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Updated: 18.12.2012 15:51
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Keine Unterordnung von Arbeits- und Tarifrecht unter die neoliberale Wirtschaftsideologie !

Armin Kammrad, 11.03.2007

Ihrer neoliberalen Zielsetzung verpflichtet, nimmt sich die EU-Kommission nun auch dem Arbeits- und Tarifrecht an. Unter dem aufschlussreichen Titel " Ein modernes Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21.Jahrhunderts" (1) legt die Kommission nun ein Grünbuch vor und fordert ausdrücklich zu einer öffentlichen Konsultation auf. Danach kann jeder auf postalischem oder auch elektronischem Weg (2) seine Meinung zum Thema kundtun. Bis Juni 2007 soll dann ein erster Entwurf für ein "modernes Arbeitsrecht" vorliegen. Solange sollte allerdings niemand warten. Es ist vielmehr ratsam, bereits jetzt jede Möglichkeit zu nutzen, Ablehnung gegen eine umfassende neoliberale Ausrichtung des Arbeits- und Tarifrechtes zu äußern. In einem weiteren Beitrag will ich deshalb im Sinne eines Beispiels auf die konkreten Fragen der EU-Kommission zu einem zeitgemäßen Arbeits- und Tarifrecht - allerdings mit einem ganz anderen Verständnis von modernem Arbeits- und Tarifrecht - eingehen.


Und wieder einmal aktiv dabei - die Bertelsmann-Stiftung

Während bisher von gewerkschaftlicher Seite nicht einmal eine Informationspolitik über das EU-Vorhaben betrieben wird, sind andere bereits voll dabei. So arbeitet die Bertelsmann-Stiftung unter dem Motto " Agenda Moderne Regulierung" (3) bereits seit 2005 an einer neoliberalen Ausrichtung des deutschen Arbeitsrechts. Dies überrascht nicht, trugen die dortigen Vorarbeiten zur Agenda 2010 doch so nachhaltige Früchte (4). Für die neue Zielsetzung wurden zwei Fachjuristen angeheuert, die bereits Mitte 2006 einen ersten Entwurf mit 150 ausgearbeiteten Paragraphen vorlegten, der ebenfalls nun pseudodemokratisch (5) öffentlich diskutiert werden kann. Obwohl sich das Projekt eindeutig auf die EU-Pläne eines "modernen Arbeitsrecht" bezieht und maßgeblich mitwirken will, geht die Bertelsmann-Stiftung doch recht trickreich vor.

Sie stellt nämlich nicht eine Anpassung des Arbeitsrechtes an die Erfordernisse der "Globalisierung" wie die EU-Kommission in den Mittelpunkt, sondern eine Besonderheit des deutschen Arbeitsrechtes. Dieses ist nämlich nicht formal vereinheitlicht, sondern befindet sich verstreut in diversen Gesetzen. Folglich fordern alle Seiten, von der Gewerkschaft bis zu den Arbeitgeberverbänden sowie natürlich auch die sog. "Fachwelt" der Juristen eine Vereinheitlichung, die auch mehr Rechtsicherheit gewähren soll. Entsprechend findet solche Vereinheitlichung gerade in Juristenkreise große Zustimmung. Wer könnte schon groß etwas gegen ein übersichtliches und einheitlich gefasstes Arbeitsrecht einwenden?

Die Erfahrungen mit der Vereinheitlichung der Sozialgesetze in zwölf Bänden, sollten allerdings zur Vorsicht mahnen. Wieder werden nämlich formale Aspekte mit inhaltlichen vermengt. So führt die Bertelsmann-Stiftung die Unzufriedenheit der abhängig Beschäftigten mit dem geltenden Arbeitsrecht auf rein formale Gesichtpunkte zurück. "Defizite im Arbeitsrecht" sollen vor allem darin bestehen, dass "Arbeitgeber und Arbeitnehmer" durch die Rechtszersplitterung nicht "gleichermaßen ihre Rechte und Pflichten erkennen und wahrnehmen können." (6, S.5f). In Wahrheit geht es der Bertelsmann-Stiftung keineswegs nur um formale Aspekte. Unmissverständlich wird das Ziel der Vereinheitlichungsbemühungen inhaltlich bestimmt:

"Die bisherigen Reformanstrengungen im Arbeitsmarkt waren auf den Bereich der Arbeitsmarktpolitik und der Administration des Transferbezugs fokussiert. Hingegen blieb der Kern der Arbeitsmarktregulierung , das Arbeitsrecht, größtenteils aus dem Reformpaket ausgespart. Das Arbeitsrecht bildet nicht nur einen zentralen Baustein der Rechtsetzung sondern steuert das Marktgeschehen und greift direkt in die Lebenswirklichkeit von Arbeitnehmern und Arbeitgebern ein." (6, S.1, Hervorhebung von mir)

Das bestehende Arbeitsrecht wird also eindeutig als Hemmnis für das angestrebte "Marktgeschehen" betrachtet. Entsprechend ist der Entwurf der Bertelsmann-Stiftung auch eine Vereinheitlichung des Arbeitsrechts mit einer ziemlich eindeutigen inhaltlichen Zielsetzung. Auch das Arbeitsrecht soll nach dem Sozialrecht an die Interessen einer neoliberalen Wirtschaftsideologie angepasst werden - womit sich das Bestreben der Bertelsmann-Stiftung unmittelbar mit dem auf der EU-Ebene verbindet (7). Schließlich strebt auch die EU-Kommission in ihrem Grünbuch direkt eine " Agenda für bessere Rechtsetzung (..) durch Förderung der Modernisierung des Arbeitsrechts" an, damit "die einzelnen Arbeitnehmer und die Unternehmer klarer ihre Rechte und Pflichten erkennen können" (1, S.5). Deshalb nun ein paar klare Worte zum Grünbuch der EU-Kommission.

Das EU-Grünbuch - Existenzzerstörung zum geltenden Recht machen?

Mit dem EU-Grünbuch soll "eine öffentliche Debatte darüber eingeleitet werden, wie durch Weiterentwicklung des Arbeitsrechts positive Wirkungen im Hinblick auf das Ziel der Lissabon-Strategie erzielt werden können, nachhaltiges Wachstum und gleichzeitig mehr und bessere Arbeitsplätze zu schaffen", definiert die Kommission ihre Zielsetzung für ein "modernes Arbeitsrecht" (1, S.3) Real wird damit unterstellt, dass die Lissabon-Strategie irgendwelche positiven Aspekte auf mehr und bessere Arbeitsplätze gehabt hätte. In der Praxis ist jedoch genau das Gegenteil der Fall:

Wie der "Tagesspiegel" am 03.03.2007 meldete (8), machten zwar 20 der 30 deutschen DAX-Konzerne 2006 zweistellige Gewinne, gleichzeitig bauten die DAX-Konzerne 2006 ca. 55.000 Stellen ab. Selbst wenn die größtenteils nur noch befristeten und schlecht entlohnten 12.000 neuen Stellen abgezogen werden, bleibt immer noch eine Arbeitsplatzvernichtung von 43.000 Stellen als Preis für hohe Gewinne übrig (wohl gemerkt nur auf die in satten Gewinnen badenden DAX-Konzerne bezogen).

Eine zweite Folge der Lissabon-Strategie besteht in wachsender Arbeitslosigkeit, was sich besonders auch in prekärer, nicht mehr existenzsichernder Vollzeitarbeit ausdrückt. Was die staatlich organisierte Zwangsarbeit bei Arbeitslosigkeit betrifft, war das von Gerhard Schröder und Tony Blair bereits 1999 favorisiert Modell vom "aktivierenden Sozialstaat" für die EU-Strategie maßgeblich: "Ein Sozialversicherungssystem, das die Fähigkeit, Arbeit zu finden, behindert, muß reformiert werden. Moderne Sozialdemokraten wollen das Sicherheitsnetz aus Ansprüchen in ein Sprungbrett in die Eigenverantwortung umwandeln" (9), was - wie nicht zuletzt Hartz IV zeigte - auch gelang. Eigenverantwortung wurde zur totalen Fremdbestimmung durch Zwangsarbeit, Hunger statt eigenständiges Leben auf soziokulturellem Existenzniveau und zur Entrechtung gegen jede Art von Unternehmerwillkür.

Was die Lissabon-Strategie nachweislich auszeichnet, ist eine zunehmende Entmachtung der gewerkschaftlichen Bewegungen und eine Entrechtung besonders bezüglich kollektiver Rechtsdurchsetzung. So erkennt auch das Grünbuch, dass prekäre Arbeitsverhältnisse rapide zugenommen haben (1, S.1,8), d.h. die sog. "Outsider" gegenüber den "Insider". Dort wird jedoch ignoriert, dass gerade aufgrund der Folgen der neoliberalen Lissabon-Strategie die Arbeits- sowie Sozialrechte zugunsten der abhängig Beschäftigten und zu ungunsten der Kapitalseite deshalb verbessert werden müssten.

Zentral steht für die EU-Kommission vielmehr eine Flexibilisierung von Arbeits- und Tarifrecht, also eine Anpassung an die Renditeinteressen der Kapitalseite. Nicht die reale gesellschaftliche Situation wird analysiert, sondern es wurden " analytische Studien durchgeführt, um festzustellen, auf welche Weiser neue, flexiblere Arbeitsformen mit einem Minimum an sozialen Rechten für alle Arbeitnehmer kombiniert werden können" (1, S.6, Hervorhebung von mir). Es geht also nicht um Arbeitnehmerrechte, sondern um deren Anpassung an die Renditeerwartungen der Kapitalseite.

Dem sollen sich auch die Tarifverträge anpassen. Ja, der anvisierte Angriff auf das Tarifrecht ist sogar besonders eklatant, sollen doch künftig die abhängig Beschäftigten völlig auf sog. "Standardarbeitsverträge" verzichten können. Das Idealbild der EU-Kommission ist der flexible Beschäftigte, also derjenige, der bis 67 nur noch befristet heute hier und morgen dort Arbeit finden kann: "Der rasche technische Fortschritt, der durch die Globalisierung schärfer werdende Wettbewerb, die sich wandelnden Bedürfnisse der Verbraucher und das signifikante Anwachsen des Dienstleistungssektors haben die Notwendigkeit größerer Flexibilität deutlich gemacht" (1, S. 5). Entsprechend will die Kommission den " ursprünglichen Zweck des Arbeitsrechts" (1, S. 5), d.h. den Beschäftigungsstatus " unbefristeter Vollzeitbeschäftigung; () arbeitsrechtlich geregelten Beschäftigungsverhältnissen mit einem Arbeitsvertrag als Dreh- und Angelpunkt und (...) dem Vorhandensein eines einzigen Arbeitgebers, der für alle dem Arbeitgeber obliegenden Pflichten zuständig ist" (1, S.5) verändern - oder inhaltlich treffender ausgedrückt, den Ausbeutungsgrad der abhängig Beschäftigten durch entsprechende Rechtssetzung erhöhen. Eine Sozialverpflichtung des Eigentums wird zugunsten einer Heuer-Und-Feuer-Politik völlig als arbeitsrechtliche Zielsetzung aufgegeben.

Entsprechend werden die "personenbezogenen Aspekte des Arbeitsrechts" (1, S.4) betont und tarifrechtliche Fragen vernachlässigt, was bedeutet, dass die nach dem deutschen Grundgesetz (Artikel 9) obliegende verfassungsrechtlich Pflicht für den Gesetzgeber, Maßnahmen zur Wahrung der Kampfparität bezüglich der "Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" nicht als Teil einer demokratischen Arbeitsrechtsgesetzgebung betrachtet werden (10). In Verbindung mit der arbeitsrechtlichen Zielsetzung einer " Förderung der Flexibilität in Verbindung mit Beschäftigungssicherheit, unabhängig von der Form des Arbeitsvertrags" (1, S. 4) bedeutet diese Verlagerung von der kollektiven zur rein individuellen Vertragsposition für die abhängig Beschäftigten eine Flexibilisierung ihrer Einkommen nach unten bzw. Beschäftigung als Lohnarbeiter nur noch bei einem nach unten offenem Entgelt.

Dafür sollen "unterschiedliche Arten vertraglicher Beziehungen bei gleichen Arbeitsrechten für alle Arbeitnehmer die Schaffung von Arbeitsplätzen erleichter(n)" (1, S. 5), was nichts anderes bedeutet, als die noch existierenden relativ sichernden Arbeitsplätze mit Standardarbeitsvertrag mit prekären Verhältnissen zumindest gleichzustellen. Nicht zufällig stellt sich dies im Grünbuch oberflächlich betrachtet anders dar: Stellenweise klingt es so, als ob die prekären Arbeitsverhältnisse mehr Rechte bekommen. Tatsächlich sollen Arbeitsverhältnisse nach unten hin rechtlich legalisiert werden. Dies geht nicht nur daraus hervor, dass völlig ausgeblendet wird, was denn mit den Menschen geschehen sollen, die - nach neoliberalen Sprachgebrauch - "zurzeit nicht gebraucht" werden, auch in den von der Kommission am 12.07.2005 angenommenen sog. "Integrierten Leitlinien", auf welche das Grünbuch explizit Bezug nimmt (1, S. 4), wird ausdrücklich angestrebt, die Steuerlast der Kapitaleigner zu überprüfen, "um die Schaffung von Arbeitsplätzen zu erleichtern, insbesondere für den Niedriglohnbereich".

Ökonomisch betrachtet ist ein Niedriglohnbereich jedoch nichts anderes, als dass zwar einerseits die Kapitalseite von der Arbeit des im Niedriglohnbereich Beschäftigten profitiert, anderseits die Kosten dafür minimiert werden, weil sie der Staat zum Teil übernehmen soll. Faktisch wird somit selbst die vertragstypischen Verpflichtungen nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, dass "derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung versprochener Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet" ist (BGB §611), insofern umgangen, dass der letztgenannte Teil keine existenzsichernde Vergütung mehr zahlen muss; dies erledigt der Staat für ihn, dieser subventioniert somit dessen Gewinn. Der anderen Seite bleibt, besonders bei Arbeitslosigkeit nur die Möglichkeit, möglichst viel beim Staat herauszuholen. Denn dieser gibt sowie so alles Geld denen, die eigentlich im Reichtum schwimmen.

Worum es eigentlich geht

Die Europäische Union ist eine Wirtschaftsunion, die ausschließlich den Wünschen einer neoliberalen Wirtschaftspolitik verpflichtet ist. Grundrechte tauchen zwar in der Europäischen Menschenrechtskonvention auf, sie werden jedoch ausschließlich als Ergebnis flexibler Wirtschaftspolitik betrachtet, oder wie Bundeswirtschaftsminister Michael Glos vor kurzem erklärte: "Der Aufschwung ist die beste Zeit für Reformen" (11). Grundrechte sind nach dieser Ideologie nur noch gesichert, wenn die Wirtschaft brummt, d.h. möglichst viel an Rendite eingefahren wird. Deshalb muss der Sozialstaat der neoliberalen Ideologie angepasst werden. Notfalls sogar hungrig zur Arbeit gehen, damit "die Wirtschaft brummt". Dies versteht die Kapitalseite und ihre regierende Politik als ihren Beitrag zur Sozialverpflichtung des Eigentums, wie sie im Grundgesetz Artikel 14 festgelegt ist.

Natürlich ist es Ausdruck eines total korrupten und dekadenten Grundrechtsverständnisses, wenn der möglichst ausgiebige Gebrauch des Eigentums zur Selbstbereicherung "zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen" soll (vgl. Artikel 14 GG). Aber so wird es betrachtet. Lässt sich durch möglichst weitgehende Flexibilisierung aller Existenzansprüche mehr Rendite im globalen Wettbewerb erzielen, soll entsprechend auch das Arbeitsrecht angepasst werden - egal was dies für die Betroffenen existenziell bedeutet.

Mit der Europäischen Grundrechte-Charta kommt solch ein Herangehen nur selten in Konflikt. So untersuchten die Staatsrechtler Peter J.Tettinger und Klaus Stern 2006 detailliert die Entstehungsgeschichte der einzelnen Artikel der "Europäischen Grundrechte-Charta" (12). Das Ergebnis ist zusammengefasst, dass vieles bezüglich Grundrechte und deren Gewährleistung nur auf dem Papier steht und vor allem in seiner praktischen Bedeutung weitgehend ungeklärt ist. So gibt es bis heute kein faktisches Unionsstreikrecht, obwohl es nach Artikel 28 Grundrechts-Charta eigentlich gewährleistet sein soll. Der Schutz bei ungerechtfertigter Entlassung (Art. 30) wird kritisiert, "weil sie Selbstverständliches regele bzw. ihr die `Chartawürdigkeit` fehle" (a.a.O.,S.551), Die Forderung nach "gerechten" Arbeitsbedingungen (Art. 31), sei wiederum zu unkonkret und das Verbot von Zwangs- und Pflichtarbeit (Art. 5) ist in seiner praktischen Anwendung umstritten. Dafür wird mit Art. 16 eine Unternehmerische Freiheit gewährleistet, die aufgrund einer Forderung aus den Reihen der Unternehmensverbände in die Charta aufgenommen wurde - allerdings ohne Sozialverpflichtung, wodurch kein juristisch eindeutig handhabbarer Zusammenhang zwischen Wirtschaftsrecht und Sozialrecht im EU-Recht existiert oder sich rechtlich herstellen ließe.

Auf diesem Hintergrund sind auch die Bestrebungen im Grünbuch zum neoliberalen Arbeitsrecht zu sehen: Typisch für die EU werden wirtschaftlich bestimmende Sachzwänge formuliert, konkret das Bedürfnis der neoliberalen Wirtschaftsideologie nach Flexibilität, Grundrechte erscheinen - wenn überhaupt - nur untergeordnet, nicht als Richtschnur oder Maßstab für eine menschliche Wirtschaftspolitik. Damit wird auch rechtlich gewissermaßen das Rad der Geschichte zurückgedreht.

Denn wenn das Arbeitsrecht so uneinheitlich gesetzlich in Deutschland fixiert wurde, worauf speziell die Bertelsmann-Stiftung ihre Argumentation aufbaut (vgl. oben), so liegt das wesentlich daran, dass das Arbeitsrecht bis heute vor allem Schuldrecht ist. Zwar gab es bereits vor der Verabschiedung des Bürgerlichen Gesetzbuches am 01.01.1900 verfassungsrechtliche Bestrebungen für eine mehr soziale Gesellschaft und Gesetzgebung, für die gesellschaftliche Praxis bestimmend wurde jedoch vor allem das Bürgerliche Recht, was inhaltlich kapitalistisches Wirtschafts- und Eigentumsrecht ist. Nur punktuell wurden nach und nach soziale Gesichtspunkte auch ins Bürgerliche Gesetzbuch übernommen. Andere Regelungen, nicht zuletzt auch das Betriebsverfassungsgesetz, wurden parallel dazu entwickelt, ohne jedoch die bürgerliche Eigentumsordnung in Frage zu stellen.

Eine gewisse Sonderstellung nimmt das Tarif- und Streikecht ein. Sein Ursprung liegt auch in dem Widerstand des wertschaffenden Teils der Menschen, eigenständig und in der Auseinandersetzung mit der kapitalistischen Gegenseite, Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durchsetzen zu können. Die bürgerliche Komponente kommt mit der heute rechtlich geltenden Einschränkung hinein, dass Streiks auf Verträge ausgerichtet sein müssen und ebenfalls nach den vertraglichen Kriterien des Bürgerlichen Gesetzbuches zu bewerten sind.

Das ang. "moderne Arbeitsrecht", der Initiatoren des EU-Grünbuches betrachten ebenso wie die Bertelsmann-Stiftung das Arbeitsrecht nicht als Realisierung unabdingbarer Grundrechte, sondern als Vertragsgestaltung im Sinne ausschließlich bürgerlicher Rechtssetzung. Folgerichtig fehlt jede Aussage zur Demokratisierung des gesellschaftlichen Eigentums. Das ökonomische Herr-Und-Knecht-Verhältnis wird vielmehr zur entscheidenden rechtlichen Basis gemacht, wobei der abhängig Beschäftigte für die neoliberaler Wirtschaftsideologie noch mehr auf sein Knechtdasein rechtlich reduziert werden soll. Eine Art gleiches Recht für alle, soll aufgrund der "Herausforderungen der Globalisierung" auf keinem Fall möglich sein.

Von der realen gesellschaftlichen Praxis her, welche sich ideologisch besonders in der Lissabon-Strategie darstellt, stellt sich allerdings aus Sicht der Betroffenen die Frage nach einem wirklich zeitgemäßen, jedoch völlig anders ausgerichtetem, Arbeits- und Tarifrecht. Verarmung der wertschaffenden Bevölkerung einerseits und wachsender Reichtum der Kapitalseite andererseits, erfordern nämlich ein Arbeitsrecht, was viel mehr als bisher in die Allmacht der Kapitalseite gerade eingreift. Denn letztlich geht es bei der Frage nach einem zeitgemäßen Arbeits- und Tarifrecht um mehr als eine juristische Frage. Wenn sicher auch ungewollt, macht gerade das Grünbuch der EU deutlich, dass Recht vor allem eine Frage des Standpunkts ist: Kein Arbeitsrecht für noch mehr Ausbeutung, sondern gegen Ausbeutung wäre wirklich zeitgemäß.

In einem weiteren Beitrag möchte ich ein solches wirklich modernes Arbeitsrecht anhand der Fragen der EU-Kommission ein Bisschen demonstrieren.

Quellen u. Anmerkungen:

1) http://ec.europa.eu/employment_social/labour_law/docs/2006/green_paper_de.pdf externer Link pdf-Datei

2) http://ec.europa.eu/yourvoice/consultations/index_de.htm externer Link

3) http://www.arbvg.de/ externer Link

4) vgl. Frank Böckelmann, Hersch Fischler "Bertelsmann - Hinter der Fassade des Medienimperiums", S.226, Eichborn AG, Oktober 2004

5) "Pseudodemokratisch" deshalb, weil die Mitdiskutierenden zwar ihre Vorschläge machen dürfen, jedoch keinen direkten Einfluss auf das Endprodukt nehmen können

6) "Agenda Moderne Regulierung - Notwendigkeit einer Reform des Arbeitsrechts", Bertelsmann Stiftung, Gütersloh, Mai 2006

7) Eine detaillierte Wertung des Entwurfes der Bertelsmann-Stiftung will ich an anderer Stelle vornehmen und hier zunächst einmal aussparen.

8) vgl. dazu auch SPIEGEL-Online v.04.03.2007 "Zigtausende Jobs weg trotz satter Gewinne"

9) Gerhard Schröder, Tony Blair "Der Weg nach vorne für Europas Sozialdemokraten - Ein Vorschlag", 1999

10) zur rechtlichen Frage der Kampfparität der Tarifparteien vgl. Hansjörg Otto "Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht", C.H.Beck, 2006, S.30ff

11) vgl. Interview in DER SPIEGEL 9/2007, S.88f

12) vgl. Peter J.Tettinger, Klaus Stern "Kölner Gemeinschafts-Kommentatr - Europäische Grundrechte-Charta", C.H. Beck, 2006


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