Der Sachverständigenrat auf dem Weg zu einem ökonomischen Meinungsmonopol

Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 9.11.2017

Jetzt doch die Durchsetzung eines ökonomischen Meinungsmonopols der angebotsorientierten – marktradikalen – Deutung der Ökonomie. Allerdings gibt es noch diese Minderheitsvoten von Peter Bofinger im Sachverständigenrat Wirtschaft (https://www.wiwi.uni-wuerzburg.de/fileadmin/12010130/2017/Minderheitsvoten_Prof._Bofinger__SVR-Gutachten_2017.pdf externer Link pdf), dem von der „Mehrheit“ dann doch so verfemten Ökonomen. Dazu schreibt dann die TAZ („Zahl des Tages“ – 16 Seiten – vom 9. November 2017): Das Jahresgutachten des Sachverständigenrates für Wirtschaftsfragen steckt voller Zahlen… Wirklich interessant sind nur: 16 der insgesamt 467 Seiten, die in vier der neun Kapitel das Ratsmitglied Peter Bofinger allein verfasst hat. Dort widerspricht er den neoklassischen wirtschafts-, finanz-, arbeitsmarkt- und verteilungspolitischen Empfehlungen seiner KollegInnen. Ihm gebührt daher unser herzlichster Dank! Das spart uns viele Seiten Unsinnslektüre.“

Und wie kann es einem gehen bei so viel Glaubensbekenntnis zum Markte? Obwohl die Ersetzung des Glaubens statt der klaren ökonomischen Fakten und ihrer sorgfältigen Abwägung im postfaktischen Zeitalter immer mehr in Mode kommt. Jetzt wohl auch für solch ein Gremium mit einer gesamtgesellschaftlichen Autorität und vor allem Verantwortung wie dieser Sachverständigenrat Wirtschaft !

Das zielt dann doch auch gleich auf die ökonomische „Zurechnungsfähigkeit“ der Gewerkschaften in Sachen Ökonomie! Können sie eine – andere – gewerkschaftliche ökonomische Position überhaupt vertreten (http://www.dgb.de/presse/++co++3d508986-c45f-11e7-a15e-52540088cada externer Link), die gar nicht mehr wahrgenommen zu werden braucht.

Mit aggressiver Propaganda soll für die angebotsorientierte Deutung der Ökonomie ein Meinungsmonopol errichtet werden, das Norbert Häring nun mit dem vollem Einsatz des Wirtschaftsjournalismus im Begriffe sieht,durchgesetzt zu werden. (http://norberthaering.de/de/27-german/news/883-dgb-bofinger externer Link)

Mir ist – bis jetzt – auch keine Zeitung „aufgefallen“, die den DGB zu diesem Gutachten des Sachverständigenrates „zitiert“ hatte. Umso wichtiger wird es, diese Position von Bofinger für die Gewerkschaften im Sachverständigenrat zu halten! (vgl. zur Bestätigung dieses völlig kritiklos, uniformen Ansinnens der Wirtschaftsjournaille auch noch den aktuellen Kommentar in der „Süddeutschen“ von Nikolaus Piper (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/sachverstaendigenrat-deutschland-muss-die-guten-zeiten-nutzen-1.3740458 externer Link)

Der Markt als die heilige Kuh! Die „Priester“ der deutschen ökonomischen Mehrheitsmeinung erklären es in aller Marktradikalität jetzt noch einmal definitiv: Der Markt sei „geheiligt“,und wer nicht an seine allein-seligmachende Funktion glaubt, der ist kein Ökonom

So wird also der große Weltökonom Keynes noch im Nachhinein aus dieser „Kirche“ der deutschen (!) Ökonomen exkommuniziert! Und so erging es jetzt aber gerade wieder einmal dem Würzburger Makro-Ökonomen Prof. Peter Bofinger kurz vor der Vorstellung des Gutachtens des deutschen Sachverständigenrates Wirtschaft für 2017/18 (http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftsweise-kritisieren-kollegen-peter-bofinger-15158733.html externer Link), der auch noch von den Gewerkschaften benannt wurde. (welch scheinbar so „schrecklicher Makel“ für die Denkfähigkeit!) (https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft/vier-wirtschaftsweise-gegen-einen-im-sachverstaendigenrat-eskaliert-der-streit–28439218 externer Link und noch in der TAZ: http://www.taz.de/Archiv-Suche/!5457987&s=Ulrike+Herrmann/ externer Link)

Ob diese Ökonomen in ihrer Mehrheit wohl erreichen wollten, dass nach der letztjährigen Kritik ihre „Mehrheitsmeinung“ (https://www.labournet.de/?p=106557) jetzt endlich doch für sakrosant gehalten wird? Fühlen sie womöglich ihre neoklassischen Felle davon schwimmen? Jedenfalls wurde diese Gutachten 2017/ 18 mit diesem Riesenklamauk im Voraus vorgestellt (https://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/jahresgutachten-2017-2018.html externer Link).

Gewerkschaftliche Position in der Ökonomie wird geschwächt

Und der von den neoklassischen Dogmatiker so gescholtene Keynsianer Peter Bofinger hat sich davon unbeirrt – und das will etwas heißen, wenn so viele auf einem rumhacken – daran gemacht seine Minderheitsvoten auch in diesem Jahres-Gutachten einzubringen: (https://www.wiwi.uni-wuerzburg.de/fileadmin/12010130/2017/Minderheitsvoten_Prof._Bofinger__SVR-Gutachten_2017.pdf externer Link pdf)

Norbert Häring mag es zum Verdienst angerechnet werden, dass er diese spektakulären öffentlichen Angriffe auf die Minderheitsposition im Sachverständigenrat, den Ökonomen Peter Bofinger als besonders bedrohlich – vor allem für die Position der Gewerkschaften – empfindet. (http://norberthaering.de/de/27-german/news/883-dgb-bofinger externer Link)

Und wie zu erwarten, zielen für Peter Bofinger die Vorschläge der Mehrheit darauf, die Handlungsfähigkeit des Staates zu schwächen. Es wird daher wichtig die Umverteilung – die bisher schon in recht beschränktem Maße geschah – fortzusetzen. Ein gravierender Ansatzpunkt ist auf der einen Seite zwar die Mehrausgaben für Investitionen (so auch der Sachverständigenrat) – jedoch sollten die auf keinen Fall durch Einsparungen bei den Sozialausgaben wieder finanziert werden.

Oder wie Bofinger es betont, die Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik – wie von der Mehrheit des Sachverständigenrates vorgeschlagen – sollte sich auf keinen Fall auf die Steuer- und Beitragssenkungen (um dem Staat jeglichen Handlungsspielraum zu nehmen) beschränken (vgl. 30 Milliarden steuerliche Entlastung (http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftsweise-fordern-30-milliarden-euro-entlastung-15281779.html externer Link), sondern endlich die – vor allem öffentlichen – Investitionen voranzubringen, erklärt Peter Bofinger seinen Kollegen. (http://www.fr.de/wirtschaft/gutachten-geht-es-der-deutschen-wirtschaft-wirklich-schon-zu-gut-a-1383443,0 externer Link)

Auch die Umverteilung müsste fortgesetzt werden.

Den Vorwurf von Ökonomie zu wenig zu verstehen – oh die KollegInnen Ökonomen im SVR hatten sogar behauptet, dass er gar kein Ökonom sein könne, – kann er auch gekonnt zurückspielen, denn ihr als „Überhitzung“ diagnostiziertes Problem (http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/konjunktur-wirtschaftsweise-fuerchten-ueberhitzung-a-1176923.html externer Link), könne schon angesichts der geringen Preissteigerungsrate gar nicht existieren. – Aber diesem Phantom der Inflationsgefahr laufen diese „Angebots“-Ökonomen doch schon lange hinterher, ohne es „dingfest“ machen zu können…

Kanzlerin Merkel distanziert sich pragmatisch wieder von diesem ideologischen Vorstoß der Sachverständigenrats-Mehrheit! – Gutachten bleibt unter dem Strich eine Expertise für Reiche – Die Verteilungsfrage soll einfach „ausgelöscht“ werden!

Die Kanzlerin stellt jedenfalls bei dem festlichen Akt der Überreichung des Gutachtens fest, Politisch ist – die Verweigerung einer Umverteilungsdebatte – nicht so einfach wie wissenschaftlich „einleuchtend“. Wir haben wirtschaftlich gute Zeiten und da wird der Wunsch nach Verteilung ein sehr dominanter. Wir haben es im – zurückliegenden – Wahlkampf erlebt, dass Menschen aus ihrer sozialen Perspektive Erwartungen an den Staat richten. Es ist nun Aufgabe der Politik, die richtige Balance zu finden. (https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2017/11/2017-11-08-statement-merkel-svr-gutachten.html externer Link)

Sicher wird das zu keiner Wieder-Einführung der Vermögenssteuer führen, die enormes Potential hätte, wie eine Berechnung aus Österreich zeigt. (https://blog.arbeit-wirtschaft.at/vermoegenssteuer-bringt-milliarden-euro/ externer Link)

Aber gegen sogenannte „Neid-Debatten“ haben diese 4 Ökonomen des SVR ja ganz grundsätzlich etwas. Jedoch Ulrike Herrmann findet dieses Gutachten der sog. „Fünf Weisen“ ohnehin nur eine Expertise für Reiche. So ist diese neueste Gutachten ein eindrucksvolles Dokument – des Scheiterns.

Dieser Text offenbart nur, woran diese Mainstream-Ökonomie krankt: Ideologie ersetzt Forschung. Als Beispiel nennt auch Ulrike Herrman das Thema „Verteilung“: „Die statistische Faktenlage“ zeige doch, dass die Einkommensverteilung seit 2005 „weitgehend stabil“ geblieben sei. Botschaft: Wenn sehr viele Arbeitnehmer feststellen müssen, dass ihre Löhne kaum steigen, dann ist dies eine optische Täuschung! Implizit wird den Beschäftigten unterstellt, dass sie eine Horde von Dauernörglern seien, die unbedingt eine Neid-Debatte führen wollten. (http://www.taz.de/Archiv-Suche/!5458863&s=Ulrike+Herrmann&SuchRahmen=Print/ externer Link)

Diese recht seltsame Behauptung ist aber nur möglich, weil die Gutachter – merke postfaktisches Zeitalter! – die eigenen Statisken gewaltsam zurechtbiegen, die gut sichtbar in ihrem eigenen Text platziert sind.

Diese Langzeitreihen zeigen eindeutig, dass ab dem Jahr 2000 eine fundamentale Wende eintrat: Die Netto-Einkommen der untersten 10 Prozent sanken deutlich, während sich in der Mitte fast gar nichts tut – und nur die obersten 10 Prozent profitieren.. (Wer das nachlesen will: Seite 410 im Gutachten)

Es hat natürlich einen – ideologisch – höheren Sinn, dass die marktradikale Mehrheit unter diesen 5 Weisen das Thema Ungleichheit entsorgen will. Denn wo angeblich Gerechtigkeit herrscht, muss der Staat nicht helfen. So wird der Regierung unverhohlen geraten von einer Politik der Umverteilung zu verabschieden.

Allerdings zeigt sich im weiteren schnell, dass diese Ökonomen ein sehr seltsames Verständnis von Umverteilung haben. Für sie ist es völlig in Ordnung, wenn die Reichen weiter begünstigt werden.

So soll zum Beispiel der Soli abgeschaftt werden – wovon vor allem die Besserverdiener profitieren würden. (http://www.taz.de/Archiv-Suche/!5458863&s=Ulrike+Herrmann&SuchRahmen=Print/ externer Link)

Und noch über Investitionen die Handlungsfähigkeit des Staates stärken.

Nun ist aber just dies – diese Handlungsfähigkeit des Staates wieder zu stärken – auch anderen noch ein Anliegen, um mit jährlich 10 Milliarden Euro die Bildungsausgaben voranzubringen und dann mindestens noch 5 Milliarden Euro im Jahr für den Wohnungsbau. Dieser Gleichklang des Anliegens mit einer Stiftung die keineswegs immer mit den Vorstellungen, dem Staat eine deutlich stärkere Stellung für diese gesellschaftlichen Aufgaben einzuräumen, muss einen ja nicht davon abhalten, sie jetzt in diesem Falle positiv mit einzubeziehen. (http://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2017/november/mehr-wachstum-weniger-ungleichheit-oeffentliche-investitionen-lohnen-sich/ externer Link)

Und nach den Berechnungen der Bertelsmann-Forscher tragen sich diese Investitionen längerfristig sogar selbst und führen dann sogar zu fiskalischen Gewinnen (am allermeisten in der Bildung – aber auch im Wohnungsbau und bei der Infrastruktur).

Sind also diese „Sachverständigen“ noch von dieser Welt, fragt man sich da besorgt – oder doch schon postfaktisch abgedriftet?

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=123751
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