recken die Fäuste und brüllen aus voller Kehle: „Hükümet istifa“ – „Regierung, tritt zurück“. Hunderte Türken versammelten sich in dieser Woche in mehreren Städten, um ihre Wut über die Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf die Straßen zu schreien. Denn der hat aus ihrer Sicht das Land zugrunde gerichtet. (…) Die Folge: Essen, Gas, Strom, Miete – alles wird teurer, während die Gehälter der meisten Türken kaum mitziehen. „Die Menschen werden faktisch von Tag zu Tag ärmer“, erzählt die 29-jährige Elif, die gebürtig aus Berlin kommt, im Gespräch mit t-online. Viele erfüllt das mit Wut. Einer von ihnen ist Ahmed. „Ehemals treue AKP-Anhänger beschimpfen nun Erdoğan“, sagt er. Der 26-Jährige lebt in Ağrı, einer Stadt mit etwa hunderttausend Einwohnern im Osten der Türkei. Seinen echten Namen möchte der studierte Lehrer nicht veröffentlicht lesen. Zu groß ist die Angst, bei der Jobsuche Nachteile zu haben. (…) Viele Grundnahrungsmittel hätten sich stark verteuert, berichten sowohl Elif als auch Ahmed. „Rapsöl, Fleisch und Toilettenpapier sind sehr stark angestiegen“, sagt Elif. „Früher hat ein Liter Rapsöl unter 10 Lira gekostet, heute zahlst du 40 bis 50 Lira. In großen Städten bekommst du kaum noch Zucker oder Rapsöl“, so Ahmed. Und die Preise dürften weiter anziehen: Die Milchindustrie forderte erst kürzlich eine Anhebung der Preise um 55 Prozent, auch andere Branchen stehen unter Druck. Für viele Türken sind weitere Preissteigerungen nicht mehr zu ertragen. Der Mindestlohn liegt bei 18,35 Lira die Stunde, das ergibt etwa einen Monatslohn von 2.800 Lira – umgerechnet etwa 200 Euro. Zu Beginn des Jahres waren es noch mehr als 300 Euro. (…) Ihre Wut richtet die junge Generation – wie viele andere Türken – gegen die Regierung. „Viele Türken verfluchen sich dafür, je die AKP gewählt zu haben“, sagt Ahmed. Es gebe zwar noch immer Türken, die an Erdoğan festhalten. Doch Erdoğan fürchte nicht ohne Grund die Neuwahlen, welche die Opposition immer häufiger fordert…“ Beitrag von Nele Behrens und Büşra Delikaya vom 27.11.2021 bei t-online externer Link
  • Siehe für aktuelle Berichte auf Twitter sendika.org externer Link und @hussedogru externer Link
  • Zweiter Tag der „Wir kommen nicht durch“-Krawall: Trotz Polizeiterror blieben die Straßen Istanbuls nicht leer
    Am zweiten Tag des „Wir kommen nicht durch“-Aufstandes gingen in vielen Stadtteilen Istanbuls Bürger auf die Straße. Die Polizei griff die von den Istanbuler Kräften für Arbeit, Frieden und Demokratie geplante Aktion vor der Kadıköy-Bullenstatue mit der Parole „Wir sind dieser Macht, dieser Anordnung nicht verpflichtet“ an. Trotz des Polizeiangriffs gingen die Proteste in den Seitenstraßen noch lange weiter. Mehr als 50 Menschen wurden in ganz Istanbul festgenommen. Als die Polizei die Menschen anhielt, die von der Bahariye-Straße nach Altıyol in Kadıköy gingen, marschierten die Menschen in den Seitenstraßen mit der Parole „Regierungsrücktritt“. Viele Arbeiter füllten die Straßen in Bakırköy, Avcılar, Sarıyer und Beylikdüzü. Die Polizei griff die Demonstration in Beylikdüzü an und nahm 9 Personen fest…“ (türk) Bericht mit Video vom 24.11.21 bei sendika.org externer Link
  • Die Leute waren auf der Straße: „Regierung tritt zurück!“
    Mit dem rasanten Anstieg des Dollarkurses wurden die Menschen von Tag zu Tag ärmer, sagten „genug ist genug“ und gingen in vielen Städten, insbesondere in Istanbul, Ankara, Izmir, Eskişehir und Samsun, auf die Straße und erhoben ihre Stimme mit Töpfen und Pfannen. Bei den Protesten kam es zu Übergriffen und Festnahmen der Polizei, bei denen häufig die Parolen „Rücktritt der Regierung“ und „Rücktritt von Tayyip“ gerufen wurden. Während einige Stadtplätze, insbesondere der Taksim-Platz, von der Polizei mit Absperrungen umstellt wurden, wichen die Menschen angesichts der Versuche der Polizei, Aktionen in Stadtteilzentren und Stadtteilen zu verhindern, nicht zurück…“ (türk) Bericht mit Fotos vom 24.11.21 bei sendika.org externer Link und ein weiterer externer Link mit Berichten aus vielen Städten samt Videos
  • Thread mit Video von PM Cheung vom 23.11.21 externer Link : „Die türkische Lira befindet sich im freien Fall, die Inflation lag bei ca. 20% und die Preise für Lebensmittel sind drastisch gestiegen. Das treibt die Menschen in Istanbul und Ankara suf fir Straßen. Lautstark fordern sie den Rücktritt der AKP-Regierung…“ und weitere bei ihm
  • Verfall der türkischen Lira: „Unser Land läuft Gefahr, im Chaos zu versinken“
    Die Lira fällt und fällt. In mehreren türkischen Städten gab es Proteste gegen die Regierung von Präsident Erdogan. Die Menschen fordern ein Ende des Währungsverfalls – und vorgezogene Wahlen. (…)  Die Menschen sind auf den Straßen in mehreren Städten der Türkei: in Ankara, Istanbul, Izmir, aber etwa auch in Sanliurfa im Südosten. Das zeigen Twitter-Videos. Nach türkischen Medienberichten sind in Istanbul und Ankara auch Studentinnen und Studenten von Eliteunis unter den Demonstrierenden. Teils geht die Polizei gegen sie vor. Im Zentrum von Istanbul stehen Absperrgitter auf dem Taksim-Platz parat – hier hatte es 2013 die letzten großen Proteste gegen Erdogans Regierung gegeben. In Kocaeli bei Istanbul soll ein Journalist eines regierungskritischen Nachrichtenportals festgenommen worden sein. (…) Viele in der Türkei bekommen den Mindestlohn von etwa 2800 Lira im Monat. Anfang des Jahres waren das noch mehr als 300 Euro, jetzt sind es keine 200 mehr. Dazu kommt eine Inflation von zuletzt offiziell knapp 20 Prozent. Kritische Experten gehen von deutlich mehr aus…“ Reportage von Karin Senz, ARD-Studio Istanbul vom 24.11.2021 bei tagesschau.de externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=195492
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