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Updated: 18.12.2012 15:51
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Generalstreik: Beteiligung bricht Rekorde

"Der diesjährige Frühlingsanfang wurde in Frankreich einfach mal um zwei Tage vorverlegt. Am gestrigen Donnerstag stand alles Nötige bereit, um Frühlingsgefühle anzuregen. Bei strahlendem Sonnenschein, schönstem Wetter und angenehm warmen Temperaturen starteten in nicht weniger als 213 französischen Städten Demonstrationen gegen die "Krisenbewältigung"politik von Präsident Nicolas Sarkozy und seiner finsteren Camarilla" - so beginnt der aktuelle Bericht "Neuer Rekord bei Demonstrationen aufgestellt - Aber wie geht es nun weiter? Ein 24stündiger Ausstand alle sechs Wochen dürfte wohl kaum genügen..." von Bernard Schmid vom 20. März 2009.

Neuer Rekord bei Demonstrationen aufgestellt - Aber wie geht es nun weiter? Ein 24stündiger Ausstand alle sechs Wochen dürfte wohl kaum genügen...

Der diesjährige Frühlingsanfang wurde in Frankreich einfach mal um zwei Tage vorverlegt. Am gestrigen Donnerstag stand alles Nötige bereit, um Frühlingsgefühle anzuregen. Bei strahlendem Sonnenschein, schönstem Wetter und angenehm warmen Temperaturen starteten in nicht weniger als 213 französischen Städten Demonstrationen gegen die "Krisenbewältigung"politik von Präsident Nicolas Sarkozy und seiner finsteren Camarilla.

Allein, um den wirtschaftsliberalen Winter auszutreiben, dürfte es des munteren Frühlingstreibens noch nicht genug gewesen sein. Richtigerweise verkündete ein auffälliges Transparent, das auf der Pariser Place de la Nation - wo die Pariser Demonstration sich am Abend auflöste, nicht ohne Widersetzlichkeiten und Zusammenstöße mit der Polizei (über 300 Verhaftungen, 49 Strafverfahren werden eingeleitet) - zwischen zwei Bäumen aufgehängt war: "Was wird ein Aktionstag ändern? Das Mindeste, was es braucht, sind 44 Tage (G)Rêve Général(e)". Bei letzterer Formulierung handelt es sich um ein, seit einiger Zeit weit verbreitetes, Wortspiel mit den Begriffen ,Rêve' (Traum) und ,Grève générale' (Generalstreik).

Und die 44 Tage sind eine offene Anspielung auf die jüngsten Ereignisse auf der französischen Antilleninsel Guadeloupe, wo vom 20. Januar bis zum 4./5. März dieses Jahres ein Generalstreik stattgefunden hatte, angeführt vom Kollektiv LKP (kreolisch für "Zusammen gegen Ausbeutung"). Das Beispiel aus der Karibik wurde in der Demonstration vielfach zitiert und kehrte in Form von Aufklebern und Slogans wieder. Nicht nur der Autor dieser Zeilen, der seinen Einfall für vermeintlich originell hielt, führte ein selbstgebasteltes Schild ,Nous sommes tous des LKP' (Wir sind alle LKP..) spazieren. Der Gewerkschaftszusammenschluss Union syndicale Solidaires - in dem u.a. die diversen linksalternativen Basisgewerkschaften vom Typus SUD zusammengeschlossen sind - forderte gar "offiziell" auf zahlreich verbreiteten Aufklebern: "Wie in Guadeloupe: 200 Euro mehr für alle!" Andernorts führten etwa Sutdierende Schilder mit sich, die - in Abwandlung vom kreolischen Namen des LKP - in unbeholfenem Franko-Kreolisch ,Liannay pour Edukation' (Gemeinsam für Bildung) forderten.

Das karibische Beispiel zeigt aber auch, dass ein 24stündiger Streik-, Aktions- und Demonstrationstag, wie alle acht Gewerkschaftsverbände und -zusammenschlüsse ihn am 29. Januar und nun am gestrigen 19. März organisiert hatten, bei weitem nicht genug sein dürften. Die Regierung unter Premierminister François Fillon hatte jedenfalls schon im Vorfeld des gestrigen Aktionstags klipp und klar angekündigt, es werde keine neuen Maßnahmen etwa zur sozialen Abfederung der Krisenfolgen geben: Die bestehenden und bereits (Anfang Dezember o8 in Form eines "Konjunkturpakets", und am 18. Februar 09 in Form eines "Sozialgipfels" im Elysee-Palast, der eine pure Medienshow darstellte) verkündeten Beschlüsse werden umgesetzt. Und das war's, basta. Das Konjunkturpaket vom Dezember umfasst 26 Milliarden Euro. Unter ihnen 25 Milliarden für öffentliche und vor allem private Unternehmen - besonders in Gestalt von Bauaufträgen - , die angeblich Arbeitsplätze schaffen, und eine knappe Milliarde für "die Armen", allerdings ausschließlich in Gestalt einer Sonderprämie, welche die Einführung des RSA begleitet. Das "Aktive Solidaritätseinkommen" RSA ist eine Art Kombilohn, der die bisherige Sozialhilfe vollständig ersetzen wird. Und zu den Beschlüssen vom 18. Februar zählen vor allem Steuersenkungen für die unteren Mittelklassen (es handelt sich um die Streichung von zwei - von dreien - jährlichen Steuervorauszahlungen auf die unterste Klasse der Einkommenssteuer, wobei die ärmeren 50 Prozent der Haushalte in Frankreich ohnehin keiner Einkommensteuerpflicht unterliegen). Sarkozy hatte diese Maßnahme mit den Worten kommentiert: "Meine einzige Pflicht ist es, die Mittelschichten zu unterstützen." Zudem wurde am 18. Februar verkündet, das Kurzarbeitergeld werde erhöht - auf garantierte 75 % des Lohns oder Gehalts, womit es freilich noch immer deutlich unter dem deutschen Niveau liegt - und länger ausbezahlt.

Mehr wird es, so der klare Kurs der Regierung, nicht geben. Um sie zu Anderem zu zwingen, dazu bedürfte es tatsächlich mehr als 24stündiger Mobilisierungen auf den Straßen.

Dabei wurde gestern sogar ein neuer Rekord aufgestellt: Schon am gestrigen Donnerstag Abend meldeten die Webpages mehrerer Presseorgane (,Le Monde', ,Le Nouvel Observateur') Rekordzahlen, was die Teilnahme betrifft: Die gestrigen Demonstrationen hätten "die Spitzenwerte zu Zeiten der Mobilisierung gegen den CPE (= Angriff auf den Kündigungsschutz) vom März/April 2006" erreicht. Damals allerdings wurden die Maximalzahlen - drei Millionen DemonstrantInnen frankreichweit laut Gewerkschafts-Angaben - erst nach zehn, dicht hintereinander folgenden, Mobilisierungsterminen erreicht. Gestern waren laut Polizei 1,2 Millionen und laut Gewerkschaften drei Millionen Menschen unterwegs, womit ein ähnliches Mobilisierungsniveau erreicht worden ist. (Am 29. Januar, beim letzten Termin, hatte die Polizei von knapp 1,1 Millionen gesprochen, und die Gewerkschaften sprachen von 2,5 Millionen.)

Allein in Paris waren es gestern laut Polizeiangaben 85.000 Menschen (gegenüber 65.000 im Januar), und nach gewerkschaftlichen Zahlen 350.000 (gegenüber 300.000 beim letzten Termin). Die Realität dürfte wohl in der Nähe der 200.000 liegen.

Das dicke Fragezeichen steht nun hinter der Frage, wie es unmittelbar weitergeht. Der rechtslastige Generalsekretär des zweistärksten Gewerkschaftsverbands in Frankreich, François Chérèque (CFDT), hatte schon im Vorfeld weitere Mobilisierungstermine nach dem gestrigen Donnerstag abgekündigt - aber Anfang Mai. Einerseits belegt die Tatsache, dass sogar der äußerst "moderate" CFDT-Chef schon vorab neue Demotermine ankündigt, wie stark der Druck unter dem Kessel ist. Andererseits bezeugt er auch eine Taktik des Hinausschiebens und Verzögerns von Mobilisierung. Darüber kam es schon in der ersten Wochenhälfte zu einem Schlagabtausch zwischen Chérèque und dem - von ihm angegriffenen - Olivier Bensacenot, SUD-Gewerkschafter bei der Post und Sprecher des NPA ("Neue Antikapitalistische Partei"), einer im Februar gegründeten Organisation der undogmatischen radikalen Linken. Chérèque hatte die radikale Linke angekündigt, wie "Aasvögel" auf soziale Konflikte zu lauern, um sie anzuheizen. Besancenot hatte ihm geantwortet und zurückgekoffert, diese Anwürfe seien "unwürdig" und spalteten die Kampfeinheit schon bevor der Kampf losgehen kann.

Eine Polemik hatte es ferner zwischen CGT-Chef Bernard Thibault und der Arbeitgeberpräsidentin Laurence Parisot gegeben. Parisot hatte im Vorfeld kritisiert, die Demonstrationen schürten "Illusionen und Demagogie", die im Nachhinein wirtschaftlich "teuer bezahlt" würden - wg. Verlust von Arbeitsplätzen etc. Und sie hatte namentlich die CGT angegriffen, die selbstverständlich die Höflichkeiten erwiderte. Wahrscheinlich hat Parisot durch ihre Arroganz und ihre Anwürfe sogar zum Mobilisierungserfolg beigetragen.

Allerdings vermutet die Presse (in diesem Falle ,Libération'), die taktisch wohl eher unklug wirkenden Angriffe der MEDEF-Präsidentin hätten in Wirklichkeit einen wohl kalkulierten Hintergrund: In diesen Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise benutzen die regierenden bürgerliche Politiker mitunter wohlfeile Kritiksprüche über das Arbeitgeberlager - so fordern sie Parisot derzeit verbal energisch auf, die Managergehälter zu begrenzen -, um den Legitimationsdruck gegenüber der Öffentlichkeit von sich selbst abzuwälzen. Deshalb wird der Druck an das Arbeitgeberlager weitergereicht, das sich seinerseits gespalten zeigt: Soll man ihm nachgeben und etwa unverschämte Managergehälter respektive ihre Erhöhungen zurückhalten, oder sich nicht darum kümmern? Um die verloren gegangene Einheit des eigenen Lagers wieder herzustellen, dienten die verbalen Angriffe Parisots auf die Gewerkschaften wiederum als Entlastung, um ihrer eigenen Verein zusammenzuschweißen.

Streit gibt es unterdessen auch im bürgerlichen Lager, darüber, ob die wahnwitzigen Steuersenkungen für Bestverdiendende vom Sommer 2007 in diesen Zeiten zurückzunehmen seien oder nicht. Sarkozy tönt zwar lautstark: "Ich bin nicht gewählt worden, um die Steuern zu erhöhen", er steht aber seitens einer Minderheit der eigenen Regierungspartei UMP unter massivem Druck. In einem Entschließungsantrag, der am Mittwoch durch die Finanzkommission der Nationalversammlung gegen den ausdrücklichen Willen von Staatspräsident Sarkozy und der Fraktionsspitze der Regierungspartei UMP angenommen wurde, wird die Erhöhung der Steuern für die Allerreichsten um 5 Prozent gefordert. Unterzeichnen haben ihn Ex-Minister Pierre Méhaignerie vom christdemokratischen Unterflügel der UMP und Charles-Amédée de Courson. De Courson ist üblicherweise eher ein reaktionärer Scharfmacher, und Urheber zahlreicher Untersuchungsberichte zu "Sozialbetrug" u.Ä. Die Jagd auf so genannte "Sozialbetrüger" (die sich üblicherweise eher gegen Arme richtet: Schwarzarbeiter, "illegalisierte" Einwanderer, "Sozialhilfe-Einstreicher"...) ist ihm aber anscheinend derart in Fleisch & Blut übergegangen, dass ihn auch die unverschämten Steuertricks der Schwerreichen nerven. Bringt es doch eine Karikatur, die Anfang der Woche erschien, auf den Punkt: "Ach, Sie sind nicht steuerpflichtig? Sind Sie denn Milliardär?"

Der so genannt ,Bouclier fiscal' ("steuerlicher Schutzschild"), der die Steuersätze der Schwerstreichen begrenzt, wurde im August 2007 - mit rückwirkendem Effekt auf das damalige Steuerjahr - verabschiedet. Er kommt knapp 14.000 Vermögensbesitzern und Bestverdienenden zugute. Doch während ihre Zahl im Jahr 2008 gegenüber 2007 weitestgehend stabil blieb (13.998 gegenüber zuvor 13.700), sind die Kosten für diese Steuerbegrenzung gewaltig gewachsen: Sie kostete den Staatssäckel und damit die übrigen Steuerzahler/innen im Steuerjahr 2007 noch 229 Millionen, doch im Steuerjahr 2008 bereits 458,3 Millionen Euro. Nunmehr steht die Staatsspitze deswegen unter erheblichem Rechtfertigungsdruck...

Auf der gestrigen Demo war ein buntes Schild zu sehen, auf das eine Demonstration einen Nicolas Sarkozy gezeichnet wird, der unter einem Berg auf ihn geworfener Schuhe begraben ist. Der gefrustete Sarkozy merkt dazu an: "Hätte ich nur mein Schutzschild (bouclier) mitgebracht". Andere forderten "ein soziales Schutzschild, statt eine Steuer-Schutzschild für die Schwerreichen".

Letzte Meldung:

Voraussichtlich schon am heutigen Freitag entscheiden die acht Gewerkschaftsdachverbände und -zusammenschlüsse, die die letzten beide Aktionstage am 29. Januar und 19. März 2009 organisiert hatten, über ihr weiteres Vorgehen. Es zeichnet sich anscheinend ab, dass die Linie darauf hinausläuft, "rund um den 1.Mai" 2009 zu neuen Protesten aufzurufen.

Ausführlicheres, mit Fotos von den Pariser Demonstrationen und Informationen darüber, wie es nun weitergeht - falls man schon einen Ausblick wagen kann - am Montag im Labournet...

Bernard Schmid


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