Nach vorn denken. Die Gewerkschaften müssen Handlungsfähigkeit zurückerlangen. Dazu bedarf es politischer Kämpfe und der Bereitschaft, den gegenwärtigen Kapitalismus zu überwinden

Banner mit der Aufschrift "Klassenkampf statt Sozialpartnerschaft"„… Die Lohnabhängigen sind mit ins Boot der kapitalistischen Profiteure eines globalen Ausbeutungssystems geholt worden. Keine gute Figur haben führende Gewerkschafter dieses Landes auch bei der Durchsetzung der sozialpolitischen Konterreformen der Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) gemacht. Die Aushöhlung des Arbeitsrechts (die zum Beispiel die Ausdehnung der Leiharbeit ermöglichte) begann zwar schon in der Regierungszeit Helmut Kohls (CDU), aber die sozialdemokratische »Agenda-Politik« und die Installierung des Hartz-IV-Systems, das im Kern eine Abstiegsautomatik in Gang setzte, von der besonders jene betroffen sind, die im fortgeschrittenen Alter ihren Arbeitsplatz verlieren, war ein trauriger Höhepunkt. (…) Sie verhielten sich zustimmend, weil sie sich der sogenannten Standortlogik, also der Auffassung verpflichtet fühlten, dass zur Förderung der internationalen Konkurrenzfähigkeit der deutschen Exportindustrie der Sozialstaat »schlanker« und das Arbeitsrecht »modernisiert« werden müssten. (…) Ein gigantischer »Erfolg«, der noch von einer Ausdehnung der Armutszonen und einem sich verfestigenden System prekärer Arbeit, aber auch vom Aufstieg einer rechtspopulistischen Partei flankiert wird. (…) Diese dramatischen Rückschritte machen deutlich, dass auch die Gewerkschaften nicht mehr so weitermachen können wie bisher, sich also nicht mehr nur unkritisch am »laufenden Geschäft« beteiligen können. Alternative, den Krisenverhältnissen angemessene Konzepte erfordern jedoch grundlegende Einstellungsveränderungen und die Erkenntnis, dass es gesellschaftliche Entwicklungen ebenso wie Gegensätze zwischen Kapital und Arbeit gibt, die grundsätzlicher Natur sind und nicht durch technokratische Reformen und vordergründige Kompromisse überwunden werden können…“ Artikel von Werner Seppmann in der jungen Welt vom 09.05.2019 externer Link, bei dem Text handelt es sich um die erweiterte Fassung einer Rede, die der Autor auf der Veranstaltung zum Tag der Arbeit am 1. Mai in Möhrfelden gehalten hat.

  • Ebenso wichtig im Text: „… Aber gerade wegen der entsolidarisierenden Wirkung solcher Verhältnisse ist es notwendig, an einer verbindenden Perspektive gemeinsamer Interessen und kollektiven Handelns der Arbeitskraftverkäuferinnen und -verkäufer zu arbeiten. Nur wenn Krisenopfer und »Integrierte« ihre gemeinsamen Interessen erkennen, ihnen bewusst wird, dass ihre Existenzbedingungen zwar fragmentarischer, ihr ökonomischer und politischer Gegensatz zum Kapital jedoch profilierter geworden ist, können die entsolidarisierenden Effekte abgemildert werden. Auf Basis ausschließlich betrieblicher Orientierungen kann das kaum gelingen, denn zur Überwindung der Spaltungstendenzen wäre es notwendig, den Blick von der Mehrschichtigkeit der Interessenlagen der Lohnabhängigen nicht abzuwenden. Von vorrangiger Bedeutung wäre auch die Berücksichtigung der divergenten Erwartungshaltungen von beschäftigten Lohnabhängigen und Arbeitslosen. Verbunden werden müssen solche Prozesse mit einer Neuorientierung der gewerkschaftlichen Arbeit, mit einem Bekenntnis zu einem gesellschaftlichen Gestaltungswillen, also mit der Inanspruchnahme eines politischen Mandats, denn immer deutlicher zeigt sich, dass mit rein ökonomischer Interessenvertretung die Lebensansprüche für eine wachsende Zahl von Lohnabhängigen nicht zu sichern sind. Der Kreis der Ausgegrenzten und Benachteiligten wird immer größer, und dabei darf nicht ignoriert werden, dass diese Entwicklungen gesamtgesellschaftliche Ursachen haben, auf die auf Betriebs- und Branchenebene nicht eingewirkt werden kann. (…) Es müssen umfassende Bündnisse geschmiedet werden. Dabei ist es förderlich, die Konflikte in der Öffentlichkeit sichtbar werden zu lassen: Um eine (im günstigen Fall) breite Basis der Solidarität zu schaffen, müssen die Konflikte auf die Straße getragen werden…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=148507
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