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Das Profil eines Massenmörders in Neuseeland: Weiß. Männlich. Jung. Ohne Frau. Mit Waffen und Hasstiraden auf sozialen Medien – hervorgebracht nicht von einer mittelalterlichen Ideologie, sondern vom modernen Kapitalismus

Sozialkonferenz: Antimuslimischer Rassismus in der Mitte der Gesellschaft„… Man muss sicherlich äußerst vorsichtig sein, ehe man eine direkte Verbindung solcher gesellschaftlichen Entwicklungen zu den aktuellen Terroranschlägen zieht. Schließlich ist der mutmaßliche Täter Australier; inwieweit er vor Ort verwurzelt war, wird derzeit noch ermittelt.  Laut Spoonley könnte es aber kein Zufall gewesen sein, dass der Angriff in Christchurch stattfand, in der Stadt auf der neuseeländischen Südinsel. „Christchurch ist für seine rechte Szene bekannt“, sagt der Wissenschaftler.  In der Vergangenheit habe es hier mehrere gewaltsame Übergriffe aus den Reihen der rechten Szene gegeben. In einem seiner Bücher hatte der Wissenschaftler über rechte Gruppierungen in den Achtzigerjahren geschrieben – viele von ihnen stammten aus Christchurch. (…) Sicherheitsexperte Buchanan übt jedenfalls scharfe Kritik an der Politik. Sein Land habe sich so sehr auf Terrorismusbekämpfung aus dem Ausland konzentriert, dass man die Bedrohung des Rechtsextremismus schlicht übersehen habe. Der Anschlag sei nun ein Wendepunkt für die Politik und die Gesellschaft des Landes…“ – aus dem Beitrag „“Das überrascht mich nicht, so schrecklich es auch ist““ am 15. März 2019 in Spiegel online externer Link über erste politische Reaktionen auf den Massenmord. Siehe zum Terroranschlag eine aktuelle Materialsammlung über den politischen und sozialen Hintergrund – und die Vorgeschichte der Tat, sowie ihrer Verbindung zu manchen von jenen, die sich jetzt bestürzt zeigen wollen:

„New Zealand mosque attack: Who were the victims?“ am 17. März 2019 bei Al Jazeera externer Link ist ein Beitrag, in dem die Opfer des feigen Verbrechens ausnahmsweise weder auf eine nichtssagende Zahl noch auf ihre „Identität“ (als ob es nur eine gebe) als muslimische Gläubige reduziert werden, sondern als Personen mit einem je eigenen Leben vorgestellt, die zufällig Opfer einer blutrünstigen Ideologie wurden.

„Vorfälle mit Rechtsextremen in Neuseeland und Australien sind nicht neu“ von Esther Blank am 15. März 2019 bei der NZZ externer Link über Rechtsradikale auf den Straßen  – und in Parlamenten: „… Doch im Untergrund brodelte auch dort schon immer ein rechtsradikaler Sumpf, wie der neuseeländische Sicherheitsexperte Paul Buchanan im neuseeländischen Rundfunk erklärt. Rechte Extremisten seien in Christchurch in den vergangenen zehn Jahren immer wieder aufgefallen. Sie hätten regelmässig Minderheiten angegriffen. In den neunziger Jahren gab es in Christchurch gar eine kriminelle Gang, die sich The Fourth Reich nannte und ein Hakenkreuz in ihrem Abzeichen trug. Der Bande werden unter anderem Morde an einem Maori, einem neuseeländischen Ureinwohner, und an einem koreanischen Touristen zur Last gelegt. (…) Mark Briskey bezeichnet die Terrorattacke in Christchurch daher zwar als «absolut unbegreiflich» – doch in einer Welt, in der der australische Senator Fraser Anning zum Beispiel offen eine Endlösung für muslimische Einwanderer in Australien fordere, sei dies «nicht mehr so überraschend». Politiker wie Anning und seine populistische Kollegin Pauline Hanson, ebenfalls im Senat, seien heute das salonfähige Gesicht des rechtsextremen Untergrunds in Australien. Hanson hatte sich zu Beginn ihrer politischen Karriere Mitte der neunziger Jahre vehement gegen eine «Überflutung durch Asiaten» ausgesprochen. Nachdem sich diese Einwanderergruppe in Australien gut etabliert hat, wettert sie nun gegen Muslime…“

„Vollstrecker einer Ideologie“ von Konrad Litschko am 16. März 2019 in der taz externer Link zu der Strömung, die der Mörder vertritt: „… Als Extremist sei Tarrant den Sicherheitsbehörden nicht aufgefallen, teilte Andern mit. Dabei war der Australier offenbar seit Jahren in der extrem rechten Szene aktiv. Sein „Manifest“ jedenfalls verortet ihn genau dort: Es bildet fast prototypisch diejenige Ideologie ab, mit der Rechtsextreme und Neurechte momentan weltweit hantieren – auch in Deutschland. Und es zeigt, wie international der Rechtsterrorismus inzwischen verzweigt ist. Schon der Titel weist den Weg: „Der große Austausch“ hat Tarrant seinen Schriftsatz überschrieben. Es ist das Leit- und Angstmotiv der rechtsextremen Identitären, unter dem Titel veröffentlichte auch deren Vordenker Renaud Camus eines seiner Werke. Gemeint ist eine angeblich gezielte, massenhafte Einwanderung von Muslimen in „weiße“ Nationen, um deren einheimische Bevölkerungen zu marginalisieren. Im Grunde ist es eine alte rechtsextreme Parole: Auch die NPD warnte schon vor Jahren vor einem „Volkstod“. Zuletzt nun war es AfD-Chef Alexander Gauland, der davon sprach, dass die Regierung das „Volk völlig umkrempelt“. Deren Politik sorge dafür, „dass dieses Land von der Erde verschwindet und sozusagen nur noch irgendeine uns fremde Bevölkerung hier lebt“. Der NRW-Chef der AfD, Thomas Röckemann, wurde noch expliziter: Die Politik müsse „endlich die Stärke zur politischen Aktion aufbringen“, schrieb dieser 2016. „Sie muss bereit sein, das ‚Eigene‘ zu verteidigen und das ‚Fremde‘ auszuschließen.“ Tarrant knüpft genau an dieses Wahnbild an – und lädt es terroristisch, mit wüsten Gewaltaufrufen, auf…“

„The massacre in Christchurch: individual terrorism was nurtured by state terrorism“ am 15. März 2019 bei Redline externer Link ist eine Stellungnahme des linken neuseeländischen Magazins zum Massenmord, der die offizielle Verurteilung des Verbrechens durch die Regierung gegenüberstellt mit deren ewig währenden Beteiligung an den Kriegen in Afghanistan und im Irak und ihren endlosen „Kollateralschäden“. Die Kriegsrhetorik gegen islamisch geprägte Länder, die in den beiden letzten Jahrzehnten von allen Regierungen benutzt worden sei, habe den ideologischen Hintergrund für die rechtsradikale Interpretation geschaffen, die im Terror münde. Die fremdenfeindlichen Attacken, die auch Abgeordnete und andere Mandatsträger der Regierungspartei im letzten Wahlkampf betrieben haben – wie etwa die falsche Behauptung, 60% aller Hauskäufe in Auckland seien „von Chinesen“ – hätten zur konkreten Ausformung der reaktionären Ideologie ebenso beigetragen, wie die seit langen Jahren immer weiter verfolgte sogenannte Sicherheitspolitik, deren polizeistaatliche Umsetzung stets gegen islamische Gemeinschaften und linke Gruppierungen gerichtet seien und niemals gegen die wachsenden rechten Netzwerke.

„Statement on Mass Shooting“ am 15. März 2019 bei libcom.org externer Link dokumentiert, ist eine kurze Erklärung des Aotearoa Workers Solidarity Movement (AWSM) , in der kurz nach dem Verbrechen darauf hingewiesen wird, dass die Täter offensichtlich von faschistischer und Neonazi-Ideologie angetrieben worden seien. Solidarität mit den Opfern und Widerstand gegen die Täter seien nun die unmittelbare Notwendigkeit.

„The shootings and murders in Christchurch are not an isolated incident, not an aberration, or something carried out by a crazed individual“ am 15. März 2019 bei den Australia Asia Workers Links externer Link (Facebook) ist ein Stellungnahme der transnationalen Initiative, in der vor allen Dingen unterstrichen wird, dass dieser Massenmord keine isolierte Erscheinung und auch nicht die Tat eines durchgeknallten Einzelnen sei, sondern Ergebnis jahrelang anwachsender nationalistischer und fremdenfeindlicher Propaganda auch und gerade von Staats wegen.

Christchurch: das Weltbild des mutmaßlichen Attentäters“ am 15. März 2019 beim Dokumentationszentrum des österreichischen Widerstands externer Link  ist ein kommentierender Beitrag über das sogenannte Manifest, das der Täter verbreitete, worin vor allem hervorgehoben wird: „Besonders ausgiebige rhetorische und ideologische Überschneidungen liegen mit „neurechten“ Gruppierungen wie der Identitären Bewegung (IB) vor. Schon der Titel des Manifests, „The Great Replacement“, greift die maßgeblich von dieser popularisierte Figur des „Großen Austauschs“ auf, der aktuell in westlichen Ländern im Gange sei. Im Einklang mit dem identitären „Ethnopluralismus“ bekennt sich der mutmaßliche Attentäter zu ethnischer Vielfalt, die allerdings nicht innerhalb einzelner Länder, sondern nur im Weltmaßstab bejaht wird. Anstelle eines Miteinanders der Kulturen im Sinne diverser Gesellschaften wird ein monokulturelles Nebeneinander propagiert. Dieses herzustellen, sei eine Frage des ethnischen Überlebens („matter of survival“). Neben den „Invasoren“ werden auch die vermeintlich Verantwortlichen für die „Invasion“ ins Visier genommen – die Verräter („traitors“) in den eigenen ethnischen Reihen, worunter im Wesentlichen alle verstanden werden, die an der Idee der Gleichheit aller Menschen festhalten („egalitarians“). Als hauptschuldig für die von ihm beklagte Situation benennt der mutmaßliche Attentäter, dem rechtsextremen Hypermaskulinismus entsprechend, schwache europäische Männer, die sich nicht gegen die von ihm beschriebene Entwicklung wehren. In mehreren der im Manifest verwendeten Slogans klingt identitäre Rhetorik wieder: „Europe for Europeans“, „Retake Europe“, „Europe rises“ u. a. Der identitäre Slogan „You only die once“, der die aus dem historischen Faschismus bekannte Todessehnsucht bzw. -faszination wiedergibt, kehrt in dem Manifest in der Aufforderung „embrace death“ wieder…“

„Wie rechte Terroristen sich weltweit vernetzen“ von Ronen Steinke am 15. März 2019 bei der SZ Online externer Link zum Thema, wie diese Gemeinsamkeiten zustande kommen unter anderem: „… Schlägt ein Islamist irgendwo in einem westlichen Land zu, dann betrachtet die westliche Welt das in der Regel rasch als Teil eines großen Ganzen. Die Tatorte mögen sich unterscheiden, die Tatmotive nicht. Der Dschihadismus ist global. Schlägt hingegen ein hellhäutiger Rassist irgendwo zu, dann sah man das häufig eher als örtliches Phänomen. Als einen Ausdruck lokalen Abschottungswillens, verübt von einem Local, Deutschland den Deutschen, Kanada den Kanadiern, und so weiter. Dass diese Sichtweise schon länger nicht mehr stimmt, macht nun der tödliche Anschlag auf zwei Moscheen in der neuseeländischen Stadt Christchurch unübersehbar. Einer der Terrorverdächtigen dort gibt sich als eine Art Wortführer. Der Mann, ein 28 Jahre alter Australier, tut das in einem Manifest. Es geht um „Invasoren“ aus muslimischen Ländern, um die Notwendigkeit einer „Partisanenaktion gegen eine Besatzungsmacht“. Der Attentäter drückt seine geistige Verbundenheit aus zu anderen muslimfeindlichen Attentätern weltweit. 78 Seiten hat der Text, der noch am Tag vor dem Anschlag bearbeitet und dann via Twitter in die Welt hinausgeschickt wurde…“

„Christchurch-Attentäter bezog sich auf rechte Soldaten in Bundeswehr – deren Netzwerk führt nach Österreich“ von Fabian Schmid und Laurin Lorenz am 15. März 2019 im Standard externer Link zu Verbindungen nach Österreich und der BRD: „… Von den rechtsextremen Tendenzen in der deutschen Bundeswehr wussten auch die Attentäter von Neuseeland Bescheid, die am Freitag 49 Menschen in zwei Moscheen ermordeten. Ein mutmaßlicher Terrorist, der das berüchtigte Manifest verfasste, verlinkte noch am Mittwoch zu zwei Artikeln des deutschen Auslandssenders „Deutsche Welle“, in denen 2017 etwa von Franco A. und anderen Rechtsextremen berichtet wurde. Damals war zwar bekannt, dass die deutsche Bundeswehr ein großes Problem mit Rechtsextremismus in den eigenen Reihen hat – dass Franco A. und andere sich über geheime Chatgruppen austauschten, wurde jedoch erst später enthüllt. Noch ist unklar, ob die neuseeländischen mutmaßlichen Attentäter diese Informationen auch wahrgenommen haben. In seinem Manifest schreibt der mutmaßliche Terrorist jedenfalls davon, dass es in Europas Armee hunderttausende nationalistische Soldaten gäbe…“

„Christchurch: Don’t Just Condemn the New Zealand Attacks — Politicians and Pundits Must Stop Their Anti-Muslim Rhetoric“ von Mehdi Hasan am 15. März 2019 bei Europe Solidaire externer Link exerziert in seinem Beitrag anhand der USA knapp durch, wie viele jener (einschließlich des Präsidenten, aber auch andere Politiker, Journalisten, Schriftsteller), die jetzt Bestürzung äußern (müssen), mit ihren Hasstiraden in der Vergangenheit mächtig dazu beigetragen haben, das Klima zu schaffen, das solche Mörder hervor bringt – ein solcher Überblick wäre wohl auch für die BRD nützlich…

„Christchurch, the White Victim Complex and Savage Capitalism“ von Ben Debney am 15. März 2019 bei Counterpunch externer Link ist ein Diskussionsbeitrag über den Zusammenhang zwischen den Identitären Plattitüden und dem heutigen Kapitalismus samt seiner Vorgeschichte – der diese nach Ansicht des australischen Autors immer wieder aufs Neue produziere, in dem diese Weltordnung um jeden Preis verteidigt werden solle…

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=145880
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