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Updated: 18.12.2012 15:51
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Kommentar zur rechtwidrigen Selbstjustiz gegen ALG II-Bezieher in Löbau
Armin Kammrad, 06.02.2007

Der Laie wundert sich.. Oder auch nicht (mehr)?

Dass die Wohnungsverwaltung und Bau GmbH (Woba) im sächsischen Löbau mit dem Leitspruch "Die Gesetze sind nun mal so, wie sie sind" (vgl. Interview des Geschäftsführers der Woba, Matthias Urbansky, in der "junge welt" v. 06.02.2007 externer Link) als selbsternanntes privates "Exekutivorgan", einfach in gemieteten Wohnraum von ALG II-Beziehern eingreift, überrascht anbetracht der regierungsamtlichen Volksverhetzung und Entrechtung von Arbeitslosen nicht unbedingt. Dass allerdings 100 Betroffene sich scheinbar "freiwillig" dem fügen und - wie die " Chemnitzer Morgenpost" am 02.02.2007 schreibt - einfach hinnehmen, dass " die Woba kurzerhand Zimmer dicht" macht, " um Wohnungen zu verkleinern", macht mich schon etwas stutzig. Denn das Vorgehen der Woba, mit der selbst gestrickten Rechtfertigung, " ist das Domizil eines ALG-II-Empfängers unangemessen groß, wird ein Raum einfach abgesperrt" (a.a.O.), ist schlichtweg rechtwidrig, ja, erfüllt sogar den Straftatbestand des Hausfriedensbruch (StGB § 123) verbunden mit Rechtsmissbrauch (BGB § 242) und vermutlich auch Nötigung (StGB § 240).

Eigentlich eine ganze Latte an Möglichkeiten sich zumindest rechtlich zu wehren. Aber davon höre und lese ich nichts. Hinzukommt noch, dass Selbsthilfe (BGB § 229, StGB § 34), wohl eher zur Abwehr des gewaltsamen Eindringens Fremder in die gemietete Wohnung statthaft (sofern verhältnismäßig)wäre, als zum Eindringen in die vermietete Wohnung. "Verbotene Eigenmacht" (BGB § 858) liegt im jeden Fall vor. Denn was der Woba-Geschäftsführer, Matthias Urbansy, im Interview ("junge welt" v. 06.02.2007) als Begründung vertritt, ist nichts anderes als rechtswidrige Eigenmacht. Zumindest spricht nichts dagegen, wieder in die Räume einzuziehen, aus denen mensch rechtswidrig vertrieben wurde. Aber auch darauf finde ich keinen Hinweis.

Liegt es an Unkenntnis der Rechtslage? Da vielleicht noch irgendein Vermieter auf die Idee kommen könnte, es würde ja dem Staat Geld sparen, wenn er seine ALG II-berechtigten Mieter gleich in eine große Halle zusammensperrt, hier ein paar grundlegende Hinweise. Denn trotz aller Paragraphen - das Wesentliche an der Rechtslage ist gar nicht so schwierig zu verstehen.

  • Es ist ein Thema für sich, ob und im welchen Umfang die realen Mietkosten bei ALG II-Bezug übernommen werden. Eines steht allerdings fest: Damit hat der Vermieter nichts zu tun. Denn die Mietkostenerstattung durch die zuständige Behörde ist ein eigener Rechtsbereich und hier entscheiden ggf. auch spezielle Gerichte, nämlich das Sozialgericht und u.U. auch das Verwaltungsgericht, beides Institution des öffentlichen Rechts.
  • Dass Rechtsverhältnis zwischen Mieter und Vermieter ist ein rein privatrechtliches Vertragsverhältnis - auch bei ALG II-Bezug. Dieses Schuldrechtsverhältnis ist gesetzlich klar geregelt und hierzu gibt es jede Menge an Urteilen (besonders des BGHs). Der Vermieter mag zur Wohngeldhöhe und deren Berechnungsgrundlage meinen was er will, es berührt nicht sein vertragliches Verhältnis zum Mieter als ALG II-Bezieher.
  • Jede Änderung oder Auflösung des Mietverhältnisses benötigt eine Kündigung, welche noch dazu rechtens sein muss. Dies umfasst z.B. eine Mahnung, die noch dazu im Benennen der geltend gemachten Vertragsverletzung so eindeutig sein muss, dass der angemahnte Mieter durch Verhaltensänderung (z.B. Zahlung der ausstehenden Miete) seinen Teil der vereinbarten Vertragspflicht erfüllen kann. Ohne rechtswirksame Kündigung geht hier gar nichts. Ein Vermieter, der ohne rechtswirksame Kündigung sich am gemieteten Wohnraum in irgendeiner Art vergreift handelt immer rechtswidrig. Betritt er die Wohnung ohne Zustimmung der Mieter oder ordnet deren Betreten an, begeht er Hausfriedensbruch bzw. stiftet dazu an.
  • Fremdes Eigentum einfach in Beschlag zunehmen, um es umzuräumen, ist ebenfalls immer rechtswidrig. Selbst wenn ein Mieter rechtswirksam gekündigt wurde, erfordert ein Zugriff auf dessen Eigentum einen Gerichtsbeschluss. Der entsprechende Antrag ans Gericht ist die sog. "Räumungsklage". Gegen den Willen in die gemietete Wohnung einzudringen, Sache zu verräumen oder herauszunehmen, ist immer unzulässig (BGB § 1004)
  • Was der Vermieter zur Wohnraumbemessung bei ALG II-Bezug meint, ist seine Privatsache. Er darf niemals Gesetze "vollstrecken". Er könnte höchstens bei dafür zuständigen Stellen, wie Staatsanwaltschaft oder Gericht seine Ansicht darüber, was zu tun oder nicht zu tun sei, vortragen, oder eine Klage gegen den Mieter zur Aufhebung des Mietvertrags anstreben. Es gibt jedoch kein Kündigungsrecht, um einen Mietvertrag einseitig bei ALG II-Bezug auf die gesetzlich festgelegte Quadratmeterzahl zu reduzieren. Eben weil diese Festlegung sozialrechtlicher und nicht privatrechtlicher Natur ist. Herr Urbansky (vgl. Interview "junge welt") kann den Mietern nicht ihre Möglichkeiten verschreiben. Solange ein Mietvertrag besteht, brauchen sie vor allem eins nicht tun: Aus den bisherigen Räumen auszuziehen - selbst bei Mietrückstand nicht.
  • An der Rechtswidrigkeit der, von Herrn Urbansky in der "jungen welt" propagierten Selbstjustiz ändert sich auch nichts, wenn die für das Wohngeld zuständige Behörde in Löbau dem zugestimmt hat. Sie hätte nur einem ziemlich eindeutigen rechtwidrigen Vorgehen gegen ALG II-Berechtigte zugestimmt, was dann, wenn es wirklich Hart auf Hart käme, sicher "ganz anders gemeint" war.

Es gibt für die Betroffenen als zwei Möglichkeiten, die am besten kombiniert werden.

  • Einfach in die geräumten Räume wieder einzuziehen. Da noch ein Mietvertrag besteht und das Mietverhältnis nicht gekündigt ist, handelt es sich hier auch um keine Besetzung. Voraussetzung ist jedoch, dass nicht bereits ein neuer Mietvertrag vereinbart wurde. Kommt das "Räumkommando" der Woba einfach nicht reinlassen, Kontakt zu Freunden, Erwerbsloseninitiativen aufnehmen um den Wohnraum zu schützen, allerdings ohne selbst handgreiflich zu werden. Gut ist auch ein Anruf bei der Polizei und Anzeige gegen die "Räumer" wegen Hausfriedensbruch. Zwar verhaftet die Polizei sicher nicht die Woba-Leute, aber eine Räumung zulassen wird sie sicher auch nicht; kann sie nicht zulassen, solange ein Mietverhältnis besteht.
  • Möglich ist natürlich auch der Rechtsweg. Dazu kompetenten Rechtsanwalt ansprechen. Ist dies nicht möglich, wenigstens Strafanzeige dort stellen, wo versucht wird, gegen den Willen die Räume zu betreten.

Wie aus dem Interview der "jungen welt" hervorgeht, plant die Woba erst neue Mietverträge. Das bedeutet eben, dass die alten über den früheren Wohnraum noch weiter gelten. Es ist schlichtweg immer noch Eure Wohnung.


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