Anti-Lobbyismus: Politisches Husarenstück. Wie einige Bundestagsabgeordnete die Fleischlobby aufs Kreuz legten, um mit einem neuen Gesetz die Arbeitsbedingungen in der Branche zu verbessern

Dossier

"Fleischindustrie enteignen - Kapitalismus abschaffen!„… Kern der neuen Regelungen ist die sogenannte Generalunternehmerhaftung. Damit muss ein inländischer Fleischverarbeiter für alle Taten seiner Werkvertragspartner und gegebenenfalls auch für deren Subunternehmen einstehen. Verstöße können teuer werden und künftig mit bis zu 50 000 Euro geahndet werden. Der zweite wesentliche Bestandteil der neuen Regelung ist die Pflicht zur präzisen Erfassung der Arbeitszeiten. Unbezahlte Zusatzarbeit ist nämlich die gängigste Methode, um das Mindestlohngesetz auszuhebeln. Beispiel: Offiziell gibt es 8,84 Euro für acht Stunden, die Schicht dauert aber zehn Stunden, die Beschäftigten kommen damit auf ein Stundenentgelt von 7,07 Euro…“ Artikel von Stefan Sauer vom 2.6.2017 bei der Frankfurter Rundschau online externer Link. Warum soll die Generalunternehmerhaftungnicht z.B. auch für das Baugewerbe, siehe „Mall of Shame“ in Berlin, gelten? Zur Regelung für die Fleischindustrie siehe auch die NGG-Reaktion:

  • „Das Gesetz hilft nur wenig“ – Warum das „Gesetz zum Schutz der Arbeitnehmerrechte in der Fleischwirtschaft“ nicht ausreicht New
    Im Interview beantwortet Thomas Bernhard, Referatsleiter für die Fleischwirtschaft, am 20. April 2018 bei der Gewerkschaft NGG externer Link die Frage, ob das neue Gesetz die Situation der Beschäftigten in Schlachthöfen und Fleischverarbeitung entscheidend verbessert hat: „… Die Regelungen des Gesetzes waren notwendig und sinnvoll. Verschärft und konkretisiert wurden mit dem Gesetz allerdings vor allem Kontrollvorschriften des Staates. Der Zoll kontrolliert unter anderem die Einhaltung der Mindestlöhne und die damit verbundene Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen. Das ist auch gut so – allerdings finden diese Kontrollen zu selten statt. Die vor Jahren bei der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns zugesagten 1.900 zusätzlichen Stellen beim Zoll sind bei weitem noch nicht besetzt. (…) Das bedeutet, dass das Gesetz den Beschäftigten nur wenig hilft. Sie müssen ihre Ansprüche auch weiterhin über ein gerichtliches Verfahren von ihrem Arbeitgeber einfordern und vor Gericht beweisen. Hier gibt es auch einige bürokratische Hürden, die für die oft aus dem Ausland stammenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Fleischwirtschaft ohne die Hilfe der NGG oder anderer Organisationen, etwa der Initiative Faire Mobilität, kaum zu nehmen sind. Daneben ist es die große Abhängigkeit vom Arbeitgeber, die sich auch aus mangelnden Sprachkenntnissen ergibt, die es den Betroffenen schwer macht, ihre Rechte durchzusetzen. (…) Die NGG bleibt am Ball und wird weiterhin bei Arbeitgebern und dem Gesetzgeber darauf drängen, endlich für ordentliche und flächendeckend faire Arbeitsbedingungen in der Fleischwirtschaft zu sorgen…“
  • Einschätzung von „Faire Mobilität” zum neuen „Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft”
    Das „Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft“, das am 1. Juni 2017 vom Bundestag verabschiedet wurde, soll Beschäftigte in der Fleischindustrie besser schützen und dubiosen Praktiken mit Werkverträgen und Subunternehmern einen Riegel vorschieben. (…) Das Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft setzt bei bekannten Missständen an. Es betont die Verantwortung sowohl der Auftraggeber (Haftung für Sozialversicherungsbeiträge) als auch der Arbeitgeber (Zuständigkeit für Arbeitsmittel, Schutzkleidung und persönliche Schutzausrüstung) und schützt den Lohnanspruch der Beschäftigten (Aufrechnungsverbot). Darüber hinaus verschärft das Gesetzt die Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeit, um effektive Kontrollen zu ermöglichen. Es stellt damit auch klar, dass ein Verhaltenskodex bzw. eine Selbstverpflichtungserklärung auf freiwilliger Basis für die Fleischwirtschaft nicht ausreichend ist. Grundsätzlich ist dieses Gesetz zu begrüßen. Es ist zu hoffen, dass das Gesetz und insbesondere die Haftung für Sozialversicherungsbeiträge präventive Wirkung entfaltet und die auftraggebenden Unternehmen ihre Nachunternehmer sorgfältiger auswählen. Allerdings muss betont werden, dass dies im Baugewerbe, in dem diese Regelung schon länger gilt, nicht umfänglich gelungen ist...“ Kommentar vom 08.06.2017 von und bei Faire Mobilität externer Link
  • Dazu Claus-Harald Güster, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung Genuss-Gaststätten (NGG): „Gesetz ist richtungsweisend“.
    „… „Mit der Verabschiedung des Gesetzes hat die Politik deutlich gemacht, dass eine freiwillige Selbstverpflichtung zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, die die Fleischwirtschaft vor zwei Jahren abgegeben hat, nicht ausreicht. Freiwillige Selbstverpflichtungen funktionieren eben nur, wenn alle Akteure der Branche sich daran halten. In der Fleischwirtschaft sind wir weit davon entfernt.“ In den vergangenen Jahren habe sich eine Vielzahl von Unternehmern der Fleischwirtschaft gerne mehr oder weniger dubioser Anbieter von Werkverträgen bedient, um die eigenen Kosten zu senken. Nur so sei es auch möglich, ein hochwertiges Lebensmittel wie Fleisch – auf Kosten der Lohn- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten mit Werkverträgen – so billig anzubieten, wie es derzeit bei den Discountern geschieht. (…) Auch wenn die neuen Regelungen noch nicht ausreichen werden, um alle Missstände zu beseitigen, ist das Gesetz ein Meilenstein. Verpflichtende Aufzeichnungen der Arbeitsstunden können eine wichtige Grundlage für die Durchsetzung von Forderungen sein. Auch die behördliche Prüfung der Einhaltung des Mindestlohns wird durch das Gesetz nun leichter.“ NGG-Pressemitteilung vom 2. Juni 2017 externer Link
  • Fleischindustrie: Ausgebeutet auf dem Schlachthof
    „Die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie sind oft miserabel, sagen Experten. Am Donnerstag kündigten Abgeordnete überraschend an, die Missstände in deutschen Schlachthöfen einzudämmen. (…) Die Beschäftigten stünden oft an letzter Stelle einer Kette von Subunternehmen, sagte der CDU-Arbeitsmarktexperte Karl Schiewerling in Berlin. Es herrschten undurchschaubare Verhältnisse bis hin zu kriminellen Machenschaften. Das Gesetz sieht deshalb eine sogenannte Generalunternehmerhaftung vor: Zahlt ein Subunternehmer seinen Schlachtern weniger Lohn als ihnen zusteht, soll dafür künftig der Schlachthofbetreiber verantwortlich gemacht werden. Damit soll in der Verantwortung bleiben, wer Arbeit auslagert. Arbeitsmaterialien wie Schlachtermesser dürfen dann zudem nicht länger vom Lohn abgezogen werden. Darüber hinaus soll das Gesetz auch zu einer exakten Erfassung der Arbeitszeit führen und die Umgehung des Mindestlohns erschweren..“ Beitrag von Markus Balser vom 1. Juni 2017 bei der Süddeutschen Zeitung online externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=117124
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