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Updated: 18.12.2012 15:51
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Rainer Roth

Zum Thema Grundeinkommen für Erwerbslose und gesetzlicher Mindestlohn

Vortrag Forum Gewerkschaften Kassel, DGB-Region Nordhessen, DIDF und Kasseler Erwerbsloseninitiative
Kassel 21.April 2006

Millionen können nicht mehr "mithalten"

Prof. Dr. Thomas Straubhaar, Direktor des HWWA, das unter anderem von der IHK Hamburg finanziert wird, wurde gefragt: " Bereits heute ist ein Drittel der erwerbsfähigen Bevölkerung nicht in der Lage mitzuhalten. Kann es für sie sinnvolle Arbeit geben? " Er antwortete: " Das geht wahrscheinlich nicht ." (Thomas Straubhaar (2005) Interview: Wir haben keine andere Wahl, brand eins 7/2005, 62) Ein Drittel sind 14-15 Millionen Menschen. Für sie gibt es also "wahrscheinlich" keine sinnvolle Arbeit.

Wie könnte er darauf gekommen sein?

Von 1991 bis 2005 sind über 6 Millionen sozialversicherungspflichtige Vollzeitarbeitsplätze abgebaut worden. (Deutsche Bundesbank, Monatsberichte Juli 2005, 16 plus Zahlen von 2005) Die Zahl der Erwerbspersonen aber hat um 3 Mio. zugenommen. (IG Metall, Report 2005, Frankfurt 2005, 12)

1991 waren noch fast 70% der Erwerbspersonen vollzeit beschäftigt. Von den heute 46 Millionen Erwerbspersonen zwischen 15 und 65 Jahren, sind nur noch 23,5 Mio. sozialversicherungspflichtig vollzeit beschäftigt, also etwa die Hälfte. Davon entfällt ein wachsender Teil auf befristete Arbeit bzw. Leiharbeit.

Die andere Hälfte der Erwerbspersonen muss sich mit Teilzeitarbeit, geringfügiger Beschäftigung, Selbständigkeit bzw. Scheinselbständigkeit durchschlagen oder ist erwerbslos. Die Nachfrage nach Arbeitskraft, ausgedrückt im Arbeitsvolumen, ist erheblich gesunken.

Woran liegt das?

Das Kapital insgesamt, seine Regierung, seine Ökonomen und seine Medien machen zu hohe Löhne und Sozialabgaben dafür verantwortlich.

In Wirklichkeit ist es der einfache Umstand, dass das Kapital für seine Verwertung immer weniger Arbeitskraft braucht. Dank steigender Produktivität. In der Metallindustrie z.B. hat die Produktivität pro Beschäftigtem (nicht pro Arbeiter, also einschließlich der Produktivität von Hartz) von 1991 bis 2004 um 73% zugenommen. (IG Metall, Report 2005, 51) Ein Drittel der Arbeitskräfte wurde abgebaut. Im äußerst wettbewerbsfähigen Maschinenbau, der 20% des Weltmarkts bedient, sank die Zahl der Beschäftigten seither sogar um über 40%. (ebda., 62)

Götz Werner (Inhaber von dm, der zweitgrößten Drogeriemarktkette Deutschlands) auf die Frage:" Wie wichtig ist ihnen die Schaffung neuer Arbeitsplätze ?"
" Überhaupt nicht wichtig. Sonst wäre ich ja ein schlechter Unternehmer. .... Die Wirtschaft hat nicht die Aufgabe, Arbeitsplätze zu schaffen. Im Gegenteil. Die Aufgabe der Wirtschaft ist, es die Menschen von der Arbeit zu befreien.
Und das ist uns in den letzten 50 Jahren ja auch grandios gelungen.
... Kein Unternehmer fragt sich morgens, wenn er in den Laden kommt: Wie kann ich heute möglichst viele Menschen beschäftigen? Allein die Vorstellung ist schon absurd. Die Frage lautet umgekehrt: Wie kann ich mit einem möglichst geringen Aufwand an Zeit und Ressourcen möglichst viel ... erreichen. ... Arbeit einzusparen. Das ist ein absolutes unternehmerisches Prinzip ." (Stuttgarter Zeitung vom 02.07.2005)

So ist es. Tatsächlich ist das sinkende Arbeitsvolumen ein grandioser Fortschritt, die objektive Grundlage für die Verbesserung der Lebensverhältnisse, für Arbeitszeitverkürzung und bessere Bedürfnisbefriedigung.

Doch unter den Bedingungen von Kapitalverwertung und Lohnarbeit führt die steigende Produktivität dazu, dass die Nachfrage nach Ware Arbeitskraft, nach Lohnarbeit ab- und die Arbeitslosigkeit zunimmt. Der Widerspruch zwischen dem kreativen Potential menschlicher Produktivkräfte und seiner beschränkten Nutzung durch das Kapital wächst mit steigender Produktivität. Und zwar weltweit.

Das muss unser Thema sein, nicht die Lohnhöhe.

Das Kapital kann nicht mithalten

14-15 Millionen Menschen sollen in Deutschland nicht in der Lage sein mitzuhalten? Das stellt die Verhältnisse völlig auf den Kopf.

Es ist das Kapital, das immer weniger mithalten kann mit dem ungeheueren Potential, das in Millionen Menschen steckt. Nur vom Standpunkt der Käufer der Ware Arbeitskraft aus, erscheinen diejenigen, die man für seine Profitzwecke nicht braucht, als Leute, die nicht mithalten können.

Diejenigen, die in der Konkurrenz um die zurückgehende Zahl von Arbeits- oder Ausbildungsplätzen unterliegen, erscheinen als Faulenzer, weil das Kapital mit ihrem Fleiß wenig anfangen kann.

Keine sinnvolle Arbeit? Die gäbe es genug, aber die Arbeitsplätze müssen in der Regel für Privatinteressen rentabel sein. "Neue Stellen werden von Unternehmen nur bei entsprechender Gewinnperspektive eingerichtet ." (Börsen-Zeitung 6.2.2003) Es ist nicht genug sinnvolle Arbeit da, heißt nur, dass aus Millionen Menschen nicht genug unbezahlte, d.h. für das Kapital sinnvolle Arbeit herausgeholt werden kann. Aber selbst bei entsprechender Gewinnperspektive braucht das Kapital relativ immer weniger Arbeitskräfte.

" Deutschland braucht Unternehmer, denen die Beschäftigung genauso wichtig ist wie der Gewinn ." (IG Metall Vorsitzender Jürgen Peters, direkt 8/ 2005) Dieses Stoßgebet könnte von Papst Benedikt stammen. Aber es stammt vom Vorsitzenden der IG Metall.

Was tun mit den Überflüssigen - bedingungsloses Grundeinkommen?

Thomas Straubhaar bietet eine intelligente Lösung an.

" Wir müssen ... überlegen, wie wir einen sozialen Fußboden einziehen, der klare und verbindliche Grundlagen schafft. Das müssen wir, weil wir kein Interesse daran haben können, dass sich das untere Drittel der Gesellschaft mit den restlichen zwei Dritteln in die Haare gerät. Der Fußboden heißt übrigens staatliches Grundeinkommen. Es dient dazu, dass der Gutverdienende und Kapitalist in Ruhe seine Arbeit machen kann ." (Straubhaar 2005, 62) Das Kapital fürchtet sich.

Das Drittel, das für die Kapitalverwertung kaum mehr benötigt wird, muss befriedet werden. Es könnte sonst zu unruhig werden. Es ist also nicht die Solidarität mit Erwerbslosen, die Straubhaar umtreibt, sondern die Solidarität mit dem Kapital.

Das sieht man auch daran, wie Straubhaar das staatliche Grundeinkommen für Erwerbslose ausgestalten will. Nämlich so, dass in erster Linie das Kapital davon profitiert. Das Zauberwort dafür heißt Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens.

" Sie (die staatliche Grundsicherung, d.V.) darf an keine Bedingung geknüpft sein. Alle 80 Millionen Bundesbürger sollen sie bekommen. ... Wir müssen dann aber auch akzeptieren, dass es extrem niedrige Löhne geben kann ." (Berliner Zeitung 17.03.2006)

Wieso? Weil dann Löhne durch das Grundeinkommen ersetzt werden können. Wenn die Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft durch Steuermittel gedeckt sind, brauchen sie von Unternehmen nicht mehr über Löhne gedeckt werden. Das Grundeinkommen, wenn es bedingungslos ist, bedeutet die Einführung eines flächendeckenden Kombilohns. Axel Börsch-Supan fasste die Ergebnisse einer Studie des Wirtschaftsministeriums zusammen: " Wenn Arbeitnehmer in Deutschland die gleiche Tätigkeit verrichten wie in Rumänien, China oder den USA, können sie keine bessere Bezahlung erwarten ." (FR 21.4.2006) Da aber die Lebenshaltungskosten und Bedürfnisstrukturen in Deutschland höher sind, müssten die "extrem niedrigen Löhne" durch Lohnsubventionen aufgestockt werden, also flächendeckendes Alg II. Ein Modell dafür ist das BGE.

Weiter sagt Straubhaar:" In meinem Modell würde ich völlig abschaffen alles, was heute mit dem Etikett soziale Sicherungssysteme bezeichnet wird. Die brauchen wir ja dann nicht mehr, weil wir dieses Grundeinkommen haben, ..." (Berliner Zeitung 17.03.2006)

Je höher das (steuerfinanzierte) Grundeinkommen ist, desto mehr können Löhne und Beiträge zur Sozialversicherung gesenkt werden.

Es ist völlig klar, dass das bedingungslose Grundeinkommen das gegenwärtige Tarifsystem völlig aushebelt und auf individuelle Lohnverhandlungen zurückführen würde. Damit würden auch die Gewerkschaften noch mehr geschwächt, als sie sich ohnehin schon schwächen. Die Sozialversicherung würde ebenfalls ausgehebelt.

Die linken Vertreter des BGE nehmen diese Wirkung in bezug auf das Lohnniveau in Kauf, weil sie ausschließlich an ihr eigenes Interesse denken, weil sie als Erwerbslose oder VertreterInnen von Erwerbslosen mit der bedingungslosen Zahlung von 850 Euro pro Person plus voller Miete schon völlig zufrieden wären.

Das ist ziemlich kurzsichtig und untergräbt das notwendige Bündnis zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen.

Auch wenn einzelne Vertreter des Kapitals das BGE fordern, ist es trotzdem illusionär. Denn das Kapital muss sich über die Aneignung unbezahlter Arbeit vermehren, steht also unter Verwertungszwang. Es kann daher den LohnarbeiterInnen nicht freistellen, ob sie zu seiner Vermehrung durch ihre Arbeit beitragen möchten oder nicht. Deshalb auch das massive Interesse, die Lage der Arbeitslosen möglichst zu verschlechtern. Freiwilligkeit der Arbeit und Lohnarbeit schließen sich weitgehend aus. Freiwilligkeit wird letztlich nur möglich sein, wenn alle für sich arbeiten, nicht für die Bereicherung anderer.

Unser Standpunkt müsste sein, dass die vom Kapital überflüssig Gemachten wenigstens anständig leben sollen, wenn sie schon nicht gebraucht werden, und dass sie nicht mit sinnlosen Bedingungen unter Druck gesetzt werden.

Allerdings nicht, damit das Kapital in Ruhe seine Arbeit machen kann, d.h. Renditen hinterjagen und nach und nach weitere Millionen Arbeitskräfte freisetzen kann. Nicht nur die Lohnarbeit, die Kapitalverwertung insgesamt gehört auf den Prüfstand.

Ziel des Kapitals: Senkung der Regelsätze

Hartz IV hat den Zweck, das Leistungsniveau zu senken und Sanktionen auszubauen, um Lohnabbau zu fördern.

Das Kapital setzte sich bei der Abschaffung der Alhi und den verschärften Zumutbarkeitsbestimmungen durch. Es konnte aber sein Ziel, die Regelsätze zu senken, nur teilweise erreichen.

Arbeitgeberverbände, Industrie- und Handelskammern, die tonangebenden Ökonomen, aber auch Merkels CDU usw. treten für die Senkung der Regelsätze des Alg II um 25 bis 30% ein, also die Senkung der Unterstützung für Langzeitarbeitslose. Einige wie der Vertreter des Münchener Finanzkapitals Sinn und die Bertelsmann-Stiftung setzen sich schon für die völlige Streichung des Regelsatzes ein.

SPD und CDU sind diesem Druck gefolgt. Indirekte, d.h. sozialdemokratisch sozialverträgliche Methoden der Regelsatzsenkung herrschten dabei vor.

Aus Furcht vor der Empörung der LohnarbeiterInnen.

a) SPD/CDU: Vorerst nur indirekte Senkung des Eckregelsatzes

Der Eckregelsatz hätte 382 Euro betragen müssen, wenn eine Reihe von Bedarfspositionen der unteren Verbrauchergruppen der EVS wie vorher auch zu 100% anerkannt worden wären, z.B. Telefonkosten, Strom usw..

Das zeigt sich auch darin, dass

  • die Weihnachtsbeihilfe (6,17 Euro mtl.) ersatzlos gestrichen wurde,
  • die Kontogebühren nur mit 0,36 Cent mtl. im Regelsatz drin sind, obwohl ein Konto vorausgesetzt wird.
  • Notwendige Gesundheitskosten aus dem Regelsatz vorfinanziert bzw. nicht anerkannt werden.
  • Bewerbungskosten vorfinanziert werden müssen. Wer sich bewirbt, wird bestraft. Dieser verrückte Mechanismus verwirklicht das offizielle Dogma, dass die Arbeitsmotivation steigt, je niedriger der Regelsatz ist.
  • Kosten für Bildung bzw. Weiterbildung nicht im Regelsatz drin sind.
  • Kosten für Verhütungsmittel ebenfalls nicht. Frauen über 20 Jahre, die verhüten, haben einen um 10-15 Euro geringeren Regelsatz als Männer. Wahrscheinlich ein Anreiz, die Geburtenrate zu steigern.
  • Die Kosten für Strom und Gas sind in den letzten Jahren drastisch gestiegen. Der im Regelsatz enthaltene Anteil dagegen ist gesenkt worden.
  • In vielen Kommunen wird die Angemessenheit der Unterkunftskosten so niedrig festgesetzt, dass die nicht anerkannten Beträge aus dem Regelsatz bezahlt werden müssen.
  • Eigenheim- bzw. Eigentumswohnungsbesitzer müssen Tilgungsbeiträge aus ihrem Regelsatz zahlen, da sie nicht als Unterkunftskosten anerkannt werden. Dasgleiche kann mit Reparaturen usw. passieren.

Obwohl der Regelsatz real deutlich gesenkt wurde, müssen jetzt Anschaffungen für Möbel, Haushaltsgeräte und Hausrat und deren Reparaturen aus ihm bezahlt werden.

SPD und CDU (Müntefering und Merkel) gestehen Erwerbslosen so wenig Geld zu, dass in der Regel noch mehr Monat am Ende des Geldes übrig ist als vorher. Sie erwarten aber gewaltige Ansparungen bei Gesundheits- und Bewerbungskosten, bei Kleidung und bei Möbeln.

Folge: " Natürlich kann ich nur noch am Essen sparen - und das tue ich exzesshaft, weil es keine andere Möglichkeit gibt, über die Runden zu kommen ," schreibt jemand im Tacheles-Forum.

Die Regelsätze müssen deutlich erhöht werden. Meiner Meinung nach auf mindestens 500 Euro, um erstens die massiven Kürzungen wettzumachen und darüber hinaus die Lage der Erwerbslosen zu erleichtern. Mit 412 oder 420 Euro wären überwiegend nur die indirekten Kürzungen wettgemacht. Mit 500 Euro wäre berücksichtigt, dass auch die Ernährungsanteile zu niedrig sind und dass das Verbrauchsverhalten von Rentnerinnen nicht die Grundlage für die Bemessung des Regelsatzes sein kann.

Diese Forderung kann auch von Erwerbstätigen akzeptiert werden, wie eine Umfrage zeigt, die wir Mitte 2005 gemacht haben.

* Direkte Senkung der Regelsätze nur für Schulkinder

Eine Erhöhung auf 500 Euro wäre auch notwendig, um die Regelsätze der Kinder zu erhöhen, die ja Prozentsätze des Eckregelsatzes sind. Die Kinderregelsätze sind mit Hartz IV entweder relativ gesenkt wurden, wie bei Kindern unter sieben Jahren, oder absolut wie bei Schulkindern, d.h. bei Kindern zwischen 7 und 17 Jahren.

Über die Gründe dafür wurde so gut wie nicht diskutiert.

Die absolute Regelsatzkürzung für Schulkinder begründete die Bundesregierung so:" Mit der neuen Regelsatzverordnung werden die Leistungen für Familien gerechter verteilt ." (Pressestelle BMGS vom 16.05.2004)

Wieso Gerechtigkeit? " Die neuen Anteile von 60 vom Hundert bzw. 80 vom Hundert des Eckregelsatzes orientieren sich an einer wissenschaftlichen Untersuchung des Statistischen Bundesamtes (Margot Münnich, Thomas Krebs, Ausgaben für Kinder in Deutschland, Berechnungen auf der Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1998, Wirtschaft und Statistik 12/2003, 1080 ff.) ,

wonach 14-jährige und ältere Kinder etwa um ein Drittel höhere Kosten als jüngere Kinder verursachen. Mit der Neuregelung wird ... der nach dem bisherigen Regelsatzsystem zu große Unterschied in den Leistungen für kleine und große Kinder ... beseitigt ."

(VO zur Durchführung des _ 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, Drucksache 206/04 vom 12.03.2004, 11; Nebenbei: der Aufsatz stammt nicht von 2003, sondern von 2002.)

In der genannten Untersuchung ist aber gar nicht von Altersgruppen über 14 Jahren die Rede, sondern nur von Altersgruppen von 0-6, von 6 bis 12 und von 12 bis 18 Jahren.

Die Berechnungen ergaben nicht, dass Kinder zwischen 12 und 18 Jahren um ein Drittel höhere Kosten verursachen wie Kinder unter 6 Jahren, sondern dass sie mehr als 50% höhere Kosten verursachen.

Und diese höheren Kosten fallen schon ab dem zwölften Lebensjahr an, nicht erst ab dem 14 ten, wie die Bundesregierung meint.

Die Ausgaben für Kinder der Altersgruppe zwischen 6 und 12 lagen nach den Ergebnissen der Untersuchung um knapp 20% über denen der Altersgruppe unter 6 Jahren. (Münnich, Krebs 2002, 1090)

Vor Hartz IV wurde noch anerkannt, dass Schulkinder mehr brauchen als Säuglinge. SPD und CDU aber haben die Regelsätze für Schulkinder bis 14 Jahren auf das Niveau von Säuglingen abgesenkt.

Die Bundesregierung hat die nominale Erhöhung der Regelsätze für Kinder unter sieben Jahren dadurch kompensiert, dass sie die Regelsätze für Kinder über sieben Jahren unter Vorspiegelung falscher Tatsachen massiv abgesenkt hat. Wie gerecht es doch zugeht.

In den ermittelten Lebenshaltungskosten für Kinder sind aber die Ausgaben für Bildung, d.h. für die Schule gar nicht enthalten. (Münnich, Krebs 2002, 1080). Die Unterschiede zwischen Kindern unter 6 und Kinder über 6 Jahren sind also noch größer.

Nach einer Umfrage des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter an hessischen Schulen erheben alle Schulen trotz Lehrmittelfreiheit Beiträge zu Lehr- und Lernmitteln. Die durchschnittlichen Ausgaben pro Schulkind und Jahr belaufen sich (Verpflegung und mehrtägige Klassenfahrten abgerechnet) auf 36,50 Euro mtl.. (Informationen Dezember 2005, VAMV LV Hessen, 3-9)

Die Regelsätze der Kinder über sieben Jahren müssten also insgesamt 284 Euro statt 207 bei Kindern zwischen 6 und 12 und 345 Euro bei Schulkindern über 12 Jahren betragen.

Dass die Regelsätze für alle Kinder zu niedrig sind, führt zu weiteren realen Kürzungen des Eckregelsatzes, wenn die Eltern, vor allem die Mütter, das auf Kosten ihres Regelsatzes ausgleichen. Das ist vor allem bei den Schulkosten ganz offensichtlich der Fall, die im Regelsatz keinerlei Berücksichtigung finden.

Familienministerin von der Leyen erklärte bei der ersten Lesung des 12. Kinder- und Jugendberichts im Bundestag:" Für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft gibt es keine wichtigere Aufgabe als die zugewandte, verlässliche und kompetente Unterstützung aller Kinder, die in diese Gesellschaft hineinwachsen ." (www.bmsfj.de/root,did=72370.html) Sie hat ein Bündnis für Erziehung ins Leben gerufen, mit dem Werte wie Verlässlichkeit, Hilfsbereitschaft usw. an Eltern und Kinder vermitteln werden sollen.

Wieso Hilfsbereitschaft für alle Kinder , wenn den Schulkindern der Erwerbslosen die Unterstützung zusammengestrichen wird. Wieso Verlässlichkeit, wenn man sich auf Untersuchungen beruft, die das Gegenteil von dem besagen, was man tut. Die Kinder von erwerbslosen und arbeitenden Alg II-Beziehern werden zu niedrigeren Kosten abgeschrieben. Das als Hilfsbereitschaft zu verkaufen, müsste eigentlich zu einem Bekenntnis zu den Werten der Verlogenheit, Skrupellosigkeit und Unzuverlässigkeit führen.

Warum Senkung der Regelsätze für Schulkinder?

Der hessische Ministerpräsident Koch: " Derzeit nutzten Arbeitslose die Familie faktisch als Schutzschild gegen Leistungskürzungen, sagte Koch. Eine vierköpfige Familie könne derzeit einschließlich Wohngeld bis zu 1.900 Euro netto im Monat bekommen. Gekürzt werden könnten aber nur die 345 Euro für den Familienvater, zunächst nur um 30%. Das maximale Kürzungsrisiko betrage meist rund 200 Euro. 'Das wird in der Regel kaum jemanden dazu bewegen, 40 Stunden die Woche zu arbeiten,' kritisierte der Ministerpräsident ." (SPIEGEL ONLINE 2.2.2006)

Es geht natürlich nicht um Sanktionen, sondern um die Leistungshöhe von 1.900 Euro für eine vierköpfige Familie, die angeblich die Faulheit erzwingt.

Wenn also die Regelsätze der Kinder ebenso wie die des "Familienvaters" deutlich gesenkt werden könnten, soll das angeblich der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit dienen, d.h. der Förderung von Armutslöhnen, die durch Alg II ergänzt werden.

In diesem Sinne hat die große Koalition aus SPD und CDU wenigstens schon mal die Regelsätze für Schulkinder gesenkt, wenn sie sich schon an die direkte Senkung des Eckregelsatzes nicht herangetraut hat.

Wir müssen mehr Druck auf die Erhöhung des Eckregelsatzes ausüben. Die DGB-Gewerkschaften machen es nicht. Sie akzeptieren damit die massiven Kürzungen bei Arbeitslosen und letztlich auch den dadurch ausgeübten Druck auf die Löhne. Von Gewerkschaftern müssen mehr Initiativen für eine deutliche Erhöhung ausgehen. Hier muss sich etwas ändern.

Exkurs zum Kindergeld

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände trat schon 2001 dafür ein, das Kindergeld bedingungslos auf das Sozialhilfeniveau anzuheben. Damit würden Kinder faktisch aus Sozialhilfe/ Alg II herausgenommen. (BDA-Presseinformationen PI 85/01 vom 19.12.2001) Die CDU bzw. die Grünen treten ebenfalls dafür ein. Wenn die Unterhaltungskosten von Kindern aus Steuermitteln bezahlt werden, können die Löhne entsprechend sinken. Die Bereitschaft, für niedrige Löhne zu arbeiten, auch wenn man es sich wegen seiner Kinder eigentlich nicht erlauben könnte, steigt. Das Kapital hätte die Kosten für den Nachwuchs der Arbeitskräfte vollständig vergesellschaftet, damit seinen Porofite steigen.

Direkte und indirekte Senkung der Regelsätze von Jugendlichen - Reaktion auf steigende Jugendarbeitslosigkeit

Es gab bei den Regelsätzen nur eine einzige reale Verbesserung gegenüber dem früheren Zustand. Das war die Erhöhung des Regelsatzes für über 18-jährige, die im Haushalt der Eltern wohnen, von 276 auf 345 Euro. Aber genau das wurde gerade wieder abgeschafft, eben weil es eine wirkliche Verbesserung war.

SPD und CDU haben jetzt beschlossen, dass Eltern für Jugendliche unter 25 Jahren, die in ihrem Haushalt leben, ab 1.7.2006 wie gesteigert Unterhaltspflichtige behandelt werden. Sie bilden dann eine "Bedarfsgemeinschaft", in der die Eltern ihr gesamtes Einkommen und Vermögen oberhalb des Alg II-Niveaus für ihre 18 bis 25 jährigen Kinder einsetzen müssen, so als wären sie noch minderjährig.

Damit setzt sich die Bundesregierung mit einem Gesetz über ein anderes Gesetz hinweg, das Bürgerliche Gesetzbuch. Dieses sieht im Verhältnis zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern eine geringere Unterhaltsverpflichtung vor als gegenüber minderjährigen.

Die neue Regelung führt ebenfalls zu einer indirekten Regelsatzkürzung. Dann nämlich, wenn Eltern in der Lage sind, den Regelsatz für ihre Kinder aus ihrem eigenen Einkommen aufzubringen. Um Jugendliche daran zu hindern, sich dem durch einen Auszug entziehen, muss der Auszug jetzt vom Arbeitsamt genehmigt werden. Nicht genehmigte Auszüge führen zu deutlichen Leistungskürzungen.

Die wertebewußte christlich-soziale Bundesregierung vermittelt im Rahmen ihres Bündnisses für Erziehung Jugendlichen den Wert, dass man Gesetze brechen soll, wenn man es kann und finanzielle Vorteile davon hat.

Sie begründete die Notwendigkeit der Änderungen mit angeblichem Missbrauch des SGB II durch Jugendliche. Verlässlich lügen ist ein weiterer Wert, der Kindern und Jugendlichen vermittelt wird.

Die Ursache für die gestiegene Jugendarbeitslosigkeit ist nicht der Missbrauch von Leistungen. Wenn das Kapital insgesamt weniger Vollzeitkräfte braucht, braucht es auch weniger Ersatzkräfte. Angesichts einer hohen Arbeitslosigkeit ist es zudem einfach billiger, ausgebildete Arbeitskräfte einzukaufen als selber auszubilden. Jugendliche stehen deshalb mehr und mehr vor der Tür. Man braucht nicht mehr so viele. Sie werden zu geringeren Kosten abgeschrieben und/oder als Lohndrücker benutzt. Das ist der wirkliche Zweck der Kürzungen bei Jugendlichen.

2001 gab es 446.000 arbeitslose Jugendliche unter 25 Jahren. 2005 waren es 612.000. Im ersten Jahr nach der Einführung von Hartz IV stieg ihre Zahl um 108.000.

Die sinkende Ausbildungsbereitschaft des Kapitals zeigt sich daran, dass

  • 2005 nur noch 58% der Schulabgänger in Berufsausbildung einmündeten. Der niedrigste je erreichte Wert. Anfang der 90er Jahre waren es noch über 70%.
  • nur noch 23,4% der Betriebe ausbilden, ein neuer Tiefpunkt.
  • von denen, die sich für eine Ausbildung bewerben, 2005 nach Angaben des DGB nur 48,7% eine Ausbildungsstelle bekamen. Der Rest besuchte Schulen, Berufsvorbereitende Maßnahmen, verschwand in BW, ZDL oder FSJ oder nahm Arbeit an. 5,4% wurden als nicht vermittelt gezählt. 46% parkten irgendwoanders.

Als Bewerber werden aber nur die gezählt, die sich bei der AA als lehrstellensuchend melden. Das sind nur rd. 80% der Bewerber. Man wird nur ein Jahr als Bewerber gerechnet. Altbewerber werden nicht als Bewerber gezählt. Als ausbildungssuchend gilt auch nur der, der als ausbildungsfähig eingestuft wird. Das sind die 400.000 Jugendlichen in Berufsvorbereitenden Maßnahmen nicht.

Das Problem wird auf raffinierte Weise statistisch schön geredet, besteht aber dennoch.

So kann denn die Bertelsmann-Stiftung stolz verkünden, dass die Jugendarbeitslosigkeit international vergleichsweise gering sei. (FR 21.4.2006)

Es gilt also die Kosten für die Jugendlichen zu senken, die man nicht mehr braucht. Andererseits dient die Regelsatzsenkung dazu, die Bereitschaft zu erhöhen, für niedrigere Ausbildungsvergütungen bzw. niedrigere Löhne zu arbeiten. Der Präsident des DIHK hat gefordert, die Ausbildungsvergütungen um ein Drittel zu senken, damit mehr Ausbildungsstellen angeboten werden.

Gesetzlicher Mindestlohn

Erfreulicherweise ist der gesetzliche Mindestlohn zum Thema geworden. Er ist durch die objektive Situation auf die Tagesordnung gesetzt worden, weil immer mehr arbeitende Menschen verarmen, aber auch aufgrund des Druck aus Gewerkschaften und sozialer Bewegung.

Beim Mindestlohn gibt es erfreulicherweise eine Kampagne von ver.di, in der LohnarbeiterInnen zu Wort kommen, die Armutslöhne beziehen. Im Bundestag sind Abgeordnete der Linkspartei vertreten, die sich für einen gesetzlichen Mindestlohn einsetzen.

Auf die Forderungen nach einem gesetzlichen Mindestlohn müssen sich mehr Kräfte konzentrieren.

Aber: Die Forderung von ver.di nach einem Mindestlohn von 7.50 Euro ist inakzeptabel.

Bei einer 37,5 Stundenwoche ergibt sich ein Monatslohn von 1.250 Euro. Das bedeutet für einen Alleinstehenden 911 Euro netto bei einem Krankenversicherungsbeitrag von 13,8%.

Dieser Nettolohn würde im Durchschnitt bei Alleinstehenden einen Alg II-Anspruch auslösen. Das durchschnittliche Alg II-Niveau eines Alleinstehenden liegt bei 650 Euro. (345 Euro plus 305 Euro Warmmiete). Bei einem Bruttolohn von 1.250 Euro wäre der pauschalierte Freibetrag 280 Euro. Wenn die Werbungskosten 100 Euro übersteigen, entsprechend mehr.

Der Alg II-Bedarf läge also bei 650 plus 280, d.h. bei 930 Euro. Ver.di fordert faktisch einen Kombilohn als Mindestlohn. Der Mindestlohn muss über dem durchschnittlichen Alg II-Niveau liegen, nicht darunter.

Es wäre sowieso zu fordern, dass für Erwerbslose jede Arbeit unzumutbar ist, mit der man nicht unabhängig von Alg II leben kann. Alles andere würde bedeuten, für die Ausdehnung von Kombilöhnen einzutreten.

Der Mindestlohn muss aber auch über der Pfändungsfreigrenze von 990 Euro liegen. Es kann nicht sein, dass ein Mindestlohn auch noch gepfändet werden darf, wie es ver.di vorsieht.

Bei einer 38,5 Stundenwoche liegen alle Stundenlöhne unter 8,60 Euro oder unter 1.450 Euro brutto im Monat unterhalb der Pfändungsfreigrenze. Das trifft auch auf die 8 Euro brutto zu, die von der Linkspartei/WASG gefordert werden.

Der Frankfurter Appell tritt für mindestens zehn Euro brutto ein. Das entspricht der Forderung von ver.di von 2000, fortgeschrieben mit der Inflationsrate. Ver.di hat 2000 noch 3000 DM brutto verlangt. Das waren 1.534 EUR brutto. Seither sind 5 Jahre vergangen. Hochgerechnet mit 8% Inflationsrate, kommen wir auf heute 1.656 EUR oder eben zehn EUR brutto bei einer 38,5 Stundenwoche. Die Gewerkschaft NGG hält an einem auf 1.500 Euro brutto umgerechneten und abgerundeten Mindestlohn fest. Während bei Tariflohnforderungen üblicherweise wenigstens ein Inflationsausgleich gefordert wird plus der Beteiligung am Produktivitätszuwachs, scheint das für NGG beim gesetzlichen Mindestlohn nicht zu gelten. Im Baugewerbe jedenfalls gilt ein Mindestlohn von zehn Euro brutto für ungelernte Kräfte. Warum soll es anderswo anders sein?

ver.di hat die eigene Mindestlohnforderung seit 2000 um 25% auf 1.250 Euro brutto gekürzt. Die Linkspartei/WASG hat mit ihren 8 Euro brutto die alte Forderung um 20% auf 1.336 Euro gekürzt.

Die Mindestlohnforderung dermaßen abzusenken, steht in einem krassen Missverhältniss dazu, dass man sich so massiv über die zu niedrige Binnennachfrage beklagt. Die ver.di-Führung, die ihre eigene Mindestlohnforderung so zusammengestrichen hat, nimmt das offensichtlich selber gar nicht so ernst.

Es gibt für sie stärkere Beweggründe als die Binnennachfrage. Maßstab ist eher die internationale Konkurrenzfähigkeit. Denn 7,50 Euro ist ein Wettbewerbsvorteil gegenüber Frankreich und Großbritannien, die beide höhere Mindestlöhne aufweisen.

7,50 Euro sind ein Zugeständnis an das Kapital und ein Zugeständnis auch an die SPD, um diese Hartz IV-Partei zu gewinnen. Bekanntlich sind aber gewerkschaftliche Lohnforderungen noch nie eins zu eins umgesetzt worden. Wer 7,50 Euro verlangt, kann möglicherweise mit sechs Euro abgespeist werden, wenn das Kapital und seine Parteien einen gesetzlichen Mindestlohn nicht mehr verhindern können.

Wer an den früheren Forderungen von der.di, NGG und IG BAU festhalten will, der muss heute für zehn Euro brutto eintreten.

Diejenigen, die den Frankfurter Appell noch verteidigen, sollten eine möglichst starke Kampagne für zehn Euro starten. Das wäre besser als darüber zu debattieren, ob man dafür oder dagegen ist, sich Kapitalverwertung mit oder ohne freiwillig statt gezwungenermaßen abgeleistete Lohnarbeit vorzustellen oder nicht.

Aber wohlgemerkt: in diesen zehn Euro ist kein Betrag für die Unterhaltungskosten auch nur eines einzigen Kindes enthalten, also des Ersatzes der Arbeitskräfte.

Ein solcher Lohn erkennt nicht einmal an, dass Menschen sich als biologische Lebewesen fortpflanzen müssen wie andere Tierarten auch. Vom Kindergeld allein kann ein Kind auch nicht leben.

Dennoch erscheinen zehn Euro erscheinen als hoch, weil jeder 6. Vollzeitbeschäftigte in Westdeutschland mit seinem Lohn darunter liegt.

Schon Adam Smith wußte: " Der Mensch ist darauf angewiesen, von seiner Arbeit zu leben, und sein Lohn muss mindestens so hoch sein, dass er davon existieren kann. Meistens muss er sogar noch höher sein, da es dem Arbeiter sonst nicht möglich wäre, eine Familie zu gründen; seine Schicht würde dann mit der ersten Generation aussterben ." (Der Wohlstand der Nationen, London 1776, dt. Ausgabe München 1993, 59)

Wie kann man angesichts dieser Umstände schon eine Forderung von weniger als zehn Euro brutto als Verwirklichung eines menschenwürdigen Lohns bzw. als Schritt zur sozialen Gerechtigkeit hinstellen? Auch zehn Euro haben mit Gerechtigkeit überhaupt nichts zu tun, denn nach wie vor, würde sich das Kapital an unbezahlter Arbeit bereichern, nur eben etwas weniger.

Zehn Euro sind ein nur schwer zu vertretender Kompromiss, der ausschließlich der gegenwärtigen Schwäche der Arbeiterbewegung und der erdrückenden Partnerschaft der Gewerkschaftsführungen mit dem Kapital geschuldet ist.

Wenn man sich aber mit dem Frankfurter Appell auf mindestens zehn Euro geeinigt hat, darf die Forderung nach einem höheren Mindesteinkommen für Erwerbslose diese Mindestlohnforderung nicht übersteigen. Der Runde Tisch der Erwerbslosen- und Sozialhilfeorganisation akzeptiert zehn Euro Mindestlohn und fordert gleichzeitig 850 Euro plus Miete für Erwerbslose. Das ergibt etwa 1.200 Euro netto. Er fordert damit, dass das Grundeinkommen für Erwerbslose höher sein soll als der gesetzliche Mindestlohn.

Denn 10 Euro brutto die Stunde machen nur etwa 1.100 Euro netto aus. Wenn man ein Bündnis zwischen erwerbslosen und erwerbstätigen LohnarbeiterInnen anstrebt, muss ein Grundeinkommen für Erwerbslose darunter liegen. Es müsste unserer Meinung nach bei mindestens 500 Euro Regelsatz (statt jetzt 345 Euro) plus Miete auf der Grundlage des jeweiligen Mietspiegels liegen. Das würde etwa auf 850-900 Euro als Gesamtunterstützung für alleinstehende Erwerbslose hinauslaufen.

Ein Grundeinkommen für Erwerbslose von rd. 1.200 Euro netto würde einem Bruttolohn von 1.900 Euro entsprechen oder 11,40 Euro/Std. bei einer 38,5 Stundenwoche. Der gesetzliche Mindestlohn muss aber deutlich höher liegen als das Unterstützungsniveau für Erwerbslose, nicht umgekehrt. Er müsste in diesem Fall bei 14-15 Euro brutto liegen. Der Mindestlohn wäre damit identisch mit dem gegenwärtigen Durchschnittslohn von Arbeitern. Auf diese Weise wird die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn faktisch unbrauchbar gemacht bzw. indirekt sogar abgelehnt.

Dass die Bundesregierung die Pläne des Kapitals nur zögernd umsetzt und sogar über gesetzliche Mindestlöhne redet, ist in erster Linie Ergebnis des Widerstands, den es gibt bzw. der erwartet wird, wenn die Pläne umstandslos umgesetzt würden. Die LohnarbeiterInnen, seien sie beschäftigt oder arbeitslos, sollten ihre Kraft nicht unterschätzen. Wie das Beispiel Frankreich zeigt, ist es möglich, ein ganzes Gesetz zu Fall zu bringen, wenn Millionen energisch auf die Straße gehen.

Wettbewerbsfähigkeit stärken

Wenn Forderungen wie die nach einem gesetzlichen Mindestlohn von mindestens zehn Euro und die Erhöhung des Eckregelsatzes auf mindestens 500 Euro aufgestellt werden, tönt einem der Chor des Kapitals entgegen, das würde die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands schwächen.

Und das stimmt auch.

Bezogen auf ein Land als Standort bedeutet Wettbewerbsfähigkeit:

" Die Rentabilität des eingesetzten Kapitals bestimmt ... maßgeblich ... die Standortqualität eines Landes ." (Deutsche Bundesbank, Monatsbericht 10/2000, 31)

Stärkung oder Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit bedeutet also in erster Linie Steigerung oder Senkung der Rendite.

Wenn selbst bei einem Mindestlohn von 7,50 Euro brutto hunderttausende Arbeitskräfte mehr Löhne bekommen, sinkt die Rendite. Wenn der Druck auf Lohnsenkungen über die Erhöhung des Regelsatzes abgemildert wird, steht das ebenfalls der Steigerung der Renditen entgegen. Und wenn die staatlichen Ausgaben für Erwerbslose steigen, wird es schwieriger, die Gewinnsteuern im geplanten Ausmaß zu senken, um die Nettorenditen zu erhöhen.

Wie hoch muss die Rendite sein, damit Wettbewerbsfähigkeit besteht? Das weiß niemand genau.

Die Wettbewerbsfähigkeit ist auf jeden Fall immer dann nicht ausreichend, wenn die Renditen national und international unterdurchschnittlich sind.

Da aber niemand einen Überblick über die Renditen insgesamt hat, weil sie auf Privateigentümer entfallen, orientiert man sich zunächst an der Konkurrenz. Wenn Porsche 13% Rendite hat und Daimler nur 4%, gilt Daimler nicht wettbewerbsfähig. Wenn aber Toyota noch höhere Renditen aufweist, ebenfalls nicht.

Das Kapital will zumindest eine durchschnittliche Rendite erreichen.

Unterdurchschnittlich bedeutet eigentlich schon "unrentabel". " Das führt immer wieder zu der schwierigen Lage, das Mitarbeiter auch bei ordentlicher Gewinnsituation von Unternehmen bei Umstrukturierungen entlassen werden ." (BDI-Präsident Thumann FTD 04.04.2005) Eben deswegen, weil die Rendite im Verhältnis zur Renditen von Konkurrenten zu niedrig ist.

Letztlich kann das Kapital aber mit keinem Stand der Wettbewerbsfähigkeit, d.h. mit keiner Rendite zufrieden sein. Kapital strebt nach einer möglichst überdurchschnittlichen Rendite, insbesondere wenn es nur Geldkapital ist. Wer die höchste Rendite weltweit hat, der hat seine Fähigkeit zum Wettbewerb am besten unter Beweis gestellt. Die Wettbewerbsfähigkeit wäre aber selbst dann zweifellos noch höher, wenn der Abstand der Rendite zur Konkurrenz noch größer würde.

Das Bedürfnis des Kapitals nach Profit ist unstillbar. Die Konkurrenz der Kapitalien untereinander erzwingt das.

Peter Hartz, der Verflossene, immer noch IG Metall-Mitglied: " Wettbewerb heißt heute, auf einem Teppich laufen, der unter einem fortgezogen wird, um gleichzeitig bewegliche Ziele zu treffen. Das Gefühl der Sicherheit kennt nur noch derjenige, der schneller läuft, als der Boden entgleitet ." (Hartz, Jobrevolution, Frankfurt 2001, 121)

Das Bedürfnis des Kapitals nach Rendite, nach seiner Vermehrung ist immer so groß wie das Bedürfnis des Verdurstenden nach Wasser.

LohnarbeiterInnen haben zunächst einmal kein Interesse daran, dass die Profitrate z.B. von 10% auf 15% steigt und sie zu diesem Zweck mit Lohnsenkungen oder mit Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich einverstanden sind.

Andererseits ist aber der Begriff Interesse zwiespältig. Denn als Verkäufer der Ware Arbeitskraft haben LohnarbeiterInnen ein gewisses Interesse daran, dass ihre Ware gekauft wird, dass es also den Käufern der Ware so gut geht, dass sie ihre Arbeitskraft kaufen. Sie sind deshalb auch zu Zugeständnissen bereit, um ihre Arbeitskraft weiter verkaufen zu können, wenn sie sich dadurch immer noch besser stehen, als wenn sie sie nicht verkaufen können.

Wenn sie ihr Interesse verfolgen, einigermaßen anständig zu leben, müssen sie Forderungen aufstellen und Kämpfe dafür organisieren. Alle Versuche der LohnarbeiterInnen, die Verschlechterung ihrer Lage aufzuhalten oder abzumildern, senken jedoch, wenn sie erfolgreich sind, die Profitraten.

Wenn aber die Kapitalverwertung schwieriger wird, provoziert das als Antwort stärkere Produktivitätssteigerungen, Entlassungen, Produktionsverlagerungen, also neue Versuche, die Renditen wieder anzuheben, in dem aus weniger Arbeitskräften mehr herausgeholt wird.

Wenn LohnarbeiterInnen dagegen das Ziel der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, d.h. der Renditen akzeptieren, unterwerfen sie sich dem Heißhunger des Kapitals nach Profit und verlieren jede Selbständigkeit. Denn Zugeständnisse bei Arbeitszeitverlängerung und Lohnsenkungen regen das Kapital nur dazu an, je nach Lage weitere Zugeständnisse zu verlangen.

Wenn die LohnarbeiterInnen die Wettbewerbsfähigkeit des Kapitals stärken, machen sie sich auf Dauer selbst immer mehr überflüssig und tragen noch eher dazu bei, ihr Lohnniveau unter die Reproduktionskosten zu senken, als wenn sie sich wehren und Zugeständnisse erkämpfen würden.

Auf dem Boden der Kapitalverwertung, der Lohnarbeit, der Produktion für den Markt bzw. den Weltmarkt gibt es deshalb auf Dauer keine befriedigende Perspektive für die arbeitenden Menschen. Die genannte Zwickmühle ist auf diesem Boden nicht auflösbar.

Sie stellt auf Dauer das gesamte System der Kapitalverwertung und der Lohnarbeit in Frage. Das muss ebenfalls mehr zum Thema gemacht werden.

Der Heißhunger des Kapitals nach Rendite ist für viele LohnarbeiterInnen unverständlich, weil sie selbst eben mit einem gewissen Auskommen und sicheren Arbeitsplätzen schon zufrieden wären.

Viele appellieren deshalb an das Kapital, sich doch mit einem Gewinn als solchem zufrieden zu geben. Sie hoffen darüber so etwas wie "Gerechtigkeit" und eine "soziale Balance" in das Verhältnis zwischen Lohnarbeit und Kapital einzubauen. Diese Hoffnung ist illusionär. Je schwächer sie wird, desto besser.

Wenn aber diejenigen, die das Kapital mit ihrer Arbeit erst vermehren, in wachsendem Maße unter seiner Regie nicht mehr leben können, werden sich nicht damit abfinden.

Sie werden nicht endlose Jahre ertragen, dass ihre Existenzbedingungen bei wachsendem gesellschaftlichen Reichtum trotz aller Abwehrkämpfe immer schlechter und unsicherer werden.

Können ihre berechtigten Forderungen heute oder morgen nicht durchgesetzt werden, zeigt es nicht, dass sie unrealistisch waren, sondern dass befriedigende Lebensverhältnisse trotz steigenden Reichtums und riesiger Produktivität unter kapitalistischen Bedingungen nicht möglich sind.


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