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Updated: 18.12.2012 15:51
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"Gesundheitsarmut"

Eine Wortschöpfung, nun noch drastischer, aussagefähiger als das gesamte Scheingefecht der ach so um das "Wohl der Patienten" bemühtem schwarz-roten Koalitionäre bis zur Verabschiedung der Gesundheitsreform im Bundestag. "Gesundheitsarmut" - mit dieser Wortwahl charakterisierte Frau Professor Jutta Almendinger [1], Direktorin im "Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit" unlängst den Treueschwur der Abgeordneten an die Wünsche und Lobbyisten der pharmazeutischen Industrie. Aber auch den Mitarbeitern der aufgeblasenen landesweit agierenden Verwaltungsbehörde mit dem standesdünkelhaften Namen "Kassenärztliche Vereinigung" garantiert das "Reformwerk" ein Überleben. Sie bleiben damit ein willfähriges Instrument des Staates [2], ein Relikt aus der Nazizeit, hoheitliche Interessen durchzusetzen.

Auf dem Territorium der DDR wurde das "Gesetz Nr. 2 des Alliierten Kontrollrates" vom 10. Oktober 1945 [3] uneingeschränkt verwirklicht, die "Auflösung und Liquidierung der Naziorganisationen". Unter Punkt 15 ist das "Hauptamt für Volksgesundheit", unter Punkt 26 der "NSD-Ärztebund" [4] genannt. Bereits am 14. Juli 1945 legte eine Magistratsverordnung fest: "1. Vorläufig sind alle im Besitz einer rechtsgültigen Approbation befindlichen und niedergelassenen Ärzte und Zahnärzte, die registrierten und geprüften Dentisten und die Hebammen verpflichtet, vorbehaltlich einer kommenden grundsätzlichen Regelung für die Versicherungsanstalt Berlin tätig zu sein." Mit dieser Verordnung entfielen alle Zwänge des Honorarwesens, begann der Aufbau eines staatlichen Gesundheitswesen, der mit der Veröffentlichung der "Satzung der Versicherungsanstalt Berlin" am 14. September 1946 fundiert worden ist. Erstmalig [5] in einem deutschen Staat überhaupt existierte in der DDR ein Ministerium für Gesundheitswesen, dessen umfassende Fürsorge jedem Bürger der DDR zuteil wurde, etwa durch das bereits am 27. September 1950 erlassene "Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau" [6]. Reihenuntersuchungen - kostenlos selbstverständlich diese Früherkennungsmaßnahmen - gehörten allseits zum Vorsorgeprogramm, fürs Kleinkind, für Erwachsene und zudem bestimmte Berufsgruppen.

Nun gibt es da im Land Brandenburg eine Ministerin namens Dagmar Ziegler, zuständig für das Gesundheits- und Familienministerium. Übrigens eine gebürtige Leipzigerin (1960*) [7] und selbst Mutter zweier Kinder, die bis zur "Wende" im DDR-Alltag lebte und als SPD-Genossin eine steile Karriereleiter ins Ministerium erklomm. Sie organisierte unlängst ein Treffen mit Interessierten und Verantwortlichen in ihrem Hause, gab dem Unternehmen den bombastischen Titel "Kindergesundheitsgipfel der Landesregierung Brandenburg". Man hätte nun mutmaßen können, dass die zu DDR-Zeiten an der Humboldt-Universität als Finanzwirtschaftlerin ausgebildete erfahrene Frau ein Fünkchen Erlebtes im DDR-Alltag dem Gipfel zuträgt. Aber nein! Sie glitt ab in die tiefsten Schluchten der heutzutage üblichen allgemeinen Verdummung.

Frage: "Reihenuntersuchungen für Schulkinder, Zuschüsse für ambulante soziale Dienste seien gestrichen worden. Wir verträgt sich das mit Ihrem Anspruch, Brandenburg bei der Kinderbetreuung ganz nach vorne zu bringen?"
Antwort Ziegler: "Die Reihenuntersuchungen in den Kitas sind bisher jährlich festgeschrieben. Wir müssen feststellen, dass die Inanspruchnahme nicht die ist, die wir uns wünschen."
Frage: "Bleiben wir noch mal bei dem Beispiel Reihenuntersuchungen. Sie sagen, da hat es Angebote gegeben, die nicht wahrgenommen wurden. Nun sind Reihenuntersuchungen eine sinnvolle Sache, ob das jetzt der Zahnarzt ist, oder der Allgemeinarzt, den Entwicklungsstand des Kindes einzuschätzen; da sagen sie einfach, da gehen wir runter mit den Angeboten. Warum gehen Sie nicht offensiv das Problem an?"
Antwort Ziegler: "Ich habe gestern im Landtag deutlich gemacht, von welchem Stand wir in der DDR ausgegangen sind. Der war viel miserabler, da gab es weder Multivitaminsaft für Kinder noch ausreichend Obst und Gemüse, was heute zur Selbstverständlichkeit gehört. Viele Menschen haben in feuchten Wohnungen mit kleinen Kindern leben müssen."

Also deshalb "mussten" in der DDR kostenlose Reihenuntersuchungen "gesetzlich befohlen" werden? Es ist in diesem deutschen Gegenwartsstaat nicht nur eine Kinderarmut, eine Altersarmut, eine Gesundheitsarmut festzustellen, eben auch eine Geistesarmut bei Politikern.

Allein der Vergleich der Lebendgeborenen (je tausend der Bevölkerung) in Ost und West straft die "Kindergesundheitsgipfelstürmerin" in Potsdam der Lüge. Eben weil in der DDR die gesellschaftspolitischen Bedingungen für die Freude an eigenen Kindern, deren sozial gesichertes Aufwachsen, deren weitreichende Förderung und Fürsorge gegeben war, lag die Zahl der Lebendgeborenen (je 1000 Einwohnern) überzeugend höher als in Westdeutschland.

  BRD DDR DDR-Überhang
1950 16,2 16,5 + 0,3
1960 17,4 17,0 - 0,4
1970 13,4 13,9 + 0,5
1980 10,1 14,6 + 4,5
1985 9,6 13,7 + 4,1
1986 10,3 13,4 + 3,1
1987 10,6 13,6 + 3,0
1988 11,0 12,9 + 2,9
1989 11,0 12,0 + 1,0 = 19,00 [8]

Und in der reichen Bundesrepublik, in der es Mutivitaminsäfte, Obst und Gemüse gibt, Tausende Obdachlose nicht einmal eine feuchte Wohnung nutzen können, geht seit 1990 die Tendenz des Geburtenüberschusses deutlich abwärts.

Dagmar Ziegler und die anderen Politiker der schwarz-roten Koalition drücken sich um die Wahrheit: Die Bundesrepublik Deutschland braucht für ihre aggressive Politik nach innen (der gläserne Bürger / Beschneidung der Bürgerrechte / Eindämmung der Demokratie) und außen (Sicherung von Rohstoffen und Transportwegen) Geld. Allein 35 Millionen veranschlagt Verteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung bereits nur für den Einsatz der 6 Tornade-Aufklärer ab April 2007 in Afghanistan. Jede Flugstunde dieses Typs allein kostet im Mittelwert etwa 6.000 Euro [9]. Es bleibt dem Leser überlassen, die Rechnung zu lösen: 6 Kampfjets an 183 Tagen (bis erst einmal 13. Oktober 2007) mit je 5 Stunden Einsatz am Tag kosten..? Und dann kommen noch die so genannten Unterhaltungskosten einschließlich 500 Mann Personal dazu - "Gesundheitsarmut" für das Volk.

Hans Horn

Anmerkungen:

1) Jutta Almendinger: Soziale Gerechtigkeit heute und morgen. In: RBB InfoRadio; Domino; 28.01.2007; 08 Uhr 45

2) Internet: Kassenärztliche Vereinigung - Wikipedia. Durch Verordnung vom 02.08.1933 geschaffen.

3) Kopie des Sitzungsberichtes vom 21.10.1941 - im pers. Besitz.

4) ebenda

5) Kopie des Sitzungsberichtes vom 02.02.1943 - im pers. Besitz.

6) Adolf Hitler: Mein Kampf. Zentralverlag der NSDAP, Franz Eher Nachf. GmbH. München; 876. - 880. Auflage dieser Ausgabe; 1943; S. 10.

7) Rudenko: Schlussrede in Nürnberg. Verlag Tägliche Rundschau; Berlin; 1946; S. 41.

8) Presse-Portal - Internet - 27.04.05

9) Berliner Zeitung; 04.11.2005.


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