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Updated: 18.12.2012 15:51
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„Diesen „Tarifkompromiss“ hätte die IG Metall besser nicht unterzeichnet….“

Briefe an Bezirksleiter der IG Metall und Mitglieder der Tarifkommission zum Thema VW "Tarifrunde 2004" von Wolf Zimmermann, langjähriger Vertrauensmann der IG Metall im VW Kassel


Liebe Kolleginnen und Kollegen der VW Tarifkommission bei VW Kassel,

der Weg, der mit dem sogenannten "Tarifkompromiss" im aktuellen Tarifpoker bei VW beschritten wird, führt aus meiner Sicht in die neoliberale Sackgasse (englisch sehr zutreffend: "Dead end street"!). Dass ich das Vertragswerk für nicht zustimmungsfähig halte, habe ich dem Verhandlungsführer der IG Metall in der unten folgenden Nachricht mitgeteilt. Euch möchte ich den Text zur Kenntnis geben und Euch bitten, ernsthafter über völlig andere Strategien in der neoliberalen Globalisierungskrise nachzudenken.

Mit freundlichen Grüssen
Wolf Zimmermann


An die Bezirksleitung der IG Metall
Tarifbezirk Volkswagen
Hartmut Meine
3000 Hannover


Betreff: Tarifabschluss 2004 VW

Lieber Kollege Meine,

der Tarifabschluss 2004 war ausserordentlich kompliziert und sehr schwer zu durchschauen. Erschwerend, dass nur wenige verbindliche Dokumente verfügbar sind. Aber nach einiger Zeit des Nachforschens und Nachdenkens komme ich zu einer Bewertung, die lautet: Diesen „Tarifkompromiss“ hätte die IG Metall besser nicht unterzeichnet, weil er Arbeitsbedingungen der
heutigen Belegschaft – wie auch der zukünftigen - grundlegend und dauerhaft verschlechtert. Ich will meine Kritik im folgenden an vier Punkten beispielhaft begründen.

1. Nullrunden statt Lohnerhöhung?

Mir bleibt völlig unverständlich, wie aus einer Lohnforderung von 4% Erhöhung (Laufzeit 1 Jahr) eine Nullrunde für 2 Jahre und 4 Monate werden kann. Damit wird uns WA ein realer Einkommensverlust von 5% am Ende der Laufzeit zugemutet. Frage: Im massgebenden Abschluss des Flächentarifs waren 2,x % vereinbart. Warum konnte dieser Abschluss nicht auf VW übertragen werden, wie sonst üblich?

  • Fakt ist: An dem Problem Reallohnverlust bessert die vereinbarte Einmalzahlung von 1000 Euro im März wenig, weil sie lediglich den erwarteten Verlust des Erfolgsbonus im Mai ausgleicht.
  • Fakt ist auch: Kolleginnen und Kollegen, die häufig Mehrarbeit leisten müssen, verlieren durch neue Regeln Zuschläge für Mehrarbeit.
  • Und schliesslich: Wenn VW das für die Einführung von ERA angesparte Guthaben kassiert, werden die Kollegen bei Umsetzung des ERA schlechter wegkommen.

2. Wie sicher ist die vereinbarte „Beschäftigungssicherung“?

Vertraglich wurde lediglich vereinbart, „Kündigungen aus betrieblichen Gründen“ weiterhin auszuschliessen – ein bereits vorhandener Vertrag wurde also bis 2011 verlängert. Die Gesamtzahl von 103000 „Arbeitsplätzen“ wird von VW lediglich als „Zielzahl“ angeführt –bindende Verpflichtungen für VW kann ich nicht erkennen. Arbeitsplatzgarantien für die WA an den einzelnen Standorten gibt es offenbar nicht. Personalabbau und Personalausgliederungen in Niedriglohnkonstrukte können uneingeschränkt Realität werden. Ist eine „Beschäftigungssicherung light“ wirklich so viel wert, wie sie uns kosten soll? Ich persönlich kann es nicht glauben!

3. Arbeitszeitverlängerung statt Arbeitszeitverkürzung?

Dass bei mangelnder Auslastung unserer Werke teilweise längere Arbeitszeiten durch Tarifvertrag verordnet werden sollen, hat mich sehr überrascht (ich halte in dieser Situation reale Arbeitszeitverkürzung für die einzig mögliche gewerkschaftliche Antwort!). Etliche Bestimmungen der „NEuen Personal Politik“ bewirken genau das Falsche und entfesseln unter aktuellen Bedingungen der Globalisierungskrise eine unvernünftige und uferlose Verdrängungs-Konkurrenz in den Werken.

  • Beispiel: Wenn Arbeitszeitkonten auf +- 400 Std. erhöht werden, verschieben sich Aufgaben von „Regeltreuen“ auf die „Willigen“, weil kostenlose „Arbeitskredite“ für die Firma natürlich sehr lukrativ sind. Es ist zu befürchten, dass in der Folge ein Teil der Belegschaft Arbeit im Übermass zu leisten hat, während der andere genau deshalb dauerhafte Unterbeschäftigung hinnehmen muss. Durch eine Regelung von 400 Minus-Stunden kann es zu unmässiger Verschuldung beim „Arbeitgeber“ kommen, mit fatalen Folgen, wie sie aus der 3. Welt bekannt sind. Diese Regelung halte ich für äusserst problematisch!
  • Beispiel: Wenn die Altersgruppe zwischen 18 und 58 Jahren zu jährlich 66 Stunden „Einzahlung“ in Langzeitarbeitskonten verpflichtet wird, stellt dies ein gigantisches „Arbeitsvolumen“ dar, das die
    Belegschaften dem Vorstand unentgeltlich zur Verfügung stellen. Gleichzeitig verschärft sich durch quasi „vorgezogene“ Arbeitsleistung natürlich das Problem der mangelnden Auslastung, und damit der Druck auf alle WA.
  • Beispiel: Neu Eingestellte (zum neuen Haustarif 2) sollen durchschnittliche tarifvertragliche Arbeitszeiten von 35 Sunden pro Woche leisten. Damit verschärft sich natürlich das Problem der mangelnden Auslastung ganz erheblich.

4. Billigtarife als VW-Tarifkiller

Dass ein neuer billiger Haustarif bei VW als Standardvertrag eingeführt wird, empfinde ich als grosse Enttäuschung. Allein durch das viel niedrigere Entgeltniveau entsteht eine unfaire innerbetriebliche Konkurrenz, die dem heutigen Haustarif in wenigen Jahren den Garaus machen wird. Abteilungen, die nach heutigem Haustarif zahlen, werden in Zukunft bei Vergabe von Aufgaben völlig chancenlos sein. Dass die Folge Personalabbau und Tarifflucht sein wird, kann jeder glasklar erkennen. Bei solchen massiven Zugeständnissen hat der VW-Vorstand Grund zum
jubeln – wir WA wirklich nicht!

Es ist fast unmöglich, auch nur die wichtigsten Problemfelder der neuen Strukturen anzusprechen. Allein die Tatsache, dass Azubis derart unter Druck gesetzt und tariflich abgekoppelt werden, wäre früher von einer IG Metall nicht hingenommen worden.

Im Ergebnis: Der VW Vorstand hat sich leider auf breiter Front durchgesetzt. Dem ohne objektive Not verkomplizierten „Tarifungeheuer“ wurden lediglich einige besonders abstossende Giftzähne gezogen – aber die wachsen bekanntlich nach.

Kampfstärke und Kampfbereitschaft aller Belegschaften waren offensichtlich gegeben und keineswegs am Ende. Warum wurde nicht energisch versucht, unter Einsatz dieser gewerkschaftlichen Stärke wenigstens ein besseres Ergebnis zu holen?

Wenn ich Mitglied der VW Tarifkommission gewesen wäre, hätte ich dem Tarifabschluss gewiss nicht zugestimmt. Weil ich nicht will, dass ich selbst und meine Kolleginnen und Kollegen nach dem Abschluss schlechter dastehen als vorher. Dies möchte ich der Bezirksleitung nachdrücklich und schriftlich bekannt geben.

Mit freundlichen Grüssen
Wolf Zimmermann
Vertrauensmann der IG Metall im VW Werk Kassel
(hier Dienstadressen)

Nachrichtlich werde ich dieses Mail auch an die Mitglieder der Tarifkommission Volkswagen im VW Kassel schicken.


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