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Updated: 18.12.2012 15:51
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Zwangsarbeit "im Interesse des Allgemeinwohls" ?

Wie "Der Spiegel" in seiner neusten Ausgabe (14/2006) berichtet, eröffnet das Ministerium von Frau Ursula von der Leyen nun Privatkliniken und "anderen Firmen" die gesetzliche Möglichkeit Zivildienstleistende einzustellen. Dass diese staatliche Versorgung der Privatwirtschaft mit billigen und staatlich subventionierten Arbeitskräften aus dem Bereich der Kriegsdienstverweigerer letztlich auch auf 1-Euro-Jobber abzielt, ist unverkennbar. Nach offizieller Leseart dient Zwangsarbeit sowie dem Allgemeinwohl.

Dass von ihnen entlassene Arbeitskräfte durch staatliche Reglementierung wieder billig zur Verfügung gestellt werden, ist ein bereits schon mehrmals geäußerter Herzenswunsch der Arbeitgeberverbände und der rechten Wirtschaftsideologen. Ursula von der Leyen hat nun einen wesentlichen Schritt getan, diesen Wünschen entgegenzukommen.

Durften bisher Zivildienstleistende nur in Einrichtungen eingesetzt werden, "die dem Allgemeinwohl dienen" und bei denen "die Erzielung von Gewinn entweder gänzlich ausgeschlossen ist oder zumindest stark in den Hintergrund" trat, soll dies nun nicht mehr gelten. Nun werden auch "andere Einrichtungen" anerkannt, sofern sie "besonders schützenswerte Leistungen für die Allgemeinheit erbringen" (zitiert nach "Der Spiegel" 14/2006).

Da dies auf alle privatisierten sozialen Dienstleistungen, wie Krankenhäuser, Altenpflegeheime usw. zutrifft, bekommen nun die profitorientierten privaten Dienstleistungsunternehmen billige Arbeitskräfte, welche zur Hälfte sogar noch vom Staat bezahlt werden. Dienstleistungskonzerne, wie Vivantes, die mit Unterstützung der Unternehmensberatung McKinsy nach einer möglichst profitablen Art der Altenabfertigung suchen, können sich über das Geschenk von Arbeitskräfte nahe dem Null-Tarif aus dem Hause von der Leyen freuen.

Dass bei diesem Einsatz die 1-Euro-Jobber auch betroffen sind, braucht Frau von der Leyen, die neoliberale Übermutter der Republik, gar nicht ausdrücklich zu erwähnen. Ist die Definition des "Allgemeinwohls" doch im SGB II mit dem für den Zivildienst praktisch identisch.

Bisher noch nicht ganz gelöst ist das Problem, jede wirtschaftliche Tätigkeit in der Republik als Dienst am Allgemeinwohl zu verkaufen. Eine Vorreiterrolle nahm hier bekanntlich Herr Ackermann im Mannesmannprozess ein. Seiner Meinung nach dient nichts mehr dem Allgemeinwohl als die Deutsche Bank. Nur böse Menschen kämen auf die völlig abwegige Behauptung, dass die gutdotierten Vorstände sowie die ca. 10 Prozent Aktionäre in Deutschland nur an ihr eigenes Wohl denken würden. Wie jüngst bekannt wurde (vgl. German-Foreign-Policy 03.04.2006) agiert die Deutsche Bank auch im Verborgenen für das Wohl aller: So managte sie im Interesse des Steuerzahlers, dass der russische Energie-Monopolist Gazprom auch seinen, durch deutsche Staatsbürgschaft abgesicherten Kredit von 1 Milliarden Euro problemlos bekam.

Der Altkanzler und langjährige Verfechter der Arbeitslose-Sind-Meistens-Faul-Theorie, Gerhard Schröder, hat gegenwärtig dieses Kunststück noch nicht fertiggebracht. Von den staatlichen Bürgerschaften für den mit E.On und BASF verbandelte russischen Energie-Monopolisten Gazprom in seiner Regierungszeit, will er nichts gewusst haben. Dabei dürfte jeden einsichtigen Menschen klar sein, dass das üppige Salär, was Herr Schröder durch seine jetzige Vorstands- und Beratertätigkeiten einstreicht, nur dem Allgemeinwohl dienen kann. Schließlich tat doch Herr Schröder in seinen knapp zwei Legislaturperioden nichts anderes, als den Finanz- und Industriebossen ihren gewünschten Staat zu schaffen - und dies in seiner Funktion als Bundeskanzler, also als einer, der dem Grundgesetz und dem Allgemeinwohl gesetzlich besonders verpflichtet ist.

Da ist nichts problematisch dran, bestätigte nun Herrn Schröder sogar das Landgericht Hamburg. Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle, der öffentlich behauptet hatte, " natürlich gönne ich Gerhard Schröder jeden Rubel. Ich finde es allerdings problematisch, dass er als Bundeskanzler einer Firma einen Auftrag gegeben hat und dann wenige Wochen nach Amtsübergabe in die Dienste eben jener Firma tritt" (dpa 20.03.2006), verkannte ganz offensichtlich, wie ehrenhaft Herr Schröder Demokratie und Allgemeinwohl in seiner Zeit als Bundeskanzler wirklich diente und unterlag folglich in den Mühlen der Justiz gegen Gerhard Schröder. Was heute Herr Schröder von Gazprom in die Tasche gesteckt bekommt, ist nichts anderes als eine gerechte Anerkennung seiner "Verdienste im Kampf für Volk und Vaterland".

Mit der Zeit sollte eigentlich jeder die maßgeblich staatstragende Wahrheit begriffen haben: Die Bereicherung einiger Weniger dient dem Allgemeinwohl, oder wie Frau Merkel, die weibliche Schröder-Nachahmerin in ihrer Neujahrsansprache mit bewundernswerter sozialpolitischer Finesse kundtat: " Arbeit braucht Wachstum und Wachstum braucht Freiheit". Mit dem von allen Zwängen befreiten Wirtschaftswachstum wächst auch die Gerechtigkeit. " Neue Gerechtigkeit durch mehr Freiheit", verfeinerte in der Mainzer Erklärung die CDU am 07.01.2006 ihre Grundwerteposition. Mehr Gerechtigkeit durch mehr Wirtschaftswachstum also. Alles klar?

Das Neue an der herrschenden politischen Gerechtigkeit besteht nun mal in einer neuen Definition allgemeiner Werte, in einem "Neusprech", wie George Orwell in seinem Roman "1984" bereits 1949 voraussah. Völlig logisch, dass sich die Merkel'sche Freiheit und neue Gerechtigkeit in einer Vollendung von Zwangsarbeit ausdrückt. Schließlich ist nicht einzusehen, warum die reiche Wirtschaftsmafia nicht die Freiheit besitzen sollte, völlig kostenlos Andere für sich arbeiten zu lassen. "Sozial ist, was Arbeit schafft" - mit dieser, der Initiative Neue Marktwirtschaft entlehnten Antithese zum Sozialstaat, zog Frau Merkel ja bereits letzten Herbst in den Wahlkampf. Es überrascht nur, dass bisher bei der Integration ausländischer Menschen in die deutsche Wertegemeinschaft, die Kurzformel vom Sozialgehalt dessen, was Arbeit schafft, noch keinen Niederschlag gefunden hat. Schließlich gehört diese, nun von Frau Merkel popularisierte Ansicht zum dem, was in der deutschen Geschichte bereits schon einmal sehr prägend und unvergesslich den Charakter von Arbeit bestimmte.

"Krieg ist Frieden - Freiheit ist Sklaverei", vereinfachte Orwell die politischen, neusprachlichen Inhalte. Dem dritten Glied der Orwell'schen Voraussicht, "Unwissenheit ist Stärke", kann jedoch begegnet werden, wenn sich endlich überall herumspricht, dass 1-Euro-Jobs Zwangsarbeiten sind, die nur einer Minderheit im Staat dienen und das Allgemeinwohl schädigen - in "Neusprech" natürlich: dem Allgemeinwohl dienen.

Armin Kammrad, 04.04.2005


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