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Updated: 18.12.2012 15:51
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Krieg ist keine reine Staatsaffäre mehr

Interview über die Konjunktur privater Militärfirmen

Dr. Peter W. Singer ist Leiter der "Verteidigungsinitiative 21. Jahrhundert" am Brookings Institut, einer US-amerikanischen Denkfabrik mit Sitz in Washington (D.C.). In seinem jetzt ins Deutsche übersetzten Buch "Die Kriegs-AGs" hat er sich mit privaten Militärfirmen (Privat Military Firms, PMF) und dem Outsourcing militärischer Dienstleistungen beschäftigt.

ak: "Der Krieg gegen den Terrorismus ist ein Vollbeschäftigungsprogramm für diese Jungs", sagte der Pentagon-Beamte James Des Roches über die Auswirkungen des 11. September. Von wem sprach er?

Peter W. Singer: Von privaten Militärfirmen. Die Reaktionen der Politik auf die Terroranschläge liefen tatsächlich auf eine Art Gesundungskur für die PMF-Branche hinaus. Die Operationen der US-Streitkräfte in Afghanistan involvierten ebenso wie die humanitären Hilfsprogramme der Vereinten Nationen ein hohes Maß an zugekaufter Logistik. Der Kommentar des Beamten ist bezeichnend.

Mit Hilfe der PMF werden Missionen realisiert, die auf Grund der geringen Zustimmung der Öffentlichkeit sonst so nicht möglich wären. Die Operationen in Bosnien und im Irak konnten nur durchgeführt werden, weil Tausende von privaten Auftragnehmern anstatt mehr US-Truppen angeheuert wurden. PMF haben auf jedem Kontinent außer der Antarktis operiert: Von den Balkankriegen über Sierra Leone bis zum Irak. Dort sind aktuell mehr als 30.000 Personen im privaten Militärsektor beschäftigt.

Was sind die Hauptmerkmale privater Militärfirmen?

PMF liefern die professionellen Dienstleistungen der Kriegsführung. Im Gegensatz zur Waffenherstellung der traditionellen Verteidigungsunternehmen übernehmen sie Aufgaben, die früher Soldaten ausgeführt haben. Von Kampfdiensten über Logistik bis hin zu Maschinenbau und technischen Instandhaltungen.

Die größte PMF ist Halliburton. Allein im Irak haben sie mehr als 18 Milliarden US-Dollar Umsatz gemacht. Die einflussreichste Firma war Executive Outcomes, eine südafrikanische Firma ehemaliger Apartheidssoldaten, die später in Angola und Sierra Leone auf Seiten der Regierung gekämpft haben. Sie florierten als erste in diesem Sektor und haben sich offen zu ihrem Geschäft bekannt, sogar Werbevideos produziert.

Was hat die Entstehung der privaten Militärindustrie begünstigt?

In den frühen 1990er Jahren sind drei Kräfte zusammengekommen und boomen seitdem: Das Ende des Kalten Krieges und neue Bedrohungen, die zu einer Lücke im globalen Sicherheitsmarkt geführt haben. Veränderungen in der Kriegsführung, in der die Trennung zwischen Soldaten und Zivilisten verwischt. Letztlich eine neue politische Ideologie, die eher auf den Markt als den Staat setzt.

Wie viele Firmen existieren weltweit und wer heuert sie an?

Es ist eine sehr globale Industrie mit schätzungsweise über 500 Firmen, wenn die verschiedenen Dienstleistungsunternehmen mit eingerechnet werden. Die Firmen stammen aus aller Herren Länder von den USA und Großbritannien über Fidschi bis nach Nepal und Uganda. Die Auftraggeber sind genauso verschieden. Über 50 staatliche Regierungen haben Firmen angeheuert, von den USA bis zur Schweiz (die südafrikanische Kommandotruppen angeheuert haben, um ihre Botschaft im Irak zu schützen - von denen wurden später einige mit dem versuchten Coup in Äquatorialguinea in Verbindung gebracht). Weil der Markt unreguliert ist, gibt es auch nicht-staatliche Auftraggeber, von multinationalen Firmen über zwei verschiedene Drogenkartelle bis hin zu mehr als 40 humanitären Gruppen. Im Irak haben wir eine Hilfsgruppe getroffen, die ihre eigenen Scharfschützen angeheuert hatte. In was für einer verrückten Welt wir leben.

Sind PMF eine moderne Version des Söldnertums?

In der Geschichte gibt es seit langem Belege von Soldaten, die für Profit gekämpft haben. Bis zu dem ersten nachweislichen Kampf zwischen Menschen in Kadesh. Aber in den letzten 200 Jahren hatte der Staat, was Weber das Monopol über den rechtmäßigen Einsatz von Gewaltmitteln nannte, inne. Also wanderten Söldner auf den Schwarzmarkt ab. Mit den PMF hat sich die Söldnerbranche zu einem gigantischen Unternehmenszweig entwickelt. Söldner galten einmal als Kriminelle und mussten sich verstecken. Im Gegensatz dazu agiert die PMF Industrie direkt vor unseren Augen. Die meisten Firmen betreiben Websites.

Wer kontrolliert diese Industrie?

Niemand, das ist das Problem. Sowohl internationale als auch nationale Gesetze fehlen hier völlig. Die meisten Firmen operieren in "problematischen" Staaten, die ihre Gesetze nicht durchsetzen können, selbst wenn sie es wollten. Im besten Fall muss man sich darauf verlassen, dass die Firma und ihre Auftraggeber sich selbst regulieren. Das ist nicht genug, wie wir in Abu Ghraib (50% der "Verhörspezialisten" waren private Auftragnehmer) und in Äquatorialguinea (Der Wonga Coup) sehen konnten. Ich mache oft den Witz, dass ein Zirkus mit mehr legalen Regularien und Inspektionen konfrontiert wird als jede private Militärfirma. Leider ist das kein Witz sondern die Wahrheit.

Was bedeutet der Zerfall des staatlichen Gewaltmonopols für die aktuelle Kriegsführung?

Krieg ist keine reine Staatsaffäre mehr. Unsere Konzepte und Regeln von damals müssen das 21. Jahrhundert einholen.

Für eine Finanzierbarkeit von Kriegen bedeutet das was?

Jeder Akteur, der eine militärähnliche Macht haben will, kann sie nun bekommen, indem er einfach einen Scheck ausstellt. Wir müssen uns auch damit befassen, dass wir in Kriegsprozessen Firmen unter Vertrag nehmen. Die Soldaten und Einheiten versuchen nun nicht mehr nur zu überleben, sondern währenddessen auch so viel Geld wie möglich zu machen. Es kursieren einige Anschuldigungen von Betrug und Vertragsverletzungen. Die Kontroverse um Firmen wie Halliburton und die mögliche Veruntreuung von Billionen im Irak sind dafür Beispiele.

Sind PMF für ihre Aktionen verklagt worden?

Die Gerichte versuchen das Versäumte aufzuholen. In den USA folgt die Rechtsprechung dem Fallrecht und nicht dem geschriebenen Recht. Mittlerweile liegen einige Klagen vor. Die berühmteste ist die einiger Mütter gegen Blackwater. Ihre Söhne sind in dem berühmten Vorfall in Falluja umgebracht worden. Die Mütter behaupten, dass ihre Söhne sterben mussten, weil die Firma Geld sparen wollte. Gegen die Firma sind noch andere Klagen anhängig, z.B. wegen eines Flugzeugabsturzes in Afghanistan, der eventuell wegen mangelnder Ausrüstung geschah.

Was ist die Konsequenz dieses militärischen Outsourcings?

Ein altes Sprichwort besagt: Der Krieg ist viel zu wichtig, um ihn den Generälen zu überlassen. Das 21. Jahrhundert braucht einen neuen Sinnspruch: Der Krieg ist viel zu wichtig, um ihn der Privatwirtschaft zu überlassen.

Interview und Übersetzung aus dem Englischen: Nina Schulz

Peter W. Singer: Die Kriegs-Ags. Über den Aufstieg der privaten Militärfirmen. Aus dem Englischen von Karl Heinz Siber. Zweitausendeins, Frankfurt/M. 2006, 27,90 Euro

Erschienen in ak - zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 513 / 19.1.2007


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