[Rezension] „Bullshit Jobs“: Verschwörungstheorie trifft intellektuellen Populismus

Dossier

Ne travaillez jamais – Arbeit? Niemals!David Graeber, Anthropologe und Vordenker der Occupy-Bewegung, wurde mit dem Sachbuch „Schulden – Die ersten 5000 Jahre“ bekannt. In seinem neuen Buch „Bullshit Jobs“ geht es um Jobs, die zwar gut bezahlt sind, aber keinen gesellschaftlichen Mehrwert bieten. Aber statt sauberer Analyse präsentiert Graeber intellektuellen Populismus und lässt dabei zentrale Fragen ungeklärt. (…) Es ist die große Illusion moderner Marktgesellschaften, der sich Graeber annimmt. In diesen, so ihr Selbstbild, würde der Wettbewerb alle Unternehmen dazu bringen, ihre Mittel effizient einzusetzen. Das sei nicht der Fall, behauptet Graeber. Immer mehr Menschen verrichteten Bullshit-Jobs, solche also, von denen sie selbst insgeheim glauben, dass sie nutzlos seien. Ihren sozialen Ort haben die Bullshit-Jobs nicht in den unteren sozialen Klassen, das heißt bei jenen Menschen, die tatsächlich Dinge herstellen, reparieren, instand halten etwas saubermachen oder anderen Menschen helfen. Diese Tätigkeiten sind zwar tatsächlich häufig, wie Graeber sie nennt, „Scheißjobs“. Sie werden mies bezahlt, aber sie sind gesellschaftlich nützlich und sie verleihen jenen Menschen, die sie ausüben, durchaus einen Sinn. Bullshit-Jobs werden hingegen zumeist ordentlich bezahlt. Sie sind nur nutzlos. (…) Das Buch ist zwar launig, methodisch aber lausig. Zuerst bestimmt Graeber Bullshit-Jobs allein subjektiv, später dann doch wieder objektiv, wenn er sich unter der Hand an Adam Smiths Begriff von produktiver Arbeit orientiert. Mal leugnen die Leute vor sich selbst, dass ihre Arbeit sinnlos ist, mal sollen sie sich dessen aber doch bewusst sein. Wie es Graeber gerade passt, rollt die Kugel seiner Argumentation durch immer neue schiefe Ebenen. Skepsis gegenüber der eigenen These mutet sich Graeber nicht zu. (…) Graeber streut in seiner Argumentation auch immer wieder verschwörungstheoretische Elemente ein. Er nimmt an, dass die politischen und wirtschaftlichen Eliten Bullshit-Jobs auch deshalb schaffen, damit die Leute nicht auf dumme Gedanken kommen und eine bessere Gesellschaft einfordern. Wenn es denn so einfach wäre…“ Rezension von Oliver Nachtwey vom 3. September 2018 bei der Süddeutschen Zeitung online externer Link und weitere, auch Interviews mit dem Autor:

  • David Graeber über »Bullshit-Jobs« New
    David Graeber: „… Wenn man über Bullshit-Jobs redet, denken viele an schlechte Arbeit; Arbeit, die herabwürdigend ist; Arbeit unter fürchterlichen Bedingungen, ohne zusätzliche Vorsorgeleistungen und so weiter. Aber die Ironie ist, dass diese Jobs genau genommen kein Bullshit sind. Wenn man einen Scheißjob hat, stehen die Chancen nicht schlecht, dass man damit immer noch etwas Gutes in der Welt bewirkt. Es ist doch so: je mehr die Arbeit, die man vollbringt, anderen Menschen zu Gute kommt, desto schlechter wird diese Arbeit wahrscheinlich bezahlt. Und in diesem Sinne ist es dann sicherlich auch ein Scheißjob. Das kann man also wie einen Gegensatz sehen. Auf der einen Seite gibt es Jobs, die scheiße sind, aber nützlich. Wenn man Toiletten putzt oder ähnliches – Toiletten müssen schließlich geputzt werden – da hat man wenigstens die Würde zu wissen, man ist nützlich für andere Menschen, selbst wenn es nicht viel mehr ist als das. Andererseits gibt es Jobs, in denen man mit Respekt und Würde behandelt wird, mit guter Bezahlung und guten Vorsorgeleistungen. Aber eigentlich arbeitet man mit dem Wissen, dass der Job vollkommen nutzlos ist. (…) Menschen in Dienstleistungsberufen glauben nicht, dass sie Bullshit-Jobs haben. In den meisten Fällen jedenfalls. Sie akzeptieren die Vorstellung, dass etwas gekauft wird, wenn es einen Markt für etwas gibt. Wer bin ich, das zu beurteilen? Diesem Aspekt der kapitalistischen Logik schenken sie Glauben. Aber dann schauen sie auf den Arbeitsmarkt und sagen: »Warte mal! Ich bekomme 40.000 Dollar im Jahr, um rumzusitzen und den ganzen Tag Katzen-Memes zu machen und mal einen Anruf entgegenzunehmen. Das kann nicht richtig sein.« Der Markt liegt also nicht immer richtig. Offensichtlich funktioniert der Arbeitsmarkt nicht wirtschaftlich rational. Da gibt es also einen Widerspruch. Deshalb müssen sie ein anderes System, ein implizites Wertsystem, kreieren, was sich von produktiver oder unproduktiver Arbeit für den Kapitalismus unterscheidet. (…) Fragt man Marxistinnen und Marxisten zu Arbeit und Arbeitswert, reden sie sofort über Produktion. Nun, hier ist eine Tasse. Jemand muss diese Tasse herstellen. Das ist wahr. Aber man stellt die Tasse einmal her und wäscht sie zehntausendmal ab, richtig? In den meisten Vorstellungen, verschwindet diese Art der Arbeit vollkommen. Meistens geht es bei Arbeit nicht um das Produzieren von Dingen, es geht darum, sie beizubehalten, sie zu erhalten, sich darum zu kümmern. Und genauso geht es auch darum, sich um Menschen zu kümmern, um Pflanzen und um Tiere…“ Interview mit David Graeber geführt von Suzi Weissmann bei Jacobin am 26. August 2020 externer Link (Übersetzung von Martin Neise)
  • [Vortrag von David Graeber] Von Care-Givern und Bullshit-Jobs – „Die Schaffung von Bullshit-Jobs führt zur Bullshitisierung echter Jobs“ 
    Der Anthropologe David Graeber hat auf dem 36c3 fundamentale Veränderungen in der Arbeitswelt beschrieben. Aufbauend auf seinem Buch über Bullshit-Jobs sieht er in Bildungs- und Gesundheitsberufen die neue Arbeiterklasse. Eine politische Empfehlung und eine Systemkritik gleichermaßen. David Graeber kann Debatten anstoßen. Er gilt als einer der Theoretiker der Bewegung „Occupy Wall Street“ und erregte im letzten Jahr mit einem Buch über „Bullshit-Jobs“ viel Aufmerksamkeit. Seine Kernthese: Eine große Menge an Menschen arbeitet in Berufen, die keinen wirklichen Zweck haben – und fühlt sich auch so. In einem Vortrag auf dem 36. Chaos Communication Congress in Leipzig erweitert er diese Analyse und beschreibt Berufe im Bildungs- und Gesundheitsbereich als eine neue Art Arbeiterklasse. Die Zukunft der Arbeit ist eine der großen gesellschaftliche Fragen der Digitalisierung. Graeber aber will nicht über Technologie sprechen und beginnt seinen Vortrag mit einer aktuellen politischen Analyse. (…) Seiner Analyse nach verlassen sich linke Parteien zu sehr auf das alte Paradigma von Arbeitern und Kapitalisten. Sie würden übersehen, dass es in Wahrheit um eine ganz andere Unterscheidung gehe: Die von Menschen in administrativen und aufsichtführenden Berufen auf der einen Seite und von jenen in betreuenden Berufen im Bildungs- und Gesundheitsbereich auf der anderen Seite. Letztere nennt Graeber Care-Giver. Beides seien die aufstrebenden Beschäftigungsbereiche der neueren Zeit. Während es sich bei den administrativen Berufen um die klassischen Bullshit-Jobs seiner Theorie handelt – 35% dieser Personen in Deutschland halten ihren Job für völlig irrelevant – würden sie gleichzeitig für einen Produktivitätsverlust bei den Care-Giver sorgen. Denn wenn immer mehr Menschen administrieren und aufsehen, brauche es auch immer mehr Material, mit dem sie arbeiten. Die Care-Giver müssten also vermehrt dafür arbeiten, die Administrativen zu beschäftigen. „Die Schaffung von Bullshit-Jobs führt zur Bullshitisierung echter Jobs“, so Graeber. (…) Linke Parteien müssten die Administrativen als Ansprechpartner:innen für ihre Politik vergessen. Sie sollten auch die Idee der Arbeiterklasse vergessen. Es käme vor allem auf die Care-Giver an. Und zwar nicht nur für linke Politik. „We need to start over“, sagt Graeber gegen Ende. Man müsse sich lösen von den Begriffen Produktivität und Konsum. Und man müsse den Wert von Care-Giver mehr würdigen, weil es auch psychologisch richtig sei: Menschen möchten sich kümmern…“ (Kritischer) Beitrag von Christopher Hamich vom 28.12.2019 bei Netzpolitik externer Link samt Video des Vortrags
  • [Interview mit David Graeber] Der Aufstieg der »Bullshit-Jobs«: Die Explosion an sinnlosen Jobs sorgt dafür, dass Menschen sich unnütz fühlen. Dabei könnte es eine Rebellion für mehr Non-Bullshit-Jobs geben
    Suzi Weissman vom Jacobin Radio traf sich beim Ada-Magazin August 2019 mit David Graeber externer Link, „um herauszufinden, was Bullshit-Jobs sind und warum sie sich in den letzten Jahren ausbreiten konnten. (…) [David Graeber:] Ein Bullshit-Job ist ein Job, der so sinnlos ist, oder sogar schädlich, dass selbst die Person, die ihn ausführt, insgeheim glaubt, dass er gar nicht existieren sollte. (…) Auf der einen Seite hat man Jobs, die scheiße sind, aber nützlich. Wenn man Toiletten putzt oder ähnliches – Toiletten müssen schließlich geputzt werden – da hat man wenigstens die Würde zu wissen, man ist nützlich für andere Menschen, selbst wenn es nicht viel mehr ist als das. Und andererseits hat man Jobs in denen man mit Respekt und Würde behandelt wird, mit guter Bezahlung und guten Vorsorgeleistungen. Aber eigentlich arbeitet man mit dem Wissen, dass der Job vollkommen nutzlos ist. (…) Kreuzchensetzerinnen gibt es, damit eine Organisation sagen kann, dass sie etwas tut, was sie eigentlich nicht tut. Es ist wie eine Untersuchungskommission. Wenn die Regierung durch irgendeinen Skandal in Erklärungsnot kommt – Bullen erschießen viele schwarze Bürgerinnen zum Beispiel – oder jemand nimmt Schmiergelder an, es gibt also eine Art von Skandal. Sie setzen eine Untersuchungskommission ein und erwecken den Anschein, dass sie nicht wussten, was los ist. Sie geben vor, sich der Sache anzunehmen, was aber überhaupt nicht wahr ist. Aber Unternehmen machen das auch. Sie bilden ständig Kommissionen. Es gibt hunderttausende Menschen in der Welt, die in Compliance-Abteilungen bei Banken arbeiten. Und es ist kompletter Blödsinn. Niemand hat je die Absicht auch nur eines dieser Gesetze zu befolgen, die ihnen auferlegt wurden. Die einzige Aufgabe ist es, jedes Geschäft zu genehmigen. Aber natürlich genügt es nicht, jedes Geschäft zu genehmigen, denn das würde verdächtig aussehen. Also erfindet man Gründe, damit man sagen kann, man hätte sich manche Dinge näher angeschaut. Es gibt da ganz aufwendige Rituale, mit denen man vorgibt, sich einem Problem zu widmen, was man eigentlich überhaupt nicht macht. (…) Aber wenn wir an Kapitalismus denken, stellen wir uns immer noch lauter mittelgroße Firmen vor, die produzieren, Handel treiben und miteinander im Wettbewerb stehen. So sieht die Landschaft heutzutage aber nicht mehr aus, insbesondere im Finanz-, Versicherungs- und Immobilien-Sektor. (…) Fragt man Marxistinnen zu Arbeit und Arbeitswert, reden sie sofort über Produktion. Nun, hier ist eine Tasse. Jemand muss diese Tasse herstellen. Das ist wahr. Aber man stellt die Tasse einmal her und wäscht sie zehntausendmal ab, richtig? Diese Art der Arbeit verschwindet vollkommen unter den meisten dieser Vorstellungen. Meistens geht es bei Arbeit nicht um das Produzieren von Dingen, es geht darum, sie beizubehalten, sie zu erhalten, sich darum zu kümmern. Aber genauso, sich um Menschen zu kümmern, um Pflanzen und um Tiere. (…) Aber wenn man in der Gesundheitsbranche oder im Bildungsbereich arbeitet, in sozialen Dienstleistungen, etwas, wo man anderen Menschen hilft, wird man so wenig bezahlt und so in die Schulden getrieben, dass man nicht mal seine eigene Familie unterstützen kann. Das ist vollkommen unfair. (…) Das bedingungslose Grundeinkommen hingegen gibt jeder Person genug, um existieren zu können. Danach ist es einer selbst überlassen. (Ich meine natürlich die radikalen Versionen, nicht die Elon Musk-Version.) (…) Wenn 40 Prozent der Menschen sowieso schon denken, dass ihre Jobs sinnlos sind, wie könnte es dann noch schlimmer werden, als es ohnehin schon ist? Wenigstens wären sie damit um einiges glücklicher als mit dem ständigen Ausfüllen von Formularen.“
  • [Interview mit David Graeber] Arbeit über alles? 
    David Graeber im Gespräch mit Frank Augustin und Wolfram Bernhardt am 8. Januar 2019 bei Telepolis externer Link „über „Bullshit Jobs“, einen Kapitalismus, in dem unnötige Arbeit bezahlt wird, und das kurdische Rojava als eines der größten demokratischen Experimente. (…) Ein Bullshit-Job ist eine Form der bezahlten Anstellung, die derart sinnlos, unnötig oder gefährlich ist, dass selbst die Person, die sie ausführt, ihre Existenz nicht rechtfertigen kann – obwohl sich diese Person im Rahmen der Beschäftigungsbedingungen verpflichtet fühlt, so zu tun, als sei dies nicht der Fall. (…) Es ist ja kein Geheimnis, dass die Jobs, die einen ganz direkten Nutzen haben – wie Erzieher, Pfleger oder Automechaniker – schlecht bezahlt sind. Wenn man dann die Menschen mit sinnlosen Jobs vor die Wahl stellt, ihr Einkommensniveau zu senken – und somit den Lifestyle aufzugeben, den sie sich aufgrund des Einkommens leisten können – und stattdessen etwas Sinnvolles, aber eben schlechter Bezahltes zu machen, lehnen die meisten dankend ab. (…) Wie eine anarchistische Gesellschaft in der westlichen Welt im Detail aussähe, kann ich auch nicht sagen. Aber mir geht es um die Idee der Selbstbestimmung, um den Grad der Autonomie und um einen gesellschaftlichen Grundkonsens, der mir im Zweifel hilft, zu meinen Überzeugungen zu stehen, anstatt mich zu verkaufen. (…)Lassen Sie mich ein Beispiel anführen, anhand dessen ich verdeutlichen kann, worum es mir geht; ein Beispiel für eine gelungene Selbstverwaltung, ja eines der größten demokratischen Experimente der heutigen Zeit. Im Norden Syriens haben sich in den letzten Jahren die kurdischen Gebiete zu einer demokratischen Konföderation zusammengeschlossen, die 2016 ihre Unabhängigkeit erklärt hat. Diese Konföderation besticht jedoch nicht durch eine starke Zentralverwaltung, sondern durch ein großes Maß an Selbstverwaltung, das an die anarchistische Selbstverwaltung in Katalonien im Jahr 1936 erinnert. So wurden in Rojava Volksversammlungen geschaffen, die als höchstes Entscheidungsgremien fungieren und die zudem ein sorgfältiges ethnisches Gleichgewicht repräsentieren. In jeder Gemeinde müssen in den höchsten Gremien ein Kurde, ein Araber und ein assyrischer oder armenischer Christ vertreten sein – und mindestens eine von diesen drei Personen muss eine Frau sein.(…) Der kurdische Kampf könnte auf diese Weise zum Modell für eine weltweite Bewegung hin zu echter Demokratie, kooperativer Wirtschaft und der allmählichen Auflösung des bürokratischen Nationalstaates werden…“
  • „Ganz weit vorn“. David Graeber: Bullshit Jobs 
    Gäbe es im gegenwärtigen Ganzdeutschland einen aktuellen Buchpreis für unbeschwerte Fröhliche Wissenschaft – dann stünde bei mir Graebers neustes Buch über Bullshit Jobs (dt. Scheißjobs) ganz weit vorn. (…) Bullshit Jobs knüpft an subjektiven Alltagserfahrungen vor allem des auch hierzulande realexistierenden Millionenheers von Bullshit Jobbern an. Freilich ohne sich in seinen sieben großflächigen Kapiteln jeweils im Gestrüpp von diversen – auch mitgeteilten – Détails und oft bizarren Einzelheiten dieser auch weltweit relevanten bullshit jobbery nicht nur in distributiv-verteilungsbezogenen und administrativ-verwaltungsbezogenen erwerbswirtschaftichen Bereichen zu verfangen. Die stufenweise entwickelten Definitionsversuche des Autors zum Kern der unterhaltsam variierten Stationen und Formen dieser (um bullshit job wörtlich zu übersetzen) Scheißarbeit im gegenwärtigen entwickelten Spätkapitalismus mit seiner neoliberalen Ideologie und vor allem seiner wirkmächtigen globalen Finanzwirtschaft veranschaulichen, was im Grunde gemeint ist, aber direkt nicht angesprochen wird – nämlich gesellschaftlich überflüssige, schädliche und vor allem parasitäre Ökonomie (deren Kern Marx im dritten Band des „Kapital“ aus Funktionen zinstragenden Kapitals ausführlich entwickelte. (…) Graebers locker erzählte fröhlicher Wissenschaft hat denn auch einen grundlegenden Webfehler: Die vielen fröhlichen Passagen sind sozialwissenschaftlich unerheblich. Und die wenigen sozialwissenschaftlich erheblichen Passagen sind ganz und gar nicht fröhlich. Wen auch immer das nicht (ver)stört … mag sich Graebers Buch als unterhaltsame Fröhliche Wissenschaft reinziehen.“ Buchvorstellung von Richard Albrecht bei der trend onlinezeitung 12/2018 externer Link
  • [Interview] „Jobs, die die Welt nicht braucht“ 
    US-Bestsellerautor David Graeber über immer mehr sinnlose Arbeit, Manager-Feudalismus und die wunderbare Chance, endlich zu einer Freizeit-Gesellschaft zu werden. Der Kapitalismus ist hart und effizient. Im Kampf um Rentabilität und Marktanteile streichen Unternehmen Arbeitsplätze, erhöhen die Arbeitsleistung – alles Überflüssige und Unnötige wird weggeschnitten. Doch darin sieht der Anthropologe und Bestseller-Autor David Graeber nur die eine Seite des Systems. Auf der anderen Seite sieht er eine rapide Zunahme sogenannter „Bullshit Jobs“, also von Arbeitsplätzen, die keinerlei erkennbaren Nutzen haben. Sie vermehren sich im Management, in der Verwaltung, in der Werbung und im Finanzsektor. „Man bekommt den Eindruck, immer mehr Jobs werden nur zu dem Zweck eingerichtet, damit wir alle ständig arbeiten“, so Graeber. „Irgendetwas an unserer Zivilisation ist grundlegend falsch.“ (…) Wenn zum Beispiel Reinigungskräfte streiken, dann ärgert das viele – schlicht weil die Reinigungskräfte nötig sind, weil wir sie brauchen. Was würde aber geschehen, wenn alle Telefonwerber oder Konzernlobbyisten streiken würden? Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Ärger groß wäre. (…) Ich gehe nicht vom objektiven Nutzen des Jobs aus, sondern vom subjektiven Empfinden des Arbeitenden: Es ist eine Tätigkeit, die die Ausführenden selbst als sinnlos oder schädlich bezeichnen…“ Interview von Stephan Kaufmann vom 17.11.2018 in der FR online externer Link
  • Anthropologe: „Menschen verdienen umso weniger, je nützlicher ihr Job ist.“ – David Graeber sieht eine sinnentleerte neue Arbeitswelt – und fordert das bedingungslose Grundeinkommen 
    „… „Es ist offensichtlich, dass die Herstellung von Gütern produktiver und effizienter wird, wenn sie digitalisiert wird. Dann brauchen Sie weniger Mitarbeiter“, so der Forscher in einem Interview mit Technology Review. Das aber habe nicht zu sinkenden Beschäftigungszahlen geführt, sondern zur Ausweitung bei administrativen Jobs und Managertätigkeiten. Viele davon seien jedoch Bullshit-Jobs. „Das ist ein Job, von dem die Leute, die ihn machen, glauben: Wenn es diesen Job nicht gäbe, würde dies nicht auffallen, würden die Dinge sogar ein wenig besser“, sagt Graeber. (…) Die Ursache liegt für Graeber in einer „finanzialisierten Wirtschaft“, also im Übergewicht des Finanzwesens gegenüber der Produktion von Gütern. (…) Für Graeber liegt die Lösung daher im bedingungslosen Grundeinkommen. „Ein Riesenproblem ist ja, dass Menschen umso weniger verdienen, je nützlicher ihr Job ist. Wenn Menschen nicht mehr gezwungen sein sollen, Bullshit-Jobs anzunehmen, sehe ich nur eine Lösung: ihnen ein bedingungsloses Grundeinkommen zu zahlen.“ Rezension von Nils Boeing vom 17. Oktober 2018 bei heise online externer Link
  • [Interview] Bullshit-Jobs: „Ein Drittel unserer Jobs sind sinnlos“ – erklärt David Graeber
    Ob Personalentwickler, Kommunikationskoordinatoren oder Strategieberater – für den Anthropologen David Graeber sind rund ein Drittel aller Jobs sinnlos. Selbst die, die sie ausüben, können ihren Nutzen nicht erklären. Gesellschaftlich sinnvolle Jobs werden hingegen oft weggekürzt oder schlecht bezahlt, gleichzeitig werden die meist gutbezahlten Bullshitjobs immer mehr. Matthias Mayer und Carla Schück haben mit Graeber bei seinem Wien-Besuch gesprochen. Würde es auffallen, wenn es meinen Job nicht gäbe? Wer diese Frage mit Nein beantwortet, hat laut David Graeber einen Bullshitjob. Graeber hat mit unzähligen Angestellten gesprochen und ist zu dem Ergebnis gekommen: Etwa ein Drittel der Jobs sind gesellschaftlich weitestgehend sinnlos und unproduktiv. Auch die Beschäftigten selbst sehen das so und können sich den Nutzen ihrer Arbeit nicht erklären. (…) Damit stellt David Graeber den Mythos der Effizienz unseres Wirtschaftssystems in Frage. Gemeinhin gilt ja: Man kann am Kapitalismus viel kritisieren, aber er ist effizient im Einteilen von Arbeit und Verteilen von Ressourcen. Genau das bestreitet Graeber in seinem Buch “Bullshit-Jobs – vom wahren Sinn der Arbeit” allerdings. Für Graeber leben wir in einer Gesellschaft, die nicht auf produktiver Arbeit basiert, sondern auf Arbeit als Selbstzweck. Anstatt durch technischen Fortschritt immer weniger arbeiten zu müssen, lautet die Prämisse: Mehrarbeit als Lebenszweck! Egal wie sinnlos die Jobs sind. (…) Wir könnten schon längst weniger arbeiten, aber wir scheinen besessen davon zu sein, mehr zu arbeiten. Etwas zu produzieren, ist gar nicht so wichtig. Es ist oft wichtiger, in seinem Job zu leiden. Wenn du nicht mehr arbeitest, als du eigentlich arbeiten willst, dann giltst du schlicht als schlechter Mensch. Es gibt also eine gesellschaftliche Besessenheit auf der einen und eine politische Agenda auf der anderen Seite, den Arbeitsfetischismus. Die Linke und die Rechte finden gemeinsam eines immer sehr wichtig: Das Schaffen von Arbeitsplätzen. Die Forderung nach weniger Jobs wäre politischer Selbstmord. Man kann nicht einmal anklingen lassen, dass es vielleicht Jobs gibt, die einfach sinnlos sind. Das klingt in unseren Ohren fast wie Ketzerei…“ Interview der Kontrast-Redaktion vom 26. September 2018 externer Link
  • Zum Buch von David Graeber „Bullshit Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit.“ (Stuttgart 2018, 464 Seiten, 26 €.) siehe Infos bei Klett-Cotta externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=137109
nach oben