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Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

"Recht auf Dummheit" oder "Recht auf Daten"?

LabourNet Germany 2 Jahre ohne RazziaMag Wompel und Ralf Pandorf haben sich hingesetzt und sich den Frust vom Leib geschrieben. So eine kleine Hausdurchsuchung* kann einem das Leben nämlich ganz schön verhageln und abgesehen von den verdammt vielen, nationalen und internationalen Protesten, über die wir uns - und das sei an dieser Stelle nochmals besonders betont - unheimlich gefreut haben, hat das unsere tägliche Arbeit und unser Leben für lange Zeit massiv beeinflusst und der durch die Justiz verursachte Schaden ist kaum wieder gut zu machen.

Wir haben uns gefragt, wie es überhaupt zu dieser völlig durchgedrehten Aktion kommen konnte. Herausgekommen ist dieser kleine Artikel über die Staatsanwaltschaft und Justiz in Bochum, der eine Provinzposse beschreibt, die wir für verallgemeinbar halten. Vorsichtshalber haben wir sämtliche ursprünglichen böswilligen Unterstellungen, persönlichen Beleidigungen und unhaltbaren Behauptungen gestrichen, weil uns auch 2 Jahre ohne Razzia nicht vor genügend anderen Abmahnungen verschont haben. Der Artikel mag daraufhin etwas an der vorher enthaltenen Schärfe verloren haben. Sei es drum. Geneigte LeserInnen müssen sich einfach vorstellen, dass alles noch viel schlimmer ist, als hier dargestellt.

Nun haben wir es schriftlich: Das Verfahren gegen uns wegen Urkundenfälschung ist endgültig eingestellt (siehe dazu unsere Presseerklärung vom 23.3.2006).

Ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen uns wegen "Verbotene Mitteilung über Gerichtsverhandlungen", weil wir alle Dokumente auf unserer Homepage veröffentlicht hatten, wurde ebenfalls eingestellt. Allerdings in diesem Fall nicht wegen Unschuld der Beteiligten, nein, nur weil die Staatsanwaltschaft dies mittlerweile als Bagatelle einstuft und kein öffentliches Interesse an der weiteren Verfolgung besteht. Wir danken!

Wir danken an dieser Stelle auch Herrn Staatsanwalt Petlalski, welcher unsere Akten wohl als Letzter auf dem Tisch hatte und als Einziger den Mut besaß, dieser Provinzposse endlich ein Ende zu bereiten.

Bevor es jetzt Missverständnisse gibt oder Herr Petlalski glaubt, neue Freunde gefunden zu haben, sei bitte die folgende Bemerkung erlaubt: Herr Petlalski ist aus unserer Sicht ein Staatsanwalt, der bei dem kleinsten Verdacht einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit, die ein "Linker" oder jemand, den er dafür hält, begangen haben könnte, auf einer Verurteilung oder einer Strafe besteht. So geschehen bei der Verurteilung des Antifaschisten Herrn Bienert oder in dem Verfahren gegen unseren Kollegen von "bo-alternativ", Martin Budich (wir berichteten über beide Fälle).

Nein, kein neuer Freund. Herr Petlalski hat das Verfahren eingestellt, weil er eingesehen hat oder einsehen mußte, dass es nicht die geringste Möglichkeit gab, eine Verurteilung herbeizuführen. Es tat ihm vielleicht leid, dass wissen wir nicht, aber es gab offensichtlich keine andere Möglichkeit und er tat das aus seiner Sicht Notwendige.

Allerdings wollen wir anmerken, dass bei der Staatsanwaltschaft in Bochum laut ihrer Homepage zurzeit [Stand Herbst 2006] 34 Staatsanwälte, 16 Amtsanwälte, 1 Geschäftsleiter, 27 Rechtspfleger und Gerichtshelfer, 103 Beamte und Angestellte des mittleren Justizdienstes sowie 19 Wachtmeister und Justizhelfer bei den Ermittlungs-, Straf- und Vollstreckungsverfahren beschäftigt sind. Davon waren vorher mindestens 3 Staatsanwälte und vermutlich der Geschäftsleiter von unserer möglichen Schuld überzeugt oder soll man besser sagen "besessen", bevor Herr Petlaslski damit Schluss machte. Mal ganz abgesehen von der grenzenlosen Verschwendung von Arbeitszeit der anderen Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft und der Polizei, die z.B. im Kampf gegen Rechts fehlt. Sage und schreibe 6 Polizeibeamte und 3 (?) städtische Angestellte waren allein an der Durchsuchung unserer Wohnungen beschäftigt. Die Ermittlungen im Vorfeld der Durchsuchungen liefen über ein halbes Jahr, mit-was-wissen-wir für einem immensen Arbeitsaufwand. Wir wissen auch nicht, wie viele Polizeibeamte und Polizeibeamtinnen bei der Durchsicht der hundert CDs beschäftigt waren, bzw. der 200 Komplettsicherungen, die von unserem Mailverkehr beschlagnahmt wurden und auf denen sich irgendwo ein Schreiben von einem "Kommando Paul Lafargue" hätte befinden können.

Nein, wissen wir nicht, ist uns ehrlich gesagt auch egal, soll sich bitte die Dienstaufsicht der Damen und Herren Gedanken darüber machen. Schon wieder ein Wunsch, der nicht in Erfüllung gehen wird. Angesichts der offensichtlichen Überlastung der Justiz, wie sie auch im Streik im öffentlichen Dienst beklagt wurde, hätten wir jedenfalls - wären wir je gefragt worden - gerne zur Entlastung beigetragen.

Auch dass sich dann zu allem Überfluss auch noch ein Richter hat finden lassen, der diese "Ermittlungen" legitimiert und durch einen Durchsuchungsbeschluss unterstützt, ist an sich gesehen in dieser Republik nichts Besonderes.

Nur eine klitzekleine Sache macht uns bei dem Ganzen etwas skeptisch: Wir haben lange darüber nachgedacht, warum, warum ich, warum wir und warum ausgerechnet wegen dieses Flugblattes und warum ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt? Kein Mensch, auch nicht unsere Rechtsanwälte, haben uns bisher einigermaßen klar machen können, warum die Bochumer Justiz wegen dieses Flugblattes eine solche Maschinerie in Gang gesetzt hat. Für ein Flugblatt, für das wir, im schlimmsten Fall vielleicht zu einer Geldstrafe von 100 oder 500 oder auch "egal", zu 1000 Euro verurteilt worden wären. Letztendlich, und das ist das Schreckliche, gibt es dafür nur drei Möglichkeiten:

Die Erste ist menschlich, aber peinlich. Rein theoretisch wäre es natürlich möglich und ganz ausschließen wollen wir dies an dieser Stelle auch nicht, dass man als Staatsanwalt wirklich nicht zwingend Karl Marx oder gar seinen Schwiegersohn kennen muß. Aber ein bisschen Recherchieren und dann Nachdenken, dürfte doch wirklich nicht zuviel verlangt sein - es sei denn, man kann es nicht. Aber zwei Staatsanwälte, eine Staatsanwältin und ein Richter gleichzeitig in einem solchen Zustand? Oder ist es gar eine hinreichende und notwendige Bedingung für eine Karriere im höheren Justizdienst im Raum Bochum (oder überall?)?

Die zweite Möglichkeit ist ebenfalls menschlich oder sollten wir besser sagen "deutsch", dafür aber historisch konstant: Die mögen uns einfach nicht! Wir sind "Linke" oder "Radikale" oder "radikale Linke", also kurz und gut "verfolgenswert". Wir ärgern sie, sie ärgern uns. Bekannte Sandkastenspiele der Justiz, mit manchmal schrecklichen Folgen. Aber wirklich wahrscheinlich? Den ganzen Aufwand, um uns zu ärgern? Vielleicht in Kombination mit dem ersten Argument - dann schon eher.

Die dritte Möglichkeit ist eher langweilig, wenn auch bitter! "Die" (genauere Definition überlassen wir der Phantasie unserer Leserschaft) wollten unsere Daten, mit wem wir Kontakt haben, mit wem wir zusammenarbeiten, wer aus den Arbeitsagenturen oder dem autonomen Spektrum uns mit Informationen beliefert.

Ja verdammt noch mal, wofür haben wir denn einen Verfassungsschutz, was tun denn diese Menschen? Die können doch eh schon alle unsere Telefone abhören, unsere Mails und unsere Post lesen. Warum sollten sie dann um 6:00 aufstehen und unsere Wohnungen durchsuchen und dann alles mühevoll die Treppen - und es sind verdammt viele - runterschleppen? Nicht besonders logisch.

Bleibt nur noch eines übrig: Die Kombination macht's. Wie bei einem Multivitamin-Mixgetränk. Irgendjemand sieht endlich mal wieder eine Möglichkeit, es einem dieser "Linken" mal so richtig zu zeigen. Er beginnt mit Ermittlungen, wird bedauerlicherweise im Zuge der Nachforschungen an eine andere Stelle versetzt und gibt die Sache an einen Kollegen ab. Dem mangelt es dann wirklich an der nötigen "Substanz", aber der zieht das durch und findet einen Richter auf seiner "Wellenlänge". Gemeinsam sind sie nicht zu schlagen. Sie ermitteln (wenig), durchsuchen (vieles) und beschlagnahmen (alles), wundern sich über die einbrechende Protestwelle, dachten Presse- und Grundgesetz seien eh schon lange abgeschafft, und fallen in Trance. Hunderte von Protestschreiben aus der ganzen Welt erreichen die Staatsanwaltschaft und werden abgeheftet und ignoriert. Mittlerweile hat die Zuständigkeit bei der Staatsanwaltschaft wieder gewechselt und eine junge Staatsanwältin beginnt erneut mit den Ermittlungen.

Dass die Betroffenen bedauerlicherweise mehrheitlich Journalisten, also im Straußschen Sinne "Ratten und Schmeissfliegen" sind, dämmert zwar so langsam, aber was jetzt tun? Zugeben, dass man Mist gebaut hat? Unmöglich? Abwarten? Schwierig. Also wird die Sache durchgezogen und die ermittelnden Polizeibeamten (nur die?) dürfen unsere Daten nach Herzenslust durchstöbern und nachweislich kopieren.

An dieser Stelle sei uns erlaubt, bescheiden auf den Verfassungsschutzbericht NRW vom März 2006 hinzuweisen. Die Kampagne "Agenturschluß" ist zentraler Punkt der Untersuchungen dieser "wichtigen" Behörde zu "Aktivitäten Autonomer". Überhaupt hat es den Anschein, dass das LabourNet Germany zu einer relevanten Informationsquelle des nordrheinwestfälischen Verfassungsschutzes geworden ist. Die lesen schlicht und ergreifend unseren Newsletter, notieren alles, was ihnen suspekt vorkommt, bezeichnen dies als "Erforschung der Aktivitäten autonomer Linker" und sind glücklich. Und uns will man ernsthaft glaubhaft machen, diese Leute lassen sich eine solche Gelegenheit entgehen. Ausgerechnet der Ordner "Agenturschluß" sowie die Ordner unseres Schriftverkehrs Dezember 04 bis Januar 05 sowie ein Ordner einer erst später angelaufenen Kampagne "Schwarze Schafe", die die Profiteure der Ein-Euro-Jobs anprangert, wurden eingesackt und kopiert.

Zwischendurch bestätigt sich unser Richter vorsichtshalber selbst, alles sei in Ordnung, bekommt von seinen Kollegen auch noch Recht und die Zeit, tja ebenjene vergeht. Plötzlich, einer göttlichen Eingebung folgend, erkennt die Staatsanwaltschaft Bochum eine Lösung: Man ermittelt jetzt auch noch wegen verbotener Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen. Wenn schon die ursprüngliche Ermittlung nicht Erfolg versprechend scheint, man selbst unfähig und nicht in der Lage ist, über den eigenen Schatten zu springen und Fehler zuzugeben, bleibt nur noch dieser Weg. Die einzige Möglichkeit der Gegenwehr, die wir hatten, nämlich, von Anfang an alle Unterlagen öffentlich zu machen, soll uns nun an den Galgen bringen.

Der Vorschlag an die Vorgesetzten der Staatsanwaltschaft Bochum, sie für diese Idee endgültig für einen Euro pro Stunde in der Registratur im Keller arbeiten zu lassen, besitzt übrigens einen gewissen Charme, dem wir uns in diesem speziellen Fall ausnahmsweise gerne nicht entziehen würden, doch leider stehen uns unsere politischen Grundsätze im Wege.

So richtig peinlich wurde es für die Bochumer Justiz allerdings erst, als ihre Kollegen von der 6. Kammer des Landgerichts - einer unserer Anwälte besaß die Frechheit, dort erneut Beschwerde einzureichen - feststellten, dass alles, restlos alles, was sie und ihre Kollegen so im Laufe ihrer "Ermittlungen" angestellt hatten, grundgesetzwidrig war. Dumm gelaufen!

Wirklich dumm gelaufen? Hat doch alles gut geklappt!

Schön: Wir haben es zwar schwarz auf weiß, dass die ganze Aktion grundgesetzwidrig war, es bleibt aber für sämtliche Beteiligten der Bochumer Justiz ohne rechtliche oder berufliche Folgen. Woran wir nichts mehr ändern können: "Sie" (genauere Definition überlassen wir wieder der Phantasie unserer Leserschaft) haben unsere Daten, ein für alle Mal.

Die Staatsanwaltschaft Bochum hat unseren Anwälten auf Nachfrage zwar mitgeteilt, dass eine Verfügung an das Bochumer Polizeipräsidium erfolgte. Darin heißt es: ". dass die gespiegelten Daten zwischenzeitlich gelöscht seien. Die fotokopierten Ordner seien im Reiswolf vernichtet worden." Na dann ist ja alles gut.

Aus einer nun zweijährigen Distanz beurteilen wir die Situation unverändert, müssen aber leider darauf hinweisen, dass wir nicht einsam sind. Gezielte Rechtsbrüche in den Arbeitsagenturen, Sozialämtern und bei Hausdurchsuchungen sowie Ingewahrsamnahmen zeigen, dass es System hat: Erst zuschlagen, dann vorhersehbar Unrecht bekommen aber nichts bereuen. Das Kind ist im Brunnen, die Betroffenen haben Recht und sonst nichts.

Mag Wompel und Ralf Pandorf, letzte Bearbeitung am 04.07.2007

*) In diesem Text setzen wir die Fakten und Hintergründe der Razzien am 5.7.05 als bekannt voraus. Für alle Informationen siehe Über uns > Hausdurchsuchung der Redaktion und des Vorstandes in Bochum am 05. Juli 2005


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