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Updated: 18.12.2012 15:51
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Feuer und Wasser - 10 Thesen zum `organisierten Nicht-Verhältnis` von Geheimdiensten und Journalismus

1. Geheimdienste und Journalismus folgen zwei grundsätzlich unterschiedlichen Aufträgen, Zielsetzungen und Handlungslogiken.
Die Geheimdienste arbeiten verdeckt, konspirativ und vertrauen zum Teil auf die Informationen von bezahlten V-Leuten, die - unter Einsatz einer Legende - Informationen von Dritten abschöpfen. Die Validität dieser Quellen ist nicht einmal von den Auftraggebern vollständig zu überprüfen. Die Dienste folgen in ihrer Informationsbeschaffung und Informationsvermittlung politischen Motiven der jeweiligen Führungsebene. Daraus folgt, dass jede Form der Politikvermittlung in die Öffentlichkeit stets instrumentellen Charakter hat.
Journalismus soll sich - nach eigenem Selbstverständnis - auf gesicherte und überprüfbare Quellen beziehen, mehrere Quellen abwägen und einordnen und die einseitige Vermittlung von "trüben Quellen" nach Möglichkeit vermeiden. Jede Instrumentalisierung für politische Ziele - von wem auch immer - ist nach dem Selbstverständnis von Journalisten ausgeschlossen.
Aus diesem Spannungsverhältnis ergeben sich zahlreiche Konflikte, die in der Öffentlichkeit und von den beiden Akteuren in den Diensten sowie den Medien Unzureichend reflektiert werden.

2. Die Übermittlung der Geheimdienst-"Informationen" verläuft einseitig und gezielt. Die Informationsgeber suchen sich ihre "Kunden" gezielt aus. Entscheidend für die Auswahl in einen sehr engen Informantenkreis ist die politische Zuverlässsigkeit und die Bereitschaft, sich auf die kommunikativen Spielregeln der Dienste einzulassen. Um "Informationen" zu erhalten, muss sich der jeweilige Adressat also von seinen journalistischen Arbeitsprinzipien lösen und sich der funktionalen Kommunikations-Strukturen der Dienste unterordnen.
Bei der Auswahl der jeweiligen Journalisten spielt die Repräsentanz eines bestimmten "Leitmediums" eine besondere Rolle. Im Klartext: relevante Nachrichtenmagazine und führende Tageszeitungen, die einen "guten Ruf" geniessen, werden privilegiert "informiert."

3. Diese Art der Informationsvermittlung verschärft bereits ein vorhandenes Ungleichgewicht im Informationszugang von Behörden und fördert Abhängigkeiten von Journalisten gegenüber den Informanten dieser Spezialbehörden. Wer den stillen Verhaltens-Kodex der Geheimdienste nicht erfüllt, wird als Informations-Empfänger abgeschaltet. Dieser Prozess führt in grossen Nachrichtenmagazinen bereits heute dazu, dass bestimmte Kontakte in die Dienste und in Ministerien nicht von allen Ressort-Kollegen wahrgenommen werden dürfen. Auf diese Weise soll ausgeschlossen werden, dass die Regeln der Dienste in Frage gestellt werden könnten.
Dieses System wird seit Jahrzehnten gepflegt und von keiner Seite in Frage Gestellt. Denn auch die Verlage benötigen den Spekulations-Stoff der Dienste und sind im Gegenzug bereit, dafür klassische Standards des Journalismus ausser Kraft zu setzen.

4. Für die Nachrichten-Ingeneure in den Geheimdienste ist Information zweifelsfrei eine Waffe. Es geht darum jenseits der tatsächlichen Faktenlage einzelne Trends und Tendenzen und Spekulationen zu überspitzen und kritische Fragestellungen abzuschwächen. Eigene Ermittlungsleistungen sollen glorifiziert, Ermittlungsfehler marginalisiert werden. Das heisst es geht n i e um die neutrale Informationsvermittlung nach geprüfter Aktenlage, sondern stets um die gezielte Zuspitzung oder überlegte Auslassung. Folglich werden Journalisten zu Transporteuren von politischer PR und Funktionaler Desinformation.

5. Das Lebenselexier eines funktionierenden Journalismus - die Korrektur von Falschen oder unvollständigen Informationen - fällt im Feld der "Geheimdienst-Berichterstattung aus. Denn Geheimdienstler haben kein Interesse an Faktentreue und Vollständigkeit. Sie fördern die Spekulation zu den jeweiligen Sachgebieten, weil Spekulation ein Schutz für die jeweiligen Absender ist. Eine Aufarbeitung von Fehlern ist nicht im Interesse der Dienste. Eine Analyse von Fehleinschätzungen und falschen Interpretationen ist aber im Interesse einer demokratischen Öffentlichkeit.

6. Das System der Desinformation durch die Dienste ist nur möglich, weil alle "Mitspieler" das funktionierende Geschäft des "Gebens und Nehmens" nicht in Frage stellen.
Eine effektive parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste - etwa in den zuständigen G10-Ausschüssen - gibt es ebenfalls nicht. Der Bielefelder Verfassungsjurist Christoph Gusy kommt zu folgendem Befund: "Den vielfältigen Instanzen fehlt es an Koordination und Effektivität. Sie sind allein auf Informationen der von ihnen kontrollierten Exekutiven angewiesen und erfahren so über ihre Problemfälle aus den Medien mehr als auf den `offiziellen´ Wegen. Das gilt erst recht, wenn die Nachrichtendienste berechtigt sind, Informationen aus Gründen des `Wohls der Allgemeinheit` oder des Datenschutzes Einzelner zurückzuhalten." (Gusy in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B44/2004, 20)
Auch Alexander Hirsch kommt in seiner Promotion "Kontrolle der Nachrichtendienste" zu ähnlichen Bewertungen. (vgl. Eine effektive Kontrolle der Schlapphüte ist möglich, FR-dokumentation 5.12.1996, 12)
Wenn die Geheimdienste also "blinden Wächtern ohne Schwert" gegenüberstehen, können sie gegenüber der Öffentlichkeit wild spekulieren, ohne wirksame Sanktionen erwarten zu müssen.

7. Nicht nur die einzelne "Desinformation" entzieht sich der wirksamen Kontrolle. Selbst nach jahrelangem Abstand wird die Praxis der Geheimdienste nicht wirksam kontrolliert und gründlich aufgearbeitet. Die fahrlässige Kooperation der Dienste mit NPD-Funktionären ist bis heute nur in den internen Berichten von zwei ministeriellen Arbeitsgruppen im Zusammenhang mit dem NPD-Verbotsantrag zu studieren. Diese aufschlussreichen Analysen sind bislang nicht einmal wissenschaftlich aufgearbeitet worden.
Das gleiche gilt für die extreme Überbewertung von Scientology, die nicht nur vom Verfassungsschutz Bayern noch vor wenigen Jahren in den Bereich der Organisierten Kriminalität eingeordnet wurde. Auch diese Einschätzung folgte einer instrumentellen Linie: das (noch) gültige Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten sollte aufgehoben werden. In beiden Fällen haben die Medien fast ausnahmslos die Argumentations-Muster der Dienste übernommen.

8. Da es kaum kritische Beiträge über die Geheimdienste und ihr System der medialen Desinformation gibt, fühlen sie die Informationsvermittler in den Diensten indirekt bestätigt. Für sie gibt es keinen Anlaß zur Korrektur ihrer Informationspraxis. Im Gegenteil: wenn kritische Beiträge zur Arbeit der Dienste erscheinen, werden diese Veröffentlichungen rasch dementiert. Das heisst: es gibt bislang keinen Anreiz für die seriösen Mitarbeiter in den Diensten, die gültige Informationspraxis zu korrigieren.

9. Die einzige wirksame Gegenstrategie auf die "Angriffe der Dienste auf die Informationsfreiheit" wäre die Vertiefung der Recherche verbunden mit der Markierung der Desinformation. Gezielte Falschmeldungen und der Einsatz von Manipuliertem Bildmaterial wie in den Kriegseinsätzen in Afghanistan oder im Irak müssten zum Gegenstand der Berichterstattung werden.
Aber an diesem Aufklärungsprozess haben weder Verlage noch Sender ein Interesse. Würde die übliche Berichterstattungs-Praxis in Krisen- und Kriegsregionen detailliert dokumentiert, würden die Zweifel der Leser und Zuschauer wachsen und der Aufkärungs-Anspruch arg ramponiert.

10. Der frühere Verteidigungsminister Rudolf Scharping sagte während den 22. Mainzer Tagen der Fernsehkritik am 15. Mai 2000: "Mit sachlicher Information Propaganda entlarven. Nur so lässt sich die Öffentlichkeit überzeugen, deren Unterstützung jede Demokratie braucht." Auf der gleichen Veranstaltung mit dem Titel "Krieg mit Bildern" sagte ZDF-Korrespondent Jörg Brase: "Journalisten sind ein Mittel der Kriegsführung" - erst recht im Sog der aktuellen Berichterstattung, wenn man versucht, aus der Not ("unsichtbarer" Krieg) eine Tugend ("umfassende" Information) zu machen." So spannungsreich ist die Rekonstruktion von Wirklichkeit.

Dr. Thomas Leif
Vorsitzender netzwerk recherche
www.netzwerkrecherche.de externer Link
5.4.2005


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