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Updated: 18.12.2012 15:51
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Grundeinkommen. Oder: Ertrinken im Abwaschwasser?

Eine Replik auf Michael Schlecht: "Bedingungsloses Grundeinkommen", in: Sozialismus 3/2006, 21-23.

Jens-Eberhard Jahn *)

Es ist ja fast schon tragisch zu nennen, welche WG-Erfahrungen Michael Schlecht sammeln musste und seine Kindergartenerfahrungen - "Pickel und Ausschlag am Po"[1] - klingen kaum minder deprimierend. Seltsam, dass die meisten Menschen, die ich kenne, Geschirr abwaschen, weil sie einfach wieder sauberes Geschirr brauchen oder damit die Küche nicht wie ein Saustall aussieht. Arbeitszwang, Druck oder die Erwerbstätigkeit als familiärer (oder WG-)Tellerwäscher stehen, gelinde gesagt, als Motivation da eher im Hintergrund.

Dreh- und Angelpunkt bei der Diskussion ums Bedingungslose Grundeinkommen ist vielleicht in der Tat nicht die Ökonomie, sondern das zugrunde liegende Menschenbild. Auch nach Engels erfolgte die Menschwerdung schließlich nicht durch die Erwerbsarbeit, sondern durch die Fähigkeit zum tätigen Gestalten der Umwelt. Schlecht schreibt daher für heutige Zeiten völlig zutreffend: "Ehrenamtliche Tätigkeit, Bürgerarbeit kann sinnvoll und befriedigend sein."[2] Sogar seine Zuspitzung, die gesellschaftliche Eingebundenheit und Anerkennung von bezahlter Arbeit könne sie jedoch nicht ersetzen, trifft auf die derzeitige gesellschaftliche Situation mit Abstrichen zu. Ist es aber nicht auch ein Ziel der humanistischen Linken, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, und ihm Wertschätzung und Existenzsicherung unabhängig vom Marktwert seiner Arbeitskraft zuzubilligen?

Sicher stimmt es auch, dass etliche Hartz-IV-Empfänger froh seien, einen "Ein-Euro-Job" zu erhalten, um "raus aus der Bude"[3] zu kommen. Die meisten Hartz-IV-Empfänger, mit denen ich zu tun habe, verlassen ihre Behausung allerdings auch ohne diesen Anreiz; für sie sind - so traurig dies ist - die rund 150 Euro Mehraufwandsentschädigung eine willkommene Aufrundung des keineswegs existenzsichernden ALG II. Zynisch, wer unter linkem Deckmantel im Nachhinein die so genannten Hartz-Reformen als Geschütz gegen ein Grundeinkommen auffährt.

Wir wissen, wer in unserer Gesellschaft die Macht über die (meisten) Medien besitzt. Wir wissen, wie schwierig es für Linke ist, Themen in der öffentlichen Meinung zu besetzen. Hier hat es ein Götz Werner natürlich leichter. Damit ist dann zwar das Bedingungslose Grundeinkommen in den Medien, aber ein anderes, als Linke es wollen.

Worin bestehen die wesentlichen Unterschiede zwischen neoliberal und neokonservativ geprägten und linken Grundeinkommensmodellen?

  1. Linke fordern ein Bedingungsloses Grundeinkommen für alle mit individuellem Anspruch: Der Bezug des Grundeinkommens soll nicht stigmatisierend wirken, daher ist es nicht nur für "Bedürftige" gedacht.
  2. Linke fordern ein Bedingungsloses Grundkommen in existenzsichernder Höhe, also nicht - wie in vielen bürgerlichen Konzepten - etwa auf Hartz-IV-Höhe. Die BAG Grundeinkommen in und bei der Linkspartei.PDS orientiert sich hier z.B. an der EU-Armutsgrenze und fordert in Anlehnung an das diesbezügliche Modell der Katholischen Arbeitnehmerbewegung[4] (KAB) ein Grundeinkommen in Höhe von 950,00 Euro für jedeN ErwachseneN.
  3. Linke betrachten das Bedingungslose Grundeinkommen als ein transformatorisches Element einer wesentlich umfassenderen sozialökologischen Umgestaltung der Gesellschaft. Natürlich brauchen wir einen Mindestlohn, nötig ist ebenfalls eine drastische Arbeitszeitverkürzung zwecks Erhalts vorhandener Arbeitsplätze trotz steigender Produktivität für all diejenigen, die arbeiten wollen. Notwendig ist selbstverständlich auch etwas wie ein Öffentlicher Beschäftigungssektor, um in sozialen und kulturellen Bereichen dringend notwendige Angebote professionell bereithalten zu können.

Die grundsätzliche Frage kann also nicht lauten: Wie bringe ich Menschen in Arbeit? Sondern: Wie organisiere ich die Gesellschaft so, dass notwendige Arbeiten getan werden und alle Mitglieder der Gesellschaft menschenwürdig leben können. Schlecht argumentiert nun, belastende Arbeiten würden nicht mehr (in ausreichenden Maße) verrichtet werden, gäbe es ein Grundeinkommen. Selbst wenn ich durchaus die Skepsis teile, ob denn jemand "gern" auf der Müllkippe arbeitet, mache ich mir keine diesbezüglichen Sorgen: Schließlich handelt es sich - wie der Name eigentlich sagt - nur um ein Grundeinkommen , und es wird sicher nicht wenige Menschen geben, denen die, beispielsweise, 950 Euro im Monat nicht reichen, die einfach so bescheiden nicht leben wollen. Und - das muss ich einem Gewerkschaftssekretär wie Michael Schlecht sicher nicht erklären - sollte es dann trotzdem einen Müllmann-Mangel geben, dann wird nur das nächstliegende geschehen: Die Löhne der Müllmänner werden steigen (die Abfallgebühren auch). Steigende Löhne für belastende Arbeiten sind sicher im Interesse der Arbeitenden, der Gewerkschaften, erhöhen die Kaufkraft und folgen unter Linken durchaus verbreiteten Gerechtigkeitsvorstellungen. Dagegen dürfte also wenig zu sagen sein.

Richtig ist ohne Zweifel auch, dass sozialistische Politik immer zum Ziel hatte, "die Produktionsverhältnisse zu gestalten und auch umzugestalten".[5] Dies wird mit der Forderung nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen keineswegs aufgegeben! Demokratisierung der Wirtschaft und ein Grundeinkommen vertragen sich schon deshalb gut, da die Erwerbstätigen durch die Garantie ihres Lebensunterhalts qua Grundeinkommen eben weniger leicht erpressbar wären und voraussichtlich erfolgreicher als heute für Mitbestimmung und bessere Arbeitsbedingungen kämpfen könnten. Dies gesteht Schlecht ja letztlich auch ein[6] , umso unverständlicher kommt seine Polemik daher, ein Grundeinkommen würde die Gesellschaft nicht entschieden genug verändern.

Denn auch die gesellschaftliche Macht des Kapitals wäre nicht mehr so dominant: Jede, noch die dümmste und ökologisch wie friedenspolitisch widersinnigste, politische Entscheidung lässt sich heute durch den Erhalt oder die Schaffung von Arbeitsplätzen rechtfertigen. Die Einführung eines Grundeinkommens würde dem entgegen wirken. Dies könnte u.U. eine Dynamik freisetzen, als deren Ergebnis auch die Eigentumsfrage kein Tabu mehr in der öffentlichen Debatte sein müsste.

Ein Bedingungsloses Grundeinkommen würde Energien freisetzen, sich im Gemeinwesen zu engagieren. Es würde sich auch - da Viele vom Druck, eine wie auch immer geartete Arbeit zu finden, und von Existenzängsten weitgehend befreit würden - positiv auf den Gesundheitszustand weiter Bevölkerungskreise auswirken. Es wäre auch eine Legitimationsbasis für eine sich sozialökologisch transformierende Gesellschaft, eine Gesellschaft eben, die Allen voraussetzungslos ein existenzsicherndes Einkommen ermöglicht.[7]

Das Sein bestimmt das Bewusstsein, nehmen wir an. Die teilweise Entkopplung von Erwerbsarbeit und Einkommen würde die Religion der Arbeit , notwendiges Element des kapitalistischen Überbaus, der auch viele Gewerkschafter huldigen, sicher nicht auslöschen, doch zumindest vom Altar stoßen. Nicht weil der Mensch arbeitet oder aufgrund seines u.a. durch Arbeit erworbene Sozialprestiges, sondern weil der Mensch ein Mensch ist, braucht er was zu essen. Die Linke sollte den Mut finden, für das Projekt eines Bedingungslosen Grundeinkommen zu streiten, denn in der Tat: "Linke Politik darf nicht den Anspruch einer gerechten und besseren Gestaltung unserer gesamten Lebenszusammenhänge aufgeben."[8] (Schlecht, 23) Der Kampf um ein Bedingungsloses Grundeinkommen trägt diesem Anspruch Rechnung.

Schlechts Vorwurf schließlich, das Grundeinkommen leiste einen Beitrag zur Stabilisierung neoliberaler Hegemonie entbehrt jeder soliden Grundlage und trifft wohl eher auf keynesianische Kapitalismusverbesserungsstrategien gewerkschaftlicher und sozialdemokratischer Provenienz zu. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen indes böte soziale Absicherung im Kapitalismus und weist weit über diesen hinaus.

Jens-Eberhard Jahn, Sprachwissenschaftler, Kreisrat in Freiberg, tätig u.a. im netzwerk grundeinkommen. Er ist im Sprecherrat der BAG ChristInnen in und bei der Linkspartei.PDS und geht einer Erwerbsarbeit als Persönlicher Mitarbeiter einer Landtagsabgeordneten nach. Veröffentlichungen zum Thema, u.a. 2003: Mühe und Muße. Grundsicherung, Grundeinkommen, sozialökologischer Umbau der Gesellschaft . Leipzig: Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Anmerkungen:

1) M. Schlecht (2006), "Bedingungsloses Grundeinkommen", in: Sozialismus 3/2006, 21-23. 22.

2) M. Schlecht (2006), 22.

3) M. Schlecht (2006), 22.

4) Ziel der KAB ist eine "Tätigkeitsgesellschaft". Hier liegen Katholische Soziallehre und André Gorz' neomarxistischen Ideen nahe beeinander.

5) M. Schlecht (2006), 22.

6) M. Schlecht (2006), 21.

7) Überlegungen bezüglich eines weltweiten Grundeinkommens, die im Rahmen des BIEN auch intensiv diskutiert werden, sind dem Autor durchaus bekannt. Deren Thematisierung hier würde den Rahmen dieses Artikels jedoch sprengen; davon deshalb andermal.

8) M. Schlecht (2006), 23.


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