Leben im Neoliberalismus: Warum es eines realistischen Blickes bedarf

Buch von Patrick Schreiner: Warum Menschen sowas mitmachen. Achtzehn Sichtweisen auf das Leben im Neoliberalismus… Man muss den unbewussten und dezentralen Charakter des Kapitalismus ernst nehmen. Hinter Kapitalverwertung und Märkten steht keine zentrale, lenkende Instanz; sie vollziehen sich vielmehr – wenn man so möchte – hinter dem Rücken der Menschen (wiewohl sie gesellschaftlich, mithin von Menschen herbeigeführt sind). Dies gilt nicht nur für ökonomische Prozesse im engeren Sinne, sondern auch für Ideologie, Kultur und Politik. Die relativ weitreichende Autonomie von Menschen und Institutionen im neoliberalen Kapitalismus ist keine Einbildung und keine Erfindung. Die »Unterwerfung als Freiheit« setzt sehr wohl Freiheitsgrade und Freiheitsempfinden voraus. Genau hier kommt der Neoliberalismus im Alltag ins Spiel. Die Abwesenheit einer zentral lenkenden Instanz anzunehmen, bedeutet selbstredend nicht, Interessengegensätze zu verleugnen – wie etwa jene zwischen Arbeit und Kapital oder zwischen Armen und Reichen. (…) Fortschrittliche Veränderung erfordert, an der unmittelbaren Lebenswelt der Menschen anzusetzen. Erstens sind vermeintlich »weiche« Aspekte des Lebens im Neoliberalismus ernst zu nehmen. Gemeint sind damit etwa Alltagsvorstellungen, Gefühle, Hoffnungen und das Bedürfnis nach sozialer Anerkennung und Teilhabe. Menschen lassen sich weder durch die Arroganz eines linken Elfenbeinturms noch durch verbalradikale Revolutionsträumereien gewinnen. Zweitens kann und darf eine linke Strategie zur Veränderung nicht hinter die Freiheitsgrade zurückfallen, die der Neoliberalismus eben auch geschaffen hat. Ein Zurück in die 1950er Jahre kann und wird es nicht geben. Eine linke Antwort auf neoliberale Vereinzelung (wie auch auf autoritäre Rechtstendenzen) kann nicht darin bestehen, die Menschen wieder in ein enges Korsett aus sozialer Kontrolle, vorgegebenen sozialen Rollen und strikten Hierarchien stecken zu wollen. Aufgabe linker Politik im 21. Jahrhundert muss es vielmehr sein, einen Weg zu finden, der gleiche soziale Rechte, Teilhabe und ein solidarisch-kooperatives Miteinander verbindet mit individueller Autonomie und vielfältigen Möglichkeiten zur Gestaltung des eigenen Lebens. Und natürlich muss es Aufgabe sein, Menschen von diesem Weg zu überzeugen – wofür die Chancen so schlecht nicht stehen.“ Beitrag von Patrick Schreiner vom 28. März 2018 bei Blickpunkt Wiso externer Link – Dieser Text ist das eigens angefertigte Nachwort zur fünften Auflage von »Unterwerfung als Freiheit. Leben im Neoliberalismus«, erschienen beim PapyRossa Verlag, Februar 2018 zum Preis von 11,90 Euro (133 Seiten)

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